Zweistromland: die Geburt des Helden, des Königs und des Gottes
Kleine, scheinbar unbedeutende Funde weisen auf große Veränderungen hin. Im Zweistromland leiten Kulturen vor rund 8.000 Jahren einen grundlegenden Wandel von matrilinearen Strukturen zu patriarchalen Herrschaftsformen ein. In den Hassuna-, Samarra- und Halaf-Kulturen künden weibliche Figuren, die zum Teil bemalt oder verziert waren, noch von matrilinearen Ausrichtungen der Gemeinschaften, die in Dörfern mit durchschnittlich 20 bis 30 Menschen lebten. Überwiegend sind es Darstellungen von schwangeren Frauen. Tönerne Spinnwirtel, Webgewichte künden von Textilverarbeitung. Kupferfunde zeugen vom Beginn metallurgischer Arbeiten. Neben den verzierten
Abb. 1: Frauenfigur aus der HalafKultur, rund 6.500 Jahre alt. Walters Museum, Dr. André Lagneau, Lizenz: CC BYSA 3.0
Abb. 2: Held, der einen Löwen bezwingt. Relief vom ThronSaal des Palasts von Sargon II in Khorsabad (Dur Sharrukin), 713- 706 v. Chr., Louvre, Foto Jastrow, CC BYSA 3.0, public domain
Abb. 3: Die berühmte Zikkurat von Ur nach der Rekonstruktion: Monumentalbauten künden von der Hierarchisierung und Zentralsierung der Gesellschaften. Mit Ausmaßen von 62,5 mal 43 Metern und einer Höhe von 25 Metern hatte das Bauwerk beachliche Ausmaße. Dieser "Himmelshügel" oder "Götterberg" wurde vor rund 4.200 Jahren erbaut. public domain, CC BYSA 3.0 Hardnfast
Abb. 4, links: Aus Ton gefertigte ZählTokens: Anzeichen für Privatbesitz und soziale Hierarchisierung der Gesellschaften. Louvre, public domain, Fotograf: MarieLan Nguyen. CC BYSA 2.5
Chronologie im Zweistromland
9.500 6.400 v. u. Z. Präkeramisches Neolithikum 6.400 5.800 v. u. Z. Keramisches Neolithikum 6.000 5.800 Umm DabaghiyahKultur 5.800 5.260 HassunaKultur 5.500 5.000 SamarraKultur 5.800 4.500 v. u. Z. Übergang zur Kupferzeit / HalafKultur 4.500 3.000 v. u. Z. Kupferzeit, ab 4.500 ObedZeit 4.000 bis 3.000 UrukZeit 3.000 2.000 v. u. Z.. Frühbronzezeit 3.000 2.800 DschemdetNasrZeit 2.800 2.340 Frühdynastikum 2.300 2.200 Akkadzeit 2.340 2.000 Neusumerische / UrIIIZeit 2.000 1.550 v. u. Z. Mittelbronzezeit 2.000 1.800 Altassyrische / Isin LarsaZeit 1.800 1.595 Altbabylonische Zeit 1.550 1.150 v. u. Z. Spätbronzezeit 1.500 1.200 Kassitenzeit 1.400 1.000 Mittelassyrische Zeit 1.150 600 v. u. Z. Eisenzeit 1.160 1.026 IsinIIZeit 1.000 600 Neuassyrische Zeit 1.025 627 Neubabylonische Zeit 626 539 Spätbabylonische Zeit 539 330 Achämidenzeit, Perserzeit
Frauenfiguren finden sich auch Doppeläxte, Bilder von Stieren, Vögeln und Malteserkreuze als Muster. Die Ornamente künden vom Handel, vom Kulturaustausch und eventuell auch von der Migration mit den Gemeinschaften aus den russischen Gebieten nördlich des Schwarzen und Kaspischen Meeres, Gegenden, in denen die soziale Differenzierung schon fortgeschritten war. Eine weitere Besonderheit der Siedlungen Nordmesopotamien und des angrenzenden Irans waren die Funde von Tonmarken, sogenannte Tokens, zur offensichtlichen Besitzkennzeichnung. In der Obed-Zeit vor rund 7.000 vollziehen sich bedeutende soziale Wandlungen mit einer beginnenden Hierarchisierung der Gemeinschaften. Die Kennzeichnung des persönlichen Besitzes ist dafür nur ein Ausdruck. Die Tonmarken hatten geometrische Grundformen wie Kugel, Pyramide, Stäbchen, Dreieck, Rechteck oder Tierkopf-Formen. Ihre Größe variierte von einem bis zu mehreren Zentimetern. So konnte sowohl die Art als auch die Menge des jeweiligen Gutes bezeichnet werden (zum Beispiel Getreide, verschiedene Tiere, Öl). Vor allem vor 6.000 Jahren wurde das Besitz-Erkennungs-System erheblich ausgebaut. In jüngeren mesopotamischen Beamtenlisten tauchen dann auch Funktionärstitel wie "Herr der Steine" und "Herr der tönernen Steine" auf, die deutlich die Existenz einer besitzenden Klasse kennzeichnen. Auch Hermann Parzinger stellt fest, dass "in den Tonhüllen und komplexen tokens des 4. Jahrtausends v. Chr. ein bemerkenswertes archäologisches Zeugnis für die Herausbildung einer Bürokratie und ihre Etablierung als herrschende Klasse [...]" vorhanden sei (Parzinger, S. 145). In die Obed-Zeit fällt auch der Beginn des Bewässerungs-Systems und der Bau größerer Städte im Zweistromland. Die bekanntesten Städtegründungen sind Eridu, Ur, Uruk und Tell el-Obed. Die in der Größe unterschiedlichen Bauten in diesen Städten drücken soziale Differenzierungen aus. Es gab Gemeinschafts- oder Zentralbauten, die auf den Anfang einer Bürokratie mit einer politischen und/oder religiösen Elite hinweisen. Handel, Handwerk und Gewerbe blühten in den neu entstandenen Siedlungszentren auf.
