Schweitzer Fachinformationen
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Das Summen des Weckers dröhnt in meinem Kopf. Vorsichtig öffne ich die Augen, nur um sie sofort mit der Hand abzudecken. Das Bett neben mir ist leer. Für Claudia war die Nacht noch kürzer als für mich. Hoffentlich hat sie ihren Flug nach Helsinki erreicht. Meine Hand tastet über den Nachttisch und findet einen Zettel.
»Ich liebe dich! Pass auf dich auf!«
Ich wälze mich aus dem Bett. Mein Kopf brummt, mein Mund ist trocken, meine Kehle schmerzt. Erinnerungen werden wach. Erinnerungen an Tage wie diesen. Ich stütze meinen Kopf auf die Hände und lasse meine Finger durch meine Haare gleiten. Was habe ich getan?
Warum?
Die Maschine war ein Werk des Teufels. Aber sie erzeugte Strom und damit Geld.
Schon damals, als er noch ein Junge gewesen war, hatte er die Landwirtschaft geliebt. Die Tiere, das Wachsen des Getreides, das er zusammen mit seinem Vater und seinen Geschwistern auf den Feldern rund um Muntele Rece gesät hatte. Die Ernte wurde stets von einem großen Fest begleitet. Er liebte den Tanz, den Wein, das Lachen und die Mädchen. Hier hatte er Tatjana kennengelernt, die Frau, die bis heute an seiner Seite stand.
Wehmütig dachte er an diese Zeit. Hier gab es kein Fest, keinen Gesang und keinen Tanz. Dafür war die Arbeit leichter. Maschinen ersetzten Muskeln. Die Tage endeten nicht mit schmerzenden Gliedern wie auf dem elterlichen Hof.
Er dankte dem Schicksal und seiner Frau. Würde nicht das Blut der Familie Lazar in ihren Adern fließen, er hätte für sein Versagen bezahlt. So aber hatte die Abstammung Tatjanas gereicht, um sein Leben zu retten. Als Ehemann der Cousine der drei Brüder Lazar hatte er eine zweite Chance erhalten und er gedachte, diese zu nutzen.
Und noch einmal stand das Glück an seiner Seite. Grigore hatte ihn nicht in der Firma untergebracht. Zu auffällig sei das, hatte er gesagt. Stattdessen kaufte er ihm diesen Bauernhof weitab von Kirchbach, dessen alternder Besitzer keinen Nachfolger für den Betrieb gefunden hatte. Hier sollte Petre unauffällig seinen Lebenserwerb verdienen. Er hatte die Zeichen der Zeit schnell erkannt. Keine Milch und keine Tiere sollten es sein, welche die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllten. »Biogas« und »Ökostrom« lauteten die Zauberworte.
Die Anlage war seit drei Monaten in Betrieb, und sollte sie weiter so gut laufen, würde er sie in wenigen Jahren erweitern. Petre Dumitrescu war mit sich und seinem Leben im Reinen.
Nur ungern dachte er an die Zeit der großen Geschäfte zurück. Wie viel Geld sie ihm auch gebracht hatten, am Ende hätten sie ihn in den Abgrund gezogen. Auch heute noch, ein Jahr nach dem Schrecken, ein Jahr nach seinem Versagen, glaubte er die Schreie und das Röcheln der Menschen zu hören.
In Wahrheit hatte er sie nie gehört. Er war davongelaufen. Von seiner Tat hatte er erst in den Zeitungen gelesen und in den Nachrichten gehört. Ja, er war entkommen. Nicht nur dem Streifenwagen, der ihm und den beiden anderen diesen Schrecken eingejagt und der sie erst dazu bewogen hatte, den Kühlwagen und seine ehemals lebende Fracht am Rande der Autobahn abzustellen und zu verschwinden. Nein, er war auch Ludovics Rache entkommen. Ohne Frage hätte der jüngere der Lazar-Brüder die drei Versager bestraft. Nur Grigore hatte er es zu verdanken, dass er noch am Leben und bei Gesundheit war. Er würde es ihm durch vollkommene Unauffälligkeit vergelten. Keine Polizei und kein Steuerbeamter sollten auf ihn aufmerksam werden. Er war dabei, seine Vergangenheit zu löschen.
Er war Bauer und Tatjana war bei ihm. Was wollte er mehr? Wenn jetzt bloß noch die verdammte Förderschnecke funktionieren würde. Sie war der einzige Teil der gesamten Anlage, der ihm Probleme bereitete. Dabei hatte die Zufuhr der Biomasse in den Fermenter bisher tadellos gearbeitet. Heute Morgen aber hatte ihm die vollautomatische Überwachung eine Störung in der Schneckenführung mitgeteilt.
Ausgerechnet die Schneckenführung. Eine Teufelsmaschine. Der einzig wirklich gefährliche Teil der gesamten Apparatur. Natürlich könnte er einen Mechaniker der Servicefirma rufen. Das aber bedeutete einige Tage Betriebsausfall, keinen Strom und damit auch kein Geld. Er entschied sich, selbst nach dem Rechten zu sehen. Wahrscheinlich hatten die Spiralen einer der beiden Schnecken einen größeren Gegenstand in die Zuführung gezogen. Einen Stein oder ein Metallteil, das auf unergründlichen Wegen ins Substrat gelangt war. Er hatte schon des Öfteren von solchen Störfällen gehört. Auch von den Unfällen, die immer wieder passierten. Er gedachte nicht, Teil dieser Statistik zu werden. Zwar hatte die Automatik den Antrieb abgeschaltet, aber er ging auf Nummer sicher. Der Hauptschalter der Steuerung befand sich in einem kleinen Gebäude, in welchem der Betrieb der Biogasanlage Dumitrescu überwacht wurde.
