Schweitzer Fachinformationen
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Mein leiblicher Vater, Benjamin Benjamin Senior, hat mich im ehrwürdigen Alter von zweiundsechzig Jahren gezeugt. Zwei Jahre vor meinem Collegeabschluss starb er aus natürlichen Gründen. Er war die Sorte Vater, die den Football nur von unten warf, wenn überhaupt. Der Vater, der so weit weg war von allen kulturellen Errungenschaften der Neuzeit, so ahnungslos in allem, was gerade aktuell war, dass man direkt vor seiner Nase kiffen oder ihm den Schnaps stehlen oder Sex haben konnte. Ich glaube, dass er absichtlich so ignorant war, dass er nichts sehen wollte, dass mein Vater mich betrachtete wie eine verwirrende neue Technologie, mit der er sich gar nicht mehr vertraut machen wollte, etwas, das er ebenso stur ignorierte wie die Anklopffunk tion beim Telefon. Es ist nicht so, dass ich meinen Vater nicht geliebt hätte. Ich habe ihn nur kaum gekannt. Ich hatte wahrscheinlich persönlichere Gespräche mit meinem Sportlehrer auf der Highschool als mit meinem Vater.
Erst als ich Janet heiratete, bekam ich eine Ahnung von dem väterlichen Verhalten, nach dem ich mich insgeheim immer gesehnt hatte. Ihr Vater Bernard war eine Offenbarung für mich, mit seinen lächelnden Augen, wenn er mich kurz an sich drückte oder mir das Haar zerzauste. Seit elf Jahren nennt er mich jetzt Sohnemann. Es beschämt mich ein bisschen, wie sehr ich diese Vertrautheit genieße, wie richtig es sich anfühlt, von Bernard so vereinnahmt zu werden, an stürmischen Herbstsonntagen nachmittags im kleinen Wohnzimmer ganz entspannt bei ihm zu sitzen, wenn der Wind an den Fensterläden rüttelt und die Zentralheizung an unseren Füßen rumpelt, wir Scotch trinken (den ich eigentlich gar nicht mag) und Football gucken (was mir eigentlich total egal ist) und über Dinge reden, die mich eigentlich gar nicht interessieren: Wirtschaft, Geschichte, Bauwesen. Was zählt, ist nur, dass ich bei Bernard sitze und da hingehöre. In meiner hoffnungslos romantisierten Wahrnehmung haben unsere zweisamen Sonntagnachmittage das Gewicht und die Substanz politischer Gipfeltreffen. Unsere Männernachmittage kommen mir umso bedeutsamer vor, weil das Leben außerhalb des Zimmerchens brummt und all diese Üppigkeit um uns herum ist: Janet und ihre Mutter bereiten vorfreudig ein Festessen vor, Piper trampelt die Treppe hinauf und hinunter und quietscht vor Lachen, Jodi jault vergnügt in seinem Laufstall am Fuße der Treppe. Der Geruch des Bratens hängt so dick in der Luft, dass man ihn schon fast schmecken kann. Das Klappern des Bestecks, die Entspanntheit unserer trägen Stimmen im Laufe der Stunden. In einer solchen Idylle fühlt man sich automatisch wie eine bedeutende Persönlichkeit.
Aber heute fahren nur die Kinder und ich zu Bern und Ruth. Janet steckt wahrscheinlich bis zum Ellbogen in den Innereien eines Labradors. Es ist ein wunderbarer Tag dafür - also, für den Besuch. Wie vorhergesagt hat die Inversionswetterlage sich abgebaut, der Nachmittag verspricht mild zu werden, der Himmel ist blau. Unterwegs rutscht Jodi auf seinem Kindersitz herum und brabbelt vor sich hin, und Piper ist wegen ihrer Ratte zu beleidigt, um zu dolmetschen.
