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Erster Satz, zweites Spiel
Bevor die nächste Runde begann, ging der Spanier erneut zu seinem Kampfrichter. »Der Kerl hat Kraft, und er kennt das Spielfeld genau«, sagte der Adlige, »den ersten Punkt hast du gewonnen, weil er dir nichts zugetraut hat.« - »Ich bin jünger als er«, erwiderte der Dichter, »was die Kraft angeht, kann ich mithalten.« - »Aber eines deiner Beine ist kürzer als das andere.« - »Damit kann ich ihn überraschen.« - »Doppelt anstrengen musst du dich trotzdem.« - »Soll ich weiter vorn spielen?« - »Mit seinen langen Linienbällen macht er dich fertig.« - »Die geb ich ihm volley zurück.« - »Das ist zu riskant, besser, du spielst auf Zeit, dass er nicht viel Energie hat, merkt man ihm an. Immer Punkt für Punkt: hinten, vorn, dann in die Ecken.« Der Dichter schnaubte, wischte sich den Schweiß von der Stirn, stemmte die Arme in die Hüften und sah zu Boden, als wartete er auf genauere Anweisungen. Hätte er nicht einen solchen Kater gehabt, hätte er womöglich größere Hoffnungen in den erfolgreichen Ausgang der Partie gesetzt. »Eng wird es auf jeden Fall«, sagte er dann. »Du kannst auch zurückziehen«, erwiderte der Adlige, »das mit dem Duell war deine Idee.« Der Dichter sah weiterhin zu Boden. »Oder wir machen mit dem Schwert weiter, dann ist die Sache schnell erledigt.« Der Herzog schüttelte den Kopf. »Nicht schon wieder Ärger. Außerdem ist der Kerl mit dem Schwert ein alter Hase.« Der Dichter knurrte: »Bisher habe ich noch nie verloren.« - »Eben darum.« - »Na gut, Punkt für Punkt also.« Bevor er aufs Feld zurückkehrte, sagte er noch: »Hast du gemerkt, dass die überhaupt nicht miteinander sprechen?« - »Wer?« - »Er und sein Gönner.« Der Herzog schien dem keine Bedeutung beizumessen. »Na und? Gestern Abend haben sie sich auch nicht unterhalten, ich glaub, die sind nicht mal befreundet, sieh sie dir doch an.« Der Gegner des Dichters war noch kein einziges Mal an die Galerie getreten. Und der Mathematiker schien ganz und gar in die Betrachtung der vor ihm durch die Luft schwebenden Staubteilchen versunken.
Der Spanier und sein Kampfrichter wandten den Blick wieder dem Mann aus der Lombardei zu. Dass der so ernst dreinblickte, verhieß nichts Gutes. Er wirkte nicht mehr so selbstsicher wie zu Beginn, aber genau das spornte offensichtlich seinen Ehrgeiz an. Es ging nicht mehr um Leben oder Tod, sondern um Sieg oder Niederlage, die Angelegenheit war also wesentlich schwerwiegender und komplizierter, schließlich braucht, wer im Duell mit dem Schwert unterliegt, sich danach keine Gedanken mehr zu machen.
Der Dichter nahm seinen Widersacher genauer in Augenschein. Er war leichenblass und sein pechschwarzes Haar völlig zerzaust. Er hatte buschige Brauen und einen üppigen, ungepflegten Vollbart rings um einen dunkelroten Mund, der an eine weibliche Scham erinnerte. Der Dichter kniff die Augen zusammen, um den anderen noch besser in den Blick zu bekommen. Er war stark und von kräftiger Statur, wie ein Soldat, so sehr er ansonsten den Anschein eines von allen möglichen körperlichen Übeln geplagten Menschen machte. Ein Gefallener aus den Reihen eines neapolitanischen Infanterieregiments, der auf die Erde zurückgekehrt war, um eine letzte Partie Tennis zu spielen und den Lebenden dabei was auch immer zu beweisen. »Ob der immer so fertig aussieht, oder liegt es am Kater?«, fragte der Dichter den Herzog. »Wer?« - »Der Künstler.« - »Ich weiß nicht, mich interessiert eher sein Kampfrichter, sieh dir den doch mal genauer an.« Der Mathematiker saß abseits von den anderen auf der Galerie und ließ den beunruhigend starren Blick jetzt übers Spielfeld gleiten. Dabei bewegte er leicht die Lippen. »Was ist denn an dem so besonders?« - »Er ist ein berühmter Professor.« - »Und?« - »Und er ist kein bisschen dumm - der Arsch stellt irgendwelche Berechnungen an, als hätte er einen Billardtisch vor sich.« Der Dichter räusperte sich und zuckte die Schultern. Dann spuckte er geräuschvoll aus. »Weiter geht's.«
Er hob den Ball auf und rief: »Tenez?« Das Ungeheuer sah ihn an, als stünde es am anderen Ufer des Totenflusses, nickte, ohne zu lächeln, und blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Die Stirn des Künstlers glänzte, nicht von Schweiß, sondern von Fett. Als der Spanier an der Aufschlaglinie Position bezogen hatte, stellte er fest, dass sein Gegenspieler und dessen Kampfrichter sich sehr wohl miteinander austauschten. In rascher Folge deutete der Professor mit einem oder mehreren Fingern bald nach oben, bald nach unten, bald auf sich selbst. Der Dichter wies seinen eigenen Kampfrichter darauf hin, indem er mit dem Schläger in Richtung der beiden zeigte. Der Herzog presste unruhig die Zähne zusammen. Der Spanier ließ den Ball einmal auf der Linie aufspringen, warf ihn in die Höhe und schrie: »Tenez!«
Der Aufschlag fiel ziemlich mittelmäßig aus, doch umso ungestümer erfolgte der Rückschlag. Der Künstler drosch den Ball mit animalischer Kraft dem Dichter volley mitten ins Gesicht, der den Einschlag vergeblich abzuwehren versuchte und knapp unterhalb der Wange am Hals getroffen wurde. »Quindici-Amore«, rief der Professor ungerührt. Seine Stimme war durchdringend wie die eines Marktschreiers, aber ohne jeden Anflug von Spott.
