1 - Inhaltsverzeichnis und Vorwort [Seite 7]
2 - Einleitung [Seite 11]
3 - 1 Krisen und Krisenprozess [Seite 13]
3.1 - 1.1 Definitionen und Begriffserklärungen [Seite 16]
3.2 - 1.2 Abgrenzung zum psychiatrischen Notfall [Seite 20]
3.3 - 1.3 Pioniere der Krisenforschung [Seite 26]
3.4 - 1.4 Charakteristika von Krisen [Seite 29]
3.4.1 - 1.4.1 Psychosoziale Charakteristik [Seite 29]
3.4.2 - 1.4.2 Körperliche Symptome [Seite 31]
3.4.3 - 1.4.3 Psychische Symptome [Seite 32]
3.5 - 1.5 Krisenfaktoren und Krisenauslöser [Seite 34]
3.6 - 1.6 Krisenbetroffene Personen [Seite 38]
4 - 2 Krisenbewältigung [Seite 41]
4.1 - 2.1 Coping [Seite 45]
4.2 - 2.2 Ressourcen [Seite 47]
4.3 - 2.3 Widerstandsfähigkeit [Seite 50]
4.4 - 2.4 Abwehrmechanismen [Seite 55]
5 - 3 Psychosoziale Krisen [Seite 61]
5.1 - 3.1 Traumatische Krise nach Johan Cullberg [Seite 63]
5.1.1 - 3.1.1 Phasen traumatischer Krisen [Seite 64]
5.1.2 - 3.1.2 Pflegerische Interventionen bei traumatischen Krisen [Seite 68]
5.2 - 3.2 Lebensveränderungskrisen nach Gerald Caplan [Seite 75]
5.2.1 - 3.2.1 Phasen der Lebensveränderungskrisen [Seite 76]
5.2.2 - 3.2.2 Pflegerische Intervention bei Lebensveränderungskrisen [Seite 81]
5.3 - 3.3 Gefahren psychosozialer Krisen [Seite 84]
5.4 - 3.4 Chancen psychosozialer Krisen [Seite 91]
5.5 - 3.5 Suizidale Krise [Seite 92]
6 - 4 Pflegerische Krisenintervention [Seite 101]
6.1 - 4.1 Begriffsklärung [Seite 101]
6.2 - 4.2 Indikation zur Krisenintervention [Seite 103]
6.3 - 4.3 Prinzipien der Krisenintervention [Seite 105]
6.4 - 4.4 Ziele der Krisenintervention [Seite 107]
6.5 - 4.5 Interdisziplinäre Kooperation [Seite 109]
6.5.1 - 4.5.1 Anamnese [Seite 112]
6.5.2 - 4.5.2 Übergabegespräch [Seite 113]
6.5.3 - 4.5.3 Visite [Seite 114]
7 - 5 Metaqualifikationen pflegerischer Krisenbegleitung [Seite 117]
7.1 - 5.1 Akutintervention [Seite 118]
7.2 - 5.2 Beziehungsgestaltung [Seite 121]
7.2.1 - 5.2.1 Konzept Hoffnung [Seite 122]
7.2.2 - 5.2.2 Patientenzentrierte Grundhaltung [Seite 123]
7.2.3 - 5.2.3 Caring [Seite 125]
7.2.4 - 5.2.4 Aktives Zuhören [Seite 126]
7.3 - 5.3 Krisengespräche [Seite 129]
7.4 - 5.4 Einbeziehung des sozialen Umfelds [Seite 132]
7.5 - 5.5 Methoden der Krisenintervention [Seite 138]
7.5.1 - 5.5.1 Netzwerkintervention/Ressourcenorientiertes Assessment [Seite 138]
7.5.2 - 5.5.2 Problemorientiertes Assessment [Seite 139]
7.5.3 - 5.5.3 Krisentagebuch [Seite 140]
7.5.4 - 5.5.4 Wunderfrage [Seite 141]
7.5.5 - 5.5.5 Innere Helfer [Seite 141]
7.6 - 5.6 Deeskalationsmanagement [Seite 142]
7.7 - 5.7 Psychohygienische Intervention/Entlastungsgespräch [Seite 145]
8 - 6 Zusammenfassung [Seite 149]
9 - Literatur [Seite 153]
10 - Psychiatrische Pflege im Hogrefe Verlag [Seite 159]
11 - Autorin und Sachwortverzeichnis [Seite 165]
|39|2 Krisenbewältigung
|41|Die Krisenbewältigung ist eine kognitive und handlungsorientierte Bemühung, die der Mensch auf sich nimmt, um Anforderungen gerecht zu werden, zu vermindern oder zu tolerieren. Die Anforderungen stellen die Mittel einer Person auf eine harte Probe oder überfordern deren Möglichkeiten (Ulich, 1987).