Es ist genau 11:37 Uhr, als wir die Einfahrt hinauffahren. Ruth arbeitet im Vorgarten. Sie zieht sich die Handschuhe aus, als sie uns willkommen heißt, und sie strahlt vor großmütterlicher Freude. Piper springt aus dem Wagen, um ihre Großmutter zu begrüßen, und zieht ihr rotes Cape hinter sich her, während ich Jodi abschnalle, der wie wild mit den Beinen strampelt.
»Quischili-quisch, na-nana«, sagt er, schiebt mich beiseite und taumelt auf seine Großmutter zu.
»Wie geht's dir, mein Lieber?«, fragt Ruth mich, während Jodi sie umklammert.
»Gut, danke.«
»Sehr schön. Und Janet?«
»Der geht's auch gut, sie hat viel zu tun.«
»Oh, gut. Bernard ist hinten«, sagt sie. »Er bindet seine komischen Dinger. Ehrlich, ich habe die Nase voll davon, das blöde Zeug immer wieder wegzusaugen. Und ich habe Angst, dass die Kinder drauftreten oder dass die Katze eins frisst. Ich habe ihm schon vorgeschlagen, sich lieber mit Modellbau zu beschäftigen, aber er meint, das kann er nicht draußen machen. Überzeugt mich nicht. Soll ich dir was zu trinken nach hinten bringen?«
»Nein danke.«
»Ach, Schatz, ich habe noch einen ganzen Krug Eistee, und die Kinder trinken doch sowieso nur Limo.«
»Das wär super«, sage ich.
»Und ein Sandwich?«
»Brauche ich nicht, danke.«
»Bernard isst zu Mittag ein Sandwich - ich mach dir einfach auch eins, ja?«
»Ehrlich, Ruth, ich habe gar nicht so einen .«
»Wirklich, Ben, das macht doch keine Arbeit. Ich mache dir ein Sandwich, du kannst es ja mal probieren.«
»Ach, weißt du, ein Sandwich wäre eigentlich super.«
»Kommt mal mit rein, Kinder«, sagt sie. Und ohne weitere Verhandlungen folgen sie ihr, zweifellos in die Küche.
Ich finde Bernard hinten im Garten unter einem Schirm, wo er Fliegen bindet, sein neustes Hobby. Allerdings habe ich noch nie gehört, dass er auch angeln würde. Ich glaube, meistens träumt er nur vom Angeln und genießt es, etwas mit den Händen zu tun. Also bindet er Fliegen und gibt ihnen Namen: Pferdehaar Spezial. Ballkönigin. Grüner Stinktierarsch Nr. 5. Wenn man ihn fragt, wofür sie jeweils gut sind: »Keine Ahnung. Aber sie sehen doch aus wie Insekten, oder?«
Manche dieser fertigen Fliegen baumeln am Ende von seinem Anglerhut. Ich habe keine Ahnung, was mit dem ganzen Rest passiert - also denen, die nicht im Staubsauger enden. Auf einem kleinen Beistelltisch liegt ein Häufchen davon, gleich neben seinem unberührten Eistee und dem uralten Transistorradio. Er hört die Vorberichterstattung zum Spiel der Seattle Mariners.
»Ahoi, Bernard«, sage ich und lasse mich in einen niedrigen Liegestuhl sinken.
»Setz dich, Ben«, sagt er.
»Spielen sie heute Nachmittag?«
»Gegen Chicago.«
»Was bindest du da?«
»Sie hat noch keinen Namen.«
»Aber du weißt schon, dass es eine Sie ist?«
»Gute Frage.«
Ruth muss aus der Küche hergesprintet sein, denn da ist sie schon mit meinem Eistee. Sie hält den halb vollen Krug in der Hand und drängt mich auszutrinken.
»Ich brauche den Krug«, erklärt sie. »Und du auch«, sagt sie zu Bern, der seine Fliege seufzend beiseitelegt und brav seinen Eistee trinkt. Ruth füllt unsere Gläser wieder auf und lässt uns schnell allein.
