Schweitzer Fachinformationen
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Regensburg - Donauufer beim Dultplatz
Die Kälte des Wassers stach mit tausend Nadeln in ihre Haut und riss sie aus der Bewusstlosigkeit. Sie öffnete die Augen und sah - nichts! Undurchdringliche Dunkelheit umgab sie. Ihr war furchtbar übel und es schien, als sei ihr ganzer Körper ein einziger Quell des Schmerzes, dessen Zentrum in ihren Händen lag.
Obwohl sie völlig orientierungslos war, bemerkte sie, dass sie sich unter Wasser befand. Langsam sank sie tiefer. Eine Erkenntnis, die in Panik mündete. Ihre Arme und Beine begannen zu zucken. Ihre Augen waren keine Hilfe, doch die Richtung, in der sich ihr Körper bewegte, zeigte ihr, wo oben war. Sie war eine ausgezeichnete Schwimmerin, doch beim Fall ins Wasser war sie bewusstlos gewesen. Dies bedeutete, der Luftvorrat in ihren Lungen musste bald aufgebraucht sein.
Wieso war sie bewusstlos gewesen? Warum befand sie sich überhaupt in dieser misslichen Lage? Sie war doch spazieren gegangen. Und dann? Es schien, als blockiere eine dicke Nebelwand ihre Erinnerungen.
Ihre Beine schlugen und ihre Arme ruderten, um sie nach oben zu bringen. Nach oben, dorthin, wo das Leben auf sie wartete. Sie war noch nicht tief gesunken. Es dauerte nur Sekunden und doch saugten ihre Lungen gierig nach Luft, als ihr Kopf die Oberfläche des Wassers durchbrach.
Sie drehte sich um ihre Achse, doch war da nur Dunkelheit. Ihre Hand tastete nach ihrer Brille, sie fand sie nicht. Erst jetzt bemerkte sie den Regen, der einen dichten Vorhang um sie legte. Unzählige Tropfen trommelten auf die aufgewühlte Wasseroberfläche und versperrten die Sicht. Sie versuchte sich zu beruhigen. Das wilde Zucken und Zappeln ihrer Arme und Beine ging in kontrollierte Schwimmbewegungen über. Der Regen ließ etwas nach und gab den Blick auf das nahe Ufer frei. Nur wenige Meter, dachte sie.
Sie stellte sich zwei Fragen: Was? Warum?
Schlagartig kam alles zurück. Ein Mann! Der Mann! Er hatte ihr Fragen gestellt. Was für Fragen? Julia! Irgendetwas mit Julia. Richtig! Weitere Begriffe tauchten zusammenhanglos auf: ihr Laptop! Ein Kästchen! Eine Schlange! Ein Wolf!
Dann Schmerzen! Ihre Hände, ihre Finger!
Mit langsamen Bewegungen schwamm sie los. Wasser vermischt mit Tränen verschleierte ihren Blick. Sie wollte leben, und dazu brauchte sie Hilfe. Ihre Gedanken wirbelten wild durcheinander, blieben bei ihrem Freund hängen. Wo war er nur? Sie brauchte ihn. Jetzt!
»Hilfe!«, würgte sie gurgelnd hervor. »Hilfe!« Obwohl das Ufer fast schon in Griffweite lag, spürte sie keinen Grund unter den Füßen. Plötzlich schälte sich eine Gestalt aus der Dunkelheit. Sie beugte sich herab, kniete sich hin und streckte ihr die Hand entgegen. Mit letzter Kraft griff sie zu. Sie spürte, wie sie gezogen wurde, heraus aus dem Wasser.
»Danke!«
»Komm schon! Ich hab dich.«
Sie blickte nach oben, sah ein Lächeln. Die Stimme war vertraut, klang besorgt.
Wer? In ihrem Kopf vermischten sich Gesichter und Namen.
