Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Kapitel 7
Am nächsten Morgen war der Schmerz in meiner Hüfte schlimmer geworden. Ich schob es auf die Sprungfedern der Motelmatratze, die sich die ganze Nacht über in mich hineingebohrt hatten, während ich versuchte, trotz des Verkehrslärms vom Highway und den mit Sicherheit nicht vorgetäuschten Lustschreien aus dem Nebenzimmer Schlaf zu finden.
In der Dusche ließ ich das Wasser so heiß laufen, wie es ging, und versuchte, unter den prasselnden Strahlen mit Dehnübungen meine Muskeln zu lockern. Der erste Wettkampf begann am späten Vormittag und würde bis in den Nachmittag hinein dauern. Danach blieb noch genug vom Tag übrig, um es langsam angehen zu lassen und mich zu erholen.
Damals begannen Eistanzwettbewerbe immer mit dem Pflichttanz, bei dem für alle Teams die gleichen Schritte vorgegeben waren, und damit dem Teil des Ganzen, den ich mit Abstand am wenigsten ausstehen konnte. Dummerweise wurde er von den Entscheidern erst abgeschafft, als meine Laufbahn schon fast zu Ende war. Der Originaltanz, bei dem die Teams dem aktuell festgelegten Tanzstil immerhin ihren eigenen Stempel aufdrücken durften, war schon eher meine Sache, aber am liebsten mochte ich den Kürtanz am Schluss. Hier durften wir selbst über Musik und Choreografie entscheiden.
Dank der kochend heißen Dusche und jeder Menge Stretching zum Aufwärmen schaffte ich es ohne größere Probleme durch den Quickstep-Part des Pflichtprogramms. Ich konnte das Bein zwar nicht so weit hoch schwingen wie sonst, aber Heath passte seine Drehungen entsprechend an, sodass unsere Spuren trotzdem parallel verliefen. Wir hatten schon bessere Leistungen gezeigt, aber es reichte für den siebten Platz.
Erst als ich mich am folgenden Tag für den Originaltanz anzog, fiel mir die riesige Prellung auf. Wir konnten uns keine schicken Kostüme leisten, weshalb Heath seine unscheinbare Kombination aus schwarzem Hemd und schwarzer Hose bei allen drei Tänzen trug. Ich hatte immerhin ein zweites, etwas hübscheres Kleid, das ich mir für die Kür aufheben wollte. Mein Kostüm für Pflicht- und Originaltanz war aus tiefschwarzem Samt, mit dünnen Spaghettiträgern und Seitenschlitz. Und eben dieser Schlitz bot ungehinderte Sicht auf das riesige Hämatom, das sich in leuchtendem Dunkellila zwischen Hüfte und Knie ausbreitete.
»Das sieht übel aus«, meinte Heath.
»Jedenfalls sind wir jetzt im Partnerlook«, stellte ich fest.
Es war mir gelungen, das Gröbste von Heaths blauem Auge zu kaschieren, aber alle Abdeckstifte der Welt konnten den Bluterguss an meinem Bein nicht zum Verschwinden bringen - er war auch noch durch meine dichteste Strumpfhose einwandfrei zu sehen. Das Kleid für den Kürtanz war länger - ein Eigenentwurf, für den ich ein Abschlussballkleid aus einem Secondhandladen zu einem gefütterten Body mit einem hauchdünnen Fransenrock umfunktioniert hatte - also entschied ich mich dafür und ignorierte die brennenden Schmerzen, die mir jede Berührung des wirbelnden Rocks versetzte.
Für den Original-Durchlauf waren lateinamerikanische Tänze festgelegt worden, und unser Programm war eine Rumba zu dem Klassiker Perhaps Perhaps Perhaps - allerdings in einer Mischung aus der Originalaufnahme von Desi Arnaz und einer Coverversion der Band Cake, was für genau die Wechsel in Charakter und Tempo der Musik sorgte, die die Preisrichter von einer ausgewogenen Darbietung erwarteten.
Im Laufe unserer Karriere sollte Latein so etwas wie unser Markenzeichen werden, weil der Tanzstil so gut zu unserem Naturell und der Chemie zwischen uns passte (und Preisrichter oft annahmen, Heath wäre lateinamerikanischer Abstammung - solange es unserer Punktzahl half, verzichtete er gern auf eine Richtigstellung). In jenen Tagen ließ unsere Technik noch zu wünschen übrig, aber in den lateinamerikanischen Tänzen glänzten wir schon damals. Während Quickstep schnelle, präzise Bewegungen verlangte, kam es bei Rumba mehr auf eine aufrechte Haltung des Oberkörpers und extrem betonte sinnliche Bewegungen im unteren Körperbereich an.
Keine richtig gute Idee in meinem Zustand. Wir waren kaum gestartet, als Heath bereits spürte, wie schlimm meine Schmerzen waren - und ich merkte deutlich, dass er am liebsten sofort abgebrochen hätte.
Aber das kam nicht infrage. Wenn wir jetzt aufhörten, wäre alles umsonst gewesen. Ich ließ mich von der Energie der Nummer tragen, und dann hatten wir es geschafft. Auf dem Weg zur Bande legte mir Heath den Arm um die Taille und ließ ihn auch dort, als wir auf die Tränenecke zusteuerten, um auf unsere Wertung zu warten. Er wusste, ich wollte auf keinen Fall, dass jemand mein Hinken bemerkte. Vor allem nicht die Lins, die gerade zusammen mit der letzten Aufwärmgruppe die Eisfläche betraten.
