DER GROSSE TAG KANN KOMMEN. VIER JAHRE SPÄTER. HEUTE IST ES DER 21. MÄRZ 2017.
Mr Faraday hatte eine schrecklich lange Zeit gebraucht, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen, doch er war es seinem Sohn schuldig, wieder nach vorne zu blicken und nicht länger zurück. Der Umzug vor vier Jahren hatte dabei sicher den größten Teil dazu beigetragen, Abstand zu gewinnen, dass seine Frau unter äußerst mysteriösen Umständen ums Leben gekommen war.
Allerdings war nie aufgeklärt worden, wer der Verursacher des Verkehrsunfalls gewesen war, denn das Auto des Fahrflüchtigen war wie vom Erdboden verschluckt. Daher wollte Mr Faraday auch nicht länger von einem Mord sprechen, da seine Seele auch zur Ruhe kommen musste. Und auch vor Liam, der heute seinen elften Geburtstag feierte, verlor er kein Wort darüber, dass sie diese beiden Menschen durch das Fehlverhalten eines anderen verloren hatten.
Die Ermittler hatten ihm zwar zugesagt, dass sie den Fall erst dann zu den Akten legen würden, wenn das Auto gefunden und der Unfall aufgeklärt wäre, doch nach vier unerträglich langen Jahren hatte Mr Faraday die Hoffnung aufgegeben, dass es jemals dazu käme. Er musste jetzt mehr denn je nach vorne blicken, schließlich sollte sein Sohn ab sofort auch in den magischen Künsten unterrichtet werden und noch lagen alle Hoffnungen darauf, dass Liam in Meridia zur Schule gehen konnte.
Liam vertraute darauf, dass sein Vater alles Erforderliche unternommen hatte, um ihn bei den magischen Schulen anzumelden, und noch hatte er einen Funken Hoffnung, dass es eine solche Schule auch in Großbritannien gab. Daher war er heute auch schon früh auf den Beinen und hatte sich vor die Haustür gehockt, um den Einwurf für die Post im Auge zu behalten, auch wenn er gelegentlich nach Eulen Ausschau hielt. Selbst sein Frühstück nahm er auf dem Teppich ein, der im Flur lag und ließ sich auch nicht davon abbringen, stattdessen in die Küche zu kommen, um seinem Vater Gesellschaft zu leisten.
So verstrichen die Stunden, in denen Liam beharrlich auf den Briefschlitz schaute, bis die Postbotin tatsächlich mit ihrem roten Auto vorfuhr und die üblichen Verdächtigen in den Schlitz warf: zahlreiche Werbeprospekte, Handzettel und Rechnungen.
Liam warf einen Blick auf den Stapel der Post, doch für ihn war mal wieder nichts dabei. Wie konnte das sein, wenn er doch zu seinem elften Geburtstag den wohl wichtigsten Brief in seinem Leben erhalten sollte? Jedenfalls wurde das in den Büchern behauptet, die Liam in den letzten Wochen verschlungen hatte.
Mr Faraday kam hinzu, um die Post in Augenschein zu nehmen. Er sah in das enttäuschte Gesicht seines Sohnes. Einen Wimpernschlag später, als Mr Faraday mit den Fingern schnippte, öffnete sich der Briefschlitz ein weiteres Mal und gleißendes Licht drang durch die kleine Öffnung und Liams Augen begannen zu strahlen, als er sah, wie ein weiterer Umschlag hineingeschoben wurde.
Das war ein brauner Umschlag, auf dem eine schöne Handschrift zu lesen war. Auf der Rückseite war der Umschlag mit Siegelwachs verschlossen. Liams Augen wurden immer größer, als er den Brief in die Hand nahm und den Empfänger las:
Mr Liam Faraday
Loft unter dem Dach
Brookfield
Blackwater
Isle of Wight
PO30 3BS
Vereinigtes Königreich
Planet Erde
Universum, linke Seite
Doch diese Adresse war mit einem roten Stift durchgestrichen worden, weil sie gar nicht mehr in Blackwater wohnten. Neben der alten Anschrift hatte eine andere Person, vermutlich die Postbotin, seine aktuelle Anschrift angegeben, so dass der Brief überhaupt zugestellt werden konnte.
"Von wegen, dieses Zauberinternat existiert nicht", sagte Liam empört, als er seinem Vater den Brief präsentierte und mächtig stolz auf sich war, dass er überhaupt berücksichtigt worden war. Wusste er doch, wie rar die Plätze in solch einem Internat waren und wie sehr sich jedes Kind auf der ganzen Welt wünschte, solch einen Brief zu erhalten.
Mr Faraday hielt es zuerst für einen schlechten Scherz, den sich wohl Cameron oder ein anderer Freund von Liam mit seinem Sohn erlaubt hatte, doch dann kam ihm in den Sinn, dass seine Frau mal darüber gesprochen hatte, Liam diesen Brief schicken zu wollen, um ihm damit letztendlich auf den Arm zu nehmen.
Tiefschwarzer britischer Humor eben!
Und Mr Faraday erkannte schnell, als Liam den Brief öffnete, dass es sich dabei um ein Merchandise-Artikel handelte, dem schon zahlreiche gutgläubige Kinder aufgesessen waren. Jetzt hatte Mr Faraday allerdings nicht vor, seinen Sohn ausgerechnet an seinem elften Geburtstag zu enttäuschen, und so ließ er sich auf das Spiel ein, sich von Liam nicht nur die persönliche Einladung des Schulleiters und die lange Liste der Dinge zeigen zu lassen, die sie in der Diagon Alley oder auch der Knockturn Alley einzukaufen hätten.
