Schweitzer Fachinformationen
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Nina
Moin. Na, wie geht's unserem schönen Blumenmädchen?«
Frech grinsend reichte Björn Nina ein gehobeltes Stück Käse, das im hellen Morgenlicht glänzte wie Goldspäne, über den Tresen des Marktwagens.
Nina Korte streckte die Hand nach der aromatischen Köstlichkeit aus, ließ sich diese auf der Zunge zergehen und schloss verzückt die Augen. In den Wipfeln der hohen Bäume, die den Markt säumten, trällerten Vögel fröhliche Lieder, die Sonne holte Atem für den vor ihr liegenden Tag.
Dieser Freitag würde wunderbar warm werden, perfekt für ihre Wochenendpläne.
»Und?« Björn schaute sie erwartungsvoll an.
Der schlaksige Marktverkäufer mit dem schief sitzenden Strohhut, den wirren Locken und den strahlenden Augen war nicht nur irgendein Typ, der Nina auf dem beliebten Isemarkt Käse verkaufte, sondern der wöchentliche Seelentröster, seitdem ihr Freund Alexander nahezu ständig beruflich unterwegs war. Der kleine, aber harmlose Flirt mit Björn hob ihre Laune und gab ihrem Selbstbewusstsein, das in den vergangenen Wochen durch die räumliche Trennung und die vielen Streitereien erheblich gelitten hatte, einen wohltuenden Kick.
»Ein Traum«, antwortete Nina, ehrlich begeistert. »Cremig, würzig, eine feinherbe, reife Note. Wie ein Spätsommertag. Was kosten hundert Gramm? So viel wie Trüffel?«
»So ähnlich«, erwiderte Björn mit breitem Lächeln. »Aber ich habe einen Vorschlag: Ich schenke dir zwei Pfund für euer Mädelswochenende, und dafür berätst du mich in Sachen Einrichtung. Ist das ein Deal?«
»Was hast du denn für ein Problem mit deiner Wohnung?« Björns Frage verwirrte Nina. Männer waren ihr stets ein Rätsel gewesen, und es wurde leider nicht besser, je älter sie wurde. Ganz im Gegenteil: Nina verstand die Spezies Kerle immer weniger. Wollte er ein Date oder tatsächlich ihren Rat?
»Genau genommen habe ich weniger ein Problem mit meiner Einrichtung als mit dem Garten«, korrigierte sich Björn. »Und dafür bist du doch Spezialistin, nicht wahr?«
Das stimmte. Blumen, Hochbeete, Urban Gardening, Teiche und Balkonbepflanzung waren Ninas Welt. Die Floristin arbeitete allerdings nicht mehr in ihrem erlernten Beruf, seit das Eimsbütteler Blumenmeer geschlossen wurde und sie deshalb gezwungen gewesen war, sich einen neuen Job zu suchen.
Björn kritzelte etwas auf die Rückseite des Quittungsblocks, während ein Herr hinter Nina sich auffällig räusperte und eine Frauenstimme nörgelte: »Dauert das hier noch lange? Wenn ja, kaufe ich meinen Käse ab sofort woanders.«
Nina brauchte sich gar nicht erst umzudrehen, um zu wissen, wie die Dame aussah, die so gereizt klang, wie viele Großstädter, die mal eben kurz Besorgungen machen wollten, bevor sie ins Büro, in die Agentur oder zum Müttertreffen mussten: blass, genervt, angespannt.
Immer in Hektik. Immer auf dem Sprung.
»Es dauert so lange, wie es dauert, wir sind ja zum Glück nicht auf der Flucht«, konterte Björn lässig und reichte Nina den Zettel mit Adresse und Handynummer. Die schmunzelte.
Neben seinem sensationellen Angebot an Käsesorten hatte der Marktverkäufer stets einen charmanten Spruch auf Lager, der das Herz eines jeden noch so mies gelaunten, hektischen Kunden schmelzen ließ wie das Apfeleis mit Walnusskrokant, das ihre Freundin Leonie heute Abend als Dessert zubereiten wollte.
Nina nahm den in Pergamentpapier eingeschlagenen Käse und legte ihn in den geflochtenen Korb aus Seegras. Ihre Lippen formten lautlos: »Ich melde mich«, als sie dem Stand den Rücken zukehrte und als Nächstes den eines alten Ehepaars ansteuerte, das Eier von glücklichen Hühnern und Gemüse aus den Vierlanden verkaufte. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie die Menschen um sich herum und schüttelte - wie so häufig - innerlich den Kopf.
