1. KAPITEL
Ein schönes Gesicht runzelt sich, ein volles Auge wird hohl; aber ein gutes Herz, Käthchen, ist die Sonne und der Mond; oder vielmehr die Sonne, nicht der Mond; denn es scheint hell und wechselt nie, sondern bleibt treulich in seiner Bahn.
William Shakespeare
Derbyshire, 1814
Völlig außer Atem riss Roxana die Haustür auf, sprang zwei Treppenabsätze hinauf und stürzte ins Kinderzimmer. Dort kniete ihre Mutter auf dem Fußboden vor ihrem kleinen Bruder, der in einem neuen Mantel herumzappelte. Sie steckte ihm gerade den Ärmel ab.
"Mama, es gibt wunderbare Nachrichten! Du wirst staunen!"
Die Maisonne schien durch das Fenster herein, sie tauchte den Raum und alles, was sich dort befand - Roxanas Mutter, Harry, sein abgewetztes Schaukelpferd, seine Bauklötze und Spielzeugsoldaten, die weiß getünchten Wände, den gebohnerten Eichenfußboden - in ein fröhliches Buttergelb.
Lady Langley sah ihre Tochter, die ihre Haube immer noch nicht abgenommen hatte, kurz an, und ihr konzentrierter Blick verfinsterte sich. "Ich habe es heute Morgen gehört. Und um Himmels willen, Roxana, ich weiß nicht, was schlimmer ist: deine wenig damenhafte Art, die Treppe hinaufzustürmen, oder der Eifer, mit dem du Klatsch weiterverbreitest."
"Klatsch?" Roxana war es gewohnt, dafür gerügt zu werden, dass sie plapperte, wenn sie still sein sollte, oder dafür, dass sie anfing zu kichern, wenn eine Lady höchstens milde lächeln würde. Sie hatte damit gerechnet, für ihre stürmische Art, die Treppe hinaufzulaufen, einen missbilligenden Blick zu erhalten. Aber es als Klatsch zu bezeichnen, wenn ihr Verlobter, der fünf Jahre lang fort gewesen war, nach Derbyshire zurückkehrte? Das fand sie unangemessen streng.
"Ja, Klatsch." Lady Langley nickte nachdrücklich. "Ich mag mir gar nicht vorstellen, wer einer jungen unverheirateten Lady ein so schockierendes Gerücht anvertraut, und ich hoffe inständig, du hast es nicht weitergetragen."
Roxana nahm ihre Haube ab und ihre blonden Locken fielen herab. Dabei hatte sie am Morgen unendlich viele Nadeln in ihr Haar gesteckt. "Aber, was ist denn so schockierend daran, dass George nach Hause kommt? Das sind die tollsten Nachrichten, die ich seit Ewigkeiten gehört habe!"
Lady Langley wippte zurück auf ihre Fersen, schürzte die Lippen und neigte den Kopf zur Seite. "George kommt nach Hause?"
Harry hob den Kopf, obwohl er zu jung war, um sich an persönliche Begegnungen mit George zu erinnern. "Major Wyatt?"
Roxana legte die Hände aufs Herz und schlug sich dabei selbst beinahe mit der Haube vors Gesicht. "Ja, endlich! Er hat die geschäftlichen Angelegenheiten erledigt, die der arme Lieutenant Hoke ihm auf dem Sterbebett anvertraut hatte."
"Wahrscheinlich hat er eher in der Stadt herumgezecht", murmelte ihre Mutter leise, setzte sich wieder auf und begann mit einer weiteren Änderung an Harrys Ärmel.
"George zecht nicht. Ich habe seine Schwester Sophie im Dorf getroffen, und sie sagt, er komme vor Ende der Woche an." Roxana unterdrückte ein sehr undamenhaftes Bedürfnis, vor Freude zu quietschen und überglücklich herumzutanzen. "Er kommt wirklich zurück. Ich werde endlich heiraten!"
Lady Langley seufzte. "Dann freue ich mich für dich, Roxana."
Sie sah nicht aus, als würde sie sich freuen. Sie sah aus, als hätte ihr gerade jemand erzählt, der Speisesaal sei voller Fliegen. Das ergab keinen Sinn, denn George war der attraktivste, mutigste und schneidigste Mann, den Roxana je getroffen hatte, über einen Meter achtzig groß und Major im Fünften Regiment der Dragoon Guards. In jeder Sekunde der insgesamt fünf Jahre, die er fort gewesen war, um in Spanien zu kämpfen, hatten sie sich schmerzhaft nacheinander gesehnt.
Sie tat, was sie konnte, um den unvermeidlichen Streit zu umgehen, zu dem es jedes Mal kam, wenn Georges Name erwähnt wurde. "Aber von dieser Neuigkeit hast du eigentlich nicht gesprochen, oder? Welches Gerücht meintest du denn?"
Ihre Mutter war mit Harrys zweitem Ärmel beschäftigt. "Ach, nicht so wichtig!"
"Was ist passiert? Es muss etwas wirklich Schockierendes sein, wenn du meinst, dass noch nicht einmal ich es hätte hören sollen. Hat einer der Gentlemen aus der Nachbarschaft sich eine Geliebte genommen?"
Lady Langley blickte finster drein und hielt ihrem Sohn mit den Händen die Ohren zu. "Roxana, also wirklich! Nicht vor Harry!"
Aber Roxana vermutete, dass sich ein pikanter Skandal anbahnte. "Ist jemand durchgebrannt? Oder in anderen Umständen?"
Ein verräterisches Zittern lief über Lady Langleys versteinertes Gesicht.
