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Kapitel 1 - Against the wind
Ich weiß bis heute nicht, warum sie mich so hintergangen hat. Damals vertraute ich ihr ganz und gar. So sehr, dass ich ihr, und nur ihr, meinen Tanz zeigte. Ich überlegte sogar, ihr meine Geschichte zu erzählen - wie ich im Sturm geflogen war und fast nicht überlebt hätte. Amy war diejenige, mit der ich über alles reden konnte. Was ging in Amys Kopf vor, als sie dort im Dunkeln saß und mir zusah? Ich werde es vermutlich nie erfahren.
Ich konnte sie nicht sehen, meine Augen hatten sich noch nicht an den schwachen Schein der Leuchtdioden gewöhnt. Das leise Geräusch ihrer Finger auf dem Weinglas konnte ich hören, das Rascheln ihrer Bluse. Ich hatte mich bis auf meinen Slip ausgezogen, hatte noch einen Blick auf den Bildschirm geworfen, geprüft, ob alles bereit war, und war mit vorsichtigen Schritten in die Ausgangsposition gegangen. Die Hände auf der jeweils gegenüberliegenden Hüfte, den Kopf zur Seite und leicht nach vorne gebeugt, sodass meine schulterlangen Haare mein Gesicht halb verbargen, ein Bein ausgestellt, auf Zehenspitzen.
»Vas-y!«
Auf mein Schlüsselwort hin startete die Musik; der leicht schnurrende Bass, die 4-To-The-Floor Kickdrum. Zwei Takte, in denen drei daumennagelgroße Spots in langsamen Kreisen über meine Haut wanderten; ein netter kleiner Effekt, der in Wirklichkeit technische Gründe hatte. An der Decke über Amys Kopf war ein Projektor, rechnergesteuert, der darauf programmiert war, auf meinen Körper Bilder, Szenen und Animationen zu projizieren. Dazu musste er mich erst einmal finden, und dafür dienten die Suchlichter. Der Bildsensor scannte nach meinem Gesicht, suchte nach einem Umriss, nach den verschiedenen Stellen auf meiner Haut, an denen sich das System orientieren würde. Muttermale, Narben, meine Brüste, der Bauchnabel. Ich hatte mich davor komplett scannen lassen, ein 3D-Modell meines molligen, verbeulten und zerschundenen Körpers erstellt. Daran erkannte der Rechner mich innerhalb dieser zwei Takte wieder. Er wusste jetzt, wohin er mit seinem Projektorstrahl zielen musste.
Ich spreizte die Arme, rotierte langsam um die eigene Achse, und auf meiner Haut erschien ein Wirbel aus hell- und dunkelblauen Linien. Sie drehten sich mit mir, nur schneller, als wäre ich getrieben von einem Sturm. Ich stoppte und drehte mich in die entgegengesetzte Richtung, und die Linien änderten ihre Farbe zu Rot und Gelb, wie ein loderndes Feuer. Ich konnte es selber nicht sehen, aber um meine Augen herum leuchteten die Flammen besonders hell. Der Effekt blendete ein wenig, aber ich hatte meine Choreographie geübt und konnte sie tatsächlich blind. Die Musik hatte inzwischen an Dynamik gewonnen; ein Lead hatte die Führung übernommen und trieb das Stück gemeinsam mit dem Bass zu einem ersten harmonischen Höhepunkt. Ein Schlag, ich riss meine Arme in die Höhe, verschränkte sie über dem Kopf und ging in die Hocke. Auf meiner Haut zerstoben die Flammen und hinterließen eine Dunkelheit, in der vereinzelte Funken zu Boden kreisten. Beginnend auf meinen Füßen sprossen nun grüne Triebe, rankten sich an meinen Beinen in die Höhe. Langsam erhob ich mich. Das war ganz schön anstrengend, ich ignorierte das leise Zittern in meinen Oberschenkeln und wuchs weiter, bis ich völlig aufrecht emporragte. Bis zum Bauchnabel stand ich im Grün einer wuchernden Wiese, die Projektion kaschierte das bleiche Narbengewebe an meiner Hüfte mit dunkleren Tönen, meine Augen waren das Einzige, was oberhalb meine Bauches sichtbar war - ein leichtes goldenes Leuchten, das auszuwählen mich einige Zeit gekostet hatte. Es passt farblich nicht richtig zur Szene, aber grün im Gesicht sieht unmöglich aus, und alle anderen Farben ergeben überhaupt keinen Sinn. Also blickte ich wie die lachende Sonne auf die blühende Flora herab.
Ich tanzte, Schritte zur Seite, weite, ausladende Bewegungen. Die Triebe auf meiner Haut wogten und bogen sich, als bahnte ich mir physisch einen Weg durch einen wuchernden Garten. Der Song war in vollem Lauf - eine Stimme war zu hören, eine Sängerin, die Worte waren auf Oromo, oder vielleicht auch Somali. Es klang wie ein Arbeitslied, aber ich kenne keine von den beiden Sprachen gut genug, um sie zu verstehen.
Ich begann zu tanzen, verschmolz mit dem Takt, wiegte mich im Herzschlag der Musik. Wie die Musterung einer Wildkatze wirkten die gleißenden Linien auf meinem Körper. Ich bleckte die Zähne und stieß einen leisen Schrei aus - ein weiteres Zeichen, auf das ich den Rechner programmiert hatte. Das Licht verschwand, wechselte, wandelte sich und war nun eine blaue Spirale mit ihrer Mitte auf meinem Bauchnabel. Wie ein langsamer Fluss strömten ihre Arme auswärts, über meine Hüften, über Brust und Schultern, mein Gesicht. Ich tanzte, vollführte eine halbe Drehung und wusste, dass die azurfarbenen Wellen nun auf meinem Rücken kreisten.
