Schweitzer Fachinformationen
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Wellen schwappten leise gluckernd gegen die Bordwand. Hin und wieder stieg eine von ihnen etwas höher und versprühte feine Tropfen. Wind war aufgekommen und führte den Geruch von Jod, Salz und Sonne mit sich. Die mitternachtsblauen Wogen wiegten die Paladin mit ruhigem Schlag, doch niemand hatte in diesem Moment Augen für die Schönheit des Meeres.
An Bord herrschte angespannte Stille.
François prüfte die Werte auf seinem Tauchcomputer und machte einen letzten Systemcheck. Der Gasdruck war optimal. Manometer, Zeitmesser, Puls- und Herzfrequenzsensoren arbeiteten fehlerfrei. Die Stirnlampe und der Handscheinwerfer waren ebenfalls in Ordnung. Die Minuten, ehe man ins Wasser stieg, waren die wichtigsten. Was man jetzt vergaß, konnte sich in der Tiefe rächen. Die See war keine rücksichtsvolle Ehefrau. Eher glich sie einer nervösen Geliebten; schön zwar, aber nachtragend und eifersüchtig, wenn man ihr nicht die volle Aufmerksamkeit schenkte. Wer von ihrer salzigen Umarmung aufgenommen werden wollte, der musste sich vorbereiten, durfte nicht eine Sekunde unachtsam sein.
Die Teammitglieder warteten gespannt auf die Beendigung seiner Vorbereitungen und den Moment, in dem er endlich das Zeichen geben würde. Doch er nahm sich Zeit, ließ sich nicht drängen und genoss den Augenblick. Es fühlte sich an, als wäre die Luft aufgeladen von knisternder Energie.
Gewissenhaft prüfte er noch einmal die Ventile an seiner Doppelflasche, nahm einen Zug am Mundstück und nickte zufrieden. Das Trimix war in Ordnung. Das Atemgemisch aus Sauerstoff, Stickstoff und Helium war ursprünglich vom Militär entwickelt worden und stand nun auch Sporttauchern zur Verfügung. Eine spezielle Mischung für Tiefen bis hundertfünfzig Meter. Nicht, dass François vorhatte, so weit runterzugehen. Ihn interessierten nur die ersten fünfzig Meter. Aber was seine Gesundheit betraf, ging er kein Risiko ein. Es gab immer noch zu viele Taucher, die glaubten, man könne unterhalb von dreißig Metern mit Druckluft tauchen. Sie vergaßen dabei, dass der Stickstoff erhebliche Probleme verursachen konnte. Je höher der Partialdruck, desto mehr von dem Gas diffundierte durch die Kapillarmembranen und löste sich im Blut. Stieg man zu schnell wieder auf, bildeten sich aufgrund des abnehmenden Außendrucks Stickstoffbläschen im Blut und führten zu der berüchtigten Dekompressionskrankheit. Die Folgen: Schmerzen in den Gelenken und in den Arm- und Beinmuskeln. Dann kamen Schwindel, starke Müdigkeit, Kopfschmerzen, Brust- und Rückenschmerzen, Atemnot, Herz-Kreislauf-Probleme, Hörverlust, Sprachstörungen, Sehstörungen, Störungen des Bewusstseins, Lähmungen, Bewusstlosigkeit und schließlich der Tod.
Natürlich gab es auch Taucher, die ohne jegliches Equipment bis hundert Meter oder tiefer gingen. Freitaucher, Apnoeisten, Verrückte. Spinner, die testen wollten, wo ihre Grenzen lagen, und die dabei ihr Leben riskierten. Besonders verantwortungsvoll war das nicht. Dass sie außer einer Schwimmbrille und einem Neoprenanzug nichts am Leibe trugen, war so ziemlich das Einzige, worum François sie beneidete. Das Gewicht der Tauchausrüstung einschließlich Weste und Bleisäckchen betrug gute fünfzehn Kilo. Momentan glich er eher einem gestrandeten Wal denn einem Menschen.
Er konnte kaum erwarten, zu sehen, was da unten war. Das schiffseigene Ortungssystem hatte einen dunklen Schatten entdeckt. Eine schmale Kluft, etwa dreißig Meter lang und vier Meter breit. Vielleicht wirklich nur ein Schatten, aber es bestand eine winzig kleine Chance, dass es etwas anderes war.
Dieser Meeresabschnitt war nicht irgendeine unbedeutende Bucht, was sich hier vor zweitausend Jahren abgespielt hatte, ließ auch heute noch das Herz jedes Schatzsuchers höherschlagen. Der Fund hatte in den Achtzigerjahren für Aufsehen gesorgt, inzwischen aber war es still um ihn geworden. Wie es schien, gab es nichts mehr zu entdecken. Angeblich war das Rätsel gelöst und der Fall abgeschlossen. Zumindest, wenn man den Pressemitteilungen des französischen Instituts für Unterwasserarchäologie Glauben schenkte. Was François nicht tat. Er war überzeugt davon, dass der eigentliche Schatz noch gar nicht gefunden worden war. Er beendete seine Vorbereitungen und richtete den Daumen nach oben.
Die Sonne brannte von dem wolkenlosen Himmel auf sie herab. Das Licht ließ die Farben verblassen. Holzplanken, Metallbeschläge, Taue und Kunststoffverkleidungen, alles wurde auf harte Kontraste reduziert. Selbst die Männer in ihren T-Shirts und Bermudas wirkten wie Scherenschnitte. Stumm standen sie da und beobachteten ihn hinter ihren Sonnenbrillen.
Magnus Hansen, Norweger und Leiter ihrer kleinen Freibeutertruppe, stand ebenfalls in voller Montur vor ihm. Er würde sein Partner bei diesem Tauchgang sein.