»Hilfe! Michi, hilf mir!«
Das Lächeln verschwand. Die Hand ließ die ihre los. Verzweifelt packte sie noch einmal zu. Ihre Fingernägel krallten sich fest. Ein letztes Aufflackern ihres Willens. Dann schwanden ihre Kräfte. Sie spürte, wie ihr die rettende Hand entglitt und sich auf ihren Kopf legte. Sanft wurde sie nach unten gedrückt. Noch einmal gelang es ihr, an die Oberfläche zu kommen. Ein letzter Gedanke: Warum?
Die Hand drückte fester.
In der gleichen Nacht, nur später. Chamerau, Ortsteil Roßberg
Das Haus lag wunderbar. Nicht nur, weil es am Tag einen fantastischen Ausblick auf den Fluss drunten im Tal bieten musste. Auch die Wiese vor der Terrasse und die dunklen Bäume, hinter denen es sich verbarg, machten es einzigartig. Letztendlich aber war es die Einsamkeit des Hauses, die ihn begeisterte. Abseits der nächsten menschlichen Behausungen, nur durch einen Feldweg mit der öffentlichen Straße verbunden, bot es geradezu ideale Bedingungen für sein Vorhaben.
Er hatte es vermieden, den Wagen oben bei dem halben Dutzend Häuser und der Sternwarte, die er hier nicht erwartet hatte, abzustellen. Obwohl die Wahrscheinlichkeit, um vier Uhr morgens einem Spaziergänger oder einem Bewohner dieses Dorfes zu begegnen, verschwindend gering war, ging er kein Risiko ein. Jetzt stand der Audi mit der Nummer einer Leihfirma, den er unter falschem Namen und mit falschen Papieren besorgt hatte, am Rande eines Waldweges außerhalb der Ansiedlung.
Er hatte sich den Weg zu dem Haus auf Google Earth angesehen und eingeprägt. Das Licht der mondhellen Nacht sollte ein Übriges tun, doch im Dunkel der Hohlgasse, durch die er nun stolperte, sperrten Sträucher und Blätter das fahle Licht aus. Vorsichtig Fuß vor Fuß setzend arbeitete er sich hinab bis zum Rand des Waldes, hinter dem er das Haus wusste. Rechts des Weges stand in einer Einbuchtung ein Auto. Hätte das Mädchen, das sein Ziel war, ihren Wagen mitten auf der Straße geparkt, er wäre dagegengelaufen. Und hätte sie gewusst, dass er kommt, sie wäre geflohen und hätte sich wimmernd vor Angst versteckt.
Wie ein Tunnel tauchte der Weg in die Wand aus Bäumen ein. Er tastete sich voran. Die frühe Morgenstunde würde seinen Plan begünstigen. Das Türschloss sollte kein Problem für ihn darstellen. Genauso wenig wie das Mädchen. Er würde sie im Schlaf überraschen. Die Frage, ob sie ihm die Schatulle aushändigen würde, stellte sich nicht. Er wusste, er konnte sehr überzeugend sein.
Vor ihm schälten sich die Umrisse des Hauses aus dem dunklen Grau des Hintergrunds. Seine Hand tastete in seiner Tasche nach dem Dietrich, der ihm die Tür hinein öffnen sollte, als ein plötzliches Geräusch all seine Sinne in Anspruch nahm. Er verharrte in der Bewegung und hielt den Atem an. Dann trat er lautlos in den Schatten einiger Büsche am Rande des Weges. Das Haus stand auf einer Lichtung. Die Bäume wichen zurück und gewährten dem Mondlicht Einlass.
In seinem Schein rangen zwei Gestalten miteinander. Ein nur wenige stumme und lautlose Sekunden dauerndes surreales Schattenkabinett des Todes. Denn jetzt hob sich der Arm des einen und fuhr wieder hernieder, traf den anderen, trennte einen Arm von dessen Schatten. Ein dumpfes Aufstöhnen kündete den unvermeidlichen Schrei an. Noch einmal hob sich der Arm, noch einmal senkte er sich, würgte den Ruf in seiner Entstehung ab, streckte den anderen zu Boden. Der schwere Atem des Überlebenden keuchte durch die folgende Stille.
