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»Mein Schiff ist so klein - mein Logbuch so groß.« Kann man es schöner sagen?
Während Wilfried 1967/68 bei seiner ersten Weltumseglung mit der Kathena die große Freiheit fand, erfüllte sich gerade meine Sehnsucht nach einer kleinen Freiheit: durch den Erwerb des Führerscheins und die nachfolgende Anschaffung eines VW-Käfers für 300 DM. So konnte ich zwar nicht die Welt kennenlernen, aber doch am Wochenende dem staatlichen Internatsknast in Plön entkommen. Ein eigenes Boot wäre mir lieber gewesen.
Der Traum, an Bord zu steigen und allein sehr weit fortzusegeln, nagte tief in mir. Das kann nur verstehen, wer an der Küste aufgewachsen ist und das Leben im verdruckst-repressiven Nachkriegsdeutschland erlebt hat. Saudade, die Sehnsucht nach dem Meer, kennt keine Grenzen.
Wilfried, zehn Jahre älter als ich, der Vater in russischer Gefangenschaft, wuchs in einem bescheidenen Zuhause in Ostdeutschland auf. Da gab es nichts zu verlieren. Ich hingegen erlebte meine Kindheit in einem großbürgerlichen Elternhaus an der Elbchaussee und befand, dass ich auch nichts zu verlieren hätte. Gemeinsam war uns die Herkunft unserer Familien aus Hinterpommern. Darüber hinaus spielten Segeln und Schreiben, die beiden Aspekte dieses Beitrags, für uns beide eine wichtige Rolle: Reflexion und Therapie zugleich.
Im Leben meines beruflich erfolgreichen Vaters Hans Domizlaff (1892-1971) verbanden sich viele Leidenschaften. Segeln und Schreiben waren die größten. 1934 erschien sein Buch »Dirk iii - Bilder und Gedanken aus der Welt des Fahrtensegelns«, ein nachdenkliches Logbuch seiner Reisen mit der 22 Meter langen Yawl Dirk iii, die ihn als ersten Yachtsegler bis zum Nordkap brachte. Das Buch, heute eine gesuchte Antiquität, gehört in meinen Augen zum Schönsten, was je über das Fahrtensegeln geschrieben wurde. Das fand auch Wilfried, und damit begann unsere Freundschaft und Zusammenarbeit.
Mein Vater garnierte die gemeinsamen Abendessen zu Hause mit ausführlichen Erzählungen. Es waren Geschichten über Reisen in ferne Länder oder über seinen eben beendeten Arbeitstag. Irgendwann im Mai 1968 berichtete er von einem ungewöhnlichen Besucher in seinem Büro.
Durch die Vermittlung des Chefredakteurs der »Pommerschen Zeitung«, herausgegeben von einem Vertriebenenverband, war ein junger Mann in seinem Büro erschienen, der eben als erster deutscher Einhand-Weltumsegler in die Heimat zurückgekehrt war. Das weckte die Neugier meines Vaters, und meine sowieso. Viele Jahre später schrieb mir Wilfried, wie der Besuch nach seiner Erinnerung verlief.
Unterm Arm den Riss vom neuen Boot, das Logbuch von der letzten Reise und eine Flasche Wasser - ich hatte alles zusammen, als ich Deinen Vater an der Elbchaussee besuchte. Der Gastgeber Hans Domizlaff hatte mich zu einem Stundenbesuch eingeladen, wollte den jungen Pommern gern kennenlernen, der gerade allein um die Welt gesegelt war. Aus einer Stunde wurde ein Nachmittag, mit Essen, danach Kaffee und Kuchen. Am Tisch auch seine Frau Dora und die Tochter Andrea, von der ich noch im Kopf habe, dass sie, nachdem ich ihr ein Autogramm gegeben habe, stolz sagte: »Von Karajan habe ich auch eines.« Längst war mir meine Lockerheit abhandengekommen, doch offensichtlich fand der alte Segelschipper Gefallen an meiner Art, zumal ich aus seinem Buch »Dirk iii« zitieren konnte.
Svante Domizlaff, geboren 1950 an der Elbe, segelt seit frühester Kindheit, zunächst an Bord der Yachten seines Vaters, der in den 1920er-Jahren zu den Pionieren des Fahrtensegelns gehörte, darüber ikonische Bücher schrieb und ein Vorbild von Wilfried Erdmann wurde.
Für Domizlaff ist das Segeln eine Leidenschaft, die sein Leben bestimmt. 1971 machte er aus seinem Hobby einen Beruf. Als Redakteur der »Yacht« begleitete er den Segelsport fortan vor allem auf Hochseeregatten weltweit, und schrieb darüber eine Fülle von Publikationen. Vor allem sein Buch über das Fastnet-Race 1979 »Yachten im Orkan« wurde zum Erfolg. Auch in seiner späteren beruflichen Tätigkeit als Reporter und Redakteur widmet er sich immer wieder maritimen Themen.
Seine Freundschaft zu Wilfried Erdmann bestand über mehr als vierzig Jahre. Im Mittelpunkt vieler Gespräche standen journalistische, aber auch metaphysische Aspekte des Segelsports.