Die größten Schwierigkeiten bei der Krisenbewältigung liegen darin, dass die Betroffenen das Problem nicht wahrnehmen können oder unfähig sind, sinnvolle Lösungen durchzuführen. Eine mögliche Erklärung dafür können fehlende oder falsche Lösungsstrategien sein. Des Weiteren kann dem krisenbehafteten Menschen emotionaler Rückhalt und reale Unterstützung durch seine Umwelt fehlen oder die Beeinträchtigung der psychischen Verfassung ist so enorm, dass keine Problembewältigung möglich ist. Auch die Komplexität des Krisenanlasses kann eine eigene Bearbeitung unmöglich machen (Sonneck et al., 2016). Daraus ergeben sich eine psychische Instabilität und Überforderung der Betroffenen. Dies macht die Hilfe durch andere Menschen oder das soziale Umfeld enorm wichtig. Dementsprechend zählen alle Handlungen und Aktivitäten zur Krisenbewältigung, die die aktuellen Schwierigkeiten und inneren Anspannungen verringern (Hausmann, 2019). Bei der Krisenbewältigung muss die normative (zu erwartende) Krise, die beinahe jeden Menschen trifft (z.?B. Tod der Eltern) von der nicht-normativen (unerwarteten) Krise unterschieden werden. Der Mensch hätte bei der normativen Krise nämlich bereits im Vorhinein die Möglichkeit, sich auf das kommende Ereignis einzustellen. Das würde bedeuten, dass die Betroffenen die Krise bereits zu bewältigen beginnen, bevor sie das Vollbild erreicht hat. Die normative Krise wäre im Verlauf demnach kürzer und weniger heftig. Allerdings kann nicht davon ausgegangen werden, dass Menschen die Möglichkeit der "Vorweg-Bearbeitung" immer wahrnehmen. Zumal die Krisenbetroffenen auch hierbei vielfältige Bewältigungsstrategien brauchen, um auf die unterschiedlichen Krisen zu reagieren. Zudem ist kritisch zu hinterfragen, ob Gefühle nicht durchlebt werden bzw. Ereignisse erst passieren müssen, damit die Tragweite erfasst werden kann. Es kann beispielsweise die Rolle mit den neuen Aufgaben (z.?B. einer Witwe) erst übernommen werden, wenn der Alltag ohne Ehemann wirklich erlebt wird (Wingchen, 2004).
Bewältigungsprozesse können generell in assimilierende und akkommodierende Prozesse unterteilt werden. Beim assimilierenden Bewältigungsprozess bleiben Ziele des Betroffenen mehr oder weniger beibehalten und die Krise wird aktiv bearbeitet oder verändert. Im Unterschied dazu orientiert sich der akkommodierende Prozess an der Korrektur der alten ursprünglichen Ziele, diese werden durch andere Ziele bewusst oder unbewusst ersetzt. Der Mensch passt sich der unveränderbaren Realität an (Stein, 2009). Verstirbt z.?B. der Ehemann bei |42|Pensionsantritt, kann seine Witwe eine geplante Weltreise trotz allem allein oder mit jemand anderem antreten (assimilierend) oder sie ändert ihr Lebensziel, storniert die Reise und zieht zu ihrer Tochter in eine andere Stadt, um sich um die Enkelkinder zu kümmern (akkommodierend).
Diese Bewältigungsprozesse hängen von den individuellen Möglichkeiten des Menschen ab und werden durch unterschiedliche Umstände geprägt (Dross, 2001, S. 13):
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"Durch ihre Disposition und vorhergehende Erfahrung haben Menschen eine unterschiedliche Verletzlichkeit. Das Ausmaß der subjektiv erlittenen Schädigung variiert massiv".
Beispiel: Konnte sich ein Kind auf wichtige Bezugspersonen verlassen, wird es auch im Erwachsenenalter das Vertrauen fassen, beispielsweise bei einer schweren Krebserkrankung auf die Hilfe von Nahestehenden zu bauen. Die Erziehung trägt maßgeblich dazu bei, ob sich Kinder auch im späteren Leben ihren Problemen stellen und eigene Bewältigungsstrategien entwickeln werden.
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"Grundbedürfnisse und Lebensziele sind in einer psychosozialen Krise individuell unterschiedlich tief ausgeprägt. Krisenbetroffene können sie nicht augenblicklich revidieren."
