Schweitzer Fachinformationen
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In der Morgendämmerung machten sie sich auf den Weg. Leo hatte Felix mit großen Augen angesehen, als dieser ihm zu verstehen gegeben hatte, dass er nicht mitkommen könne. Fast wäre Felix schwach geworden. Über Nacht hatte sich Leo weiter gut erholt und ihn beim Aufstehen sogar schwanzwedelnd und mit freudigem Kläffen begrüßt. Doch Urs war hart geblieben. »Du solltest ihn noch schonen. Der Weg ist weit und nicht ungefährlich. Und es wird ein langer Tag werden.«
»Aber einsperren müssen wir ihn nicht, oder?«
Urs schüttelte den Kopf. »Es ist sogar besser, wenn er hier draußen herumstreunen kann. Und bis heute Abend sind wir auf jeden Fall zurück.«
Felix wollte nicht daran denken, was passieren könnte, wenn sie es nicht schafften und Leo die Nacht alleine verbringen müsste. Er schob seine Zweifel beiseite. Leo war ein kluges Tier, er würde sich schon zu helfen wissen.
Von der Lichtung aus folgten sie zunächst ein gutes Stück weit dem Bach. »Den Zaun entlang ist es bedeutend näher«, erklärte Urs, während sie hintereinander den Talgrund durch das taunasse Gras stapften. Der Morgen war angenehm frisch und dennoch warm genug, dass Felix ohne Pulli laufen konnte. »Die Sperre führt südlich an Hasel vorbei die ehemalige Bundesstraße entlang über den Bergrücken nach Schopfheim. Aber dort dürfen wir uns nicht sehen lassen. Selbst wenn wir vorsichtig sind - wir dürfen es nicht riskieren, entdeckt zu werden.«
»Was hast du vor? Das ist doch die komplett andere Richtung?«
»Du hast eine gute Orientierung«, lobte ihn Urs. »Wir gehen zuerst ein Stück nach Norden und kommen dann von der anderen Seite. Dort trauen sich die Soldaten nicht hin.«
»Die Spinne?«
Urs antwortete nicht und stapfte weiter. Felix beschloss, Urs zu vertrauen. Er wusste, wie schwierig es war, einen Bergkamm zu überqueren, seit er verzweifelt versucht hatte, vom Tal der Schwarza aus einen Weg nach Sankt Blasien zu finden. Jetzt konnte er nur hoffen, dass Urs wusste, was er tat.
Nach einer Weile hielt Urs inne. Er holte seine Wegweiser heraus, schwenkte ihn einmal um sich und deutete dann auf den Hang zu ihrer Linken. »Dort hinauf. Ich gehe voraus.«
Urs bog ein paar Zweige zur Seite und schlüpfte in den Wald. Sie bewegten sich entlang eines kaum sichtbaren Rinnsals, dessen Lauf nur zwischen etwas Moos und kleinen kleeblattähnlichen grünen Trieben zu erahnen war. Der übrige Boden war trocken und mit alten Nadeln übersät, ein paar wenige Fichtenschösslinge streckten ihre dünnen Zweige empor.
Felix folgte Urs in dichtem Abstand. Das Klettern war mühsam. Bei jedem Schritt sank er mit dem Fuß ein Stück in den dichten Nadelteppich. Ein paarmal rutschte er aus, an einer Stelle war es so steil, dass er sich mit den Händen abstützen und emporziehen musste. Nach einer Viertelstunde hatten sie ein kleines Hochplateau erreicht, von dessen Rand aus Felix über das Tal nach Süden blicken konnte. In die Richtung, in der sie weitergingen, lichtete sich der Wald rasch. Der Weg stieg zwar immer noch leicht an, war nun aber angenehmer zu gehen. Der Bach, der Urs als Anhaltspunkt gedient hatte, hatte sich inzwischen völlig unter Gras und Buschwerk versteckt.
Nach weiteren zehn Minuten erreichten sie offenes Gelände. Das Gras stand hoch, vereinzelt hatten sich auf der ehemaligen Hochweide kleine Büsche mit harten, dunklen Blättern ausgebreitet, ein paar Birken schimmerten in hellem Grün. Von Weitem waren ein paar Häuser eines Dorfes zu erkennen.
»Jetzt wird es problematischer«, meinte Urs. »Das Gelände ist nicht mehr schwierig, aber dafür heißt es aufpassen. Es ist gut, wenn du ab sofort mithilfst.«
Felix verstand, was er meinte. Er zog sein Rindenstück heraus, das er bisher in seiner Jackentasche getragen hatte. Keine Auffälligkeiten. »Gibt es einen Weg? Oder müssen wir ihn suchen?«
»Beides. Ich war schon öfter hier oben und kenne die kritischen Stellen. Aber man kann nie wissen. Wenn wir Pech haben, zwingt uns die Spinne zu Umwegen.«
Er lief los, Felix erneut dicht hinter ihm. Urs hielt sich zunächst am Rand der Wiese, ging dann wieder ein Stück zurück in den Wald und beschrieb schließlich einen großen Bogen zurück ins Freie. Von hier aus gingen sie mitten in die Wiese hinein. Sie kamen an einem zweiten Dorf vorbei, dessen schlanker Kirchturm wie ein mahnender Finger zum Himmel zeigte. Inzwischen hatte es Felix aufgegeben, sich die Richtung zu merken. An den sanften Hängen des zweiten Dorfes kamen sie an etlichen Obstbäumen vorbei, Bäume, die schon alt waren, als das Dorf noch bewohnt war. Bei manchen waren dicke Äste abgebrochen und lagen auf dem Boden, in einen hatte der Blitz eingeschlagen und den Stamm gespalten. Die eine Hälfte war nicht mehr als trostlose verkohlte Trümmer, die andere hatte inzwischen wieder munter ausgetrieben. Fast alle trugen Früchte - meist Äpfel, aber auch Birnen und ein paar wenige Kirschen. Zu Felix' Bedauern waren die Früchte noch nicht reif. Er griff nach einem Apfel, der ihm einigermaßen genießbar schien und biss hinein. Er war steinhart und sauer.