Als wir an jenem Abend ins Motel zurückkehrten, hatte so heftiger Schneefall eingesetzt, dass wir um Haaresbreite an dem flackernden Zimmer frei-Neonzeichen vorbeigefahren wären. Und ich litt solche Qualen, dass ich ohne Heaths Hilfe nicht aus dem Auto kam. Er musste mich über die Schwelle tragen.
Während er sich durch das Schneetreiben zum nächsten Drugstore kämpfte, lag ich hilflos auf dem Bett, hörte dem Wind zu, wie er an den dünnen Fensterscheiben rüttelte, und verfiel allmählich in Panik.
Das sechstplatzierte Paar war in der Twizzle-Sequenz gestolpert, und nach Abschluss der Originaltanz-Runde fanden wir uns auf Platz fünf wieder - gleich hinter Ellis Dean und seiner Partnerin Josephine Hayworth. Noch eine Disziplin, und ein Platz auf dem Siegertreppchen war bereits zum Greifen nah. Wir mussten nur um einen Rang aufrücken, denn bei den Nationals wurde zusätzlich zu den üblichen Bronze-, Silber- und Goldmedaillen auch Zinn für den vierten Platz verliehen.
Der eigentliche Schmerz saß um mein Hüftgelenk herum, aber schon die allerkleinste Bewegung sorgte dafür, dass er durch den Rest des Körpers schoss und mich lahmlegte. Der Ring meiner Mutter saß normalerweise eher locker, doch meine Hände waren so geschwollen, dass ich ihn nicht vom Finger bekam.
Heaths Wimpern waren schneeverkrustet, als er mit Tylenol, einem Tiegel Tigerbalsam und einer Packung Eiswürfel zurückkam. Er behandelte mich abwechselnd mit der Kälte der Eiswürfel, der Wärme seiner Hände und der Salbe, die eine eigenartige Kombination aus beidem war. Nichts davon half.
Wie ich es hasste, von Heath wie ein kleines Kind bemuttert zu werden. Bisher hatte ich das nur ein einziges Mal zugelassen.
Am Tag, an dem mein Vater gestorben war.
Er holte uns immer auf dem Rückweg vom College, an dem er Geschichte unterrichtete, an der Eishalle ab. Als wir an jenem Abend vergeblich auf ihn warteten, nahm ich an, er hätte es vergessen - vermutlich hatte er sich mal wieder in Zeit und Raum verloren. Als Kinder haben Lee und ich ihn oft beobachtet, wie er stundenlang an demselben Fleck saß und die Tapete anstarrte, als hoffte er, das Gesicht unserer Mutter in dem Muster zu entdecken. Es war unsagbar traurig.
Nachdem Heath bei uns eingezogen war, wurde es besser. Mein Vater war nicht mehr so oft geistig abwesend. Manchmal kam er sogar früher zur Eishalle und saß dann auf der Tribüne, sah uns beim Schlittschuhlaufen zu und unterhielt sich mit den anderen Eltern, von denen die allermeisten Mütter waren - Väter ließen sich kaum blicken. Diese Frauen beteten ihn förmlich an, fanden den zerstreuten Professor charmant.
Nicole erlaubte mir, das Telefon im Büro zu benutzen, um ihn anzurufen, aber unter seiner Büronummer war er nicht zu erreichen. Nach einer weiteren Stunde des Wartens fuhr sie uns selbst nach Hause. Das Haus lag ganz im Dunkeln, doch beim Näherkommen sah ich, dass ein einzelnes Licht brannte. Im Arbeitszimmer meines Vaters.
Eine eigenartige Mischung aus Verärgerung und Erleichterung durchfuhr mich. Ich hatte richtig vermutet, er hatte uns vergessen, und so rief ich beim Hereinkommen keinen Gruß wie sonst, sondern warf Heath einen Blick zu und legte den Finger auf die Lippen. Auf Zehenspitzen durchquerten wir den Flur.
Wir wollten uns anschleichen, ihn ein wenig erschrecken. Ihm einen kleinen Streich spielen, um uns zu rächen. Er würde aufschreien, dann aber lachen, und wir wären quitt. Danach würde er uns etwas zu essen machen - Waffeln aus der Tiefkühltruhe oder Makkaroni mit Käse aus der Fertigpackung, das kulinarische Repertoire meines Vaters war begrenzt - und er würde Heath bitten, aus der Plattensammlung die passende Musik fürs Abendessen auszuwählen. Dann würden wir am Tisch sitzen und uns vom Tag erzählen wie eine ganz normale Familie.
Heath beneidete mich immer darum, dass ich mit einem Vater und einem Bruder in unserem eigenen Haus aufgewachsen war, aber Tatsache war, dass sich unser Familienleben nicht das kleinste bisschen normal angefühlt hatte, bis Heath zu uns gekommen war. Vielleicht lag es an der gemeinsamen Liebe zur Musik, oder daran, wie gespannt Heath lauschte, wenn mein Vater sich zu seinen Lieblingsthemen ausließ. Oder es rührte einfach daher, dass er Heath verwöhnen konnte, ohne von Erinnerungen an seine verlorene Liebe heimgesucht zu werden. Fest stand, dass Heaths Anwesenheit wieder das Leuchten in die Augen meines Vaters gebracht hatte, von dem ich befürchtet hatte, es wäre...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.