Schweitzer Fachinformationen
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Martin Pohlmann & Arne Evers
Es ist wahrlich keine neue Erkenntnis, dass die demographischen Effekte in unserer Gesellschaft zu einem deutlichen Anstieg von pflegebedürftigen Menschen führen werden (Statista, 2024/Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, 2024). Die Bevölkerung wird älter und das ist ja auch gut so. Gleichzeitig steigt die Anzahl der Älteren innerhalb der Bevölkerung. Damit nimmt auch die Zahl der Pflegebedürftigen deutlich zu und es ergibt sich ein steigender Bedarf an Pflegefachkräften. Das Statistische Bundesamt sieht einen zusätzlichen Bedarf bis zum Jahr 2049, der zwischen 280.000 und 690.000 Pflegekräften liegt (Statistisches Bundesamt, 2024a). Der Pflegereport der Bertelsmann Stiftung prognostiziert, dass die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2030 um 50 % steigt. Zugleich nimmt die Zahl derjenigen ab, die in der Pflege arbeiten. Hinzu kommen stagnierende oder nicht auskömmliche Ausbildungszahlen und eine sehr geringe Quote akademischer Pflegekräfte (Statistisches Bundesamt, 2023a, 2023c; Wissenschaftsrat, 2023). Demnach ergibt sich je nach Berechnung verschiedener Szenarien eine Versorgungslücke von 260.000 bis zu 490.000 Vollzeitäquivalenten in der Pflege bis zum Jahr 2030 (Bertelsmann-Stiftung, 2012). Der Deutsche Pflegerat sprach von fast 500.000 Vollzeitkräften, die in der Pflege bis 2030 fehlen werden (Ärzteblatt.de, 2021).
Alles das ist seit langem bekannt und trotzdem könnte der Eindruck entstehen, dass erst seit kurzer Zeit das Risiko einer potentiell unzureichenden pflegerischen Versorgung der Bevölkerung als ernsthaftes gesellschaftsrelevantes Problem in den öffentlichen Fokus rückt.
Der steigende Bedarf an Pflegefachkräften trifft dabei auf einen Fachkräftemangel, der sicher kein branchenspezifisches Problem der Pflege ist. Die demografischen Effekte führen dazu, dass jetzt und in den nächsten Jahren die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen und die geburtenschwächeren Jahrgänge diese Lücke nicht werden schließen können. Bis 2036 werden fast ein Drittel aller Beschäftigten (bezogen auf das Jahr 2021) das Rentenalter erreicht haben (Statistisches Bundesamt, 2022). Das ifo Institut ermittelte im August 2022 einen neuen Höchststand beim Fachkräftemangel. In beinahe jedem zweiten Betrieb in Deutschland fehlte es an Arbeitskräften. Immer mehr Unternehmen müssen ihre Geschäfte einschränken, weil sie nicht genug Personal finden (ifo Institut, 2022). Neuere Zahlen des ifo Institutes von März 2024 zeigen, dass der Fachkräftemangel leicht abgenommen hat. Dies soll aber lediglich konjunkturelle Gründe haben, so dass sich die Nachfrage nach Fachkräften nur kurzfristig verringert hat (ifo Institut, 2024). Alle Wirtschaftsbereiche, egal ob Industrie, Handwerk oder Dienstleistungsbranche, kämpfen somit mit dem Fachkräftemangel, der sich in den nächsten Jahren potentiell noch verschärfen wird.
Für den Pflegesektor ist die Lage aber insofern besonders prekär, weil bereits in der Vergangenheit aus ökonomischen und gesundheitspolitischen Gründen an Pflegekräften gespart wurde. Dies lässt sich eindrucksvoll am DRG-Fallpauschalensystem belegen, das ab dem Jahr 2003 für die deutschen Krankenhäuser als neues Vergütungssystem eingeführt wurde. Diese Umstellung hatte erhebliche Folgen für die Krankenhauslandschaft insgesamt, wirkte sich aber auch in besonderen Maße negativ für die Pflege im Krankenhaus aus. Die neue Systematik zur Kalkulation der Bewertungsrelationen auf Grundlage der durchschnittlichen Ist-Kosten hatte zur Folge, dass die Krankenhäuser, die mit ihren Personalkosten über dem Durchschnitt lagen, finanziell bestraft wurden und sich eine Unterbesetzung dagegen finanziell lohnte (Simon, 2020).
Die Einsparungen in der Pflege begannen schon deutlich vor der Konvergenzphase, denn der mit dem Fallpauschalengesetz beschlossene Zeitplan sah vor, dass die Kürzungen 2005 beginnen sollten und verteilt auf wenige Jahre, schrittweise erfolgen würden. Angesichts dieser Aussichten konnten Krankenhäuser, die erhebliche Budgetkürzungen zu erwarten hatten, nicht bis 2005 warten. Sie mussten bereits vorher damit beginnen, ihre Kosten zu senken. Der Pflegedienst war die größte Kostenart und insofern war es naheliegend, vor allem dort zu sparen (Simon, 2020).
