Veit Etzold
Final Blood
Thriller Ein Luxushotel in Berlin wird zum Schauplatz eines bestialischen Mordes: Ein Ministerpräsident und seine Familie liegen tot in ihrer Suite.
Patho-Psychologin Clara Vidalis und ihrem Team vom LKA bietet sich ein Bild des Grauens. Offenbar wurden die Opfer post mortem verstümmelt, eingeritzt in ihre Haut finden sich seltsame Zeichen. Als wäre das nicht genug, stehen auf dem Esstisch der Suite Weingläser, die mit Blut gefüllt sind.
Auf TikTok taucht kurz darauf ein Video auf, das offenbar direkt nach der Tat aufgenommen wurde. Es zeigt das Hotelzimmer und einen maskierten Mann, der aus einem mit roter Flüssigkeit gefüllten Weinglas trinkt. Plötzlich scheinen die sozialen Netzwerke ein verstörendes Eigenleben zu entwickeln .
Veit Etzolds Thriller-Reihe um die toughe Clara Vidalis ist in folgender Reihenfolge erschienen:
Final Cut
Seelenangst
Todeswächter
Der Totenzeichner
Tränenbringer
Schmerzmacher
Blutgott
Höllenkind
Final Blood
[Der Prolog ist nicht Teil dieser Leseprobe]
Kapitel 1 Intercon Hotel, Tiergarten, Berlin Die Dunkelheit, die Lea in ihren schwarzen Klauen gefangen hielt, war erdrückend. Die Schatten, die sich um sie legten, waren keine Schatten. Sie schienen greifbar zu sein. Und sie schienen zu leben. Schwarz, formlos und böse. Die Angst, die sie spürte, war so stark, dass sie an nichts anderes mehr denken konnte.
Sie hatte Angst und wollte fliehen, doch sie konnte sich nicht bewegen. Sie hatte Angst und wollte schreien, doch ihre Stimmbänder waren wie zugeklebt. Sie wollte rennen, wollte schreien. Doch sie war zur Salzsäule erstarrt.
Dafür sprach jemand anderes. Sie hörte die Stimmen. Sie kannte die Stimmen. Und das machte die Sache nicht erträglicher, sondern noch unheimlicher. Denn diese Stimmen, die sie kannte, sprachen in einer Art, wie diese Stimmen niemals sprechen sollten. Die Stimmen kannte Lea, aber die Art, wie diese Stimmen sprachen, war ihr völlig fremd. Die Dunkelheit war lebendig, und die Stimmen waren ihre dunklen Botschafter.
Lea versuchte erneut, wegzulaufen, doch ihre Beine bewegten sich nicht. Sie versuchte zu springen, doch sie blieb beharrlich liegen, wie eine Larve in einem Kokon. Sie war gelähmt und konnte nur hilflos zusehen, wie die Dunkelheit näher kam, wie die Stimmen lauter und höher wurden. Dann war da noch eine andere Stimme. Eine Stimme, die sie nicht kannte. Und das versetzte sie vollends in Panik. Denn es war nicht nur eine Stimme, die irgendwelche Anweisungen gab. Es war eine Stimme, die lachte.
Lea schrie. Endlich waren ihre Stimmbänder nicht mehr zugeklebt. Endlich konnte sie schreien. Und sie schrie - doch kein Ton entkam ihrer Kehle.
Sie wollte diese Stimmen nicht hören, sie wollte auch nicht schreien müssen.
Sie wollte nur eine Stimme hören, die ihr sagte: Lea, du hattest einen Albtraum. Aber jetzt ist er vorbei.
Doch diese Stimme hörte sie nicht.
Kapitel 2 Stadtautobahn AVUS Richtung Grunewald, Berlin »Bist du früher schon mal geritten?«, fragte Clara.
Sophie schüttelte den Kopf, während sie den Audi steuerte. Es war zwar Claras Wagen, doch Sophie fuhr, da Clara noch ein Gutachten für Montag lesen wollte. Oder besser musste. Darum las sie auch kaum darin, sondern stellte Sophie ständig Fragen. Es war so ähnlich wie während des Studiums, als sie irgendeine langweilige und überflüssige Hausarbeit schreiben musste und stattdessen lieber andere Arbeiten machte, bei denen man wenigstens ein Ergebnis sah, wie etwa beim Fensterputzen.
»Nein«, sagte Sophie. »Beziehungsweise ja.«
»Was denn nun?«
»Ganz selten mal als Dreizehnjährige. So wie alle jungen Mädchen. Aber dann waren andere Sachen wichtiger.«
»Jungs und Schminktipps?«, fragte Clara.
»Es klingt traurig, aber so ähnlich war das.« Sophie schaute Clara an. »Und du bist gar nicht geritten?«
»Ich bin nach wie vor skeptisch«, sagte Clara. »Ich bin junge Mutter. Wenn ich vom Pferd falle und mir was breche, dann ist das sehr schlecht.«
»Dir kann auch ein Blumentopf auf den Kopf fallen und deinen Schädel brechen«, sagte Sophie, »das muss ich dir in deinem Job ja wohl nicht erzählen.«
»Musst du nicht.«
Ich kann draufgehen, wenn ich euch was erzähle, sagten irgendwelche Gangmitglieder immer, wenn Clara und Winterfeld sie verhörten.
Kannst du auch, wenn du den Hund ausführst, sagte Winterfeld dann immer.
Clara blickte auf die Berliner Stadtautobahn AVUS. Sophie, eine Kollegin aus der Rechtsmedizin, Freundin und Trauzeugin, hatte Clara lange überredet, doch einmal eine Reitstunde mit ihr zu nehmen.
