Schweitzer Fachinformationen
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In Little Havana wohnten etwa sechzigtausend Kubaner und ein Deutscher - ein blonder siebenundfünfzigjähriger Mann, der sich gegen zehn Uhr morgens in seinem knarrenden Feldbett umdrehte, ohne sich daran erinnern zu können, wo er sich befand. Erst als er den Straßenlärm und den Gesang auf der Veranda hörte, fiel es ihm wieder ein.
Florida war ein Witz. Die Hitze hing in der Luft wie Laserpunkte, die nach den kühlen Flecken auf Ludwig Lichts verschwitzter Haut suchten und sie wegbrannten. Florida war ein Paradies ohne Engel.
»Guten Morgen, Papi«, sagte Carmen, als Ludwig in einem dünnen hellblauen Bademantel in den Schatten vor dem kleinen terrakottafarbenen Haus trat. Einzig Carmens Pupillen waren groß. Im Übrigen war sie eine kleine, drahtige Erscheinung. Es hatte einige Wochen gedauert, bis Ludwig angefangen hatte, sie als Erwachsene zu sehen, obwohl sie die Vierzig bereits überschritten hatte.
Natürlich glaubten viele Nachbarn, dass Ludwig mit ihr schlief, aber das entsprach nicht ihrer Vereinbarung. Carmen war sein Wachhund und durfte dafür in einem Schuppen im Garten wohnen. Ein großer Vorteil war, dass sie nie schlief, jedenfalls nicht, soweit Ludwig es beurteilen konnte. Sie lebte von Kiwisaft und Maisbrot mit Haschisch. Einige Male im Monat gab ihr der Bäcker einige Straßen weiter ein Stück Torte aus. Ihre Abmachung umfasste weiterhin, dass sie Küche und Bad im Haus benutzen durfte, wenn Ludwig nicht da war. Er hatte sie noch nie in seinen vier Wänden gesehen, merkte aber, wenn sie die Dusche benutzt hatte, und fand in der Küche gelegentlich Kiwisaftspritzer.
Die Veranda war von Säulen und einer niedrigen Ziegelmauer umgeben und hatte die Größe eines Kombis. Der Garten, der bis zum meterhohen Maschendrahtzaun reichte, besaß in etwa dieselben Ausmaße. Von den acht Palmen stand nur jede zweite innerhalb des Zauns, was Ludwig erhebliche Probleme verursachte, denn die Dade-County-Parkverwaltung weigerte sich, die Bäume innerhalb seines Zauns zu beschneiden. Er hatte versucht, mittels Bestechung eine Lösung herbeizuführen, aber trotz des Eindrucks, der sich ihm tagtäglich aufdrängte, schien er sich doch nicht in einer Bananenrepublik zweiter Klasse aufzuhalten. Er befand sich in den Vereinigten Staaten, die von der Ineffektivität unterentwickelter Regionen, aber nicht der dazugehörigen Flexibilität geprägt waren.
Ludwig spähte über die Südwestecke des Riverside Parks auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Hinter einem oben abgeschrägten, ballsicheren Maschendrahtzaun lag ein Sportplatz mit hellgelbem Sand, der im diesigen Morgenlicht zu leuchten schien. Im Augenblick war er leer, aber der dumpfe Knall der Schläger hatte sich wie der Takt einer Marschtrommel in Ludwigs Kopf festgesetzt.
Fußgänger und Radler schienen sich oft schneller und zielstrebiger vorwärtszubewegen als die ungleichmäßig vorbeiströmenden Autos. Nach einer Weile hatte Ludwig erkannt, woran das lag: An jeder Kreuzung galt rechts vor links, und ein Durchkommen war schwierig. In dieses Viertel geriet man nur versehentlich und suchte anschließend verzweifelt nach der nächsten Schnellstraße. Die einzige Frage, die verirrte Autofahrer einem je stellten, lautete: »Wie komme ich hier weg?«
»Guten Morgen«, brummte Ludwig, zog seinen Flachmann aus der Tasche des Bademantels und trank ein paar Schlucke warmen Bourbon, bevor er seine Füße in ein Paar rote Badelatschen schob, die Gartenpforte öffnete und ein Stück am Park entlangging. Mit geübter Handbewegung und einem Gummiband raffte er sein Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen.