Wie sehr wünschte sich Mr Faraday in diesem Augenblick, er hätte damals den Brief an den Schulleiter Lewis Cartwright abgeschickt, statt ihn zu zerreißen, als er ihn wenige Tage nach der Trauerfeier für seine Frau in die Finger bekam, da er es nicht übers Herz brachte, seinen Sohn in wenigen Jahren nach Tasmanien zu schicken, um dort die Ausbildung zu erhalten, die aus Liam einen verantwortungsvollen und großen Zauberer machen sollte.
Denn ganz ehrlich!
Wer wollte sein Kind schon freiwillig auf eine Schule schicken, an der Mord und Totschlag an der Tagesordnung waren und wo es doch nur darum ging, die Spreu vom Weizen zu trennen. Doch wie sollte er es seinem Sohn beibringen, dass sich ausgerechnet seine Mutter diesen Spaß mit ihm erlaubt hatte? Wahrscheinlich hatte sie diesen Brief bestellt, als das Thema erstmals aufgekommen war, ob sie Liam überhaupt auf eine magische Schule schicken sollten.
Liam bemerkte, dass sein Vater nur mit einem Ohr hinhörte und sagte: "So kommen wir wenigstens mal raus hier. Ich freue mich schon darauf, London zu erkunden."
Mr Faraday brachte es nicht übers Herz, seinem Sohn die Wahrheit zu sagen, was es mit diesem sonderbaren Brief auf sich hatte, da Liam aber tatsächlich für den Start seines Unterrichts Utensilien benötigte, die es nicht überall zu kaufen gab, hatte Mr Faraday eine Idee, wie sich die Enttäuschung in Grenzen halten würde, nicht mit dem Hogwarts Express an einen düsteren Ort nach Schottland zu fahren, obwohl auch das Ticket für den Hogwarts Express auf Gleis 9 ¾ in King
"Noch ein Grund mehr, mal nach London zu reisen. Ich will wissen, was es tatsächlich mit diesem sonderbaren Gleis bei King
Schals, Wimpel, Fahnen sowie allerlei Schnickschnack, den er auf den Flohmärkten fand. Und mal ehrlich! Welches Kind konnte sich diesem Hype schon entziehen, der um den Zauberlehrling aus England gemacht wurde, auch wenn dieser Junge alles andere war als ein waschechter Zauberer? Doch Liam hatte sich von seinen Freunden anstecken lassen, diese Bücher zu lesen und Mr Faraday war froh, dass sein Sohn dadurch mehr las und auch nicht länger schief angesehen wurde, wenn er behauptete, dass auch er einmal ein waschechter Zauberer werden wollte. Denn es war plötzlich cool, sich mit Magie und Zauberei zu beschäftigen und daran zu glauben, dass man mit einem Besen eine halsbrecherische Sportart betreiben konnte.
Allerdings sah es Mr Faraday mit gemischten Gefühlen, da die magische Welt in diesen Büchern natürlich nichts mit der real existierenden magischen Welt zu tun hatte - und genau aus dieser Illusion musste er Liam früher oder später holen. Zwar verstand Liam bereits, dass sie anders waren und dass sich auch sein Leben grundlegend verändern würde, doch so richtig angekommen war das bei ihm noch nicht, was wohl vor allem daran lag, dass es nicht wirklich viele Familien wie ihre auf der Isle of Wight gab.
Das sollte sich jedoch in absehbarer Zeit ändern, da Mr Faraday an einem neuen Buch arbeitete, dass er in Kürze veröffentlichen wollte. Dann würden sich bestimmt mehr Eltern dafür interessieren, wie sie den Heimunterricht so gestalten konnten, dass auch die magischen Elemente nicht zu kurz kamen. Und nicht ohne Grund konnte es Mr Faraday kaum noch erwarten, dass die Abenteuer rund um Charly Cutter endlich veröffentlicht werden würden, denn diese Buchreihe sollte den Menschen die Augen öffnen, dass sie tatsächlich existierten: die Hexen und die Zauberer, die so ganz anders waren als wie von der Autorin aus Edinburgh beschrieben.
"Es spricht auch nichts dagegen, nächste Woche nach London zu fahren", sagte Mr Faraday und schob den Kuchen in den Ofen, den er für Liams Geburtstag backen wollte. "Ich habe ohnehin dort geschäftlich zu tun, so dass ich dir diesen Wunsch noch in diesem Frühjahr erfüllen kann. Vielleicht willst du einen deiner Freunde dazu einladen, so dass du dich nicht langweilst oder allein fühlst."
Diese Methode, Liam Gesellschaft zu leisten, hatte sich erst in den letzten Jahren etabliert, dass Liam einen Freund mitnehmen durfte, wann immer sie auf Reisen gingen, so dass er sich nicht einsam fühlte, wenn sein Vater mal keine Zeit für ihn hatte. Oft hatten ihre Reisen quer durchs Land auch einen geschäftlichen Hintergrund, bei denen Mr Faraday das Angenehme mit dem Nützlichen verband, insbesondere wenn er auf Lesereise ging, blieb ihm gar nichts anderes übrig, als Liam mitzunehmen, da er seinen Sohn nicht für mehrere Tage...