Schweitzer Fachinformationen
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»Wieviel kosten die?«
Die Frau hielt eine Tüte voller Safranschnecken ins Licht, als ob sie dann besser sehen könnte. Was hoffnungslos war. Der Himmel war genauso dunkel, wie er es um sieben Uhr abends im Dezember eben zu sein pflegte, und die Lampen erhellten den Sportplatz der Schule nur spärlich. Einige flackernde Fackeln machten die Sache auch nicht besser.
»Haben Sie die selbst gebacken?«
Lisbeth versuchte zu lächeln.
»Nein, das waren die Kinder. Das ist für die Klassenreise. Und das Rote Kreuz.«
Woher war diese letzte Bemerkung gekommen? Das Rote Kreuz? Das hier war doch der Weihnachtsbasar der Schule, wo die Schüler ihre eigenen Produkte verkauften, um für die Klassenreisen zu sparen, zum Beispiel den Skiausflug nach Trysil in Norwegen. Und sie saß hier und versuchte, einer potenziellen Kundin einzureden, dass das Geld einem noch wohltätigeren Zweck zufließen würde.
Zwei Kronen für eine Safranschnecke. Zehn Kronen für fünf. Ach bitte, wollen Sie sie nicht einfach kaufen? Und zwar jetzt gleich?
Lisbeth schlug die Augen nieder, um ihre Verzweiflung zu verbergen. Sie saß jetzt seit fast zwei Stunden auf diesem Stuhl, an diesem Tisch. Der Haufen von mit Safranschnecken gefüllten Plastiktüten kam ihr ein bisschen kleiner vor. Aber das war eine Illusion. Denn jedes Mal, wenn sie also wirklich einen Verkauf notieren konnte, kamen Eltern und warfen weitere Tüten mit weiteren Safranschnecken auf den Tisch. Hallo, Lisbeth. Entschuldige, dass wir so spät kommen. Aber hier hast du unsere . Moment . hier, Ella hat sie selbst gebacken.
Ja, es war deutlich, dass Ella und Axel und Maja und Stina und Calle und Julia und Peter selbst gebacken hatten. Einige Schnecken sahen aus wie Schnecken, während andere schief und krumm waren und die Rosinen lose unten in der Tüte lagen. Manche Kinder hatten zudem ihrer Kreativität freien Lauf gelassen und Safranmonster erschaffen, in die man vermutlich nur auf eigene Gefahr hineinbiss.
Sie hielt der Frau eine solche Monsterschneckentüte hin.
»Was sagst du zu denen hier? So ein bisschen Abwechslung in der Kuchenschüssel kann doch lustig sein. Und der Erlös ist wie gesagt für das Ro . ja, vor allem für eine Klassenreise .«
Fast hätte sie wieder Rotes Kreuz gesagt. Was war nur in sie gefahren?
». für die Klassenreise der Kinder, wie gesagt.«
Die Frau nahm die andere Tüte. Legte die erste hin. Drehte die neue um. Legte sie hin. Griff wieder zu der ersten.
»Jaaaaa . ich weiß ja nicht. Ich wohne allein, müssen Sie wissen. Dann isst man ja nicht so viel, und ich versuche, süße Sachen zu meiden. Ich kaufe nur, damit ich etwas anbieten kann, wenn mal Besuch kommt. Aber alle haben in den Wochen vor Weihnachten ja so viel zu tun. Klassenreisen, hast du gesagt. Zu meiner Zeit war nie die Rede von Reisen. Man ging in die Schule, um Rechnen und Schreiben zu lernen. Aber das Rote Kreuz ist jedenfalls eine lobenswerte Organisation, da gebe ich auch immer was. Man will ja gern helfen, wo man kann, es gibt doch so viele arme Menschen.«
Lisbeth schaute verstohlen über die Schulter der Frau. Sah sich auf dem Sportplatz um. Der sah richtig nett aus mit den vielen Ständen mit allem, was die Schüler zusammengesammelt hatten. Safranschnecken oder anderes, es gab auch Getreidegarben und Kerzen, die besorgt worden waren und nun mit Gewinn verkauft werden sollten. Einige Besucher standen an einem kleinen Feuer und rieben sich die Hände, während heiße Wurst und Kaffee zubereitet wurden.
Aber sie fror. Aus der Erfahrung früherer Jahre klug geworden, hatte sie eine lange Hose angezogen und eine dicke Jacke hervorgekramt. Zu spät war ihr aufgefallen, dass die Jacke zwar warm war, aber auch verschlissen. Sie zog sie sonst zur Gartenarbeit an, und jetzt sah sie, dass die Ärmel ausgefranst waren und die ganze Vorderseite von Erdflecken beschmutzt. Und die Gummistiefel hielten zwar die Nässe ab, aber nicht die Kälte.
Ein Stück weiter drängten sich die Leute um Elenas Stand. Lisbeth hatte nicht einmal einen Blick hinüber werfen wollen, als sie sich an ihren eigenen gesetzt hatte. Elena, die Prachtkonditorin, deren Bäckerei über die Ortsgrenzen hinaus berühmt war. Elena, die ihre Schnecken und Kuchen und Brötchen mit einer Leichtigkeit herzustellen schien, die an Wahnsinn grenzte.
Sie schien es außerdem lustig zu finden, in aller Herrgottsfrühe aufzustehen und zu backen, bis das Mehl ihren Kopf wie ein Glorienschein umstob. Lisbeth dagegen war kein Morgenmensch, schon gar nicht jetzt im Winterhalbjahr. Sie blieb gerne lange auf und genoss die späten und stummen Abendstunden, obwohl sie wusste, dass sie das am nächsten Morgen, wenn der Wecker klingelte, bereuen würde.
