Schweitzer Fachinformationen
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»Isòt ma drue, Isòt m'amie, En vous ma mort, en vous ma vie.«
»Isolde meine Geliebte, Isolde meine Freundin, Ihr seid mein Tod, Ihr seid mein Leben.«
(Refrain aus dem mittelalterlichen Versroman Tristan und Isolde von Gottfried von Straßburg)
Bois de Cise (Somme), Juli 1908
Es ist wahr, dass Stanislawa d'Asp den Grafen Vincenz d'Ault-Onival durch zwei volle Jahre erbärmlich behandelte. Er saß allabendlich im Parkett, wenn sie ihre empfindsamen Lieder sang und reiste ihr nach, jeden Monat in eine andere Stadt. Seine Rosen gab sie den weißen Kaninchen zu fressen, mit denen sie auf die Bühne trat, seine Brillanten versetzte sie, um die Kollegen einzuladen und die schmarotzende Bohème. Einmal hob er sie aus der Gosse auf, als sie betrunken mit einem kleinen Zeitungsschreiber nach Hause torkelte. Da lachte sie ihm ins Gesicht: »So kommen Sie doch mit! Sie können uns dann das Licht halten!«
Es gab keine gemeinste Beleidigung, die sie dem Grafen ersparte. Worte, aufgelesen aus verpesteten Betten stinkender Hafenbordelle, Gebärden, so schamlos, dass sie jeden Zuhälter erröten machten, Szenen, die ein sicherer Dirneninstinkt aus Büchern witterte, die ein Aretin 2 verleugnete - das war ihm gewiss, wenn er nur wagte, in ihre Nähe zu kommen.
Die Leutchen vom Varieté liebten ihn, hatten ein unendliches Mitleid mit dem armen Narren. Sie nahmen wohl das Geld, das die Dirne verschleuderte, aber sie hassten sie umso gründlicher und verachteten sie, diese Hure, die ihren ehrlichen Artistenstand bloßstellte, deren Kunst ein Schmarrn war und die nichts hatte als ihre blendende Schönheit. Und der älteste der »Five Hobson Brothers«, Fritz Jakobskötter aus Pirna, zerschlug ihr einmal die Rotweinflasche auf dem Kopf, so dass die blonden Haare dick troffen von klebrigem Blut.
Dann, eines Abends, als sie wieder einmal so heiser war, dass sie kaum einen Ton über die trockenen Lippen bringen konnte, als der Theaterarzt ihr nach einer flüchtigen Untersuchung grob erklärte, dass sie schwindsüchtig sei im letzten Zustand - was sie längst wusste - und dass sie in ein paar Monaten beim Teufel wäre, wenn sie so weiter darauf los lebe, ließ sie den Grafen in ihre Garderobe rufen.
Sie spuckte aus, als er eintrat, und sagte ihm, dass sie jetzt bereit sei, seine Mätresse zu werden. Als er sich herabbeugte, um ihr die Hand zu küssen, stieß sie ihn weg und lachte. Aber die kurzen Wellen giftigen Lachens rissen in ihren Lungen, und sie bog sich in erstickendem Husten. Dann, kaum wieder still, vornüber gebeugt über Schminken und Puderquasten, schluckte sie wimmernd über dem seidenen Taschentuch. Der Graf legte ihr leise die Hand auf die Locken, da sprang sie auf: »Also nehmen Sie mich nur!« Sie hielt ihm das Tuch unter die Nase, voll von Blut und gelbem Schleim. »Da, mein Herr - das bin ich noch wert!«
So war Stanislawa d'Asp. Aber es lässt sich nicht leugnen, dass die Dirne von heute auf morgen eine Dame wurde. Der Graf fuhr mit ihr durch Europa, brachte sie von einer Heilanstalt in die andere. Sie tat, was er sagte und was die Ärzte sagten, klagte nie und gab nie ein kleinstes Widerwort. Sie starb nicht, sie lebte Monate und Jahre und erholte sich, ganz langsam, aber mehr und immer mehr. Und allmählich ließ sie auch ihren Blick zuweilen auf dem Grafen ruhen. Mit dieser Ruhe, mit diesem stillen, ewig gleichen Leben wuchs in ihr eine Dankbarkeit.
Als sie von Algier abfuhren, sagte der Arzt, es sei wohl möglich, dass sie einmal wieder ganz gesund werden würde. Der Graf wandte sich ab, aber sie sah wohl seine kleine Träne. Und plötzlich, um seine Freude noch größer zu machen, berührte sie seine Hand. Sie fühlte, wie er zitterte, da lächelte sie: »Vincenz, ich will für dich gesund werden.« Das war das erste Mal, dass sie seinen Namen aussprach, das erste Mal, dass sie ihn du nannte, und das erste Mal, dass sie ihn berührte. Er blickte sie an - dann stürzte er fort, nicht mehr Herr über sich. Aber als sie ihm nachsah, stieg die bittere Galle in ihr hoch. »Ah, wenn er nur nicht weinen wollte.«
Und doch wuchs ihre Dankbarkeit und ihr Mitleid mit ihm. Ein Schuldbewusstsein dazu, ein Pflichtgefühl, diese ungeheure Liebe erwidern zu müssen. Und dazu eine Art Achtung, eine große Bewunderung vor dieser merkwürdigen Liebe, die eine Sekunde gebar für ein ganzes Menschenleben. Wenn sie im Strandstuhl saß und auf die Wogen hinausträumte, dachte sie wohl darüber nach. Da wurde ihr zur Gewissheit, dass dieser Liebe nichts unmöglich war, dass sie etwas gefunden hatte, so herrlich, so wunderbar, etwas, das es in Jahrhunderten nur einmal gab. Und als sie dann anfing zu lieben - und als sie liebte -, liebte sie doch nicht ihn, sondern nur seine große Liebe.