Er hielt die Luft an. Seine Gestalt verschmolz mit der Dunkelheit der Bäume, blieb unsichtbar für den Sieger dieses nächtlichen Kampfes, der kurz innehielt. Dann packte dieser den leblosen Körper, schwang ihn ächzend über seine Schulter und trug ihn den Weg hinauf. Von oben hörte er das leise Zuschlagen eines Kofferraums. Es war also das Auto des anderen und nicht das des Mädchens.
Er verharrte weiter regungslos in seinem Versteck, da der andere zurückkam. Das Licht einer Taschenlampe fraß sich in die Dunkelheit. Ziellos strich sein Schein über den Boden, um nach einer Minute wieder zu erlöschen. Dann verschwand er endgültig den Weg hinauf. Eine Autotür öffnete und schloss sich, ein Motor brummte leise auf, Fahrgeräusche der Räder auf dem steinigen Untergrund. Dann Stille.
Er fluchte leise in sich hinein. Das Mädchen war jetzt sicher wach und gewarnt. Sollte er seine Mission abbrechen? Nein, entschied er. Es musste sein. Nach den Ereignissen dieser Nacht würde sie morgen nicht mehr hier sein oder noch schlimmer, die Polizei rufen.
Also los! Mit wenigen Schritten war er an der Tür. Diese zu öffnen, dauerte nur Sekunden. Er zog seine Pistole, schraubte den Schalldämpfer auf und entsicherte die Waffe. Seine Hand tastete nach einem Lichtschalter. Für Heimlichkeiten war jetzt keine Zeit. Durch einen kurzen Flur erreichte er das Wohnzimmer, fand auch hier das Licht und machte es an. Mit einem Blick erfasste er den Raum. Eine Couch, zwei Lesestühle, ein Schreibtisch, ein Fernseher, ein kleiner Schrank. Alles älteren Datums. Fenster und eine Tür ins Freie, zwei weitere Türen. Eine in eine kleine Küche, eine andere in einen winzigen Flur. Wieder zwei Türen. Eine ins Bad, eine ins Schlafzimmer. Dort, das Bett: unbenutzt. Die Tür zur Terrasse verschlossen.
Das Mädchen war nicht hier!
Konzentriert und schnell durchsuchte er das Haus. Fünf Minuten später wusste er, dass die Schatulle nicht hier war. Außer, das Mädchen hatte sie besonders gut versteckt. Was war mit den beiden anderen? Dem Überlebenden und dem, der jetzt tot in dessen Kofferraum lag? Hatten sie die Schatulle vielleicht schon an sich genommen und waren darüber in Streit geraten?
Vorsichtig verließ er das Haus, so, wie er es betreten hatte. Er hatte keine Schubladen herausgerissen und keine Möbel umgeworfen. Nichts deutete auf seinen Besuch hin. Er schloss die Tür und ging, ohne sich noch einmal umzusehen, den Weg hinauf zu seinem Auto. Er knirschte mit den Zähnen. Wie viele wussten noch von der Sache? Wie viele wollten ihm den Fund des Mädchens streitig machen? Wie dem auch sei. Ab jetzt durfte er keine Zeit mehr verlieren. Das Rennen um die Schatulle war eröffnet.
*
Der Mann trat aus dem sicheren Dunkel des Waldes. Sollte er sich Zutritt zum Haus verschaffen? Er entschied, dass das nicht nötig war. Der andere war ihm zuvorgekommen, aber auch er war zu spät gewesen. Auch er hatte den Ausgang des Kampfes abgewartet. Dann hatte der andere das Haus durchsucht, aber das Mädchen offenbar nicht angetroffen. Und er hatte nichts in den Händen getragen, als er wieder herausgekommen war. Das bedeutete, dass...
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