Und jetzt hatte sie ihren Gedanken und Blicken freien Lauf gelassen, was unverzeihlich war, wenn man Kundschaft an der Angel hatte. Die Alte wandte sich ebenfalls um und entdeckte Elenas Stand. Sie legte die Tüte mit den Monsterschnecken weg.
»Ach, ich sehe gerade, dass der Stand da drüben auch Brot verkauft, ich glaube also, ich warte noch . ja, Sie verstehen.«
Sie lächelte. Lisbeth erwiderte das Lächeln nicht. Es ist niemals lustig zu verlieren, und sie hatte nicht die geringste Lust, etwas zu sagen wie »natürlich«. Eine gewisse Würde hatte sie ja trotz allem, trotz der scheußlichen Jacke und der Gummistiefel. In diesem Moment merkte sie, dass der eine offenbar undicht war. Der linke große Zeh kam ihr um einiges kälter vor als der rechte.
Die Frau verschwand, und Lisbeth saß wieder allein da, während die Menschen an ihrem Stand vorbeischlenderten und sie grüßten. Die Eltern von Schülerinnen und Schülern, Leute aus dem Ort. Als sie vor fünf Jahren nach Frillesås gezogen war, war es ihr anfangs seltsam vorgekommen, alle zu kennen, und eigentlich nichts unternehmen zu können, worüber die Einwohner nicht einige Stunden später schon informiert schienen.
Aber so hatte sie es ja gewollt. Erkannt werden, Lisbeth sein, die Lehrerin von der Schule. Und meistens gefiel ihr das ja auch, nicht zuletzt die Schule. Die Kinder konnten sie ab und zu in den Wahnsinn treiben, aber sie hatte doch das Gefühl, etwas zu bewegen.
»Aber hallo, Lisbeth! Hier sitzt du und siehst froh aus.«
Sie schaute auf. Merkte, dass sie rot wurde. Was für ein Glück, dass es dunkel und kalt war. Es konnte also eine absolut natürliche Erklärung haben. Dass sie sich seltsam verhielt, wenn Jan in der Nähe war, wusste inzwischen mehr oder weniger der ganze Ort.
»Ja. Hier sitze ich.«
So intelligent wie immer, wenn sie mit ihm reden wollte. Warum brachte sie nie ein vernünftiges Wort zustande?
Jan. Besitzer eines angesehenen Reitstalls, die Kundschaft kam teilweise von weit her, um zu reiten oder sich die Pferde anzusehen. Mehrere Jugendliche von der Schule nahmen bei ihm Reitunterricht und gerieten ins Schwärmen, wenn der Stall erwähnt wurde.
Sie hatte nie von Pferden geträumt. Aber sie hatte von Jan geträumt, das ließ sich nicht leugnen. Das hatte ihr allerdings nicht viel gebracht. Möglicherweise lag es an ihrer Unsicherheit, dass er nicht zurückträumte, sondern sich über sie lustig machte. Sie war ziemlich sicher, dass Jan Schwäche verachtete. Man durfte kein Feigling sein, wenn man mit Pferden zu tun hatte. Musste stattdessen zeigen, wer das Sagen hatte.
Aber diese Chance hatte sie bei Jan verpasst. Ihn wie ein Pferd zu behandeln, nämlich.
Jan hielt eine Tüte Safranschnecken hoch. Und zwar die Monster.
»Hast du die gebacken? Ich wusste ja gar nicht, dass du so eine lebhafte Fantasie besitzt.«
»Die sind nicht von mir. Das waren die Kinder. Für die Klassenreise. Wie du sicher weißt.«
»Jedes Kind hat also eine Tüte Schnecken gebacken. Dann sollen alle Eltern eine Tüte Schnecken kaufen. Wäre es nicht einfacher, alles Geld für die Reise geben zu lassen und sich diesen Umweg zu ersparen? Wenn das Backen an sich keinem höheren Zweck dient, als dass die Kinder etwas mit den Händen tun. Aber ich finde, dann sollten sie lieber in den Stall kommen.«
In dem Moment, in dem er diesen revolutionären Vorschlag machte, kam eine weitere Mutter zu Lisbeths Stand. Sie begrüßte Jan und zog ihre Schneckentüte hervor. Schöngeformte Safranschnecken, dekoriert mit Perlzucker.
»Hallo! Danke. Die sind aber schön. Leg sie einfach irgendwo auf den Haufen und .«
Sie konnte den Satz nicht beenden, denn nun zog die Mutter ihre Hand zurück und fing an, mit der anderen in ihrer Handtasche zu graben.
»Was kosten die? Einen Zehner?«
Sie stopfte ihre Schnecken zurück und reichte die Münze herüber. Dann sah sie Jans ein wenig fragenden Blick.
»Ja, man weiß doch nie, was andere Schnecken für Zutaten enthalten. Erkältete Kinder, die über dem Teig geniest haben oder die Dinge angefasst haben, über die man lieber nichts wissen will.«
Jan lächelte dieses Lächeln, bei dem Lisbeth sich innerlich krümmte. Die Frau schien das nicht so zu verstehen. Sie lächelte ihn an und zog ihren Seidenschal gerade.
»Man will ja nicht vor Weihnachten krank werden.«
»Ich muss ja sagen, das ist eine geniale Weise, Geld auszugeben. Von sich selbst zu kaufen. Dann kann man einen richtig hohen Preis verlangen, um sicher zu sein, dass es sich lohnt. Das wäre vielleicht auch für mich im Reitstall eine Idee. Ich könnte mir selbst Reitunterricht geben. Ordentlich verdienen und wissen, was ich wert bin.«
Lisbeth tat die...
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