»Aber du siehst das nicht so eng?«, fragte Clara.
»Reiten ist super«, sagte Sophie, »total entspannend, und die Pferde merken sofort, ob du fokussiert bist oder nicht.«
»Was ist daran entspannend, fokussiert zu sein?«, fragte Clara.
»Na ja, wenn du abgelenkt bist, machen die Pferde, was sie wollen.«
»Zum Beispiel?«
»Einfach stehen bleiben, fressen, querfeldein laufen oder was immer ihnen einfällt.«
»Die merken also, wenn man nicht bei der Sache ist? So als ob die Gedanken lesen können?«
»Das können sie definitiv.«
»Krass.«
»Und wenn sie merken, dass du nicht fokussiert bist, machen sie umso mehr ihr eigenes Ding. Schon allein, um dir den Spiegel vorzuhalten.«
»Okay, das klingt blöd.«
»Deshalb bist du gezwungen, fokussiert zu sein. Sonst macht das Pferd, was es will. Und das willst du ja nicht.«
»Und das ist der Vorteil? Gezwungen sein, fokussiert zu sein?«
»Ja, weil du an den ganzen Alltagsscheiß nicht denkst. Das Pferd zwingt dich zum Fokus. Und damit auch zum Abschalten.«
»Hm, das klingt fast schon wieder gut.«
»Weißt du«, sagte Sophie, »ich habe ja viel probiert. Zumba-Fitness, das war okay. Laufen war immer langweilig. Runners High oder wie immer man das nennt, hatte ich nie.«
»Hast du nicht auch Yoga gemacht?«
»Auch.« Sophie nickte. »Ist sehr gesund, aber auch echt nervig, immer schwitzend in verdrehter Position auf dem Boden rumzuhampeln.«
»Verstehe ich sehr gut.« Clara hatte ebenfalls Yoga gemacht, zudem Kampfsport, Krav Maga, Fitness und auch Krafttraining. Dass ihr das alles allzu großen Spaß gemacht hätte oder machen würde, konnte sie nicht von sich behaupten. Leider gab es keine Alternative zum Sport, wenn man nicht mit dem Alter zunehmend abbauen wollte, was Clara nicht vorhatte. Denn das Einzige, was einem auf der Welt geschenkt wurde und was ohne Mühe ging, war, arm, dumm und fett zu werden.
»Bei den meisten Sportarten«, fuhr Sophie fort, »schaust du ständig auf die Uhr und fragst dich, ob die Zeit stehen geblieben ist.«
»Weil sie einfach nicht vergeht?«
»Genau. Du quälst dich joggend durch den Wald, und es liegen erst zweihundert Meter hinter dir. Oder zwei Minuten. Oder was auch immer.«
»Warum ist das denn beim Reiten so anders?«
»Weil du durch den Fokus die Zeit vergisst. Du bist fast in einer Art Trance. Du und das Pferd. Und sonst nichts.«
»Das klingt fast schon esoterisch.«
»Ist es! Pferde sind sehr wahrnehmungsstarke Wesen. Je mehr du sie wahrnimmst, desto mehr nehmen sie auch dich wahr. Und es sind Fluchttiere. Pferde schlafen nur drei bis fünf Stunden in der Nacht. Tagsüber dösen sie mal ein bisschen. Aber ihre Schlafphasen sind nicht länger als fünfzehn Minuten.«
»Wären gute Wachhunde, wenn sie so wenig schlafen.«
»Das Problem ist nur, dass es Fluchttiere sind. Während der Hund Rabatz macht, hauen die Pferde ab.« Sophie blinkte und fuhr um die Kurve. »Wir sind da.«
Kapitel 3 Intercon Hotel, Tiergarten, Berlin Lea schreckte auf. Sie war tatsächlich in ihrem Bett. Nicht irgendwo gefesselt, nicht in einer Albtraumwelt oder in irgendeinem Spinnennetz oder einer grauenhaften Horrorwelt.
Aber sie war auch nicht in ihrem Bett, das sie kannte, sondern in dem Hotelzimmer, in dem sie mit ihren Eltern gestern Nachmittag eingecheckt hatte.
Sie atmete ein, spürte ihre trockene Kehle und hustete. Sie keuchte noch einmal und versuchte, ihren rasselnden Atem zu beruhigen. Dann blickte sie sich um. Das Erste, was sie wahrnahm, war, dass die Sonne nicht schien. Es war noch tiefste Nacht. Normalerweise war es so, dass es dunkel war, wenn sie die Augen schloss, und dass es hell war, wenn sie die Augen öffnete. So war es, wenn es normal und damit gut war. Aber so war es jetzt nicht. Es war nicht normal. War es dann auch nicht gut? Was war das Gegenteil von gut? Böse? Sie zwang sich, diesen Gedanken nicht weiterzudenken.
Die Jalousien waren geöffnet, und ihr Schlafraum war in sanftes Mondlicht getaucht. Es war Vollmond, das hatte sie gestern Abend auch in der Wetter-App auf ihrem Smartphone gesehen. Der Mond stand silberweiß am Himmel und tauchte die Nacht in ein kaltes Licht. Die Nacht, die Umgebung und ihr Zimmer. Um sich herum konnte sie die Umrisse der Möbel erkennen. Die Tür von ihrem Schlafzimmer zur Suite war geöffnet. Dahinter war das Schlafzimmer ihrer Eltern. Die Möbel der Suite waren ebenfalls in das Mondlicht getaucht. Und das war alles. Die Dunkelheit, der Schatten und die Stimmen - alles war verschwunden. Da war nur das weißliche Licht des Mondes. Und Leas Atem in der Stille der Nacht.
Leas Herzschlag...