Schweitzer Fachinformationen
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Meine Kindheit war geprägt von dem, was man heute wohl eine "Patchwork-Familie" nennt, wobei mich das damals weder interessierte noch irgendwie beeinträchtigte. Ich war das jüngste von vier Kindern. Meine älteste Schwester Laura und mein Bruder John entstammten der ersten Ehe meines Vaters mit einer wunderschönen Frau namens Susan, die an einer Gehirnblutung gestorben war, als sie noch sehr klein waren. Ich erinnere mich noch sehr lebhaft an ein Porträtfoto von Susan, das in unserem Haus in Murrumbeena, einem Vorort von Melbourne, hing und auf dem sie wie ein Filmstar aussah. Mein Bruder hat dieses Foto noch, und wenn ich es ansehe, dann muss ich sofort wieder an unser altes Haus und die Zeit damals denken. Es ist ein warmes, schönes Gefühl und erinnert mich an eine Zeit, in die ich mich oft zurücksehne.
Meine andere Schwester Judy ist fünf Jahre älter als ich und damit altersmäßig mir am nächsten. Sie stammt aus der ersten Ehe meiner Mutter Norma. Als Jüngster wurde ich sehr verwöhnt, und wahrscheinlich machte ich Judy das Leben zur Hölle, wofür ich mich heute in aller Form entschuldigen möchte. Der erste Mann meiner Mutter, Bud Mintovich, kam in Australien als Sohn einer russisch-jüdischen Familie zur Welt. Als sie heirateten, diente er in der Royal Australian Navy und war, wie auch meine Mutter, erst 19. Sie waren gerade mal zwei Monate verheiratet und meine Mum war mit Judy schwanger, als Bud an Bord der HMAS Bataan Richtung Okinawa ablegte. Die Bataan lag dort im Hafen, als am 25. Juni 1950 der Koreakrieg ausbrach, und das Schiff wurde der amerikanischen Marine überstellt. Bud kam die nächsten 15 Monate nicht nach Hause. In dieser Zeit erlebte er die Landung der UN-Truppen bei Pohang-Dong mit, patrouillierte in der Straße von Korea, war an zahlreichen Blockaden und Feuergefechten beteiligt und kam tagtäglich unter Beschuss.
Als Bud zurückkam, hatte er sich sehr verändert. Der Krieg hatte ihn gezeichnet. Er war angespannt und in sich zurückgezogen, hatte mit knapp 21 schon eine zehn Monate alte Tochter und wohnte bei seinen Schwiegereltern. Als Bud nach Darwin versetzt wurde, weigerte sich mein Großvater, meine Mutter und meine Schwester mit ihm gehen zu lassen, und die Ehe zerbrach. Dass in dieser Zeit trotzdem immer wieder gute Laune im Haus herrschte, war einigen Kindern aus der Parallelstraße zu verdanken; ein neunjähriger Junge und seine 13-jährige Schwester kamen jeden Tag vorbei, um "Mr. und Mrs. Whit" und das Baby zu besuchen. Dabei hatten die Kinder selbst eine Aufheiterung bitter nötig, denn erst kurz zuvor hatten sie ihre Mutter Susan verloren. Und so wuchsen unsere Familien zusammen. Dass es sich bei meinen Geschwistern genau genommen um Stiefbruder, Stiefschwester und Halbbruder handelt, hat mich nie interessiert, für mich waren sie einfach nur mein Bruder und meine Schwestern. Sie sind meine Familie, ganz einfach.
Man kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass ich nicht gerade in besten Verhältnissen aufwuchs. Während meiner Jugend wohnte meine Familie lange Zeit im Apartment 56 einer Siedlung in South Yarra, dem so genannten Horace Petty Estate. Hinter diesem ziemlich hochtrabenden Namen verbarg sich ein Haufen echter Bruchbuden. Ich selbst nannte unseren Block das Prahran Hilton, und bei meinen Freunden war unsere Wohnung als Club 56 bekannt. Die Siedlung bestand aus drei zwölfstöckigen Hochhäusern und etwa 30 vierstöckigen Wohnblöcken. Es handelte sich um Fertigbauten aus Beton, die man wie Kartenhäuser zusammengekloppt hatte. Im Sommer war es stinkend heiß, und im Winter fühlte man sich wie in einer gigantischen Kühlbox. An einem stickigen Dezembertag hatte man vielleicht Glück, und eine kühle Brise pfiff durch die Ritzen, aber sobald sich die Betonplatten abkühlten, zogen sie sich leicht zusammen und verkanteten sich. Dann gab es stets ein knackendes Geräusch, und gelegentlich traten Risse auf. Es war kein besonders beruhigendes Gefühl, wenn man oberhalb des Erdgeschosses wohnte.
In der Zeitung las ich einmal einen Artikel über die Projekte der Wohnungsbaugesellschaft, die für diese Siedlung verantwortlich war, illustriert mit einer Luftaufnahme des Hilton. Die Schlagzeile lautete: "Horace Petty Estate - ein Beispiel für verfehlte Sozialplanung". Na großartig!
Für unsere Familie war der Umzug von Murrumbeena nach Prahran trotzdem ein großer Schritt. Das Haus in Murrumbeena war zwar nicht völlig verwahrlost, aber doch ziemlich renovierungsbedürftig, und selbst einfachen Komfort wie warmes Wasser, Teppiche oder eine Toilette im Haus gab es nicht. Allerdings war es billig, das war wohl der einzige Vorteil. John und ich teilten uns einen ausgebauten Wintergarten im ersten Stock, der auf die Murrumbeena Road und zum Bahnhof hinausging. Nachts wurde er von einer riesigen Leuchtreklame von Sennett's Ice Cream erhellt, die von einem Vordach aus direkt in mein Fenster schien. Sie stellte einen Eisbären dar, und das Summen und Knistern der Neonröhren wiegte mich regelmäßig in den Schlaf.