»Wie geht's dir, Sohnemann?«
»Ach, du weißt schon. Ein bisschen Budenkoller. Aber sonst gut.«
»Kein Wunder, als Vater.«
»Ach nein, nicht deswegen«, sage ich. »Aber wenn man sich nur noch von Trockenobst und Nickelodeon ernährt, fühlt man sich manchmal nicht gerade wie ein erwachsener Mann.«
»Was ist Nickelodeon?«
»Fernsehen.«
»Dieses High-Definition-Ding, von dem jetzt immer die Rede ist?«
»Nein, das ist ein Sender. Kindersender.«
»Ah«, sagt er.
»Es ist ja wirklich so: Man ist, was man isst. Und alles, was ich im Moment zu mir nehme, ist für Kinder gemacht.«
»Ruthie macht dir bestimmt gern ein Sandwich.«
»Nein, Bern, ich meine nur, ich würde gern an irgendetwas arbeiten. Ich möchte auch außerhalb meines Zuhauses irgendwie produktiv sein. Es ist mir sogar schon egal, ob ich dafür bezahlt werde.«
Er unterbricht das Fliegenbinden, setzt die Lesebrille ab, betrachtet mich eine ganze Weile und nickt schließlich weise. Er will gerade etwas Väterliches sagen, als die Kinder in den Garten purzeln. Bernard lächelt, als Piper ihm die Arme um den Hals wirft und ihn auf die Wange küsst.
»Du bist!«, sagt sie.
Und dann stürzt sich Jodi auf seinen Großvater und wirft ihn beinahe vom Stuhl. Bernard genießt Jodis stürmische Jungenhaftigkeit.
»Der Junge braucht einen Helm«, sagt er.
Ruth steht in der Nähe, und sie weiß genau, dass ich mal eine Pause brauche. »Kinder, kommt doch mal auf dem Rasen spielen und lasst Daddy und Grandpa in Ruhe.«
Und wieder gehorchen die Kinder sofort und stürmen auf Bernards supergepflegten Rasen.
»Du bist ein Glückspilz, Ben Benjamin.«
»Das weiß ich. Ehrlich.«
Er wendet sich wieder der Fliege zu. »Aber ich glaube, ich verstehe, was du meinst. Du willst mehr vom Leben.«
»Ich will eigentlich nur mal raus aus dem Haus.«
»Du bist doch jetzt raus aus dem Haus.«
»Nein, jetzt habe ich das Haus mitgebracht.«
Er lächelt.
»Verstehe.«
»Guck mal, Grandpa!«, ruft Piper und schlägt einen perfekten Purzelbaum, mitsamt ihrem Umhang.
Bernard legt seine Fliege ab und applaudiert. »Super gemacht!«
»Guck noch mal!«, ruft sie.
Und während Piper einen anständigen Purzelbaum nach dem anderen schlägt, bemüht Jodi sich um die Aufmerksamkeit seiner Großmutter und äfft eher unbeholfen Pipers Bewegungen nach. Aber seine Anstrengungen sind größtenteils fruchtlos. Kaum hat er einen halbwegs ordentlichen Purzelbaum hinbekommen, fängt Piper an, Räder und Radwenden zu schlagen. Ruth gibt sich alle Mühe, ihre Aufmerksamkeit gleichmäßig zu verteilen, sie lächelt mal in diese Richtung, mal in jene, aber Piper verlangt einfach alle Aufmerksamkeit. Manchmal wünsche ich mir, Piper wäre nicht so aufmerksamkeitsgierig, vor allem deswegen, weil Jodi auch mal die Hauptrolle spielen sollte. Schlimm genug, dass er kaum spricht.
»Sohnemann, du musst irgendwas bauen«, sagt Bernard, der weiter seine Fliege bindet. »Ich meine, wirklich mit den Händen etwas bauen. Etwas Bleibendes. Etwas, wo du und Janet und die Kinder noch was von habt, wenn Ruthie und ich...
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