Schweitzer Fachinformationen
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KAPITEL 2
Sie sollte die Pressemitteilung überarbeiten. Noch einmal. Moa starrte auf ihren Bildschirm. Susanne hatte sie damit beauftragt, den Text über Stopalo Antik zu schreiben, da Paula, die sich für gewöhnlich um die Öffentlichkeitsarbeit kümmerte, mittwochs frei hatte. Eigentlich fiel so etwas nicht in Moas Zuständigkeitsbereich als Susannes Assistentin, aber seit sie ihre Stelle beim Auktionshaus Sundblad & Ström angetreten hatte, wurde sie mit allen möglichen Aufgaben überhäuft und musste immer dort einspringen, wo es gerade brannte. Moa ging den Text mit Susannes Kommentaren durch. Wenn sie die knappen Ansagen ihrer Chefin richtig interpretierte, musste der Kauf von Stopalo Antik ein wahrer Glücksgriff gewesen sein.
Moa hatte der Name des Unternehmens nichts gesagt, sie hatte ihn googeln müssen, ehe sie den ersten Entwurf für die Pressemitteilung aufsetzte. Stopalo stand für Stockholm-Paris-London, und das Unternehmen schien auf eine lange Geschichte im weltweiten Handel mit Antiquitäten aus unterschiedlichen Epochen zurückblicken zu können. In der Pressemitteilung sollte sie sich auf Stopalos Spezialgebiet konzentrieren: den Verleih von Möbeln und anderen Gegenständen an die Filmindustrie. Einige Stopalo-Stücke waren in Filmen und Serien wie Fanny und Alexander oder Die besten Absichten als Requisiten genutzt worden.
»Und, wie läuft's?« Moas Kollege Artur betrat das Büro. Er trug seinen hellen Fedorahut und sah aus wie aus dem Ei gepellt. Selbst an einem warmen Tag wie diesem, mit Temperaturen über zwanzig Grad, trug er Bügelfaltenhose, weißes Hemd, Sakko, Schlips und italienische Lederschuhe. Er schien immer ein bisschen aus der Zeit gefallen, so, als gehörte er eigentlich in das frühe zwanzigste Jahrhundert.
»Ganz gut. Ich arbeite gerade an der Pressemitteilung über Stopalo.«
Artur ließ sich auf einem der Besuchersessel nieder, setzte den Hut ab und legte ihn auf seinen Schoß. »Ich für meinen Teil habe gerade einen Sessel von Nanna Ditzel an einen vollkommen begeisterten Herrn verkauft, der das gute Stück unbedingt für sein Sommerhaus haben wollte.«
»Das klingt doch toll!« Moa hatte keine Ahnung, wer Nanna Ditzel war, aber so glücklich, wie Artur aussah, konnte es sich dabei nur um eine berühmte Möbeldesignerin handeln.
»Der Kunde hat auf jeden Fall einen guten Fang gemacht.« Artur tippte mit dem Finger auf seine Armbanduhr. »Zeit für die Mittagspause.«
»Ich habe gerade erst ein Brot gegessen«, antwortete Moa und zeigte ihm den leeren Teller auf ihrem Schreibtisch.
»Das ist doch kein vernünftiges Mittagessen! Gönn dir mal eine Pause.«
»Halb so wild. Ich finde es ganz angenehm, wenn im Büro nicht so viel los ist. Dann schaffe ich mehr.« Das war nicht gelogen. Außerhalb der Bürozeiten oder während der Mittagspause, wenn niemand da war und sie ihre Ruhe hatte, ging Moa die Arbeit wesentlich leichter von der Hand.
»Ich hoffe, Susanne bezahlt dir die vielen Überstunden.« Artur musterte Moa mit besorgtem Blick. »Mir ist aufgefallen, dass du manchmal bis spät am Abend hierbleibst.«
Moa drehte sich auf ihrem Stuhl hin und her. »Ich hatte doch im Sommer ein paar Tage frei.«
»Ja, für die Beerdigung deiner Großmutter. Echter Urlaub sieht anders aus.«
»Das war unbezahlter Urlaub. Ich bin doch noch in der Probezeit.«
»Wenn man bedenkt, wie viel du arbeitest, hättest du auch Überstunden abfeiern können.«
Moa wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Artur hatte recht: Sie arbeitete sehr viel. Aber zurzeit war im Büro die Hölle los, und Moa wollte die Aufgaben, die man ihr auftrug, ordentlich erledigen. In den drei Monaten, die sie jetzt bei Sundblad & Ström arbeitete, hatten sich zwar viele Überstunden angehäuft, aber ihr Job gefiel ihr. Auch wenn sie sich manchmal fragte, ob sie die Abläufe im Auktionshaus jemals verstehen würde. Jeden Tag wechselten unzählige Objekte den Besitzer: Gemälde, Möbel, Schmuck, Spielzeug, Porzellanfiguren, Lampen und viele andere Dinge trieben so lange in einem schier unaufhörlichen Strom von Gegenständen dahin, bis sie von einem begeisterten Kunden aufgestöbert wurden.
»Bist du denn gut mit deinem Text vorangekommen?«, fragte Artur.
»Halbwegs. Ich habe noch ein bisschen zu tun, bis er Susannes Urteil standhalten kann.«
Artur nickte und schien einen Augenblick lang nachzudenken, bevor er Moa fragte, ob sie sich die Stopalo-Objekte überhaupt schon angesehen hatte.