Petre war ein vorsichtiger Mensch. Er drückte nicht nur den Knopf, der die Fermenterzufuhr abschaltete, sondern öffnete auch noch den Sicherungskasten. Hier unterbrach er die Stromzufuhr, indem er den entsprechend beschrifteten Schalter umlegte.
Auf dem Weg zum Substratkanal winkte er Tatjana. Seine Frau bereitete das Frühstück und lächelte ihm durch das geöffnete Küchenfenster zu.
»Komme gleich!«, rief er in ihrer beider Muttersprache, dann stieg er auf die kurze Leiter hinab zu den messerscharfen Spiralen der Schnecken. Vorsichtig beugte er sich vor, konnte den Grund für die Panne aber nicht erkennen. Er musste besser sehen, also stellte er ein Bein auf eine der beiden Schnecken.
»Na bitte! Da haben wir ja das Problem«, sagte er zu sich. Eine Eisenkralle hatte sich im Durchlass verfangen und verklemmt. Daraufhin hatte der Widerstand die Notabschaltung der Anlage aktiviert.
Seltsam, dachte er. So ein Eisenteil hatte er noch nie gesehen. Da er die Kralle mit der Hand nicht erreichen konnte, drehte er sich um und hielt sich am Schutzgitter über dem Einlass fest. Ein paar Tritte mit dem Fuß sollten reichen. Er würde dann die Anlage wieder hochfahren und die Schnecke den Störenfried in den Fermenter befördern. Er fixierte die Stelle an, dann trat er zu. Einmal, zweimal. Beim dritten Mal spürte er, dass sich das Teil löste.
»Na also«, meinte er zufrieden.
In diesem Augenblick begann der Motor zu surren. Ruckelnd begannen die Schnecken, sich zu drehen. Der Schrecken lähmte ihn für einen Atemzug. Seine Hände packten fester zu. Das Weiß seiner Knöchel trat hervor, als er mit aller Kraft versuchte, seine Beine aus dem Durchlass zu ziehen.
Fast wäre es ihm gelungen, doch als er bereits aufatmen wollte, packte die Schnecke sein linkes Bein. Dann sein rechtes. Langsam, aber unaufhaltsam wurde er hinabgezogen. Als seine Knöchel und Unterschenkel brachen, spürte er noch keinen Schmerz.
In dem Augenblick, da Tatjana in der Küche den Kaffee in die Tassen schüttete, verwandelten sich seine Knie zu Brei. Er wusste, dass er sterben würde.
Tatjana, dachte er noch. Dann, endlich, löste sich ein Schrei von seinen Lippen.
*
Im Haus fiel klirrend die Kaffeekanne zu Boden. Erfüllt von panischer Angst rannte Tatjana Dumitrescu hinüber zur Beschickungsanlage. Petre wollte hier vor dem Frühstück noch eine kleine Störung beheben. Seit jeher begannen sie den Tag gemeinsam. Schon damals in Muntele Rece, als sie noch ein junges Mädchen gewesen war, als sie Petre kennengelernt hatte und mit ihm zusammengezogen war; dann während ihrer Zeit in Österreich und jetzt hier in ihrer neuen Heimat. Das gemeinsame Frühstück war für sie und ihren Mann zum Ritual geworden.
Tatjana erreichte die Anlage und starrte in die Grube der Zuführung. Mein Gott, die Schnecken drehen sich ja, dachte sie. Sie lehnte sich über das Schutzgeländer, um besser sehen zu können.
Von ihrem Mann fehlte jede Spur.
Die Fahrt nach Deggendorf verläuft genauso trübsinnig wie der gesamte Morgen. Drei Tassen Kaffee waren nötig, um mich halbwegs auf die Beine zu stellen. Was habe ich da nur angestellt? Wenn ich nicht aufpasse, laufe ich Gefahr, die dunkelsten Wochen meines bisherigen Daseins erneut heraufzubeschwören. Ich muss mich zusammennehmen!
Konzentrier dich auf deinen Fall, ermahne ich mich.
»Der Chef weilt heute in München«, bessert Doris meine Laune, als ich mein Büro betrete. Wenigstens keine Fragen nach dem Stand der Ermittlungen, und folglich kein Geständnis, dass diese doch ziemlich feststecken. Sie schenkt mir noch ein kurzes Lächeln, dann verschwindet sie in Richtung Kantine. Niemand in der Deggendorfer Zweigstelle erscheint vor Bernd Kussingers Sekretärin im Dienst und niemandem steht die Kaffeepause so früh zu wie Doris Späth.
Ich habe kaum meine Jacke in den Schrank gehängt, als Kurt Amberger zwei Pappbecher zur Tür hereinhält. Seine Eintrittskarte in mein Büro.
»Guten Morgen, Buchmann! Was gibt's Neues von der Front?«
Mit einer Kopfbewegung bitte ich ihn, sich zu setzen. »Eigentlich hoffe ich, dass Sie mir etwas liefern«, beflügle ich seinen Tatendrang, während ich den für mich gedachten Kaffee dankbar entgegennehme, nur um festzustellen, dass es sich um heiße Schokolade handelt. Er weiß genau, dass ich dieser süßen Pampe nichts abgewinnen kann. Doch es kommt noch schlimmer.
»Leider kann ich nichts bieten.« Er zuckt entschuldigend mit den Schultern. »Was soll auch ein ausgebranntes Auto hergeben?«, startet er den Versuch einer Entschuldigung.
»Fußspuren?«
»Wurden von den Stiefeln der Feuerwehrleute...
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