Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Berlin
Redaktionsbüro Global News, Friedrichstraße
»Interessiert mich nicht«, bellte Flori. »Ich will wissen, ob die jetzt schwanger ist oder nicht.« Er gab Martin, der eben das Aquarium betreten hatte, mit einer knappen Geste zu verstehen, dass er sich setzen sollte. Martin ließ sich vorsichtig auf dem Stuhl vor dem gigantischen Tisch nieder, der mit Zeitungen, Papier, CDs, DVDs und Visitenkarten überhäuft war und aus dem hier und da eine Kaffeetasse und ein oder zwei angebissene Donuts hervorragten.
»Was?«, rief Flori. »Die hat zugenommen? Ihr werdet doch wohl rausfinden, ob die jetzt zugenommen hat oder wirklich schwanger ist!« Er kratzte sich am Kopf und schaute aus dem Fenster auf die Friedrichstraße hinunter. »Ja, das ist doch gerade der Skandal. Hast du's endlich kapiert. Genau, wie soll so eine Drogentussi ein Kind aufziehen?« Er blätterte durch ein paar Seiten.
Interessiert blickte Martin auf den riesigen Ventilator auf Floris Fensterbank, der volle Kraft blies und ein ums andere Mal Dutzende von Notizblättern und zerknitterten Zetteln von Floris Schreibtisch Richtung Fußboden fegte, ohne dass Flori davon irgendeine Notiz nahm. »Das ist kein Lebenslauf, was ich hier habe, das ist 'ne Polizeiakte«, schnappte Flori. »Also, beweg deinen Arsch und finde raus, ob sie wirklich schwanger ist.« Er hörte ein paar Sekunden zu.
»Was? Wenn sie es nicht ist? Dann behaupten wir es halt so lange, bis sie es ist. Was?« Er schaute Martin kurz an, während er weiter mit dem Anrufer stritt. »Passt nicht zu den Fakten?« Er atmete tief ein. »Schlecht für die Fakten!«
Er ließ den Hörer krachend auf die Gabel fallen und sich selbst schnaufend auf seinen riesigen, schwarzen Lederstuhl. Von dort aus durchbohrte er Martin geschlagene dreißig Sekunden lang mit seinen Blicken.
»Martin Fischer«, sagte er schließlich in einem Ton, der jedem Bewährungshelfer gut zu Gesicht gestanden hätte.
Martin versuchte, nicht auf dem Stuhl hin und her zu rutschen oder seine Hände zu bewegen. Ebenso wusste er nicht, was er darauf antworten sollte, bis auf Ja, der bin ich, aber das wusste das Fass wohl selbst. Also sagte er erst einmal gar nichts, was auch nicht verkehrt war, da die Worte schon aus Floris Mund heraussprudelten.
»Sie wollen nicht immer nur Sensationsjournalismus machen? Wollen auch mal die weite Welt sehen? Hä?«
Martin wusste nicht, ob er da gerade in eine Falle tappen sollte, in der jede Antwort falsch sein könnte, da sprach Flori schon weiter. »Wie wäre es mit Afrika?«
Das hatte Martin nicht erwartet. Das klang nach Abenteuer, nach großer, globaler Reportage. Nach Öl und Rohstoffen, Hunger und Elend, aber auch wundervollen Landschaften. Es klang aber auch ein bisschen gefährlich. Gefährlicher jedenfalls, als von New York aus über das Weltbank-Treffen zu berichten. Aber es war in jedem Fall internationaler, als in Tegel wegen irgendwelcher B-Promis auf der Lauer zu liegen.
»Ja, gerne«, antwortete er.
»Gut. Sie wollen nach Afrika? Sie können nach Afrika.«
Er kramte aus dem Stapel von Papier einen Klemmhefter heraus, öffnete ihn und hielt Martin ein Foto unter die Nase.
