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2.
Doch, ich habe an alles gedacht. Matthias' Mutter bringt nachher drei selbst gebackene Kuchen mit. Am liebsten hätte sie zehn Torten gemacht, aber wir wollen ja keine Konditorei eröffnen. Maria ist eine begeisterte Hausfrau und begnadete Bäckerin, was mir mein Göttergatte mit schönster Regelmäßigkeit unter die Nase reibt. Meinen Vorschlag, sich doch das Backen von Schwiegermonster beibringen zu lassen, überhört er ebenso geflissentlich wie meine Bitte, sich endlich an die Steuererklärung zu setzen.
»Ibiza war mal wieder grandios«, schwärmt Flora. Hinter jedem Buchstaben von grandios stehen gefühlt fünf Ausrufezeichen. »Caro, Schatz, ich wünschte wirklich, du würdest mal mitkommen. Das würde dir so guttun. Yoga, meditieren, gesund essen, die innere Mitte finden .«
Den Rest höre ich gar nicht mehr, denn meine Jeans kneift dermaßen, dass ich kaum Luft bekomme, obwohl ich den Reißverschluss nicht einmal ganz geschlossen habe. Meine Mitte hat in den letzten Jahren ganz schön gelitten. Chips und Erdnüsse sind nun mal Gift für die Taille, aber sooooo lecker und außerdem Balsam fürs Gemüt.
»Ich finde wirklich, dass du dir mal eine Auszeit gönnen solltest«, fährt Flora unbeirrt fort und fächelt sich mit einem lilafarbenen Fächer Luft zu. »Du kümmerst dich so rührend um Felix und Matthias, um den Laden und vor allem um die alte Dame Hedwig. Und dann hast du ja auch noch den Job in der Bücherei in Altona. Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du ein bisschen mehr darauf achten solltest, was positiv für dich ist.«
Sylvia steht hinter meiner Mutter, die sich mittlerweile auf den pinkfarbenen Stuhl gesetzt hat und Limonade aus frisch gepressten Zitronen und geriebenem Ingwer aus der Karaffe einschenkt - die eigentlich für später gedacht ist -, und schneidet Grimassen. »Du weißt doch: Man kann anderen am besten zur Seite stehen, wenn man gut für sich selbst gesorgt hat.«
Gut für sich selbst sorgen ist eine Disziplin, die Flora von Waldenfels beherrscht wie keine Zweite. Sie nennt es Selbstfürsorge. Ich nenne es puren Egoismus.
»Da bin ich ganz deiner Meinung«, stimmt Sylvia ihr zu, schnappt sich die Karaffe und stellt sie in den Kühlschrank. »Und da du gerade so blendend erholt bist, macht es dir sicher nichts aus, mir beim Aufhängen der Lampions zu helfen. Dann hat Caro genug Zeit, sich frischzumachen. Kommst du mit an den Strand? Ich brauche dein Dekotalent.«
Klasse, Sylvia, du bist spitze!
Wie gut, dass Sylvia meine Mutter und ihre Neurosen seit über zehn Jahren kennt und sie abblocken kann wie ein Starkeeper gefährliche Torschüsse.
Sylvia, Merle und Dirk Marquardt waren damals unsere Nachbarn, als wir zu Hedwig Ahrens in das malerische Lotsenhaus in Oevelgönne gezogen sind. Sylvia und ich haben uns von Anfang an blendend verstanden. Flora meint, dass wir sicher schon in einem früheren Leben miteinander verbunden waren. Ich für meinen Teil bin einfach nur froh, dass es Sylvia gibt.
Nachdem die beiden abgezwitschert sind, gönne ich mir eine heiße Dusche und widme mich meinem Aussehen. Schließlich soll Matthias heute stolz auf mich sein, fünfundzwanzig Ehejahre sind schließlich kein Pappenstiel. Kaum zu fassen, wie viel Zeit vergangen ist, seit wir uns bei einem Grillfest von Freunden am Leuchtturm von Blankenese kennengelernt haben.
Wie wohl die nächsten fünfundzwanzig werden?
»Hast auch schon mal ein bisschen besser ausgesehen«, sage ich zu meinem vom Wasserdampf vernebelten Spiegelbild, strecke mir die Zunge raus und rubble den vom Duschen beschlagenen Badezimmerspiegel mit einem Handtuch trocken.
Mit jedem Wischen wird mehr vom Gesicht einer Frau erkennbar, die noch nicht alt, aber auch schon lange nicht mehr jung ist. »Du bist ja ganz hübsch - zumindest an guten Tagen -, aber du kannst auch bald zu deiner Haut passende Faltenröcke tragen, wenn du so weitermachst«, murmle ich mir zu, und meine Gedanken streifen kurz kosmetische Wundermittel wie Botox und Hyaluron. Aber wirklich nur ganz kurz. (Obwohl: Gab's da nicht neulich so eine Groupon-Gutscheinaktion?)
Oje, oje, ich muss mir das mit den Selbstgesprächen dringend abgewöhnen. Wenn ich so weitermache, mutiere ich noch zum weiblichen Pendant vom Autor Axel Hacke, der sich laufend mit seinem alten Kühlschrank unterhält. Allerdings heißen meine Dialoge weder Nächte mit Bosch, noch werden sie zum Buchbestseller.
