Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Dorset, August 2014
Erblickte man es vom Weg aus, machte das unbewohnte, von Zaunwinden und Brombeergestrüpp umgebene Haus nicht viel her.
Aber nachdem die beiden Männer das Gewirr aus Feldblumen und Kletterpflanzen, das um das Haus herum wuchs, durchdrungen hatten, kamen sie auf eine Veranda. Die Stufen davor waren schimmelgeschwärzt und morsch. Auf der Veranda stand ein schon ewig nicht mehr benutzter, von Wetter und Seeluft silbrig grün gebleichter Rohrsessel, den die Ranken des rot-grünen Wilden Weins umschlungen hatten und auf den vermodernden Holzdielen festhielten. Unterhalb davon hörte man das leise Schwappen der Wellen auf Kies, und wenn man sich dem Rauschen des Meeres zuwandte, lag Worth Bay vor einem mit dem Bogen des hellen Sandstrands, dem türkisfarbenen Wasser und den weißen Kalkfelsen in der Ferne.
Irritiert betrachtete Dave Nichols, der bei Mayhew & Fine eine Ausbildung als Immobilienmakler machte, Frank Mayhew, der auf dem sandigen Pfad stehen geblieben war und in seiner Tasche nach dem Schlüssel herumfingerte. Der Tag war glühend heiß, die Sonne stach unerbittlich. Eine Mutter und ein kleines Mädchen kamen in ihren Badeanzügen auf dem Weg zum Strand vorbei und schauten sie neugierig an. Dave kam sich albern vor, wie er da in seinem schicksten Anzug vor diesem verfallenen, alten Haus stand.
»Ich verstehe nicht«, meinte er verdrießlich, »warum wir den Wert schätzen sollen, wenn die alte Schachtel es doch nicht verkaufen will.«
Frank stieß einen missbilligenden Laut aus. »Alte Schachtel! Für Sie, Dave, ist das Lady Wilde, und sie hat nicht mehr lange zu leben, also, etwas Respekt, bitte! Passen Sie auf. In ein paar Monaten, wenn sie nicht mehr da ist, wird die Familie wahrscheinlich verkaufen wollen. Offensichtlich liegt ihnen nichts an dem Haus. Und da kommen wir ins Spiel, alles klar?« Er wandte sich der herrlichen Aussicht auf die Bucht zu und warf dann einen Blick auf seinen lustlos und mürrisch dastehenden Praktikanten, den Sohn eines alten Golferfreundes, und seufzte diskret. »Wenn wir es geschickt anstellen, werden wir den Verkauf übernehmen können. Häuser an der Worth Bay, das kommt nicht oft vor. Es gibt ja nur zehn davon. Das Bosky-Haus - das ist ein erstklassiges Objekt direkt am Strand.«
Dave zuckte mit den Schultern. »Es ist eine Ruine«, sagte er und starrte auf die Zaunwinden und die Algen an den Fenstern. »Schauen Sie sich den Holzboden an! Würde mich nicht wundern, wenn er durch und durch morsch wäre.«
»Den meisten Käufern ist das egal. Sie reißen es ab und stellen was Neues hin.« Frank zog die Winde und die vertrockneten Rosenzweige weg, schob den Schlüssel ins Schloss und drückte angestrengt gegen die Tür. »Es macht mich ganz traurig, es so zu sehen, um ehrlich zu sein. Wie muss das erst für Lady Wilde sein, in dem Altenheim dort vorn eingesperrt zu sein, den ganzen Tag rauszuschauen und das vor Augen zu haben - ich kann's mir nicht vorstellen. Verdammt noch mal, die steckt fest. Na los, komm schon .« Er warf sich mit seinem rundlichen Körper gegen den Türrahmen. Aber es tat sich nichts. Frank trat zurück und blickte durch eines der Fenster mit den geschlossenen Läden. »Hm .«, sagte er, auf den Fersen wippend, und stieß plötzlich einen lauten, empörten Aufschrei aus.
Dave, der sich die Aussicht ansah, wandte sich erschrocken um. Frank war dreißig Zentimeter tief eingesunken, die Holzdielen lösten sich einfach auf, als seien sie aus Butter.
Frank musste ein Lachen unterdrücken und hielt dem älteren Mann seinen Arm hin, während der sich mühsam aus dem Loch hochzog.
»Das werde ich Lady Wilde selbst erklären.« Frank strich sich das wirre Haar glatt. »Also, helfen Sie mal mit. Mit 'nem bisschen mehr Schmackes wird sie schon aufgehen. Hau ruck .« Gemeinsam warfen sie sich gegen die Tür, die mit einem traurigen Krachen nachgab, und die beiden Männer taumelten ins Haus.
Während der warme, modrige Geruch in dem dunklen Haus sie in der Nase kitzelte, schaltete Frank seine Taschenlampe an und leuchtete den Flur aus. Von der Decke löste er den Trieb einer vertrockneten Pflanze ab.
»Na ja«, bemerkte er leise. »Hier sind wir.«
Dave atmete die muffige Luft ein. »Parfüm. Ich rieche Parfüm.«
»Ach, Unsinn«, sagte Frank, aber er erschauerte. Diese Luft war seit Jahren von niemandem mehr eingeatmet worden, aber es haftete ihr etwas an.
Gleich links von ihm befand sich eine Garderobe, vor ihm eine Treppe, die zu den Schlafräumen im Untergeschoss führte. Rechter Hand lag die Küche und links das Wohnzimmer mit bodentiefen Fenstern, durch die man auf die Veranda zurückkam.