»Kennen Sie die?«
Martin blinzelte auf das Foto. Eine braunhaarige, etwas ältere Dame.
»Dian Fossey«, sagte Flori nach ein paar Sekunden. Als von Martin noch immer nichts kam, sprach er weiter. »Gorillas im Nebel? Davon schon mal gehört?«
»Klar«, entgegnete Martin jetzt. »War das nicht so ein Bestseller in den achtziger Jahren?« Er erinnerte sich dunkel.
»Allerdings.« Flori nickte. »Habe ich auch nie verstanden, warum das damals so hip war. Überhaupt, die Achtziger. Das Wasser steht der Welt mal wieder bis zum Hals, Sowjets und Amis rüsten sich tot, Gaddafi spielt tollwütiger Hund, und Tschernobyl fliegt in die Luft. Und was machen die Leute? Sie interessieren sich auf einmal für Berggorillas in einem Land, das sie wahrscheinlich niemals sehen werden.«
»Ist das nicht irgendwo in Ruanda?«, fragte Martin.
»Virunga-Nationalpark.« Flori stopfte sich einen alten Donut in den Mund. »Zwischen Kongo und Ruanda, genau genommen. Waren Sie schon mal dort?«
»Leider noch nicht.«
»Aber ihr Kollege Bernd war schon einmal dort«, sagte Flori. Er stand auf, und Martin sah, wie sich Floris weißes Hemd beachtlich über seinem Bauch spannte. In dem Moment erinnerte er ihn an ein weißes Sanitätszelt. »Und wissen Sie was? Er nimmt Sie mit!«
Martins Züge hellten sich auf. Er sah schon am Horizont die große, internationale Reportage über . ja, über was eigentlich?
»Worum wird es gehen?«, fragte er.
»In diesem Jahr wird Fossey achtzig Jahre alt. Oder wäre achtzig Jahre alt geworden.« Er schaute aus dem Fenster. »Sie wissen ja, sie ist 1985 mit erschlagenem Schädel in ihrem Camp Karisoke in Ruanda gefunden worden. Manche sagen, sie wäre von Wilderern aus dem Kongo ermordet worden, die die Berggorillas lieber an reiche Japaner verkauft hätten.«
»Und komisch ist ja auch, dass sie in ihrer Hütte ermordet wurde«, sagte Martin. »Im Wald wäre es einfacher gewesen.«
»Das ist wahr. Es scheint auch einen Kampf in der Hütte gegeben zu haben, angeblich hat Fossey auch noch zu ihrer Pistole gegriffen, hatte da aber die falsche Munition drin.«
»Ich habe gehört, dass sie der Ausschlachtung der Gorillas als Touristenattraktion im Wege war«, sagte Martin.
Flori zuckte die Schultern. »Möglich. Andere sagen, es wäre ein Suizid gewesen. Umstritten war Fossey allerdings schon zu Lebenszeiten.« Er drehte sich zu Martin um.
»Für die einen war sie die selbstlose Retterin der Berggorillas, der erste Mensch, dem eine echte Kontaktaufnahme zu den Menschenaffen gelang. Ich bin da etwas skeptisch, ob so was geht, aber sollen die Leute glauben, was sie wollen. Ich habe letztens gelesen, dass manche auch glauben, sie hätten ein Verhältnis zu ihrer Katze aufgebaut. Egal!« Er stemmte die Hände in die Hüften. Draußen fuhr mit ohrenbetäubender Lautstärke ein Feuerwehrauto vorbei. »Wieder so ein Asozialer, der beim Rauchen eingeschlafen ist«, sagte Flori und schaute blinzelnd aus dem Fenster. Dann kam er zurück zum Thema. »Andere beschreiben Fossey als unbeherrschte und verbitterte Frau, die Kollegen brüskierte und Afrikanern mit Herablassung begegnete. So nach dem Motto Ich zeige euch blöden Schwarzen mal, wie man mit Tieren richtig umgeht. Und auch heute noch spaltet sie die Gemüter. Und .«
»Und was?«
»Und sie würde dieses Jahr achtzig Jahre alt, wie ich schon sagte.«
»Und daraus machen wir eine Story?«, fragte Martin.