Der Dichter senkte mit schmerzverzerrtem Gesicht den Kopf. Dann sah er vorsichtig wieder auf, bemüht, sich nicht von dem Schwindel, der ihn erfasst hatte, überwältigen zu lassen. Während er sich über die getroffene Halspartie strich, blickte er, nach einer Erklärung suchend, seinen Gegner an. So etwas hatte er noch nicht erlebt. Der Künstler legte die Hände um den Griff seines Schlägers, es sah aus, als würde er beten. Dazu machte er eine bedauernde Miene und gab zu verstehen, dass ihm bewusst war, dass er den Punkt verloren hatte, weil er sich nicht an die Anstandsregel gehalten hatte. Der Herzog zog an der Stelle, wo sich bei allen anderen Menschen die Augenbrauen befinden, die nackte Haut hoch. Der Dichter umklammerte mit Daumen und Mittelfinger seine Stirn, hob dann den Ball auf und kehrte, ohne seine Wunde noch einmal zu befühlen, zur Aufschlaglinie zurück. Wie verwirrt er war, merkte sein Gönner an dem Ernst, mit dem er sich für die nächste Angabe bereit machte - er holte tief Luft. Auffällig war auch, wie wenig Mühe er sich gab, zu verbergen, dass er auf den Ball spuckte, obwohl es gerade in diesem Spiel vielleicht mehr denn je auf Diskretion angekommen wäre. Niemand beschwerte sich.
»Tenez!« Er setzte den Ball genau an die Kante des Vordachs, ganz in der Nähe der Schnur. Der Speichel sorgte dafür, dass er auf äußerst seltsame Weise davon abprallte. Der Mann aus der Lombardei machte sich gar nicht erst die Mühe zu versuchen, ihn zu erreichen, obwohl das ganz offensichtlich möglich gewesen wäre. Stattdessen ließ er den Ball ausrollen, hob ihn auf und rieb ihn an seiner Hose trocken, um ihn anschließend dem Spanier zurückzugeben, dessen Betrug nun aufgedeckt worden war, ohne dass er ein einziges Wort hatte verlieren müssen. Was sich als umso wirksamere Bestrafung erwies: Ein echter Kerl konnte, wenn die Leidenschaft mit ihm durchging, schon einmal die Regeln des guten Benehmens aus dem Blick verlieren, etwas ganz anderes war es jedoch, weibisch hintenrum zu tricksen wie eine Nonne. Der Dichter sah sich aufs Unangenehmste bloßgestellt. Und der Herzog zählte den Punkt nicht, sondern rief: »Neuer Versuch!«
Der Dichter ließ den Ball einmal aufspringen, warf ihn dann in die Höhe. »Tenez!« Der Künstler wartete, bis er vom Dach abprallte, drehte sich einmal rasend schnell im Kreis und schlug mit dem so gewonnenen Schwung auf den Ball ein, als gelte es, einen Nagel durch Christi Handgelenk zu treiben. Wieder flog das Geschoss genau auf das Gesicht des Dichters zu, der sich gerade noch rechtzeitig bücken konnte, sodass er bloß am Scheitel getroffen wurde. »Trenta - Amore!«, rief der Professor.
Mit Tränen in den Augen richtete der Spanier sich auf und rieb sich den Kopf. Als er nach dem Ball griff, erfasste ihn erneut heftiger Schwindel. Er ging in die Hocke und strich sich übers Genick. Hinüber auf die andere Spielfeldhälfte blickte er lieber nicht - beim ersten Lächeln im Gesicht egal welcher der viehischen Gestalten, die seinem Widersacher Gesellschaft leisteten, wäre er aufgesprungen und zu seinem Schwert gelaufen. »Was soll das?«, fragte er den Herzog mit dumpfer Stimme. »Du bist dabei, zu gewinnen, Alter, mach weiter.« - »Und was soll ich machen?« - »Nichts, einfach weiter aufschlagen, und deine Rache wird der Sieg sein.«
»Tenez!« Diesmal wurde der Ball dem Künstler wie auf dem Silbertablett serviert: Er sprang zweimal auf dem Galeriedach auf und senkte sich dann auf die Mitte seiner Feldhälfte nieder, sachte hinabschwebend wie eine Feder. Der Dichter merkte erst, dass der Ball wieder auf seiner Seite eingetroffen war, als er wie ein Stein in das Nest seiner Eier einschlug. Er hatte ihn nicht einmal kommen sehen und knallte augenblicklich der Länge nach hin wie eine Felsplatte. Wie durch eine Staubwolke - mehr war von der Welt für ihn nicht übrig - hörte er von ferne die Stimme des...
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