Urs lachte. »Ein paar Wochen wird es schon noch dauern. Dann kannst du mir bei der Ernte helfen.«
Felix warf den Apfel weg, das abgebissene Stück behielt er eine Weile im Mund und lutschte darauf herum. Ein paar Wochen. Was würde bis dorthin sein? Felix hatte die Gedanken über seine Pläne völlig verdrängt. Als er vor dem abgestürzten Hubschrauber stand, war er nahe daran aufzugeben. Doch inzwischen trug er in sich die Gewissheit, dass er sich den Aufgaben stellen musste. Auch wenn die lockende Außenwelt nur wenige Kilometer entfernt war, kam es für ihn nicht in Frage, der Versuchung nachzugeben. Chiara! Die Ungewissheit über ihr Schicksal ließ ihn schier verzweifeln. Er hoffte inständig, dass sie am Leben war und dass es ihnen gelingen würde, sie zu befreien. Doch was würde er tun, wenn er sie wiedertraf? Würde er bei ihr bleiben wollen? Im Schwarzwald?
Und dann? Vielleicht würde es ihnen gemeinsam gelingen, noch einmal den Fischmenschen zu finden. Felix spürte tief in seinem Innern, dass er ihm erneut begegnen musste. Das seltsame Wesen war schrecklich und faszinierend zugleich. Doch er war sich sicher, dass er nur von ihm Antworten auf die Fragen bekommen konnte, die sein Leben bestimmten. Fragen, die immer wieder aus dem Nebel des Unbewussten aufstiegen und die er selbst noch nicht klar vor sich hatte. Und die sich verflüchtigten wie Wolken im Wind, wenn er danach greifen wollte. Für Felix wurde der Weg, den Urs vorgab, nun immer unübersichtlicher. Es kam Felix vor, als bewegten sie sich in einem Labyrinth mit unsichtbaren Mauern. Einmal meinte er sogar, wieder den Kirchturm zu sehen. Hatte Urs sich verirrt? Gingen sie etwa rückwärts? Noch einmal kamen sie zu einer Landstraße, die Urs rasch überquerte, nur um einige Meter weiter wieder zu ihr zurückzukehren.
»Wir haben es geschafft!«, sagte er zu Felix' Erstaunen. »Siehst du den Bach dort drüben?« Er deutete auf das Felix inzwischen vertraute Bild eines mit Erlen, Weiden und niedrigen Büschen gesäumten Wasserlaufes. »Von hier aus laufen die Straße und der Bach mehr oder weniger nebeneinander bis hinunter ins Tal. Spätestens in einer Stunde werden wir am Rande des Wiesentals sein.«
Es war so, wie Urs es gesagt hatte. Hinter einem Bauernhof erreichten sie eine Kuppe. Auf der rechten Seite stürzte der Bach in eine felsige Schlucht hinunter, die Straße führte in weit geschwungenen Kurven ins Tal hinab.
»Das Wiesental!« Felix ließ seinen Blick schweifen. Jetzt hatte er sein ursprüngliches Ziel doch noch erreicht. Das Tal war an dieser Stelle recht breit und öffnete sich weiter nach Westen hin. Unter ihnen lag eine größere Stadt, wie er sie seit Waldkirch nicht mehr gesehen hatte. In einiger Entfernung sah er zu seiner Rechten einen weiteren Ort, hinter dem sich das Tal Richtung Norden verengte. Dazwischen war freies Feld. Im Talgrund spiegelte sich das Sonnenlicht in einem schmalen Band, das sich in unregelmäßigen Schleifen schlängelte.
»Dort unten vor uns ist Schopfheim«, erklärte Urs, »rechts Hausen. Der Fluss ist die Wiese. Sie kommt vom Feldberg herunter und fließt von hier aus nach Westen weiter bis Basel.«
»Und Todtnau? Wie weit ist das von hier?« Felix erinnerte sich an den Ort, bis zu dem Tobias und Rainer vorgedrungen waren.
»Das Tal hinauf. Ein gutes Stück die Wiese entlang. Mindestens 20 Kilometer.«
Felix nickte. Er würde es sich merken. Vielleicht kam er doch noch eines Tages dorthin. Der Name des Ortes übte einen eigenartigen Reiz auf ihn aus. Ebenso wie der Fluss. »Wiese - ein seltsamer Name für ein Gewässer, findest du nicht?«
Urs zuckte mit den Schultern. »Schon. Mir gefällt er so gut wie jeder andere. Es gibt übrigens noch eine.«
»Noch eine Wiese? Klar, dort unten hat es genug!« Felix deutete auf das Grün zu ihren Füßen.
»Nein, noch einen Fluss. Die Kleine Wiese. Sie ist drüben im anderen Tal.« Er wies auf den Bergrücken auf der gegenüberliegenden Seite, der bis oben mit Wald bewachsen war.
»Große Wiese - Kleine Wiese. Find ich irgendwie witzig. Und die kommt auch vom Feldberg?«
»Nein, vom Belchen«, meinte Urs knapp. Er gab Felix zu verstehen, dass sie sich nicht zu lange aufhalten sollten. »Siehst du das Fabrikgelände dort unten am rechten Rand von Schopfheim?«
Felix folgte seiner ausgestreckten Hand. Am Ortsende deuteten etliche flache Dächer auf das frühere Industriegebiet hin. »Ja, was ist damit?«
»Dahinter ist eine Häusergruppe kurz vor...
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