Sie sagte ihm das nicht, sie wusste, dass er sie doch nicht verstehen würde. Aber sie tat nun alles, um ihn glücklich zu machen. Und nur ein einziges Mal sagte sie Nein!
Das war, als er sie bat, seine Frau zu werden.
Aber der Graf ließ nicht nach und es gab ein Ringen durch Monate. Sie sagte, sie würde an seine Familie schreiben, wenn er nicht aufhören würde, sie zu bitten, da schrieb er selbst und teilte seine Verlobung mit. Erst kam ein Vetter, dann ein Onkel; sie nannten sie reizend und sehr verständig, ihn aber einen dickköpfigen Dummkopf. Der Graf lachte und sagte, er würde doch tun, was er wolle. Dann kam seine alte Mutter; da spielte Stanislawa d'Asp ihren großen Trumpf aus. Was sie gewesen sei, das wisse er ja und könne es selbst seiner Mutter sagen. Aber dann zeigte sie ihre Papiere, sagte, dass sie Lea Lewi 3 heiße und ein uneheliches Kind sei. Und Jüdin sei sie und würde es bleiben ihr Leben lang. So, und wenn Graf Vincenz d'Ault-Onival, der Marquis von Ronval, der fromme Sohn des christlichsten Hauses der Normandie, sie nun doch heiraten wolle, so möge er es tun. Dann ging sie hinaus und ließ ihn allein mit der Gräfinwitwe.
Das war wohlüberlegt, was sie da tat. Sie kannte den Grafen gut und wusste, wie sehr er in seinem Kinderglauben lebte, wusste, dass er nicht aufstand und nicht zu Bette ging, keine Mahlzeit nahm, ohne seine Gebete zu sprechen. O, ganz leise, ganz unauffällig, und kein Fremder würde es merken. Sie wusste, dass er zur Messe ging und zur Beichte, wusste auch, dass er das alles aus tiefstem, innerstem Gefühl tat. Und sie wusste dazu, wie er an seiner Mutter hing, wie er sie liebte und verehrte. Die würde nun zu ihm sprechen, eine kluge alte Frau, und ihm noch einmal sagen, wie unmöglich diese Ehe sei, wie er sich lächerlich mache vor seinen Leuten und sich versündige gegen seine Mutter und seinen Glauben.
Sie stand auf ihrem Balkon und wartete. Sie kannte jedes Wort, das die Mutter sprach, sagte es selbst. Sie wäre am liebsten dabei gewesen, um ihr einzuflüstern, dass sie nur recht deutlich, recht überzeugend all die Gründe benannte. Ja, es sollte ein Weltmeer von Unmöglichkeiten zwischen ihr stehen und seiner Liebe, und dann - dann sollte er doch .
Da fiel ihr etwas ein. Sie lief durch das Zimmer und hinüber in das des Grafen. Sie riss die Türe auf und drang in die Dämmerung ein, hastig, atemlos, keuchend nach Worten. Sie blieb stehen vor der alten Dame; kantig und hart sprangen die Silben: »Und meine Kinder - wenn ich je Kinder habe - sollen jüdisch sein, jüdisch, wie ich es bin!«
Sie wartete nicht auf Antwort, rannte hinaus in ihre Räume, fiel schwer auf das Bett. So, jetzt war es entschieden! O, gewiss, das musste ihn niederwerfen, diesen dummen großen Jungen, diesen empfindsamen Aristokraten aus fremder Welt, diesen christlichen Krankenwärter mit seinem Glauben und seiner Liebe. Und sie empfand eine große Genugtuung, dass sie endlich ein Tor gefunden hatte, zu eisern, zu stark für diese ungeheure Liebe, die sie immer fühlte und doch nie ganz verstand.
Sie wusste, sie würde ihn jetzt verlassen, würde fortgehen, wieder aufs Varieté, ins Bordell, oder die Sorrentiner Felsen hinunterspringen - das alles war ganz gleich. Aber sie fühlte sich stark und groß in ihrem frühen Instinkt, der sie ihn einst bespeien ließ und ohrfeigen mit schmutzigen Worten. Der Graf hatte verspielt und sie war wieder eine Dirne, eine erbärmliche jämmerliche Dirne, und keine Macht des Himmels konnte je sie herausreißen aus all dem Schmutz.
Dann ging die Tür auf. Sie sprang vom Bett auf, sicher in ihrem alten Lachen. Kottriefende Phrasen, die sie längst vergessen hatte, zuckten in ihrem Hirn, o sie wusste, wie sie den Grafen empfangen wollte.
Es war die alte Dame. Ganz still kam sie auf die junge Frau zu, setzte sich aufs Bett, zog sie zu sich. Stanislawa hörte ihre Worte, aber verstand sie kaum. Es war ihr, als ob ferne irgendwo eine leise Orgel spiele. Und diese Töne sprachen zu ihr und sie fühlte nur, was sie...
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