»Susanne braucht die fertige Pressemitteilung so schnell wie möglich, deswegen hatte ich leider noch keine Zeit.«
»Ach was. Wie willst du denn unsere Stücke anpreisen, wenn du gar kein Gespür für sie hast? Komm, wir gehen mal runter und schauen sie uns an.« Artur machte sich auf den Weg zur Tür und nach kurzem Zögern schloss Moa sich ihm an. Nur zu Recherchezwecken. Obwohl sie nicht viel Ahnung von Antiquitäten hatte, spürte sie, dass es hier um etwas Besonderes ging. Wenn ein Besuch in der Ausstellungshalle ihrem Text zu mehr Tiefe verhalf, sollte sie sich die Zeit nehmen.
*
Im Ausstellungsbereich war nichts los. Artur bahnte sich zielstrebig den Weg durch die Möbel und Gemälde und blieb erst vor dem Eingang zu einem separaten Raum stehen, der bis unter die Decke mit Möbeln, Kronleuchtern und Skulpturen vollgestopft war.
»Wow, das ist ja viel Zeug.« Moa stellte sich vor einen großen Spiegel mit vergoldetem Rahmen.
»Stopalo wurde in den Fünfzigerjahren gegründet. Da hat sich im Laufe der Zeit eine ganze Menge angesammelt.«
»Meinst du, hier sind auch ehemalige Filmrequisiten dabei?«
»Bestimmt. Aber Stopalo war nicht nur für die Leute vom Film interessant. Ich kenne auch viele Einrichtungsexperten, die gern in den Lagern herumgestöbert haben.«
»Du auch?« Moa strich mit der Hand über einen Mahagonitisch. Er hatte ein paar Kratzer, aber das war nicht schlimm. Die Schrammen zeigten lediglich, dass der Tisch eine Geschichte hatte.
»Natürlich. Wenn ich in einer der Niederlassungen war, kam es mir immer vor, als würde ich ein Zauberreich betreten. Da gab es ausgestopfte Tiere, dicht an dicht gedrängt mit Skulpturen, Möbeln und Silberzeug.« Die Erinnerung entlockte Artur ein Lächeln. »Es ist traurig, dass Stopalo Antik nicht weitergeführt wird. Damit geht eine Ära zu Ende.«
Moa konnte sein Bedauern gut nachempfinden. Sie hatte gelesen, dass die beiden Söhne des Gründers, die das Unternehmen von ihrem Vater übernommen hatten, vor einigen Jahren verstorben waren.
Artur führte sie weiter durch den Raum, und während er ihr einige spezielle Stücke zeigte, wurde Moa wieder bewusst, warum sie die Aushilfsstelle als Susannes Assistentin angenommen hatte: der Duft, all die überwältigenden Eindrücke und das Gefühl, dass sich hinter jedem Stück eine Geschichte verbarg. In welchen Häusern hatten die Möbel gestanden? Hatte man sie geliebt? Gehasst? Als notwendiges Übel betrachtet? Was hatten sie durchgemacht, gesehen und gehört? Streit, Sorgen, Liebe und Schwärmerei, Kindergeschrei und Kinderlachen? Moa blieb neben einem Puppenhaus stehen. Jedes einzelne Zimmer war mit Liebe zum Detail gestaltet, und es schien, als schaute man in jemandes Zuhause hinein. Wie praktisch es wäre, auch die eigene Wohnung, das eigene Leben von außen betrachten und Dinge einfach ändern zu können, wenn man wollte.
»Wir werden mehrere Auktionen durchführen. Hast du Lust, mal dabei zuzusehen, wie diese Stücke hier unter den Hammer kommen?«
Moa blickte vom Puppenhaus auf.
»Sehr gern«, sagte sie. »Das klingt nach viel Spaß.«
Sie warf Artur einen Blick zu. Schon an ihrem ersten Tag im Auktionshaus hatte er sie unter seine Fittiche genommen, hatte sie herumgeführt und ihr alles erklärt. Von Susanne wusste sie, dass er schon seit über fünfzig Jahren für Sundblad & Ström arbeitete und es keine Frage bezüglich des Unternehmens gab, auf die er keine Antwort fand. Allerdings hatte Moa nach wie vor keine Ahnung, welche Position Artur in der Firma konkret innehatte. Er schien immer dort einzuspringen, wo Not am Mann war. Manchmal sah sie ihn bei einem stundenlangen Kundengespräch, dann wiederum half er bei Fotoaufnahmen für die Unternehmenswebsite. Man wusste nie genau, wo Artur als Nächstes auftauchte, aber Moa hatte das Gefühl, dass er von den meisten Mitarbeitern geschätzt wurde. Einmal hatte sie jedoch gehört, wie einige der jüngeren Mädchen, die sich um die Warenausgabe kümmerten, sich flüsternd darüber ausließen, dass er viel zu lange für seine Beratungen brauche und nur bleiben dürfe, weil Susanne große Stücke auf ihn hielt. Moa sah das anders: Artur war vielleicht nicht der effizienteste Mitarbeiter, aber eindeutig der sympathischste. Sie selbst war über ihre Freundin Sofia, die vor einigen Jahren einen Sommer lang bei Sundblad & Ström gearbeitet hatte, an die Stelle im Auktionshaus gekommen, nachdem sie ihren alten Job als Grafikdesignerin bei einer Werbeagentur nach einer Kündigungswelle verloren hatte. Eigentlich hätte sie kaum einen Job finden können, für den sie weniger qualifiziert war, aber als Sofia ihr gesagt hatte, dass das Unternehmen dringend Aushilfskräfte benötigte, hatte sich das für Moa wie eine gute Zwischenlösung angehört. Sie war gern in der Agentur gewesen, hatte aber unter starkem Druck und oft bis in die Abendstunden an verschiedenen Kampagnen arbeiten müssen. Verglichen damit kam ihr der Job bei Sundblad & Ström wie Urlaub vor, obwohl es natürlich auch hier mitunter stressig werden konnte. Allerdings würde sie vermutlich nicht allzu lange auf diesem Posten bleiben, schließlich hatte sie seit ihrem Examen...
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