»Und? Wie sieht's aus? Geräte okay?« Sein Französisch war etwas holperig, aber deutlich besser als François' Norwegisch.
»Bist du startklar?«
»Mais oui«, sagte François.
»Na, dann ab ins Wasser. Ich kann es kaum erwarten, endlich wieder Konservenluft zu schnuppern.«
François setzte die Maske auf, biss auf das Mundstück und schlappte in Richtung Reling.
Unter dem Neopren war es bereits unangenehm heiß. Er atmete kräftig ein und aus. Für einen kurzen Augenblick schmeckte das Gemisch, als habe jemand alte Zeitungen und Getriebeöl verdampft, doch das war nur der erste Moment. Jetzt war es wieder absolut neutral. Nur, dass es dazu neigte, einem den Mund auszutrocknen.
Er setzte sich auf die Reling, Rücken zum Meer, und warf einen letzten Blick zum Festland hinüber. Einen guten Kilometer entfernt leuchteten die roten Granitklippen der Bucht von Lava. Hier hatte vor gut dreißig Jahren alles angefangen. Die Seeigeltaucher, der Schwarzmarkthandel, der Einsatz der Polizei, die vielen Festnahmen - die Region war eine Quelle von Geschichten, Gerüchten und Spekulationen und hatte unter Schatztauchern eine gewisse Berühmtheit erlangt. Sollte es ihnen heute vielleicht endlich gelingen, das Rätsel zu lösen? François spürte, wie ein Kribbeln über seinen Rücken lief.
Magnus tippte ihm auf die Schulter, formte mit Daumen und Zeigefinger ein O und ließ sich hintenüberfallen. Klatschend traf er auf das Wasser.
François folgte seinem Beispiel. Er presste Lungenautomat, Tauchcomputer und Nitroxflasche an den Bauch, legte das Kinn auf die Brust und ließ sich ebenfalls fallen.
Das Wasser empfing ihn mit einem sanften Ruck.
Er sank ein Stück nach unten, dann tauchte er wie ein Korken wieder auf. Der weiße Rumpf der Paladin war direkt neben ihm. Über sich sah er die Köpfe der Besatzungsmitglieder. Er gab ihnen zu verstehen, dass alles in Ordnung war, spülte sein Schlauchsystem mit der Luftdusche frei und wandte sich Magnus zu. Der war bereits mit seinen Vorbereitungen fertig, hatte den Inflatorschlauch in die Höhe gerichtet und entleerte seine Weste. Gurgelnd und schäumend versank er in den Fluten.
François atmete aus, dann ging es für ihn ebenfalls abwärts.
Schlagartig war das Gewicht verschwunden, und die Temperaturen wurden angenehm.
Das Wasser war glasklar. Die Sicht betrug mindestens fünfzehn Meter. Grünblaues Licht umgab ihn. Ein Schwarm Mönchsfische tummelte sich unterhalb von Ruder und Schraube.
François lächelte hinter seiner Maske. Er fühlte sich wie eine Amphibie, die für einen kurzen Moment der Orientierungslosigkeit an ihren Heimatort zurückgefunden hatte. Hier im Meer lag seine wahre Bestimmung. Nur hier fühlte er sich wahrhaftig frei. Doch es war ein kurzer Moment, den er sich gönnte, schließlich waren sie zum Arbeiten hier.
Die ersten fünf Meter erforderten die meiste Konzentration. Das Problem war der Auftrieb. Weste, Neopren, Atemluft - all das zog einen nach oben. Als Profi wollte er natürlich so wenig Blei wie möglich mit sich nehmen, umso einfacher würde später das Auftauchen werden. Aber Blei abwerfen? Niemals.
Er zwang sich also, seine Lunge zu entleeren, und begann mit dem Druckausgleich. Fünfundvierzig Meter. Kein Pappenstiel.
Rein rechnerisch nahm der Druck alle zehn Meter um etwa ein Bar zu. Das bedeutete, dass dort unten fünf Kilogramm Gewicht auf jedem Quadratzentimeter des Körpers lasteten. Auch auf dem Trommelfell, diesem papierdünnen Häutchen am Ende des Gehörgangs. Aber der Druck hatte auch seine guten Seiten. Immerhin löste sich damit das Problem des Auftriebs von ganz allein.
Immer weiter ging es abwärts. Inzwischen war das Wasser deutlich kühler geworden. François begrüßte die schützende Schicht des Neoprens. Der Rumpf der Paladin ähnelte aus der Entfernung einem Bügeleisen, das die Wasseroberfläche zerteilte. Wellen kräuselten sich um den Schiffsrumpf. Ein Schwarm Mönchsfische schwebte über den blass leuchtenden Himmel. Ein Barsch kreuzte ihren Weg. Dann tauchten die ersten Felsen auf.
Das Licht war bereits so weit geschwunden, dass sie ihre Lampen einschalten mussten. Lange bleiche Finger tasteten durch die Dunkelheit, hoben einzelne Details hervor und ließen andere verschwinden.
Sie brauchten nicht lange, um zu finden, wonach sie suchten. Da lag sie. Die Felsformation, die ihnen auf dem Sonar angezeigt worden war. Wie ein gigantisches Maul erstreckte sich die Kluft über den Meeresgrund.
Inzwischen waren sie auf dreißig Meter Tiefe. Das leuchtende Display seines Tauchcomputers erhellte die Umgebung, während François näher an einen der großen Brocken herantrieb.
Das Gestein war über und über mit Braunalgen überwuchert. Der stark verwitterte Granit bot einer Vielzahl von Tieren und Pflanzen eine Heimat. Schwämme, Seescheiden, Röhrenwürmer, daneben...
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