Schweitzer Fachinformationen
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Das Eichhörnchen bemerkt mich nicht. Aufrecht sitzend ruckt sein Kopf wachsam hin und her und zwingt mich, so regungslos zu bleiben wie der Stein, an den ich mich lehne. Unter mir rauscht, wie seit Jahrtausenden, glasklares Wasser zwischen Felsen und vom letzten Sturm gefällten Baumleichen den Berg hinab. Meine Hand tastet feuchtes Moos, das sich an Granit klammert, der hier im Zusammenspiel mit Bäumen und Wasser die Landschaft formt. Ich gebe zu, ich wundere mich ein wenig, dass ich allein bin in diesem Paradies, doch an diesem Maivormittag stört kein Mensch den kleinen Nager und mich. Noch immer erkundet sein Blick die Umgebung und noch immer hat er mich nicht bemerkt. Über uns glitzern Blätter in der Sonne, die sich durch das Dach der Bäume einen Weg bis zum Waldboden bahnt. Ein seltener Gast in diesen regenreichen Tagen.
Noch vor einem Jahr wäre es undenkbar gewesen, dass ich die Bekanntschaft mit dem fleißigen Tierchen gemacht hätte. Wie auch? Selbst wenn ich durch irgendeinen unbeschreiblichen Zufall von den Rieslochfällen gehört hätte, der Name dieses kleinen Paradieses hätte nie und nimmer Eingang in meine Gedankenwelt gefunden. Und schon gar nicht wäre es den Kaskaden glasklaren Wassers, die ihren Weg herab vom Arber suchen, gelungen, mich aus München hierher zu locken und die Hänge des Bayerwaldkönigs hinaufzutreiben.
Wie konnte aus einem überzeugten Großstädter, wie ich es war, ein wahrer Naturfreund werden? Ein ermordeter alter Mann, eine bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts reichende Tragödie und eine Frau namens Claudia haben es geschafft, dass ich meine Wanderschuhe - K2 Mountainrunner - anziehe, und Freude am Spiel eines Eichhörnchens empfinde.
Jetzt frage ich mich, wie dieser Genuss so lange an mir vorbeigehen konnte.
In meinem früheren Leben hätte ich mich solcher Gedanken geschämt. Ein Moritz Buchmann war für die Stadt gemacht und für nichts anderes. Landleben und Natur überließ ich dankend anderen und der Outback jenseits der Stadtgrenze Münchens stand gleichbedeutend mit einer Sperrzone.
Und heute? Ich wage es kaum zu sagen. Klar, es ist in erster Linie Claudia, die die Distanz von München zum Bayerischen Wald von Lichtjahren auf akzeptable zwei Stunden Fahrt reduziert. Claudia, die es geschafft hat, mir Lebensfreude und den Glauben an Liebe zurückzugeben. Doch dann haben die von Anfang an regelmäßigen Besuche Kirchbachs und seiner Umgebung und nicht zuletzt die Wanderungen mit der neuen Frau meines Lebens einen vollständigen Wandel meiner Weltanschauung herbeigeführt. Es begann damit, dass ich Berge und Wälder, Bäche und Wiesen nicht nur als notwendiges Beiwerk zu Claudias Gesellschaft akzeptierte, sondern erst bestaunte, dann bewunderte und irgendwann anfing, die Gegend zwischen Dreisessel und Kaitersberg zu lieben. Und auch seine Bewohner, gleich ob Mensch oder Tier. Sogar ein kleines Eichhörnchen, das mich noch immer nicht entdeckt hat.
Und dann passiert es: das Handy! Nichts Besonderes, nur ein Standardklingelton. Mein kleiner Freund auf der anderen Seite des Baches verharrt für einen Sekundenbruchteil, dann springt er in einem einzigen Satz auf einen Baumstamm, klettert behände und flink diesen hinauf und ist verschwunden. Und mit ihm der Zauber dieses Augenblicks. Meine Erstarrung löst sich und ich taste nach dem Störenfried.
Der Mann, der sich heute Morgen nach einem ausgiebigen Frühstück von Kirchbach auf nach Bodenmais gemacht hat, ist noch immer Kriminaloberkommissar. Jawohl, so ist das! Und dabei war ich mir absolut sicher, dass die spektakuläre Aufklärung des Mordes an meinem letzten Bayerwaldtoten meiner stockenden Karriere den nötigen Anschub geben würde. Doch weit gefehlt! Natürlich sei man mit mir sehr zufrieden und natürlich würde man mich bei der nächsten Beförderungswelle berücksichtigen, so hatte man mir versichert. Doch bald schon war mir schmerzlich bewusst, dass andere Qualifikationen weitaus schwerer wiegen im bayerischen Behördenapparat. Einem anderen Kollegen gelang es, eine Einbruchserie in Münchner Nobellokale aufzuklären. Na gut, ich gebe zu, so nebenbei auch noch den Mord an einem Sternekoch, dessen Spezialität offensichtlich das Lieblingsmenü des amtierenden Polizeipräsidenten war. Und schon war meine Planstelle besetzt. Beim nächsten Mal würde ich sicher berücksichtigt werden, so sagte man mir.