»Was heißt hier wir? Sie!« Flori ging zurück zum Schreibtisch und zog ein Exemplar der Financial Times hervor. Martin erkannte das lachsfarbene Papier sofort. Es war die englische Ausgabe. Floris Blick flog über die Seiten.
»Hier steht's.« Er drückte seinen dicken Daumen auf eine Textstelle, die er schon einmal markiert hatte. »Der Virunga- Nationalpark, der sich sowohl auf den Kongo als auch auf Ruanda erstreckt, wird zunehmend zum Zankapfel der beiden Länder. Und einer der größten Zankäpfel sind die Berggorillas.«
Martin nickte. »Soweit ich weiß, sind sie eine ziemliche Touristenattraktion geworden. Kann an dem Buch von Fossey liegen. Verfilmt wurde es ja auch, soweit ich weiß?«
»Wurde es«, sagte Flori und setzte sich wieder. »Und eine ziemliche Touristenattraktion ist untertrieben. Diese Parks sind mit mehr als zweihundertfünfzig Millionen Dollar Jahreseinnahmen der größte Bringer von Auslandsdevisen in ganz Ruanda.«
Martin hob die Augenbrauen. »Das wusste ich nicht.«
»Jetzt wissen Sie's! Das ist eine Superstory. Achtzig Jahre Dian Fossey, ihr Tod, der noch immer nicht aufgeklärt ist, das Aufflackern eines neuen Krieges zwischen Kongo und Ruanda und mittendrin die Berggorillas. Sie schreiben einen schönen Artikel, machen haufenweise Fotos, und filmen werden Sie auch.«
Martin dachte eine kurze Weile nach.
»Das heißt, ich soll nach Afrika?«
Flori sah ihn erstaunt an. »Wenn Sie hier in der Friedrichstraße Berggorillas finden, können Sie auch über die schreiben.«
»Na ja, aber das kostet doch ein . ähm .« Martin wunderte sich, dass für eine solche Aktion auf einmal Budget da war.
»Das kostet eine Stange Geld?«, ergänzte Flori. »Tja, da können Sie mal sehen, wie wichtig uns gute Reportagen sind. Aber die Wahrheit ist .« Er blickte kurz zur Decke. »Das Medienboard und die Filmförderung Berlin Brandenburg haben einen Afrika-Preis ausgeschrieben. Wenn wir den kriegen, haben wir die Kosten doppelt drin.«
Martin stand auf. »Den kriegen wir. Das wird eine super Story.«
»Hoffe ich auch«, sagte Flori, und Martin hatte die leise Drohung darin nicht überhört. »Klären Sie das mit Bernd, er soll bei der Logistik helfen. Ich muss wissen, was Sie dafür brauchen, wen wir in Afrika aktivieren müssen und vor allem, was das Ganze kostet. Die Büros in Johannesburg und Nairobi können dabei helfen. Kriegen Sie das hin bis morgen?«
»Bin schon unterwegs.«
»Bestens«, entgegnete Flori. »Dann Abmarsch!« Er zeigte Richtung Tür. »Es gibt viel zu tun.«
Martin blieb kurz stehen. Etwas war ihm noch eingefallen, und er bereute es schon, dass er überhaupt seinen Mund aufgemacht hatte. Aber da waren die Worte schon draußen. »Ich bin kein Afrika-Experte«, sagte er und trat von einem Fuß auf den anderen, »aber liegt der Virunga-Nationalpark nicht im Dreiländereck von Ruanda, Uganda und Kongo?«
Flori nickte. »Das ist korrekt.«
»Die drei Länder waren doch noch nie ganz, ähm, konfliktfrei.«
Flori...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.