Im Winter war es ziemlich passend, dass ein Eisbär vor meinem Zimmer lebte, denn dann war es im Haus so kalt wie am Nordpol. Ich lag eingemummelt in einem Schlafanzug, dicken Socken, Fußballhemd und Mütze unter den Decken und zitterte, während draußen der blöde Bär summte. In besonders kalten Nächten wachte ich manchmal auf, weil meine Beine unterhalb der Knie taub waren und meine Hände wie verrückt schmerzten.
Dann geriet meine Familie in Schwierigkeiten. Mein Vater hatte als Verkäufer in einem Möbelgeschäft auf der Chapel Street in Prahran gearbeitet, verlor aber seinen Job, weil er wegen Körperverletzung angezeigt worden war. Ein Polizist beklagte einen gebrochenen Arm, einen gebrochenen Kiefer sowie ein paar üble Bisswunden am Hintern. Zumindest an denen war allerdings nicht mein Dad schuld, sondern unser treuer Familienhund Chris.
Mein Bruder John hatte mit zwei Freunden vor der Milchbar nebenan herumgelungert (die, für die der Eisbär summend Werbung machte), und der Polizist hatte sie aufgefordert, woanders hinzugehen. Ein Wort gab das andere, und schließlich schlug der Bulle Johns Kopf gegen eine Mauer. In diesem Augenblick kam mein Vater mit Chris dazu; eine eher unglückliche Fügung für den übereifrigen Gesetzeshüter. Die Klatschtante der Nachbarschaft bekam das mit und machte später eine Aussage. Dad wurde festgenommen, und die ganze Story prangte schließlich auf der Titelseite der Melbourner Zeitungen. Als Sir Maurice Nathan, der Geschäftsführer des Prahraner Möbelladens, von der Sache Wind bekam, wurde Dad sofort vor die Tür gesetzt, weil er damit "ungeeignet für den täglichen Umgang mit Kunden" war.
Mein Vater, John und seine beiden Freunde wurden alle wegen Körperverletzung vor Gericht gebracht - Chris, der Hund, kam davon. Auf den Rat eines gut betuchten Freundes hin engagierten wir Sir Frank Galbally, den besten Strafverteidiger der damaligen Zeit. Die vier wurden schuldig gesprochen, bekamen eine happige Geldstrafe aufgebrummt und zwei Jahre auf Bewährung. Die Verteidigung war noch dazu enorm teuer, aber glücklicherweise übernahm besagter Freund, der uns den Anwalt vermittelt hatte, die Kosten und zahlte auch die Strafe.
In dieser Zeit zogen wir um, ein paar Stadtteile weiter in den Norden. Unsere nagelneue Dreizimmerwohnung lag im vierten Stock eines Hauses ohne Fahrstuhl in South Yarra. Es gab aber nun endlich warmes Wasser und eine Heizung, und Dad besorgte Teppiche und neue Möbel, was uns das Gefühl gab, eine Sprosse auf der Gesellschaftsleiter emporgeklettert zu sein. Zum richtigen sozialen Aufstieg fehlte uns nur noch ein Telefon, aber zu einer solchen Anschaffung ließ Dad sich dann doch nicht bewegen. "Wer was von uns will, kann vorbeikommen und klopfen", pflegte er zu sagen.
Außerdem lautete unsere Adresse nun South Yarra und nicht Prahran, und das war eine ziemlich große Sache. South Yarra war (und ist) eine ziemlich noble Gegend von Melbourne, aber unser neues Zuhause, der Horace Petty Estate, lag in ihrer äußersten und dreckigsten Ecke. Wenn man gefragt wurde, wo man wohnte, und dann South Yarra sagte, dann hielten einen die Leute zunächst mal für einen feinen Pinkel. Wenn sie dann allerdings kapierten, dass man in den Wohnsilos im Süden zu Hause war, wurde man doch schnell wieder als Ghettokind abgestempelt.
Ganz in der Nähe unserer neuen Wohnung lag ein Schwimmbad, das nach dem damaligen australischen Premierminister Harold Holt benannt war - auch eine etwas unglückliche Bezeichnung, wenn man bedenkt, dass Holt 1967 im Meer baden ging und nie wieder an Land kam.
Als wir umzogen, beschloss ich, trotzdem auf meiner alten Schule zu bleiben, der Murrumbeena State School. Meine Eltern ließen mich gewähren; wenn ich bereit sei, jeden Morgen den langen Weg allein zurückzulegen, dann ginge das in Ordnung. Außerdem konnte ich jeden Morgen zusammen mit Dad bis zum Bahnhof gehen, und das war großartig, weil ich ihn für kurze Zeit für mich allein hatte und wir gute Gespräche führten. Leider ging das nicht allzu lange, weil es gesundheitlich mit ihm bergab ging. Er hatte zwar wieder einen Job gefunden, erst in der Nachtschicht beim Autozulieferer Repco, dann in der Möbelabteilung des Kaufhauses Foy in der Innenstadt, aber er musste die Arbeit schließlich aufgeben. Ich nahm morgens den Zug von Hawksburn Station, fuhr sechs Haltestellen weit und lief dann die Hobart Road hinunter zur Schule, die halbe fünfte und die ganze sechste Klasse lang. Die Zugfahrt...
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