Eridu wurde lange für die älteste Stadt der Welt gehalten. Erste Siedlungsspuren sind vor 7.800 Jahren zu verzeichnen. Vor 5.000 hatte die Stadt nach Schätzungen 4.000 Einwohner. Eridu lag direkt am Persischen Golf, der damals noch weiter ins Land reichte, war also eine wichtige Handelsstadt. Eridu verfügte im Umland über fruchtbaren Böden. Diese mussten aber bewässert werden. Dazu waren Berechnungen erforderlich. Das Bewässerungssystem musste regelmäßig mit gemeinschaftlichen Arbeitseinsätzen gewartet werden. Das erforderte Planung und Lenkung. Diese Aufgabe fiel offensichtlich einem besonderen Stand von Experten zu, die dadurch die Bauern von sich abhängig machen konnten. Außerdem war eine besondere Verwaltung für den umfangreichen und für Reichtum sorgenden Fernhandel und für die Ordnung in der Stadt notwendig. Hier wurden vor 5.000 Jahren auch die ersten Tempel gebaut und eine Vormachtstellung der Stadt mythologisch begründet. In der sumerischen Mythologie war Eridu die Heimstadt von Enki, des sumerischen Gottes des Süßwassers und des schöpferischen Geistes. Übersetzt bedeutet der Stadtname Eridu "mächtiger Platz" oder "Führungszentrum". In der sumerischen Königsliste ist Eridu als Sitz der ersten Könige aufgeführt.
Diese Führungsrolle machte die Stadt Uruk dem bisherigen Zentrum Eridu schon früh streitig. Vor 5.500 Jahren war Uruk ein urbanes Zentrum, vor 5.000 Jahren hatte es vielleicht schon 20.000 Einwohner. Handel wurde mit allen Kulturen der damaligen Welt betrieben, sowohl mit dem Norden in russischen und Ostsee-Gebieten als auch mit Ägypten, der Indus-Region oder mit Afghanistan. In den kriegerischen Auseinandersetzungen konnte sich Uruk bis auf die Akkad-Zeit vor 4.200 Jahren als Hegemonialmacht in Sumer behaupten.
Die Uruk-Zeit kann als Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit begriffen werden. Oft werden dabei nur die Größe der 5,5 Quadratkilometer messenden Stadtanlage mit ihrer neun Kilometer messenden Befestigungsmauer und ihren zwei Tempeln hervorgehoben. Uruk sei die erste "Megacity" der Welt gewesen. Das ist nicht richtig. Schon 1.000 Jahre vorher hatte es nördlich des Schwarzen Meeres "Megacitys" mit rund 40.000 Einwohnern gegeben. Uruk zeichnet sich durch eine neue Organisation der Gesellschaft aus. Deutlich wird dies auf den in Uruk gefundenen Rollsiegeln, die aus der Zeit vor 5.500 Jahren stammen. Sie zeigen erstmals in der Weltgeschichte den mächtigen, männlichen Herrscher, sie demonstrieren eine hierarchisch gegliederte Gesellschaft. Diese Rollsiegel charakterisieren den Herrscher als übergroße Figur und heben vor allem folgende Dinge hervor:
- seine Haarknotenfrisur und seinen Bart,
- seine Kopfbedeckung, Kappe und seinen Stirnreifen,
- sein langer Rock
- seine muskulösen Arme und Beine,
- seine Waffen (Bogen und Pfeile, Lanze), sein Keulenzepter.
Die Herrscher wurden als große Menschen (lugal) bezeichnet. ihre nackt dargestellten Untertanen sind sehr viel kleiner und mit Keulen ausgerüstet, die dazu dienen, gefesselte Menschen zu züchtigen. Bei den meist männlichen Gefesselten kann es sich sowohl um äußere Feinde als auch Untergebene in der Stadt handeln, die sich dem Willen des Herrschers widersetzt haben. Auch Frauen werden auf den Rollsiegeln als Gefesselte und Gefangene dargestellt. Hervorzuheben ist die...