Schweitzer Fachinformationen
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Kapitel 1
Die Vorgeschichte: Wo der Schuh drückt
Als ich sieben Jahre alt bin, wird bei mir Morbus Basedow festgestellt, eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse. Der Arzt erklärt es mir so: »Dein Körper greift deine Schilddrüse an, die darauf mit einer übermäßigen Produktion von Hormonen reagiert. Weil wir derzeit nur die Symptome behandeln können, nimmst du zuerst Medikamente, um die Schilddrüse in ihrer Aktivität zu hemmen. Wenn deine Schilddrüse sich in den nächsten ein bis zwei Jahren nicht selbst reguliert, was nur äußerst selten passiert, nehmen wir sie heraus oder bestrahlen sie radioaktiv. Danach wirst du dein Leben lang Schilddrüsenhormone nehmen müssen, aber dafür bleiben dann auch die Symptome aus.«
Symptome - zunächst spüre ich nichts davon, aber dann geht es allmählich los: Schlaflosigkeit, Nervosität, Zittern, unregelmäßiger und beschleunigter Herzschlag, Heißhunger, Gewichtsverlust, Schweißausbrüche, Wärmeintoleranz, Muskelschwäche und mit dem Heranwachsen auch Zyklusstörungen. Außerdem entsteht häufig ein Druck- und Engegefühl im Hals, das zu Schluckbeschwerden und Luftnot führt. Durch den erhöhten Druck treten die Augen deutlicher hervor. Und ich weiß, unbehandelt kann die Krankheit zum Tod führen.
Also nehme ich brav meine Medikamente, und meine Eltern fahren mich jede Woche zur Blutabnahme und anderen Kontrollen. Auf eine Weise finde ich das ganz faszinierend und stelle auch viele Fragen. Aber am liebsten halte ich mich im Wartezimmer auf. Es gibt dort nämlich so viele Bücher, die ich bald alle durchgelesen habe.
Irgendwann sagen die Ärzte, ich solle mich beim Sport schonen und vorsichtig mit schnellen Bewegungen sein. Mich zurückzunehmen finde ich seltsam, denn ich bin gerne aktiv und habe es in der Grundschule zum altersbesten Mädchen im Weitsprung geschafft. Als ich die weiterführende Schule besuche, lassen meine sportlichen Leistungen aber schnell nach. Auch meine Psyche leidet: Das dauernde Hin und Her mit den Medikamenten verunsichert mich. Immer mehr Ärzte raten dazu, die Schilddrüse herauszuoperieren oder zu bestrahlen. Aber allein der Gedanke an eine Bestrahlung macht mir Angst, weil ich Radioaktivität nach der Katastrophe von Tschernobyl nur in einem negativen Zusammenhang sehen kann. Eine Operation fürchte ich nicht weniger, vor allem, seit ich den Zettel mit all den möglichen Risiken in der Hand gehalten habe. Außerdem will man einen Teil von mir wegnehmen, und ich werde für immer auf Medikamente angewiesen sein. Meine Schilddrüse gehört zu mir, auch wenn sie gerade nicht richtig mitmacht.
Ich denke, dass es andere Lösungen geben muss. Und wenn die Schulmedizin mir diese nicht geben kann, werde ich eben selbst danach suchen. Meine Mutter unterstützt mich und teilt den Ärzten als Erziehungsberechtigte ihre Entscheidung mit: Wir möchten mit einer OP bis zu meinem achtzehnten Geburtstag warten. Die Ärzte versuchen zwar immer wieder, ihr diese Entscheidung auszureden, und betonen, dass die Medikamente auf die Dauer Leber- und Knochenmarkschäden oder einen Rückgang der weißen Blutkörperchen bewirken können. Aber meine Mutter bleibt unbeirrt. Sie hat einen unerschütterlichen Glauben daran, dass ich völlig gesund werden kann.
Ich bin gerade in die sechste Klasse gekommen, als meine Augen immer schlechter werden und mein vorher so dickes Haar dünner wird. Manchmal rast mein Herz scheinbar grundlos wie wild, und ich kann abends nicht einschlafen. In den langen Nächten habe ich viel Zeit und suche selbst nach alternativen Informationen und Lösungsansätzen. Wochen, Monate und Jahre des Ausprobierens und Umsetzens folgen.
Eines Tages lese ich, dass Barfußlaufen für verschiedene Erkrankungen gut sein soll, und beschließe, es damit zu versuchen. Die Studien und Ausführungen von Dr. Daniel Lieberman, Clint Ober, Stephen T. Sinatra, Pawel Sokal und anderen klingen vielversprechend. Nicht nur mein Immunsystem soll gestärkt und die Entzündung reduziert werden, sogar mein Schlaf verspricht besser zu werden. Die wissenschaftliche Erklärung dazu lautet, dass die Erde negativ geladene Elektronen abgibt, die im Körper wie Antioxidantien wirken und daher positiv geladene freie Radikale neutralisieren. Bei chronischen Entzündungen und Erkrankungen fallen diese freien Radikale über Zellen her und entziehen ihnen die Elektronen, sodass sie oxidieren und schneller altern. Studien lassen außerdem darauf schließen, dass das negative Potenzial der Erde eine stabile bioelektrische Umgebung für das Funktionieren aller Systeme des Körpers schafft. Schwankungen in der Intensität der Ladung sind wichtig, um die biologische Uhr zu kalibrieren, die den täglichen Rhythmus bestimmt, wie zum Beispiel die Kortisol Ausschüttung.
