Schweitzer Fachinformationen
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Nachdem Erika Fatland »Sowjetistan« bereist, Russland umrundet und den Himalaya erklommen hat, ließ sie sich nun von der Abenteuerlust der portugiesischen Seefahrer anstecken und folgt ihnen über die Ozeane. Spannend und kenntnisreich erzählt sie darüber, wie ein kleines Land am Rande Europas einst über die halbe Welt geherrscht hat und welche - teils tragischen - Spuren das bis heute in den Leben der Menschen hinterlassen hat, denen Erika Fatland auf ihrer Reise begegnet.
Auf Geheiß von Heinrich dem Seefahrer segelten im 15. und 16. Jahrhundert Ferdinand Magellan, Vasco da Gama und andere über die Meere auf der Suche nach neuen Handelsrouten und Häfen. Europa wurde mit der Welt verbunden, die ersten Kolonien wurden gegründet, nach und nach entstand das erste Übersee-Imperium - Prototyp für andere Kolonialsysteme - und hinterließ ein zwiespältiges Erbe.In einigen Ländern und Gebieten, die Erika Fatland besucht, gehört die portugiesische Ära der fernen Vergangenheit an und nur schwache Spuren erinnern noch daran. An anderen Orten wird sich noch sehr intensiv und schmerzhaft an die portugiesische Epoche erinnert. Entlang der wichtigsten Seewege der Welt und individueller Lebensgeschichten schlägt Fatlands Reisebericht einen Bogen von der Zeit der Seefahrer zum heutigen politischen, kulturgeschichtlichen und gesellschaftlichen Erbe der Kolonialzeit.
Die Reise führt nach Portugal - Madeira - auf die Azoren - nach Ceuta - Kap Verde - Guinea-Bissau - Ghana - São Tomé und Príncipe - Äquatorialguinea - Angola - Mosambik - Tansania - Kenia - Dubai - Bahrain - Oman - die Malediven - Indien - Sri Lanka - Malaysia - Japan - Indonesien - Osttimor - St. Helena - Brasilien
Dort unten, zwölf Decks unter mir, fahren in einer langen Reihe identische weiße Autos die Rampe hinauf und in den Bauch des gigantischen Schiffes hinein. Von hier oben sehen sie wie kleine Spielzeugautos aus. In entgegengesetzter Richtung, die Rampe hinunter, rollen in regelmäßigen Abständen schwarze Minibusse, vollbeladen mit Männern in weißen Overalls. Sie halten ein paar hundert Meter entfernt auf dem riesigen Parkplatz, auf dem all die weißen Autos im exakt gleichen Abstand nebeneinanderstehen. Die Männer in den Overalls springen heraus, nehmen Kurs auf jeweils ein Auto, öffnen die Tür, nehmen auf dem Fahrersitz Platz, starten den Motor und formen eine neue, disziplinierte Wagenschlange, die auf die Rampe zu und in das Schiff hineinrollt. Das wiederholt sich wieder und wieder, wie eine exakt abgestimmte Choreografie auf Rädern, eine Vorführung perfektionierter Logistik.
Ich schlendere zu meiner Kabine zurück, öffne die Tür, an der 4th Engineer steht, und setze mich versuchsweise an den kleinen Schreibtisch. Eine Minute nach zwölf klopft es an der Tür. Ein lächelnder junger Mann grüßt höflich und lässt mich wissen, dass das Mittagessen serviert ist. In der Messe hat sich bereits ein Dutzend Seemänner zu Tisch begeben. Sie sind leger mit Trainingshose oder Shorts bekleidet und grüßen freundlich. Ich bekomme einen Platz am Tisch des Kapitäns, zwischen dem Chefmaschinisten und dem Zweiten Maschinisten. Der Kapitän ist Mitte vierzig, strahlt jedoch bereits etwas Großväterliches aus. Er unterhält sich freundlich, isst jedoch schnell; auf alle warten zu erledigende Aufgaben.
Nach wenigen Minuten hat sich die Messe geleert, und ich bleibe allein zurück. Aus reiner Langeweile mache ich einen Abstecher in die Wäscherei und stelle eine Maschine an. Um die Zeit rumzubringen, jogge ich im Fitnessraum ein paar Kilometer auf dem Laufband. Die meisten Geräte sind mit einer feinen Staubschicht überzogen. Ich dusche, setze mich ein weiteres Mal versuchsweise an den Schreibtisch, entscheide mich schließlich aber doch für eine kleine Ruhepause, lege die frisch gewaschenen Sachen zusammen. Der Nachmittag schleicht dahin. Unten am Kai setzt sich der Tanz auf Rädern fort.
Es klopft erneut an der Tür. Die Lotsen sind an Bord gekommen, und wir sind bereit zum Ablegen. Auf der Brücke trägt der Kapitän nunmehr Uniform, weißes Hemd, schwarze Jacke und blank geputzte Schuhe. Einer der Lotsen ist mit kompletter Schutzausrüstung, Maske und weißem Overall, ausgestattet. Die Autodecks wurden mit einem Insektizid behandelt.
Vor der Schnauze des Schiffes fährt ein rundes, kleines Lotsenboot. Ab und an sagt ein Lotse eine Zahl, vier Komma fünf, fünf Komma fünf, woraufhin der Kapitän und der Steuermann die Zahlen wiederholen, laut und deutlich, und so, Dezimale für Dezimale, bewegt sich das riesige Schiff langsam aus dem Hafen, vorbei am Zentrum von Santander, durch die kleine, geschützte Bucht von Santander, hinaus in die Biskaya. Die spanischen Lotsen verschwinden hinunter ins Schiffsinnere und klettern in das Lotsenboot.