Zwischen 1995 und 2008 wurden insgesamt rund 50 000 Vollkraftstellen in der Krankenhauspflege abgebaut (DIP, 2010). Im gleichen Zeitraum war die Anzahl der Vollzeitstellen im Ärztlichen Dienst von 101.590 auf 126.000 angestiegen und lag im Jahr 2022 bei 173.321 Vollzeitstellen im Ärztlichen Dienst (Statistisches Bundesamt, 2024 b). Sukzessive ist seit 2008 die Zahl der Pflegekräfte wieder angestiegen, hat aber erst im Jahr 2020 mit 362.844 Vollzeitstellen wieder die Besetzung von 1995 erreicht bzw. überschritten. Bis 2022 ist die Zahl der Pflege-Vollzeitkräfte auf 376.400 weiter leicht angestiegen (Wasem & Blase, 2023;IAQ, o. J.). Durch die Einführung der DRG reduzierte sich die Verweildauer der Patient*innen, wobei auch die Anzahl der Planbetten sank, bei gleichzeitig steigenden Fallzahlen. Für die Pflege im Krankenhaus bedeutete dies eine deutliche Arbeitsverdichtung, da bei kürzerer Verweildauer in kürzerer Zeit immer mehr Patientinnen und Patienten pflegerisch betreut werden mussten. Der Personalschlüssel änderte sich nicht im Verhältnis zur Arbeitsverdichtung. Eine internationale Analyse der Bertelsmann-Stiftung zeigte, dass deutsche Krankenhäuser im Vergleich zu anderen OECD-Staaten vergleichsweise wenige Pflegekräfte beschäftigen. Außerdem zeigte sich auch hier, dass die Belastung des Pflegepersonals im Krankenhaus deutlich zugenommen hat (Bertelsmann-Stiftung, 2017).
Im Bereich der Altenhilfe hat die Zahl der Pflegekräfte in den letzten Jahren stetig zugenommen. Zum Jahresende 2021 waren in Deutschland 442.900 Personen bei ambulanten Pflegeeinrichtungen beschäftigt. Das waren 134 % mehr als Ende 2001. Damals arbeiteten 189.600 Menschen bei ambulanten Pflegediensten. Die Zahl der Pflegebedürftigen, die von diesen Diensten zu Hause versorgt werden, ist im selben Zeitraum allerdings um 141 % gestiegen. Auch die Zahl der Beschäftigten in Pflegeheimen nahm binnen 20 Jahren zu, wenn auch nicht so deutlich. Sie stieg um 71 % von 475.400 Personen im Jahr 2001 auf 814.000 Personen im Jahr 2021. Im selben Zeitraum stieg auch die Zahl der hier betreuten Pflegebedürftigen. Dabei nahmen die vollstationär versorgten Personen um 31 % auf 793.000 zu (Statistisches Bundesamt, 2023).
Gleichzeitig ist aber auch die Zahl der Einrichtungen und der zu betreuenden pflegebedürftigen Menschen deutlich gestiegen Die Zahl der ambulanten Pflegedienste ist innerhalb von 20 Jahren um fast die Hälfte gestiegen und Pflegebedürftige, die in Heimen versorgt werden, weisen oft einen höheren Pflegegrad auf (ebd., 2023). Somit zeichnet sich auch in der Altenhilfe ein deutlicher Zuwachs der Arbeitsbelastung ab.
In der stationären Altenpflege haben die Personalkosten unmittelbare Auswirkungen auf die Kosten für den Pflegeplatz. Die 1995 eingeführte Pflegeversicherung hat die Leistungsbeträge der Pflegekassen gesetzlich festgeschrieben, so dass diese gedeckelt sind. Kostensteigerungen tragen somit alleine die pflegebedürftigen Menschen, bzw., wenn diese dazu nicht in der Lage sind, die Angehörigen oder die Sozialhilfe. Damit erhöhen sich bei steigenden Personalkosten auch die Eigenanteile für die Bewohner*innen. Je geringer die Fachkraftquote bei den Pflegekräften und je billiger die Entlohnung der Pflegekräfte, desto größer war in der Vergangenheit der Wettbewerbsvorteil für die Pflegeeinrichtung. Gerade bei lokaler Konkurrenz mit anderen Anbietern war ein kostengünstiger Personaleinsatz wesentlich für Jahresüberschüsse oder Renditen.
Auch die ambulante Pflege ist stark ökonomisch geprägt. Hier ist letztlich jeder vereinbarte und dokumentierte Leistungskomplex mit einem Preisschild verbunden, so dass Pflege häufig nicht nach dem tatsächlichen Pflegebedarf ausgerichtet wird, sondern an einzelnen vereinbarten Pflegeleistungen. Hinzu kommt eine Trennung von Behandlungspflege und häuslicher Pflegehilfe. Behandlungspflege ist eine medizinische Pflegeleistung, die nur von medizinischem Personal oder examinierten Pflegekräften durchgeführt werden darf. Als Leistung des SGB V wird diese im Wesentlichen von den Krankenkassen bezahlt. Dies regelt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in seiner Richtlinie zur häuslichen Krankenpflege nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und Abs. 7 SGB V. Der Richtlinie ist ein Leistungsverzeichnis über die verordnungsfähigen Leistungen der häuslichen Krankenpflege beigefügt. Über die einheitliche...
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