Oder auch nicht. Und was soll ich sagen? Inzwischen ist es mir egal! Mein Einkommen reicht für meinen Lebensstil allemal. Also bin ich weiter ein Kriminaloberkommissar, der sich in diesem Sommer mit mehr oder weniger langweiligen Fällen herumschlagen musste. Als wäre dies nicht genug Ungemach, wurde mir auch noch ein übermotivierter und besserwisserischer Jungkollege zugeteilt. Vielleicht wollte die Personalabteilung meine von Routinefällen geschonten Nerven wenigstens ein wenig strapazieren. Wenn ja, dann ist ihnen das mit Sven Straubmann gelungen. Eigentlich wollte ich keinen Partner und schon gar keinen Neffen eines Abgeordneten, der seine Zeit im Maximilianeum absitzt und das Seine dazu beigetragen hat, dem Sohn seiner Schwester zu dessen Traumjob zu verhelfen. Doch da ist nichts zu machen. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als auch diese Pfingsttage - wie so viele Tage in den letzten Monaten - hier im Bayerischen Wald zu verbringen, auf der Flucht vor dem Präsidium, vor der Langeweile und vor Sven.
Ich kenne diese östlichste Ecke des Freistaats inzwischen ganz gut. Nicht ohne Stolz konnte ich meinem Freund Marcel Biedermann vor zwei Wochen vermelden, dass ich mit dem Dreisessel nun auch den südlichsten der Berge dieser Region erklommen habe. Zugegeben, er schien nicht sonderlich beeindruckt. Schon gar nicht angesichts seiner Pläne, in diesem Jahr seiner Sammlung von Naturabenteuern eine ausgiebige Andenexpedition hinzuzufügen. Natürlich kennt er mich gut genug, um zu wissen, dass die Tausender des Bayerischen Waldes für einen Naturverächter, wie ich es den größten Teil meiner inzwischen 40 Jahre gewesen bin, Herausforderung genug sind. Und dennoch konnte mein Bericht vom Dreisessel nur kurz sein Interesse wecken. Die meiste Zeit dieses Abends im Rubico haben wir damit verbracht, über die kommende Südamerikatour des erfolgreichen Anlageberaters zu reden. Beruflich erfolgreich, wohlbemerkt, denn Marcel ist ebenso bindungsunfähig, wie ich es vor Claudia war. Seit er sich nach zahllosen gescheiterten Beziehungen sein Versagen dem weiblichen Geschlecht gegenüber eingestehen musste, gibt er sich exzessiv der Natur hin und kann seither mit Fug und Recht als Outdoorexperte bezeichnet werden. Vor drei Tagen ist Marcel aufgebrochen und inzwischen sitzt er wohl in einem Geländewagen oder schläft in einem Zelt.
Nichts für mich jedenfalls! Ich bin auf dem Weg hinauf zur Chamer Hütte. Soll sich mein bester - und einziger - Freund ruhig in der Welt herumtreiben. Mir reicht Bayern! Wo ich seit einem Jahr die Ruhe des Bayerischen Waldes genieße. Sofern sie nicht durch ein Handy gestört wird. Und dabei wollte ich den Plagegeist in meinem Zimmer in Kirchbach lassen.
Unerreichbarkeit! Ein Luxus in dieser Zeit, der mir in diesem Augenblick nicht gegönnt ist. Widerwillig nehme ich den Anruf entgegen, umso mehr, als es sich um meine Dienststelle beim Landeskriminalamt München handelt.
»Guten Morgen, Herr Buchmann«, dringt die unverschämt fröhliche Stimme Svens an mein Ohr. Kriminalkommissar Straubmann, genau gesagt. Richtig! Die Nervensäge mit dem Landtagsonkel.
»Guten Morgen!« Ich bemühe mich, meiner Stimme die Verärgerung über die Störung nicht anmerken zu lassen. »Wurde der Ministerpräsident ermordet, oder warum stören Sie mich im Urlaub?«
»Ha, ha«, klingt es gekünstelt aus dem winzigen Lautsprecher, »diesen Fall würde ja wohl jemand anders übertragen bekommen.«
Was? Frechheit!
Was erlaubt sich dieser Polizist von Onkels Gnaden eigentlich? Will er damit andeuten, Moritz Buchmann sei nur für unbedeutende Fälle geeignet?
Natürlich weiß ich, dass meine Vorgesetzten genau das denken. Und da hilft auch meine mehr als passable Aufklärungsquote nicht. Die Eintragungen in meiner Personalakte wiegen schwerer. Die Zeit nach der Trennung von Andrea .
Ja, der geschniegelte Möchtegernermittler am anderen Ende der Leitung hat recht. Aber muss, nein, darf er das so unverblümt sagen? Ich versuche, meine Wut zu kontrollieren. »Also, was ist los?« Ich muss das Gespräch voran- und zu einem hoffentlich raschen Ende bringen.
»Nun, was wird schon los sein? Ein Mord natürlich.« Svens Stimme klingt nicht so, als würde sie den Tod eines Menschen verkünden. Das passt zu ihm.
»Na, dann klären Sie ihn doch auf. Ich bin immerhin im Urlaub.«
»Genau das ist es ja. Sie sind bestimmt wieder im Bayerischen Wald, stimmt's? Und genau dort ist der Mord passiert. In Ihrem Revier sozusagen.«
Noch so eine Spitze! Ich bemerke, wie sich Schweiß auf meiner Stirn bildet. Ich kann es nicht verhindern. Und er kommt nicht vom Aufstieg zu den Wasserfällen. Nein, ganz bestimmt nicht. In ihrem Revier! In der Provinz. Wäre der Mord in München passiert, würde er ihn selbst verfolgen. Er oder ein anderer Kollege, dessen Personalakte keine Einträge über diverse Alkoholgeschichten ziert.
»Und wie Herr Kriminalrat Schulz vermutet, sind Sie ohnehin in der Gegend und könnten kurzfristig am Tatort sein«, drängt sich Svens Stimme in meine düsteren Gedankengänge.
»Und wo ist mein nächster Toter?«
»In Engelsgrub, einem Ortsteil der Gemeinde Sankt Ulrich! Wie schnell könnten Sie denn dort...
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