Die Musik wurde lebhafter, wilder; ich erwischte meinen Einsatz perfekt und fiel auf die Knie, krümmte den Rücken und richtete mich langsam auf, hob die Arme wie Schwingen hinter dem Rücken. Die Projektionen auf meiner Haut änderten Farbe und Muster, formten eisblaue Federn, und als ich mich vollends erhob, fielen weiße Wolken über meine Schultern, meine Hüften, vom Kopf zu den Füßen. Sie erweckten den Eindruck eines raschen Aufstiegs, ein Vogel, der zum Firmament strebt. Ich wandte mich ein weiteres Mal um, und das Licht verwandelte mein Gesicht in einen goldenen Schnabel, mit den Brauen eines Adlers auf der Stirn.
Jetzt zum Finale. Die Musik durchlebte eine abrupte Änderung, der Beat war auf einmal nur noch Halftime, schwer, langsam, verführerisch. Wie Honig, der dir über die Haut läuft und in gemächlichen Tropfen zu Boden fällt. Schlangengleich wand ich mich von einer Seite zur anderen, die Hüften wie das Pendel einer großen Uhr, wie Wasser im Krug auf dem Kopf einer Trägerin, auf ihrer Haut die Sonne eines warmen Nachmittags. Der Projektor malte mir violette Leopardenflecken auf die Haut, ein sanftes rotes Glühen aufs Herz: Es pulsierte und wurde zunehmend größer dabei, ergoss sich in einer schlanken Linie hinab in Richtung meines Schritts, aufwärts zu den Schultern, umschlang mich nach einigen Takten wie ein teures Abendkleid, erhellte meine nackte Haut (Narben und alles andere inklusive), bis ich wirkte wie eine Vision der Sünde selbst, die stroboskopartig aus dem Dunkel des Raumes auftauchte und wieder verschwand wie ein Geist, mal näher, mal ferner, mit einladenden Gesten, den Blick auf meiner Zuschauerin, dann nur noch näher, noch näher, bis ich mit dem Zeh gegen die Abschlussleiste des Tanzbodens stieß.
Der Song erreichte ein finales Crescendo, ein Stakkato an Beats, dann klang er in einem warmen Synthi-Ton aus. Einen Moment lang war die komplette Szene in Dunkel gehüllt, nur ein roter Streifen verblieb auf meinen Augen wie eine Augenbinde aus einem dieser leicht kinky Musikvideos, dann hellte sich der gesamte Raum ein wenig auf. Gerade genug, dass ich sehen konnte: Ich hatte Amy um gut eineinhalb Meter verpasst. Ich hatte geplant, direkt vor ihr zum Abschluss kommen, war aber nach links abgedriftet. Es war schier unmöglich, in den letzten Augenblicken irgendetwas zu sehen außer dem Licht des Projektors.
Vielleicht war das auch besser so. Ich schwitzte und hatte einen Moment lang Angst, dass sie das ohne diesen ungeplanten Abstand riechen konnte.
Ich sah zu ihr hinüber und zog eine Grimasse. Sie nahm einen Schluck aus ihrem Glas.
»Na das war ja mal subtil«, kommentierte sie schließlich. »Für Francisco?«
»Für Etienne. Für mich selber. Tanzen, damit ich mich besser leiden kann. Meine Therapeutin hat mir das geraten.« Ich ging zu meiner Tasche, nahm das Handtuch und tupfte mich ab. Meine Kleider hingen über einem Stuhl nahe der Wand, ich begann mich anzuziehen, die Socken zuerst. »Na gut, ja; und für Francisco«, gestand ich. »Vielleicht tanze ich für ihn.«
»Hat er dich jetzt endlich mal zu sich eingeladen?«
»Schon lange. Aber nur zum Reden.« Ich versuchte, ein wenig Frustration zum Ausdruck zu bringen.
»Ist doch auch mal schön.« Amy trank den Rest aus ihrem Glas, weswegen es mir schwer fiel, ihren Gesichtsausdruck zu deuten. »Wie heißt es: Das Gehirn ist das größte Sexorgan?«
»Bei manchen Jungs nicht.«
»Ja? Erzähl doch mal.« Sie kicherte. »Wenn dir bei Francisco irgendwann die Ohren weh tun, kannst du ihn ja damit .«, sie wedelte mit ihrem leeren Weinglas in Richtung der Tanzfläche, ». auf andere Gedanken bringen. Sei froh, andere Jungs kannst du dir mit einem Brecheisen nicht von der Wäsche halten.«
»Ja, aber immer die falschen.« Ich streifte mein T-Shirt über den Kopf. Bis auf meine Schuhe war ich damit fertig angezogen. Ich steckte meinen linken großen Zeh in die Öffnung des entsprechenden Sneakers und versuchte, meinen Fuß hineinzubohren, während ich meinen Rucksack aufhob und die beiden Gurte über eine Schulter schlang. Amy hatte ihr Glas und die halbleere Flasche Rosé in ihre Tasche gesteckt und war ebenfalls bereit aufzubrechen.
»Meine Mutter hat immer gesagt: Für irgendwas kannst du jeden Mann brauchen. Hat sie auch ausgiebig demonstriert.«
»Vielleicht sollte ich sie mal um Rat fragen«, meinte ich scherzhaft und erwartete eigentlich eine gespielt empörte Reaktion von Amy. Aber sie ging völlig über meinen Vorschlag hinweg.
»Musst du die Sachen hier nicht ausschalten?«, fragte sie.
»Mach ich von unterwegs«, antwortete ich. Mit einem kleinen Hüpfer fädelte ich die Ferse des rechten Fußes in den Sneaker, dann waren Amy und ich auf dem Weg zum...
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