Schweitzer Fachinformationen
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KAPITEL
1
Mein Name ist Elizabeth Tucker. Meine Mutter nennt mich Elizabeth, aber für alle anderen bin ich, so lange ich zurückdenken kann, immer nur Lizzy gewesen. Und soweit ich mich erinnern kann, habe ich auch schon immer Kuchen gebacken, am allerliebsten Cupcakes. Nach der Highschool schrieb ich mich an der Johnson & Wales University in Rhode Island für das Fach »Culinary Arts« ein, um die hohe Kunst des Kochens und Backens zu erlernen und danach als Pâtissier in einem dieser supertollen Restaurants arbeiten zu können. Ich war unter den Besten meines Jahrgangs und hätte sogar eine Spitzennote kriegen können, wenn mir die Bratensoße nicht misslungen wäre. In meiner Soße waren leider Klumpen - was wiederum für mein ganzes Leben irgendwie bezeichnend ist. Nicht alles ist missglückt, aber alles ist auch nicht immer glattgelaufen.
Ich wuchs in Virginia auf, und als ich in der dritten Klasse war, verpasste mir Billy Kruger den Spitznamen Hakennase, der mich durch meine gesamte Grundschulzeit begleitete. Meine braunen Augen und meine markante Nase hatte ich von Grandpa Harry geerbt. Die Nase war zwar nicht gerade schön, aber ich fand, es hätte schlimmer kommen können, denn Billy Krugers Spitzname war Hosenpupser.
In der achten Klasse machte ich in einem Anfall törichter Neugierde mit Ryan Lukach rum, und der Idiot erzählte überall herum, dass ich einen ausgestopften BH tragen würde. Ich meine, dafür muss man doch ein wenig Verständnis aufbringen. Schließlich war ich eine Spätentwicklerin. In Wahrheit war der BH mit so vielen Papiertaschentüchern gepolstert, dass ich gar nicht bemerkte, wie er mich befummelte.
Während meines Studiums verlobte ich mich dann mit meinem Kommilitonen Anthony Muggin. Zwei Wochen nach dem Examen und eine Woche vor der Hochzeit wurden Anthony und sein Onkel Gordo beim Diebstahl eines mit Rinderhälften beladenen Kühllastwagens erwischt. Das stellte sich als Glücksfall heraus, denn nachdem ich Anthony im Gefängnis besucht und ihm den Ring zurückgegeben hatte, tröstete ich mich schluchzend mit einigen Gläsern Wodka, fiel im Vollrausch vom Klo, krachte gegen das Waschbecken und brach mir die Nase. Als sie mich zusammengeflickt hatten, war ich den Spitznamen Hakennase los.
Jetzt habe ich die hübscheste Nase in der ganzen Stadt, und meine Brüste sind mittlerweile auch gewachsen. Sie sind zwar nicht besonders groß, aber besser als gar nichts, und sie sind, wie man mir versicherte, fest und keck. Keck klingt gut, oder?
Im Januar, drei Tage nach meinem achtundzwanzigsten Geburtstag, erbte ich ein Haus von meiner exzentrischen Großtante Ophelia. Das Haus steht in Marblehead, nördlich von Boston. Also räumte ich mein Bankkonto ab, um die Steuern für das Haus bezahlen zu können, kündigte meinen Job in einem Restaurant in Manhattan und zog in Ophelias alten Kasten ein. Wahrscheinlich wäre es das Klügste gewesen, das Haus zu verkaufen, aber ich bin nicht bekannt dafür, immer kluge Entscheidungen zu treffen. Und in New York hatte es mir ohnehin nicht gefallen. Die Arbeitszeiten in dem Restaurant waren grauenhaft, das Betriebsklima war vergiftet, und der Küchenchef konnte Cupcakes nicht ausstehen.
