Schweitzer Fachinformationen
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«Die Häuser und Häuserreihen strahlen in der Vernichtung eine düster-palastartige Größe aus. Man gleitet vorüber wie an einer fremden, kälteren Welt: Dort residiert der Tod.»
«Die unerfreuliche Erfahrung einer Tragödie lässt die Sinne nach und nach abstumpfen und erzeugt einen Verteidigungsmechanismus der Kaltsinnigkeit, den ein normaler Mensch braucht, um durchzuhalten.»
«Oh diese faulen Denker! Mit ihrem sentimentalen Stirb und Werde. Nur aus Leben entsteht Leben, oder haben jene schon beobachtet, dass eine tote Mutter ein Kind geboren hat?»
Die Kajüte ist eng, kaum zwei mal drei Meter. Ein Bett steht dort, ein Stuhl, ein Tischchen und ein kleines Sofa. Außerdem gibt es einen Schrank und einen Waschtisch mit Toilettendingen. Die Einrichtung wirkt streng und unpersönlich, nur auf dem Tisch steht ein Foto, das eine ernste Frau im Kimono, zwei Mädchen um die zehn Jahre und einen kleinen Jungen zeigt. Das ist seine Familie. Wenn der Mann durch das Bullauge schaut, sieht er türkisfarbenes Wasser, hügelige, von Dschungel bedeckte Vulkaninseln und in der Ferne Brandung, die verrät, wo die Korallenriffe liegen. Dazu grau gestrichene Schiffe, die vor Anker liegen - massenhaft Schiffe. Das hier ist das große Truk-Atoll, es ist Montag, der 9. November, und der Name des Mannes ist Tameichi Hara.
Er ist gerade zweiundvierzig Jahre alt geworden und Kapitän in der kaiserlichen japanischen Flotte, Kommandant der Amatsukaze («Der himmlische Wind»). Dieser neue und topmoderne Zerstörer wiegt zweitausendfünfhundert Bruttoregistertonnen, ist hundertachtzehn Meter lang, flach, schlank, schnell und schwer bewaffnet, sowohl mit Kanonen als auch mit Torpedos. Die Maschinen der Amatsukaze laufen gerade warm, man kann die Vibrationen durch das Hellegatt spüren. Bald werden sie Anker lichten. Er ist stolz auf sein Schiff, zufrieden mit seiner Mannschaft, fühlt sich sicher in seiner Rolle. Dennoch verspürt er eine gewisse Unruhe, eine Ambivalenz, die zu unterdrücken ihm oft gelingt, die sich unter der Oberfläche aber immer bewegt.
Seit Kindertagen hat Hara ein Krieger werden wollen, genau wie sein Großvater, der Samurai, nicht zuletzt, weil das eine Methode ist aufzusteigen, denn er stammt aus einer Familie von armen Kleinbauern. Der Tag, an dem er bei der Marine angenommen wurde, gehört zu den glücklichsten seines Lebens. Er liebt die weiße Marineuniform, das Gefühl von Ruhm und Ehre, er liebt den Status, den sie ihrem Träger im militaristischen Japan verleiht, die Blicke, die Verbeugungen, den Respekt.
Er genießt auch das besondere Glück, seinen Beruf nahezu vollendet zu beherrschen: Seine Berechnungen und praktischen Erfahrungen sind es, die hinter dem neuen Reglement für Torpedoangriffe der japanischen Flotte stehen. (Ohne diese Geschicklichkeit wäre er wohl kaum Kommandant eines Schiffes. Hara hat nämlich eine Schwäche für Alkohol, und als Mitte der Zwanzigerjahre ruchbar wurde, dass er mit einer Geisha zusammenlebte, hätte ihn das fast die Karriere gekostet. Außerdem gehört er zur kritisch betrachteten christlichen Minderheit.) Gleichzeitig gibt es in der Flotte Verhaltensweisen, mit denen er sich nur schwer anfreunden kann: das Quälen Untergebener, das Steife, die Verachtung gegenüber den wehrpflichtigen Matrosen (sie werden oft «das Vieh» genannt), die veralteten Denkweisen, den blinden Gehorsam und - fast ebenso problematisch - das blinde Selbstvertrauen.
Tameichi Hara nimmt seinen Platz auf der Brücke ein. Wenn man den Fotos und seinen eigenen Notizen glauben kann, dann wirkt er streng, verschlossen, entschieden. Er ist ziemlich klein, aber gut gebaut. Wahrscheinlich trägt er zu der komplett weißen Uniform auch weiße Handschuhe. Und wahrscheinlich darunter, obwohl er nicht sonderlich abergläubisch ist, um die Taille auch einen Senninbari-Gurt.[1]
Kurze Kommandos mit bewusst rau gehaltener Stimme. Kurze Antworten. Honneurs. Pfeifen und Rufen aus Sprechrohren. Signalhörner hallen wider. Die Amatsukaze gleitet zusammen mit acht Zerstörern und einem Kreuzer aus der mit Schiffen übersäten Lagune von Truk und dann weiter durch einen der Kanäle durch das große Korallenriff aufs offene Meer hinaus. Sie fahren hintereinander in Kiellinie und nehmen Kurs auf Südost.
Ihr Ziel sind die Salomoninseln und Guadalcanal.