Für gewöhnlich halte ich auch nicht mit meinem Spiegelbild Zwiesprache, sondern mit Renato Bialetti. Der aus dem Piemont stammende Mann wurde immerhin dreiundneunzig und war ein Sprössling des Erfinders der achteckigen Espressokanne, deren Inhalt regelmäßig dafür sorgt, dass ich den Tag überlebe. Ich stehe der Kaffeesucht von Lorelai Gilmore aus meiner Lieblingsserie Gilmore Girls in nichts nach. Renato ist mein persönliches Gegenstück zu Luke, Lorelais Käppi tragendem Kaffeedealer und Besitzer von Luke's Diner. Signor Bialetti und ich sind ein Dream-Team, seit Sylvia mir den Herdkocher aus seinem La Moka-Imperium geschenkt hat. Er ist ein geduldiger, wunderbarer Zuhörer, egal welchen Blödsinn ich ihm erzähle, ob ich weine oder lache. Mit erhobenem Zeigefinger, imposantem Schnauzbart und ganz in Schwarz gekleidet, zeigt er mir, dass er für mich da ist - und es immer bleiben wird, solange ich nur regelmäßig die Dichtungsringe der silbernen Kanne erneuere, die ansonsten so furchterregend faucht wie der Drache aus dem Film Smaugs Einöde, wenn er in Wallung gerät.
Apropos Wallung: Ich muss ja noch mein Kleid bügeln!
»Soll ich das eben machen? Ich weiß doch, wie sehr du Bügeln hasst«, fragt meine Mutter, die plötzlich in der Tür meines Schlafzimmers steht, nachdem ich seufzend das Bügelbrett ausgeklappt habe. Wie gut, dass ich meinen Bademantel anhabe.
»Das wäre wirklich super«, erwidere ich, zugegebenermaßen ein bisschen misstrauisch. Was ist mit meiner Mutter los? Hat Sylvia sie einer Gehirnwäsche unterzogen?
»Allerdings sind die Dampfdüsen des Bügeleisens verstopft, ich fürchte, du musst das da benutzen.« (Mit dem Plätteisen gehe ich nicht so sorgfältig um wie mit Renato Bialetti.) Mit einem Hauch Schuldbewusstsein - aber wirklich nur einem Hauch, schließlich habe ich Wichtigeres zu tun, als Düsen zu entkalken - strecke ich ihr eine blaue Flasche entgegen, mit der ich sonst Hedwigs Rosen mit Lavendelwasser besprühe, wenn die mal wieder von heimtückischen Blattläusen befallen sind.
Wie erwartet, zieht Flora die rechte Augenbraue so weit hoch, dass ich kurz befürchte, sie könnte da oben kleben bleiben.
»Kein Problem. Aber du weißt schon, dass das mit dem empfohlenen destillierten Wasser nicht passiert wäre«, sagt sie und macht sich ans Werk. Doch Flora wäre nicht Flora, wenn sie die Gunst der Stunde nicht für sich nutzen würde: »Sag mal, Schätzchen, wie geht es eigentlich mit dem Laden voran? Hat Matthias endlich Thorsten auf die Straße gesetzt?«
»Leider nein«, antworte ich. Tiiiieeeef durchatmen, nicht aufregen. »Ich habe dir doch neulich erst erklärt, dass das nicht so einfach ist, weil Matthias ihn in einem Anfall von .« - ja, was eigentlich? -». zum Teilhaber gemacht hat.«
»Blödheit ist das Wort, nach dem du gerade suchst«, sagt Flora. Ihre Creolen wippen vorwurfsvoll bei jeder Bewegung, die ihre bügelnde Hand macht.
»Nein, so ist das nicht«, halte ich dagegen, fest entschlossen, die Entscheidung meines Mannes trotz allem zu verteidigen. »Es ist Mitleid. Du weißt doch, dass Thorsten sein bester Freund ist und es nicht besonders leicht hat. Erst die Pleite seines Arbeitgebers, dann der Rauswurf aus seiner Wohnung wegen Eigenbedarfs. Da konnte Matthias einfach nicht tatenlos zusehen.«
»Kennst du den Unterschied zwischen Mitgefühl und Mitleid?«
Floras Augen funkeln wie Smaragde, und sie blickt mich so streng an, dass ich mich schlagartig fühle wie fünf. Kein Wunder, dass ihre Schüler früher viel Respekt, manchmal sogar Angst vor ihr hatten. Vor ihrer Pensionierung war meine Mutter nämlich Lehrerin für Sozialwissenschaften und Sport. Ich traue mich nicht, Nein zu sagen, aber das ist auch gar nicht nötig. Flora wird mich sowieso gleich belehren.
»Im Falle von Mitleid leidet man mit, und das unnötigerweise. Es genügt vollkommen, wenn man mitfühlt. Leiden tut man in seinem Leben ohnehin schon genug.«
Manchmal klingt meine Mutter wie ein Spruchweisheiten ausspuckender Tageskalender. Allerdings muss ich ihr diesmal recht geben: Hätte Matthias lediglich Mitgefühl gehabt, stünden wir finanziell weitaus besser da. Hätte, hätte, Fahrradkette .
»Thorsten kümmert sich gerade um einen Zusatzjob«, erkläre ich und weiß gar nicht, wen ich eigentlich überzeugen will: Flora oder mich selbst. »Wenn er den hat, wird Matthias mit ihm über die Teilhaberschaft sprechen.« Oder vielmehr über die Beendigung derselben.
Eine Viertelstunde später nehme ich den duftend-dampfenden Renato Bialetti vom Herd und tänzle mit ihm durch die Küche. Im Radio läuft Good Day, Sunshine von den Beatles, Sylvia und Flora sind wieder draußen beschäftigt, und Felix ist auch noch nicht aus der Schule zurück. Hoffentlich hat er unsere Feier nicht vergessen oder begeht spontan Fahnenflucht.
Momente wie dieser sind einfach unbezahlbar: Keiner will etwas von mir, keiner wartet auf mich. Renato, der wunderbare Espresso, die gut gelaunten Beatles und ich sind allein. »Siehst hübsch aus, cara«, sagt der alte Herr und reckt den Zeigefinger....
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