Seit fünf Monaten lebe ich nun in meinem neuen Zuhause in Marblehead und arbeite als Kuchenbäckerin bei Dazzle's Bakery in Salem, eine Ortschaft weiter. Die Bäckerei ist schon seit den Zeiten der Puritaner im Besitz der Familie Dazzle und wird nun von Clarinda Dazzle geführt. Sie lebt in einer Wohnung über der Bäckerei, ist zweimal geschieden, geht auf die vierzig zu und sieht aus wie Cher an einem freien Tag. Clara ist eins fünfundsechzig - also so groß wie ich -, wirkt aber größer. Ich glaube, das liegt an ihrem Haar. Claras Haar ist schwarz und von grauen Strähnen durchzogen - und wäre es glatt, würde es ihr bis auf die Schultern reichen. Doch der gewaltige, widerspenstige Lockenschopf bedeckt nur knapp ihre Ohren und scheint vor Energie zu sprühen. Manchmal bindet Clara ihr Haar auch zu einem schlampigen Knoten zusammen. Sie hat stechende blaue Augen, und ihre Nase und ihren Mund verdankt sie angeblich indianischen Vorfahren mütterlicherseits, die dem Stamm der Wampanoag angehörten. Ich bin bei Weitem nicht so exotisch. Meine Vorfahren stammen aus Österreich und Dänemark und haben mir dünnes blondes Haar und einen Körper vererbt, der sportlicher aussieht, als er tatsächlich ist.
Es war Dienstagmorgen, die Junisonne schien hell über Salem, und Clara und ich backten bereits seit fünf Uhr morgens. Ich trug meine übliche Kluft - Laufschuhe, Jeans, ein T-Shirt und einen weißen Kittel. Ich hatte mein Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und war mit Mehl und Puderzucker bestäubt. Die Welt war in Ordnung, nur Clara war aufgebracht. Es war acht Uhr, Zeit, den Laden zu öffnen, und unsere Verkaufskraft Gloria Blinkly war noch nicht erschienen.
»Herrgott noch mal«, schimpfte Clara. »Ich hab schließlich kein Heer an Ersatzkräften. Hier gibt es nur dich und mich und Glo. Wie sollen wir alles gebacken kriegen, wenn wir ständig nach vorne laufen müssen, um Muffins zu verkaufen? Wo zur Hölle steckt sie?«
Wir standen in dem großen vorderen Raum, in dem die Backwaren verkauft wurden. Auf dem Boden lagen breite Kiefernbohlen, die Wände waren ungleichmäßig verputzt und schief. Der Verkaufsraum war in einem annehmbaren Zustand, wenn man bedachte, dass er aus der Zeit der Salemer Hexenprozesse stammte. Die Vitrinen bestanden aus altmodischen, mit dunklem Holz eingefassten Glasscheiben und enthielten im Moment einige Zimtrollen, vier verschiedene Sorten Muffins, Mandeltörtchen und Apfelstrudel. Die Brote lagen in Drahtkörben an der Wand. Der verbleibende Platz hinter der Glasscheibe war für meine Cupcakes vorgesehen. Die Registrierkasse stammte aus dem Jahr 1920. Immerhin war das Kreditkartengerät auf dem neuesten Stand der Technik.
Ein schnittiger, tief liegender schwarzer Wagen fuhr vor, und ein Mann stieg aus. Er war gut eins achtzig groß und hatte sein schulterlanges, schwarz glänzendes Haar aus dem Gesicht gestrichen. Seine Haut war gespenstisch blass, und seine Augen waren so schwarz wie sein Haar. Er trug einen perfekt geschnittenen schwarzen Anzug und ein schwarzes Hemd.
Als er auf die Bäckerei zukam, begann meine Haut zu kribbeln, und mir wurde ganz heiß. »Heiliger Bimbam«, stieß ich hervor.
»An dem Kerl ist nichts heilig«, erwiderte Clara.