Voller Begeisterung stürze ich mich darauf. Ich genieße die warmen Spätsommertage, an denen ich die verhassten Schuhe ausziehen kann, um das warme Gras zu spüren. Als der erste Schnee fällt, gehe ich jeden Morgen eine Runde barfuß durch den Garten. Danach fühle ich mich wach und klar. Mit dem Frühling lege ich die Schuhe noch weiter ab und erscheine sogar barfuß im Gottesdienst. Aber die Reaktionen meines Umfelds auf meine nackten Füße verunsichern mich. Meinen Eltern bin ich peinlich, von meinem Ansatz sind sie weniger überzeugt. Und langsam kommen auch mir einige Zweifel. Was haben die Füße denn mit meiner Schilddrüse zu tun? Außerdem sind meine Fußsohlen noch sehr empfindlich. Sobald ich das weiche Gras verlasse, bereitet jeder Stein mir Schmerzen. Zumindest versuche ich es danach mit knallroten Barfußschuhen, die ich bei einer Youtuberin gesehen habe. Sie haben eine dünne Gummisohle, die vor spitzen Steinen, Dornen und Glasscherben schützt, und fünf einzelne Zehen.
Der Laufstil ändert sich beim Barfußlaufen häufig automatisch, und in mehreren Videos habe ich gesehen, dass der Vorderfuß- oder Ballenlauf bei ungepolsterten Schuhen sinnvoller ist. Hierbei kommen entweder nur der Vorderfuß oder Vorder- und Mittelfuß zuerst auf dem Boden auf und rollen dann weich zur Ferse hin ab. Landet der Fuß hingegen ungedämpft auf der Ferse, verschleißen die Gelenke mit der Zeit. Nach diesen für mich völlig neuen Informationen beginne ich den Ballengang zu üben. Allerdings hat mir niemand gesagt, dass ich das Ganze äußerst vorsichtig angehen muss. Meine Muskeln sind für den Ballengang noch untrainiert, und bald melden sie Überlastung. Ich muss einige Wochen pausieren, und das nimmt mir bereits viel von der anfänglichen Begeisterung. Außerdem sind meine Minimalschuhe nicht so bequem, wie ich erwartet habe. So kommt es, dass sie irgendwann vergessen im Schrank landen.
Mit ihnen geht meine Jugend, und ich heirate früh. In der Kirchengemeinde, in die ich hineingewachsen und seit einiger Zeit Vollmitglied bin, ist es undenkbar, eine ernsthafte Beziehung vor der Heirat zu führen. »Wer weiß, was da passieren könnte«, wird mit einem verlegenen Räuspern geflüstert. Ebenso schändlich ist es, eine einmal begonnene Beziehung zu beenden. Eigentlich wäre es am besten, gleich nach dem ersten Kennenlernen zu heiraten, so die gängige Meinung in diesem Umfeld. Obwohl meine Zweifel deutlich spürbar sind, beuge ich mich diesem Druck. Wenn die Leute über mich reden, weil ich einen Rückzieher gemacht habe, werden meine Eltern darunter leiden, und das will ich ihnen nicht antun.
Nur, was ist das für eine Gemeinde, in der ich mir solche Gedanken machen muss? Diese Frage stelle ich mir immer wieder, und fühle mich mit jedem verstreichenden Tag unwohler - nicht nur in dieser Gemeinschaft, sondern auch in der Ehe und in meiner Ausbildung zur Bankkauffrau. Ich kann nur schwer benennen, was ich fühle, denn meine Gefühle zu reflektieren oder gar über sie zu sprechen, ist mir noch nie leichtgefallen. Dafür schreit mein Körper alles, was ich nicht aussprechen kann, in umso größerer Lautstärke in die Welt heraus. Er versucht mir zu zeigen, was ich noch nicht so recht wahrhaben will. Doch meine Angst vor dem Unbekannten ist stärker, und so ignoriere ich, was er mir sagt und bleibe lieber bei dem vertrauten Übel.
In dieser Zeit verschlimmert sich meine Krankheit wieder. Es kommt zu unüblichen Nebenwirkungen, ich nehme rapide zu. Überhaupt bin ich so häufig krank, verletze mich oder mir passiert sonst etwas, dass es auffällig ist. So geht es viele Monate, und es wird immer schlimmer. Eine ganze Weile quält mich, neben einigen anderen Dingen, ein Tinnitus, der mir den Schlaf raubt. Ich höre mein Herz in den Ohren, sobald der Lautstärkepegel unter normale Gesprächslautstärke fällt. Das ist schon im Alltag störend, aber nachts, wenn alles still ist, wird das Klopfen zu einem dröhnenden Hämmern. Dazu kommt ein tiefer Brummton, der mich ständig begleitet. Es hört sich an wie ein warnendes Dauerknurren. Morgens bin ich nach den schlaflosen Nächten vollkommen erschöpft und komme immer öfter zu spät zur Arbeit. Als ich versuche, im Wohnzimmer bei dröhnender Bassmusik einzuschlafen - welche die quälenden inneren Geräusche zumindest übertönt -, beschweren sich Nachbarn aus der Kirchengemeinde über die unchristliche Musik.
Dafür habe ich in den langen schlaflosen Nächten mehr Zeit zum Reflektieren, als mir lieb ist. Vielleicht will mein Inneres genau das erreichen und mir Zeit geben, mich sogar dazu drängen, mir mein Leben genauer anzusehen? Ich greife zu Stift und Papier und beginne zu schreiben. Lähmende Gefühle plagen mich. Ständig fühle ich mich kontrolliert...
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