Beispiel: Eine junge und sehr auf ihr Äußeres bedachte Frau bekommt kurz vor ihrer Hochzeit eine Brustkrebsdiagnose. Es besteht ein Kinderwunsch. Inwieweit diese Krise Lebensziele verändert bzw. die Patientin die Veränderungen zulässt, hängt mit der Ausprägung ihrer Lebensziele zusammen. Dies erfordert eine empathische Begleitung und feinfühliges Vorgehen während der Krisenbegleitung.
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"Materielle, soziale und persönliche Ressourcen sind bei Krisenbetroffenen im unterschiedlichen Ausmaß verfügbar. Sie unterstützen die Krisenbewältigung".
Beispiel: Ob eine Frau nach dem Tod ihres Ehemannes materiell versorgt und von guten Freunden umgeben ist, spielt bei der Bewältigung der traumatischen Krise eine große Rolle. Ansonsten kommt es, z.?B. durch den Verlust des gemeinsamen Hauses und der möglichen Isolation ohne Freunde, zu einer Anhäufung von Problemen, die wiederum in eine neue Krise führen oder die bestehende Krise verstärken können.
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"Das Ausmaß der Veränderung der Lebenslage und der erforderlichen Reorganisierung des alltäglichen Lebens ist bei jeden Krisenbetroffenen unterschiedlich (Arbeit, materielle Versorgung, Wohnung, familiäres und soziales Umfeld)".
Beispiel: Ein Leistungssportler erleidet durch einen Motorradunfall eine Wirbelsäulenverletzung mit daraus resultierender Querschnittslähmung. Das Le|43|ben des Patienten muss in der Krisenbewältigung mit neuen Zielen und Inhalten gefüllt werden, erst dann wird die traumatische Krise bewältigt. Dazu müssen zur physischen Genesung die Einschränkungen in die Zukunftsplanung eingebunden werden. Sein Leben wird völlig neu ausgerichtet und strukturiert, dies reicht von Umbaumaßnahmen seiner Wohnung über Rollstuhltraining bis hin zur Organisation eines neuen Jobs und vieles mehr. Das kann nur mit ausreichenden Ressourcen und andauernder Unterstützung gelingen.
Besonders die beiden letzten Punkte sollten für die betreuenden Pflegefachkräfte ein entscheidender Hinweis sein, dass Krisenbegleitung bereits mit dem Erstkontakt beginnen sollte. Manchmal ergeben sich Informationen zu den Ressourcen für die erforderliche Reorganisierung bereits im Aufnahmesetting. Mögliche Unterstützungsangebote oder Hilfestellungen können schon während des Krankenhausaufenthalts durch die Pflegefachkräfte, nach Absprache mit der Patientin oder dem Patienten, organisiert bzw. mobilisiert werden. Ein ressourcenorientiertes Vorgehen der pflegerischen Begleitung ist unerlässlich. Dies bedeutet nach Absprache mit den Krisenbetroffenen, vorhandene Fähigkeiten, Netzwerke und Mittel zu eruieren und diese in der Krisenbegleitung zu aktivieren oder aufzuzeigen (z.?B. Einbeziehen von Nahestehenden). Die Krisenintervention braucht einen positiven Ansatz. Vor der Entlassung des betroffenen Menschen sollten unbedingt die getroffenen Pflegemaßnahmen und die erreichten Pflegeziele ergebnisorientiert auf Wirksamkeit überprüft und dem Betroffenen nochmals aufgezeigt bzw. mit ihm besprochen werden.
2.1 Coping
Im Zusammenhang mit der Krisenbewältigung sollte Coping noch genauer erläutert und beschrieben werden, da das theoretische Wissen zum Thema Coping während der Krisenintervention für Pflegende enorm wichtig ist.
Unter Coping oder Bewältigung wird das Bemühen verstanden, bereits vorhandene oder zu erwartende Belastungen durch Krisen innerpsychisch zu verarbeiten und durch zielgerichtetes Handeln in den Griff zu bekommen (Heim, 1986; Kunz et al., 2009). Coping ist ein Prozess, mit dem Betroffene versuchen, ihr inneres Gleichgewicht trotz massiver Belastung wiederherzustellen und dadurch jedweden Druck zu reduzieren. Es gibt viele Bewältigungsmechanismen, die Menschen in einer Krise bewusst oder unbewusst einsetzen. Die unterschiedlichen Bewälti|44|gungsstrategien können das Denken, die Empfindung und...