Am selben Tag befindet sich Wera Inber auf einer offiziellen Besprechung im Haus der Roten Armee. Inber sitzt auf heißen Kohlen, denn sie weiß, dass zur gleichen Zeit im Radio eine Wiederholung der Rede läuft, die Stalin bei der Revolutionsfeier gehalten hat. Sobald die Besprechung beendet ist, laufen sie und ein paar andere in das Büro des Vorstands, wo (natürlich) das Radio eingeschaltet ist. Sie ist erstaunt über die Qualität der Übertragung. Kaum Rauschen. Es ist, als würde sich Josef Wissarionowitsch im Raum nebenan befinden. Doch nicht die Klarheit des Tons ergreift sie, sondern die Stimme.
Die Stimme umschließt sie, und all ihre Sorgen lösen sich in Luft auf. Inber berichtet:
Stalins Stimme hat etwas Unwiderstehliches. An ihrem Klang kann man hören, dass der Sprecher alles weiß und dass er niemals heucheln wird. In dieser Rede sprach er ruhig und zuversichtlich über unsere Beziehungen zu unseren Alliierten, über den Sieg und dass er unbestreitbar ist. Niemand bezweifelt, dass er kommt, die Frage ist nur, wann. Doch nach dieser Rede ist sogar jenes «Wann» irgendwie näher gerückt.
Der euphorische Zustand, in den die Stimme sie versetzt hat, hält bis zum Abend. Da heulen wieder die Sirenen. Sie schreibt in ihr Tagebuch:
Voriges Jahr gingen die Angriffe bis zum Dezember. Wahrscheinlich wird das auch in diesem Jahr so sein, und heute ist erst der 9. November. Wir haben noch einen langen Weg vor uns.
Dorothy Robinson hat Muskelkater. Mehrere Stunden lang hat sie den Gemüsegarten umgegraben, der früher einmal Rasen war. Genau wie so viele andere ist sie der Aufforderung gefolgt, die Ernährung der Familie durch eigenes Gemüse aus einem Victory Garden zu ergänzen. (Man sieht diese Gärten überall, nicht nur in den Hinterhöfen der Häuser, sondern auch in Parks, auf freien Grundstücken und sogar auf Hausdächern.) Jim ist wie üblich auf Reisen, und George, der hilfsbereite Verlobte ihrer Haushälterin, hat in der Fabrik alle Hände voll zu tun, also musste sie selbst hacken und die schwere, nasse Herbsterde umgraben.
Frisches Gemüse ist oft Mangelware, also hat der kleine Garten seinen Nutzen erfüllt, und sie werden zum Frühjahr wieder einsäen. Doch nicht nur frisches Gemüse fehlt regelmäßig auf dem Tisch, immer öfter steht Robinson auch im Supermarkt vor leeren Regalen. Grundlebensmittel wie Zucker und Kaffee sind rationiert - vor allem beim Kaffee hat das viel Murren hervorgerufen[2] -, und frisches Fleisch wird immer teurer und ist schwerer zu bekommen.
Es gibt ein freiwilliges Programm, das alle Familien dazu anhält, nicht mehr als ein knappes Kilo Fleisch in der Woche zu essen. In der Tageszeitung glättet das allgegenwärtige Office for War Information (OWI) die Wogen: Das gelte natürlich nicht für den traditionellen Thanksgiving-Truthahn. (Allerdings sind die Truthähne in diesem Jahr besonders teuer, und die Familien werden aufgefordert, sich einen zu teilen.) In einem anderen Artikel heißt es, übergewichtige Frauen würden «ein unnötig großes Loch in die Lebensmittelvorräte des Landes fressen» und sollten deshalb abnehmen, was ja auch vorteilhaft für die Gesundheit sei; es wird berichtet, dass in den von Lebensmittelknappheit betroffenen Ländern die Zahl der Erkrankungen wie Diabetes in der Bevölkerung tatsächlich heruntergegangen sei. So habe alles eben auch sein Gutes.
Aufgrund des Fleischmangels hat Robinson angefangen, verschiedene Arten von Innereien zu kochen - Dinge, die sie sonst niemals angerührt hätte. Heute gibt es zum Abendessen im Ofen gebackenes Kalbshirn mit Semmelbröseln und einer stark gewürzten Tomatensoße. Kulinarisch ist es nicht gerade Robinsons größter Stolz. Heute ist der 9. November. Sie hat Muskelkater und denkt viel an ihren Sohn Art und wie es ihm wohl geht.
Die elektrisierende Nachricht von der Landung der amerikanischen Truppen in Marokko und Algerien ist um die Welt gegangen und hat sogar bis in die Vorstandsetagen von Warner Brothers in New York Wellen geschlagen. «Casablanca verkaufte die Notwendigkeit des gemeinsamen Engagements gegen den Faschismus. Jetzt verkaufte der Krieg den Film.»[3] Die aufgeregten Filmmoguln sind sich einig: Das muss ausgenutzt werden. Sie nehmen Kontakt zu Jack Warner in Los Angeles auf, denn sie möchten einen neuen Schluss für den Film einspielen, in dem der verbitterte Barbesitzer Rick (Humphrey Bogart) und sein neu gewonnener Verbündeter, der korrupte, aber eloquente Polizeichef Renault (Claude Rains), mit den amerikanischen Truppen zurückkehren, um die Stadt zu befreien.
Es ist kurz vor neun am selben Montag, und in einem Radiostudio im massiven Haus des Rundfunks auf der Masurenallee in Berlin-Charlottenburg sitzt John Amery und wartet auf grünes Licht. Draußen regnet es. Er blättert wahrscheinlich in seinem Manuskript, kontrolliert, ob alles beisammen ist, und wir dürfen...
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