Dein Vater zeigte mir sein Haus. An einer Wand hing das Modell einer von ihm konstruierten Jolle (es war wohl das Halbmodell eines Starbootes, dessen Einführung in Deutschland er gefördert hatte), umgeben von Bücherregalen bis an die Decke. Wohl mehr als 10 000 Exemplare. Wir gingen dann durch den Garten in sein Bürohaus, wo sein Arbeitszimmer einem Atelier ähnelte. Es war riesig - mit einem Schreibtisch von beachtlicher Größe. Auf dem Tisch lag das unfertige Manuskript eines neuen Buches. Zum ersten Mal konnte ich mir von einem Manuskript ein Bild machen. Viele Anmerkungen und Streichungen waren zu erkennen. Oh la la, dachte ich, so sieht also ein Buchmanuskript aus. Zum Abschied überreichte er mir das von ihm verfasste Buch »Die Viermastbark Passat«. Die Widmung, die Dein Vater mir in das Buch geschrieben hat, ist eine wahrhaft ehrenvolle Auszeichnung. Leider bin ich ihm nie wieder begegnet. Dafür aber Dir, Svante.
1968 war mir schon das Glück beschieden, ein eigenes kleines Einhandboot zu segeln, eine gebrauchte OK-Jolle für 1200 DM, die ich mir durch einen Job im Hamburger Hafen verdient hatte. Die Sommerreisen mit meinen Eltern an Bord unseres 24 Meter langen, 1953 an der Schlei gebauten Motorseglers Triglav, bestätigten meine Vorstellung vom Glück, weit weg von der Schule auf See zu sein. Mit dem Segelsport kannte ich mich aus. Darum bedauerte ich, den Besuch von Wilfried in meinem Elternhaus verpasst zu haben.
Wahrscheinlich hätte ich die lange Reise der Kathena mit ihrem ungewöhnlichen Skipper, der einen wilden Bart trug und bestimmt keinen blauen Blazer mit goldenen Knöpfen besaß, bald wieder vergessen. Aber dann nahm das Thema bei mir richtig Fahrt auf, ausgelöst durch einen Fall von Ungerechtigkeit. Ein Jahr zuvor nämlich war der von der internationalen Presse gefeierte Einhand-Weltumsegler Francis Chichester (1901-1972) in seiner englischen Heimat wie ein Seeheld empfangen worden. Für seine Yacht Gipsy Moth öffnete London sogar die Tower Bridge, und die Queen erhob Mister Chichester für seine Leistung in den Adelsstand: Sir Francis Chichester.
Über Wilfrieds Rückkehr las man in Deutschland allenfalls in der Regional- und Fachpresse. Bei seiner Ankunft begegneten ihm die Granden des deutschen Segelsports mit Misstrauen. Trotz seines gut geführten Logbuchs glaubten sie, einem Hochstapler auf die Schliche gekommen zu sein. Schließlich musste er sich dafür rechtfertigen, dass es ihm gelungen war, die Sieben Meere ohne einen amtlichen, vom Deutschen-Segler-Verband ausgestellten Führerschein bezwungen zu haben. Verantwortungslos. Bei der Verleihung der allerhöchsten Auszeichnung für den deutschen Fahrtensegelsport, dem Schlimbach-Preis, ging er leer aus. Immerhin, der Bürgermeister seiner Heimatstadt Büchen an der Zonengrenze schenkte ihm als Belohnung für den historischen Törn - eine Mettwurst! Diese Ungerechtigkeit ist mir stärker in Erinnerung geblieben als die Weltumseglung selbst.
Näher kennengelernt habe ich Wilfried erst einige Jahre später. Inzwischen war ich Redakteur der Zeitschrift »Yacht«. Da Wilfried weiterhin Reisen am laufenden Band absolvierte, sahen wir uns nur sporadisch. Seine Bücher übten auf mich von Beginn an eine seltsame Faszination aus. Man konnte sie leicht und schnell lesen, und dann noch mal beginnen und sich über die sprachliche Gewandtheit, die einfachen, aber eindrücklichen Bilder und Gedanken wundern. Was dem Mann so alles im Kopf herumging! Seine Betrachtungen über die tägliche Porridge-Portion und die Lust an der Zwiebel fanden sich im selben Absatz wie philosophische Gedanken über das Segeln im Allgemeinen und das Einhandsegeln im Besonderen.
Wilfried hat nie eine Universität von innen gesehen und auch keine sprachliche oder journalistische Ausbildung erhalten. Aber er ist belesen. Sein Weltbild ist von gesundem Menschenverstand geprägt. Seine Gedanken sind die eines Stoikers, der alle Lebenslagen ruhig und gelassen hinnimmt. Er findet sein Glück in der gelebten Praxis, wo ein klarer Kopf so wichtig ist wie ein Seemannsknoten, der in Stürmen hält. Wilfried war von Natur aus bescheiden und wurde daher oft unterschätzt. Er führte kein großes Wort, auch wenn er Großes erlebte. Seine Geradlinigkeit, seine Einfachheit im Denken und im Schreiben sind seine Größe. Das muss man erst mal hinkriegen. Dabei halfen ihm die Logbücher und die Tagebücher, die er fleißig...
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