»Machen wir die doch mal auf«, sagte Frank und ging in die Küche, wo er die verblichenen, sandfarbenen Vorhänge zurückzog, deren ursprüngliche Farbe längst vergessen war. In der Ecke des Raums zur Veranda hin war ein Fensterplatz mit verblassten, gelb-grau karierten Überzügen, auf denen die toten Fliegen und Wespen eines Jahrzehnts verstreut lagen. Die Pantry-Küche, deren Fenster auf den Weg hinausgingen, war im hinteren Teil des Hauses.
Die Regale waren leer, es gab kein Anzeichen, dass einmal jemand hier gewohnt hatte.
Frank legte mehrmals einen Schalter um. »Nein, überhaupt nichts.« Er schnupperte. »Ich rieche auch irgendwas. Ein Duftstoff oder Blumen oder so etwas.« Er schüttelte sich. »Gut. Öffnen wir die Fenster. Wir lassen mal frische Luft und Licht herein, inzwischen können wir runtergehen und die Schlafzimmer ausmessen.«
Aber die Fensterrahmen waren zu aufgequollen von der Feuchtigkeit, sodass sie nach einer Minute vergeblicher Versuche beide aufgaben und in den Flur zurückkehrten.
Dave fragte: »Die Schlafräume sind unten?«
»In dem Haus ist alles umgekehrt. Die Wohnräume sind alle hier oben und gehen aufs Meer hinaus. Schlafzimmer sind zum Schlafen da, es ist egal, wo man von dort hinschaut.« Frank fuhr mit der Hand am Geländer entlang.
»Eine gute Idee. Als Junge habe ich davon geträumt, so ein Haus zu haben.«
Dave blickte ihn fragend an. »Sie haben sie gekannt?«
»Jeder kannte sie«, antwortete Frank. »Die waren was Besonderes, die Wildes.« Er ließ den Strahl der Taschenlampe an der holzgetäfelten Wand hochwandern, und beide Männer fuhren zusammen, als ihnen plötzlich ein Gesicht entgegenschaute. Frank fasste sich zuerst. »Es ist nur ein Foto«, erklärte er mit leicht zittriger Stimme.
Das Bild an der Wand schimmerte in der Dunkelheit. Es zeigte eine Frau mittleren Alters mit einem Schlapphut und einer großen Nase; breit lächelnd ließ sie eine Krabbe zwischen Zeigefinger und Daumen baumeln.
»Sie sieht aus wie eine Hexe«, fand Dave.
Die Taschenlampe in Franks Hand ruckelte plötzlich, und das Licht fiel auf zwei weitere Gesichter.
»Wer sind diese Leute? Was - was in aller Welt ist das alles?«, fragte Dave schließlich.
Frank ließ das Licht der Lampe langsam weiterwandern und die Wände anstrahlen, und aus den Rahmen starrten ihnen weitere Gesichter entgegen. Lachende Gesichter, solche, die Grimassen schnitten, höflich lächelten, Gruppen von Menschen, die Gläser hielten und anstießen, tanzende Kinder und noch mehr Gesichter, manche in Farbe, die meisten schwarz-weiß. Dazwischen hingen auch Poster und Zeitungsausschnitte.
»Das sind sie«, sagte Frank und deutete darauf. »Die waren schon was Besonderes, oder?«
Dave betrachtete das Foto, das neben ihm hing. Eine schöne Frau mit tizianrotem Haar hatte zwei Mädchen auf dem Schoß, eins blond, das andere dunkelhaarig. Eine Gruppe Erwachsener saß entspannt auf der Veranda, alle hielten Gläser und Zigaretten in den Händen. Zwei kleine Kinder tanzten lachend auf einem Strand, ein Junge und ein Mädchen. Weitere Gruppen lächelnder Menschen. Der Mann und die Frau, stets elegant gekleidet, waren auch auf den Zeitungsausschnitten zu sehen. Auf einem Foto hielten sie sich an den Händen und lachten, wobei die Frau sich leicht einer Gruppe von Zuschauern zugewandt hatte und mit der anderen Hand winkte. Dave ließ den Blick über die Fotos schweifen. Mit der Taschenlampe leuchtete er erst eins, dann das andere an, auf der Suche nach ihr.
Reglos starrte er sie an. Sie war die schönste Frau, die er je gesehen hatte.
Dave hielt sein Handy vor den Text und konnte nur mit Mühe entziffern: »>Anthony Wilde und seine Gattin Althea kommen zur Premiere von Macbeth am Royal Court Theatre an. Applaus und Vorhänge dauerten zehn Minuten, und es gab Standing Ovations der begeisterten Menge für Mr Wilde.< Also gut.« Er wandte sich wieder Frank zu und griff in seinen Aktenkoffer. »Wer zum Teufel sind die denn?«
»Ich kann nicht glauben, dass Sie nie von Anthony Wilde gehört haben«, sagte Frank und richtete seinen Laserentfernungsmesser auf die Wände. »Zwei Komma vier Meter. Der großartigste Schauspieler seiner Zeit. Und das ist Althea Wilde, seine Frau. Sie müssen von ihr gehört haben. Sie hat in Hartmann Hall mitgespielt. Lady Isabella?«
Dave schüttelte den Kopf. »Nee.«
»Ach Gott. Wie können Sie bloß Hartmann Hall nicht kennen? Es kam größer raus als Downton und war besser.« Frank seufzte. »Und wie steht's mit On the Edge? Die Sitcom über die alte Dame, die mit ihrem Spiegel spricht? Das war sie auch.«
»Vielleicht erinnert Sie das an etwas.« Dave schaute sie noch einmal an, den langen Hals, die etwas zu große Nase, die feuchten grünen Augen mit nussbraunen Einsprengseln. Sie blickte ihn direkt an, nur ihn, in dem dunklen Haus. Er schwenkte das Licht seiner Lampe weg von ihr. Plötzlich wurde es ihm zu viel.
»Sie wurden die...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.