Der Mann blieb einige Zentimeter vor der Ladentür stehen und starrte zu mir herein. Sein Mund war sinnlich und ernst. Er musste in etwa in meinem Alter sein und war auf unheimliche Weise attraktiv. Er hob eine Hand und bedeutete mir mit einem gekrümmten Finger, zu ihm zu kommen.
»Glaubst du, er will einen Muffin?«, fragte ich Clara.
»Entweder das oder deine Seele.«
Ich ging zur Tür, öffnete sie und spähte zu ihm hinaus. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Das wird sich noch zeigen«, erwiderte er. »Ich werde wiederkommen, wenn ich dich brauche. Bis dahin sollst du mich nicht vergessen.«
Er legte kurz eine Fingerspitze auf meinen Handrücken, und als er seinen Finger zurückzog, sah ich eine Brandwunde, auf der sich eine Blase bildete. Ich stolperte zurück und schlug ihm die Tür vor der Nase zu. Der Mann in Schwarz drehte sich auf dem Absatz um, stieg in die Protzkarre, ließ den Motor aufheulen und fuhr davon.
»Was zum Teufel war das?«, fragte ich Clara und starrte auf meine Hand.
»Ich habe Angst«, erwiderte Clara. »Und das will schon etwas heißen, wenn man sein ganzes Leben in Salem verbracht hat.«
Ich hasse es, wenn mir jemand Angst macht. Solche Situationen vermeide ich, wann immer ich kann. »Ich werde mir einreden, dass es nur ein Insektenstich ist«, erklärte ich Clara. »Vielleicht von einer kleinen, aber sehr giftigen Spinne.«
»Ja«, stimmte Clara mir zu. »Du hast sicher recht. Und du hast die Spinne nur nicht gesehen.«
Um zehn Minuten nach neun sprang die Tür krachend auf, und Glo stürmte atemlos herein.
»Ich weiß, ich komme zu spät, aber ihr werdet nicht glauben, was ich hier habe!« Sie knallte ihre schwarze Stofftasche auf die gläserne Ladentheke. »Ich bin an diesem unheimlichen Laden in der Essex Street vorbeigegangen, in dem sie diese verwunschenen Bratpfannen und Gläser mit Molchaugen verkaufen, und hatte plötzlich ein ganz merkwürdiges Gefühl. Es war beinahe so, als würde mich etwas in den Laden ziehen.«
Glo ist Single wie ich, vier Jahre jünger als ich und ein paar Zentimeter kleiner. Sie hat kurz geschnittene rote Locken, Sommersprossen, eine schlanke, perfekte Durchschnittsfigur und trägt bevorzugt schwarze und olivgraue Klamotten. Heute hatte sie sich für schwarze Stiefeletten, eine schwarze Strumpfhose, einen kurzen, schwingenden schwarzen Rock, ein olivfarbenes T-Shirt und eine Jeansjacke entschieden.
Clara richtete ihren Blick auf Glo. »Als du letztes Mal zu spät dran warst, hast du behauptet, du wärst von einem Brückentroll überfallen worden.«
»Okay, in Wahrheit war das Mr Greber, und der war so betrunken, dass er in meine Arme gestolpert ist, aber das hier ist was ganz anderes, das schwöre ich! Es ist Schicksal. Erinnert ihr euch, dass ich immer schon dachte, etwas Besonderes zu sein? Ein Wesen aus der magischen Welt?«
»Nein«, erwiderte Clara.
»Nun, zunächst einmal habe ich eine Narbe auf meiner Stirn, die aussieht wie ein Blitz. Genau wie Harry Potter.«
Clara und ich betrachteten Glos Stirn.
»Sie hat entfernte Ähnlichkeit mit einem Blitz«, meinte Clara. »Woher hast du sie?«
»Ich bin gegen einen Sofatisch geknallt, als ich sechs war.«
»Ich bin nicht sicher, ob das zählt«, zweifelte Clara.
Glo fuhr mit einem Finger...
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