Sein Stammlokal lag nur fünfzig Meter entfernt. Genau genommen bestand es nur aus einer Tür in der Wand, drei Plastikstühlen und ein paar umgedrehten Bierkästen unter einer Markise. Die Markise hatte dieselbe Farbe wie amerikanische Autobahnschilder. Die Eigentümerin des Lokals gehörte zu den Unternehmern, mit denen Ludwig eine stillschweigende Vereinbarung eingegangen war. Jeden Morgen half er ihr, ohne dass dabei ein Wort gewechselt wurde, einen mittelalterlichen Lautsprecher neben den Airconditioner an der Straße zu hängen. Dafür erhielt er einen Café con leche und ein vier Grad kaltes Budweiser. Wenn sie abends allein im Lokal arbeitete, begleitete er sie mit der Tageskasse zu ihrem Auto.
Nachdem er den Lautsprecher angebracht hatte - während die Frau, deren Namen er nicht einmal kannte, ihm den Rücken zukehrte und etwas auf dem Herd briet -, räusperte er sich, verließ das Lokal und setzte sich auf einen der drei Stühle. Zwei Minuten später standen Bier und Kaffee vor ihm. Er goss etwas Bourbon in den wässrigen, grauen Kaffee, massierte sich die Schläfen und trank. Langsam begann sein Gehirn wieder zu arbeiten. Allerdings war es noch zu früh, um zu erfassen, womit es sich beschäftigte. Vermutlich mit der stinkenden, heruntergekommenen Kneipe, die er drüben in der 7th Street besaß.
Auf der Bierkiste, auf der seine Füße lagen, lag auch die Sonderausgabe des Miami Herald.
Bombenanschlag im Herzen von Little Havana - Drei Tote
Gouverneur Scott im Krisengespräch mit Washington nach den Autobomben vor dem Versailles. Erhöhte Terrorbereitschaft?
Ein Angestellter des Lokals war ums Leben gekommen sowie Guevo Laziles und Pablo Rojas, die zur Führung des militanten Teils der exilkubanischen Bewegung FRPF gehörten, deren Sprecher Laziles seit fünfzehn Jahren gewesen war. Die Miami-Dade Police teilte schon bald mit, die Ermittlungen abgeben zu wollen, da es sich um eine terroristische Straftat handele, für die die State Police zuständig sei. Unbestätigten Angaben zufolge waren bereits eine halbe Stunde nach dem Anschlag Bombenspezialisten des FBI-Miami zur Stelle.
In seinem Blog erklärte Jesus Esquivel, laut übereinstimmenden Informationen der dritte Mann der FRPF-Führung: »Die amerikanische Öffentlichkeit muss endlich aufwachen. Die Lakaien des Castro-Regimes stellen eine ernsthafte Bedrohung dar. Sie leben in unserer Mitte und schrecken auch in der Hochburg der Demokratie und Freiheit nicht vor kaltblütigen Morden zurück. Wir trauern um unsere Kameraden und beten in dieser schweren Zeit für ihre Familien. Dennoch geht der Kampf unermüdlich weiter.«
Ludwig hörte auf zu lesen. Ein edlerer Mensch in besserer Verfassung als er wäre vermutlich nicht auf die Idee gekommen, dass alles, was dem Versailles schadete, kleinere Lokale begünstigte. Doch Ludwig Licht legte die Zeitung mit der bedenklichen Schadenfreude eines Säufers beiseite.
Leider half nicht einmal das gegen seine Kopfschmerzen. Aus der linken Tasche seines Bademantels nahm er zwei Aspirin und warf sie in die Bierflasche, in der es zischte und schäumte. Genüsslich schlürfte er den Schaum in sich hinein und schloss die Augen. Dann plante er einen weiteren vollkommen sinnlosen Tag seiner eigenen Endlagerung.
Eine halbe Stunde später hatten seine Kopfschmerzen um fünfzig Prozent abgenommen, während der beunruhigend niedrige Alkoholpegel seines Blutes stetig anstieg. Als er zu seinem Haus zurückkehrte, das fast das gesamte Eckgrundstück einnahm, saß Carmen immer noch auf der Veranda und flocht weißgrüne Rosen aus Palmwedeln, die sie an Touristen verkaufte, wenn sie gerade nicht arbeiten wollte oder ihr der Einlass in den Stripclub verwehrt wurde.
»Eben war ein Auto hier«, sagte sie, ohne ihre Handarbeit aus dem Blick zu lassen.
»Bitte?«
»Hier vor der Tür hat ein Wagen gehalten. Zwei Typen in Anzügen haben zu mir rübergestarrt und sind dann weitergefahren.«
»Hast du mit ihnen geredet?«
»Das waren keine Freier. Jedenfalls glaube ich es nicht.«
»Nein. Aber hast du etwas zu ihnen was gesagt?«
»Nicht wirklich.« Als Antwort auf Ludwigs...
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