Schweitzer Fachinformationen
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Nach Westhoff und Kluck (2014) existieren in der Psychologie seit vielen Jahren Untersuchungen, die belegen, dass ungeplante oder schlecht vorbereitete Gespräche fehlerhafte und verzerrte Informationen zur Folge haben, auch wenn sie von Experten durchgeführt werden. Leitfäden zur Gesprächsführung wurden anfänglich oft als überflüssig angesehen. Erst die Erfahrung eigener "Hilflosigkeit" führt zu einer Einstellungsänderung. Stärker noch stellt sich die Situation in der Psychiatrie dar.
Klinische Erfahrungen und empirische Studien haben wiederholt zeigen können, dass ein freies Interview oft den Merkmalsbestand des AMDP-Systems mit seinen 100 psychischen und 40 somatischen Symptomen nur unzureichend erfasst. Dabei wurde immer wieder beobachtet, dass Symptome nicht oder nur unzureichend exploriert wurden, so dass eine zuverlässige Entscheidung über das Vorliegen oder Nicht-Vorliegen eines Symptoms oft kaum möglich war. Zudem wird auch oft vergessen, bestimmte Symptome zu explorieren. Aufgrund dieser Erfahrungen und der in den vorausgehenden Abschnitten besprochenen möglichen Fehlerquellen im diagnostischen Prozess wurde für das AMDP-System die Form eines halbstrukturierten Interviews (nachfolgend auch nur Interview genannt) gewählt.
Unter einem halbstrukturierten Interview wird eine Vorgehensweise verstanden, bei der Inhalte, Umfang und Art der Fragen festgelegt werden. Es erlaubt dem Untersucher jedoch eine situationsangepasste Exploration:
Veränderung des Wortlauts einzelner Fragen,
Erläuterung von Fragen,
Auslassen von Fragen, wenn diese bereits beantwortet worden sind,
Zusatz- und Ergänzungsfragen,
gezieltes Nachfragen sowie
|28|Veränderung der Reihenfolge der Fragen (Anpassung an den Gesprächsverlauf).
Der Begriff "halbstrukturiert" wurde daher gewählt, um eine Abgrenzung zu den im Bereich der klassifikatorischen Diagnostik eingesetzten Verfahren zu erreichen, deren Formalisierungsgrad größer ist (vgl. auch Stieglitz & Freyberger, 2019 sowie Kapitel 1.4).
Für das AMDP-System wurde ein halbstrukturiertes Interview zudem aus weiteren Gründen gewählt:
Das Interview soll vor allem auch in der klinischen Routine anwendbar sein.
Das Interview soll dem Untersucher und dem Patienten Freiraum und Flexibilität im Gespräch lassen.
Es soll vermieden werden, eine sterile und künstliche Befragungssituation zu schaffen.
Mit dem vorliegenden Interview soll somit die Möglichkeit einer verbesserten Informationserhebung erreicht werden, verbunden mit den Vorteilen eines natürlich ablaufenden Gesprächs.
Der Konstruktion des Interviews wurden die allgemeinen Überlegungen von Hron (1982) und Bortz (1984) zur Entwicklung von Interviews zugrunde gelegt. Bei der Formulierung der Fragen wurde versucht, sich möglichst eng an die Definitionen der Begriffe im Manual (AMDP, 2023) zu halten. Bezüglich der Art der Fragen werden in der Literatur unterschiedliche Typen genannt (vgl. u.?a. Bellebaum, 1976; Hron, 1982). Im vorliegenden Interview wurden in der Regel sogenannte offene Fragen (vgl. Hron, 1982; Othmer & Othmer, 1994) gewählt, d.?h. der Patient unterliegt keinerlei Beschränkung hinsichtlich seiner Antwort. Inhalt, Form, Spezifität und Ausführlichkeit der Antwort liegen ganz in seinem Ermessen. In seltenen Fällen wurden geschlossene Fragen (z.?B. Alternativfragen) festgelegt. Bei Zustimmung muss dann jedoch weiter exploriert werden.
|29|Außerdem wurde versucht, entsprechend den Vorschlägen von Hron (1982) sowie Schmidt und Kessler (1976) vorzugehen, d.?h.
einfache Formulierungen zu verwenden,
eindeutige Fragen zu stellen,
den Befragten mit dem Inhalt der Frage nicht zu überfordern,
konkrete statt allgemeine Fragen zu stellen,
neutrale statt suggestive Fragen zu stellen,
die Alltagssprache zu verwenden,
keine doppelten Verneinungen zu verwenden,
keine Fachausdrücke oder Fremdworte zu benutzen und
die Fragen anschaulich zu formulieren.
In Tabelle 4 findet sich eine Zusammenstellung der im Interview verwendeten Fragentypen. Einen besonderen Stellenwert in diesem Kontext nimmt die sog. Suggestivfrage ein, die oft kritisiert bzw. als ungünstig bewertet wird (vgl. auch Kapitel 3.3.2.2). Unter Suggestion versteht man allgemein eine Art von Beeinflussung, die Evozierung einer kognitiven Verzerrung. Bei einer Suggestivfrage wird nach Volbert (2003) eine Person veranlasst, einer bestimmten Richtung zu folgen, obwohl prinzipiell andere Reaktionsmöglichkeiten bestehen; man lässt somit der Person keine andere Wahlmöglichkeit. Besonders bei schwachen oder gar nicht vorhandenen Gedächtnispräsentationen wird dann ein erfragtes Phänomen (eher) übernommen (Beispiele: "Und dann haben Sie doch sicherlich etwas an der Wand gesehen"; "Wenn Sie Stimmen gehört haben, kennen Sie doch sicherlich auch das Hören von Geräuschen?", "Sie kennen doch sicherlich das Gefühl, dass die Stimmung auf und ab geht?"). Suggestivfragen sind zwar, wenn möglich, zu vermeiden bzw. auf ein Minimum zu reduzieren. Gerade bei der Erfassung psychopathologischer Phänomene lässt es sich jedoch oft nicht vermeiden, derartige Fragen zu stellen (z.?B. beim Erfragen von Stimmenhören; z.?B. "Manchmal berichten Patienten davon, Dinge zu hören oder zu sehen, die eigentlich nicht da sind. Kennen Sie so etwas auch?"). Wichtig ist dann aber, sich bei Zustimmung durch den Patienten die Beschwerden genauer schildern zu lassen und sich auch Beispiele geben zu lassen (z.?B. "Können Sie mir das etwas genauer beschreiben?", "Haben Sie ein Beispiel dafür?").
Fragentyp
Erläuterung und Beispiel
Einleitungsfrage
Gab es in den letzten Tagen irgendwelche Beschwerden, die Sie bei sich beobachtet haben?
Überleitende Frage
Sie haben vorhin davon gesprochen, dass Sie sich nichts mehr zutrauen. Hat Ihr Leistungsvermögen in letzter Zeit nachgelassen?
Präzisierungsfrage, Erläuterungsfrage
Können Sie bitte noch etwas genauer beschreiben, was Sie unter . verstehen?
Kontrollfrage
Sie haben vorhin berichtet, dass . Können Sie sich noch erinnern, was Sie mir genau gesagt haben?
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