Meine portugiesische Seereise beginnt in einer spanischen Hafenstadt. Santander ist der Ort, an dem ich Lissabon am nächsten komme, da kein portugiesischer Hafen Teil des Streckennetzes der Reederei ist. Portugal ist nicht mehr das Mutterland eines großen, mächtigen Imperiums, sondern ein kleines, ziemlich armes und dem Wind ausgesetztes EU-Land, bekannt für traurige Musik und eine Sprache mit einer komplizierten Grammatik und unglaublich vielen Diphthongen, weitestgehend überschattet von dem viel größeren und reicheren Nachbarland im Osten, an dessen Nordküste der Autofrachter nunmehr entlanggleitet.
Von erfahrenen Reisenden habe ich mir erzählen lassen, dass man auf so großen Schiffen den Seegang kaum wahrnimmt, dass sie gegen die Angriffe der Wellen nahezu immun seien. Aber der Rumpf schaukelt gewaltig. Die Biskaya ist für hohe Wellen berüchtigt; geschuldet ist das den großen Unterschieden in der Wassertiefe. Im Herbst und im Winter herrscht hier fast immer Unwetter, und wir haben Oktober. Draußen auf Deck weht der Wind so heftig, dass ich mich festhalten muss, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Auf allen Seiten sind wir von grauem, schäumendem Meer umgeben.
Das wird eine unruhige Nacht. Das Schiff schaukelt von einer Seite zur anderen, langsam genug, damit alles an seinem Platz liegen bleibt, aber heftig genug, damit die Kabine sich lautstark beschwert. Die Wände und der Schrank knirschen und knacken; mehrfach wache ich in dem Glauben auf, es würde an die Tür geklopft, dabei sind es nur die sich beklagenden Wände.
Als die Sonne es endlich über die Wellenkämme schafft, befinden wir uns noch immer in der Biskaya. Ich ziehe mich an, schwanke zur Messe und verspeise ein einsames Frühstück. Die meisten Seemänner haben bereits gegessen, aber das Büfett ist noch aufgebaut: Reis, Omelett, Cornflakes, Schüsseln und Töpfe mit lauwarmem Fleisch, Saft und Pulverkaffee. Nach ein paar Löffeln Reis muss ich aufgeben und trete, mich abstützend, den Rückweg zur Kabine an, in mein schwimmendes Schreibgefängnis.
Es ist kurz nach sieben, der Tag hat gerade erst begonnen. Ich setze mich an den Schreibtisch, muss jedoch alsbald kapitulieren und lege mich auf die blaue Decke. Solange ich so daliege, ganz, ganz still, halte ich die Seekrankheit in Schach.
Der nächste Stopp ist Südafrika.
RAUCHEN IM BETT VERBOTEN warnt ein Schild neben der Nachttischlampe. Ich versuche, an etwas anderes zu denken als daran, dass ich in einem schwankenden, verwinkelten Schuhkarton eingesperrt bin. An ein Gesellschaftsspiel zum Beispiel. Ein Gedächtnisspiel. Das mit einem Satz beginnt, den Generationen von norwegischen Kindern mit der größten Selbstverständlichkeit aufgesagt haben: Mein Schiff ist beladen mit . Spielzeug. Oder . Autos. Kreideweißen Autos. Es könnten ebenso gut aber auch . Handys sein. Sonnenblumenöl. Joggingschuhe. Flüssiggas. Kühlschränke. In jeder Sekunde des Tages fahren fünfzigtausend Frachtschiffe kreuz und quer über die Meere mit allem, wofür Menschen möglicherweise bereit sind Geld zu bezahlen. Alle diese Schiffe sind mit irgendetwas beladen, sie verbinden die Welt, allerdings denken wir darüber erst nach, wenn etwas schiefläuft, wenn zum Beispiel ein Land die Schiffe eines anderen blockiert und Millionen von Menschen auf einem anderen Kontinent plötzlich kein Getreide mehr haben oder wenn ein Containerschiff tagelang in einem der betriebsamsten Kanäle stecken bleibt und Geschäften in Tausenden Kilometern Entfernung das Toilettenpapier ausgeht. Oder die Zigaretten. RAUCHEN IM BETT VERBOTEN.
Alles hat einen Anfang, auch der Weg über das Wasser. Anfang des 15. Jahrhunderts brachen mutige Seemänner in kleinen Karavellen von der Küste Portugals auf, sie nahmen Kurs gen Süden, in die gleiche Richtung, die auch wir eingeschlagen haben. Mein Schiff ist beladen mit . Tabletten gegen Seekrankheit. Gegen Ende des Jahrhunderts fanden sie das Kap, an dem Afrika endet, die südliche Passage zwischen Europa und Asien, und von dort aus war der Weg nach Indien und zu den begehrten Gewürzhäfen des Ostens kurz. So begründeten sie das erste maritime Imperium der Welt, ein Reich, das sich auf seinem Höhepunkt um den ganzen Planeten erstreckte, über vier Kontinente und drei Weltmeere. Die alten Karawanenrouten wurden nahezu über Nacht unzeitgemäß: Zentralasien war nicht mehr zentral, die Kamele der Seidenstraße - die Wüstenschiffe - wurden durch Segelschiffe ersetzt.
Die moderne Seefahrt war geboren. Und mit ihr wurde auch die moderne Welt geboren.
Über zwei Jahre lang bin ich auf den Spuren der alten Portugiesen gereist, auf der Suche nach Überresten der Vergangenheit in der Gegenwart. Die Suche hat mich auf abgelegene Inselgruppen im Atlantik sowie nach Guinea-Bissau, Angola und Mosambik auf dem afrikanischen Festland geführt. Weiter ging es nach Goa, Malakka, Indonesien, Osttimor, Japan und in viele Orte mehr, zudem bin ich wochenlang durch den Regenwald im Amazonas und durch brasilianische...
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