"Das ist es", sagte Roxana. "Jemand ist in anderen Umständen. Wer denn? Natürlich jemand, der eigentlich kein Baby bekommen darf."
Ihre Mutter warf ihr einen ebenso vorwurfsvollen wie resignierten Blick zu und nahm die Hände von den Ohren ihres Sohnes. "Du hast jetzt lange genug stillgestanden, Harry. Sage dem Kindermädchen, dass ich dir dafür, dass du ein so braver Junge warst, eine Makrone versprochen habe." Sie wartete, bis er aus dem Kinderzimmer gelaufen war. "Es ist nicht so wichtig, wer es ist. Das wirst du noch früh genug erfahren, wenn sie es nicht mehr verbergen kann."
"Also hat sie keinen Ehegatten." Roxana ging die Namen der Frauen durch, die am ehesten infrage kamen: Witwen und unverheiratete Frauen von zweifelhaftem Ruf. "Mrs. Corbett? Mrs. Elkins? Mercy Evans?"
"Nein."
"Miss Cole? Die Tochter des Tabakhändlers?"
"Genug!" Lady Langleys Tonfall wurde scharf. "Das geht dich überhaupt nichts an! Außerdem ist es ungehörig und hartherzig, wenn du hier irgendwelche Namen nennst. Ich werde nie verstehen, warum du frivolem Geschwätz so viel Interesse entgegenbringst."
Sie hatte recht. Es war frivoles Geschwätz. Aber war diese Art von Klatsch nicht geradezu unwiderstehlich? Es ging immer um die interessantesten und kultiviertesten Persönlichkeiten - um den Prinzregenten, Beau Brummell, Lord Byron, Caroline Lamb - und ließ diese noch glamouröser erscheinen. Roxana wünschte, nur ein klitzekleiner Teil des Glanzes und der Raffinesse dieser Personen möge auf sie abfärben, natürlich ganz unverfänglich. Da sie mit ihrer wachsamen Mutter auf dem Land lebte, wo es nicht viele Möglichkeiten gab, sich die Zeit zu vertreiben, konnte sie allenfalls Briefe schreiben und morgendliche Besucher empfangen. Was also sollte sie anfangen, außer bei ihren wagemutigeren und weltgewandteren Nachbarn Neuigkeiten aufzuschnappen?
Denn in ihrem eigenen Leben ereignete sich absolut nichts Erwähnenswertes. Riddlefield war ein behagliches und schön gelegenes Herrenhaus, aber auf den Ländereien ihres Bruders wurde genau das Gleiche erzeugt wie auf allen anderen Anwesen der Gegend: Hafer, Erbsen, Bohnen, Hopfen, Heu und Käse. Sie nähte an den gleichen hübschen Sticktüchern herum wie all die anderen jungen Ladys, die sie kannte, pflückte die gleichen Blumen im Garten und las die gleichen Minerva-Press-Romane. Sie hatte keine erwähnenswerten Reisen unternommen, nie eine berühmte Persönlichkeit getroffen, nie eine alte Dame aus einem brennenden Haus oder ein kleines Kind vor dem Ertrinken gerettet. Sie hatte noch nicht einmal, wie die meisten anderen Mädchen, eine Reihe von Flirts oder Verehrern vorzuweisen. Es gab zwar in ihrem Bekanntenkreis viele heiratsfähige Männer, die nicht fortgegangen waren, um gegen Bonaparte zu kämpfen, doch sie war bereits George versprochen.
Nein, sie hatte rein gar nichts Besonderes an sich, es gab nichts Interessantes außer ein wenig Klatsch, der sie von Zeit zu Zeit erreichte. Und natürlich ihre Verlobung, die einzige leuchtende Errungenschaft ihres Lebens, das Einzige, was aus ihr etwas Besonderes machte. Etwas mehr als fünf Jahre lang hatten sie und George einander jede Woche Briefe geschrieben, in denen jeder dem anderen sein Herz ausschüttete. Sie konnte immer noch kaum glauben, dass er sie auserwählt hatte. Und jetzt kam er nach Hause!
Bei diesem Gedanken war ihr so leicht ums Herz, dass sie es wagte, den Unwillen ihrer Mutter auf sich zu ziehen, indem sie weiter nach dem Namen der unglücklichen werdenden Mutter forschte. Dabei schlug sie zwar einen höchst schmeichelhaften Tonfall an und lächelte, dennoch bohrte sie nach. "Es muss sich um ein Mädchen handeln, das wir kennen . Miss Hammond?"
Lady Langleys Gesicht hatte einen zunehmend erzürnten Ausdruck angenommen. Doch als ihre Tochter Miss Hammond erwähnte, wurde sie blass.
"Es ist Miss Hammond!" Oh, sie war nicht älter als Roxana selbst und die Hammonds waren zwar nicht besonders wohlhabend, doch auf jeden Fall sehr angesehen.
"Das habe ich nicht gesagt."
"Nein, aber es steht in deinem Gesicht geschrieben. Susan Hammond in anderen Umständen! Und wer ist der Vater?"
Lady Langley fügte sich ins Unvermeidliche und beantwortete die Frage: "Das weiß keiner!"
"Ich hoffe doch, Miss Hammond weiß es."
"Nun, sie sagt es nicht. Ich nehme an, sie hofft immer noch, sie könne den Halunken überzeugen, zu seiner Verantwortung zu stehen. Und sie möchte vermeiden, dass ihr Vater oder ihr Bruder ihm eine Kugel in die Brust jagen. Ihre armen Eltern können noch nicht einmal sicher...