Dass so ein Marktbesuch idealerweise etwas mit Genuss, Muße, Zeit, Flanieren und Sinnesfreuden zu tun haben sollte, kam den meisten gar nicht erst in den Sinn. Viel wichtiger, als den kostbaren Moment zu genießen, schien es ihnen zu sein, ihn durch Aufnahmen mit dem Smartphone festzuhalten. Im Laufe der vergangenen Jahre hatten sich die Betreiber der Marktstände daran gewöhnen müssen, dass von ihren Waren tausendfach Fotos geknipst wurden, um sie später auf Instagram zu posten - Hashtag Countrylife, LandLust oder Foodporn.
Gekauft wurde hingegen immer weniger, dafür aber an den Ständen gegessen und Kaffee getrunken, als gäb's kein Morgen mehr. Nicht selten wunderte sich Nina darüber, wie viele Menschen tagsüber Zeit für derartige Vergnügungen hatten.
Allerdings hatte sie selbst heute auch frei, denn eine Kollegin vertrat Nina im Einrichtungsladen Koloniale Möbel. Dort arbeitete sie seit einigen Jahren, nachdem Stella, die Dritte im Freundinnenbunde, ihr den Kontakt zur Inhaberin Ruth Gellersen hergestellt hatte. Als Floristin einen guten Job zu bekommen war schwierig geworden, seit die Discounter den Fachhändlern die Kunden abjagten, und Nina würde ihrer Freundin ewig dankbar für die liebevolle Unterstützung sein, die ihr damals die berufliche Existenz gerettet hatte.
Nachdem Nina Eier, Kartoffeln, Blumenkohl, Salat und Möhren im Korb verstaut hatte, schlenderte sie weiter.
Sie genoss es unendlich, freizuhaben, sich treiben zu lassen und qualitativ hochwertige Lebensmittel einzukaufen. Am Ende des Isemarkts standen die meisten Blumenhändler, unter anderem ihre gute Bekannte Anja, die nach Ninas Ansicht die schönsten und frischesten Blüten anbot. Der würde sie jetzt gleich einen Besuch abstatten und fragen, wie die Dinge bei ihr so liefen.
»Aber bitte nicht die Köpfe ins heiße Wasser stecken, sondern die Stängel«, erklärte Anjas Mitarbeiterin gerade augenzwinkernd einem Herrn, der wirkte, als kaufte er zum ersten Mal in seinem Leben einen Strauß. Mit weit aufgerissenen Augen schaute er die Verkäuferin an, erwiderte artig: »Alles klar«, und nahm die in buntem Papier eingeschlagenen Blumen entgegen.
»Hi, wie geht's?«, begrüßte die rotwangige Anja Nina erfreut. »Willste nur Hallo sagen, oder kann ich dir was Gutes tun? Die Dahlien und Zinnien sind dieses Jahr der Knaller. Aber die habt ihr wahrscheinlich selbst im Garten, oder?«
Nina nickte und ließ ihren Blick über die duftenden, traumschönen Spätsommerblumen schweifen, ein buntes Feuerwerk für alle Sinne. »Und was macht Alexander? Ist er zurück aus Frankreich oder schon wieder unterwegs?«
»Toskana«, antwortete Nina und verspürte mit einem Mal einen dicken Kloß im Hals, der sie am Reden hinderte.
»Ach, wie schön, da ist es echt toll«, erwiderte Anja. Auch ihre Kollegin seufzte schwärmerisch, während sie einen soeben gebundenen Strauß mit einem hellen Bastband umwickelte. »Die Zypressen, Olivenhaine, der Wein und die vielen Kunstwerke. Hach, da würde ich zu gern mal wieder hinfahren. Aber zurzeit wirft der Stand nicht genug ab, um mir diesen Luxus leisten zu können. Alexander hat's echt gut.«
Das Schwärmen von der italienischen Region, in die Alexander Nina diesmal partout nicht hatte mitnehmen wollen, schmerzte so sehr, dass sie mit einem Schlag keine Lust mehr auf ein Gespräch hatte, sondern dringend wegwollte. Also sagte sie: »Sorry, ich habe vollkommen vergessen, dass ich noch einen Termin habe. Macht's gut, ihr beiden, bis nächste Woche.«
Ohne Anjas Reaktion abzuwarten, machte Nina auf dem Absatz kehrt und stapfte Richtung U-Bahn, tief in Gedanken versunken an ihren Freund. Der war dieses Jahr bereits zum vierten Mal in Italien, allerdings ohne festen Auftrag für ein Kochbuch oder einen kulinarischen Reiseführer, so wie sonst.
Björns Worte kamen ihr in den Sinn.
War Alexander auf der Flucht?
Vor ihr, vor ihren ständigen Streitereien, vor dem Leben in der alten Stadtvilla?
Auf Nachfrage kamen zurzeit nur lapidare, für ihn untypische Antworten wie: »Ich plane da etwas, das ich dem Verlag erst zeigen will, wenn es fertig ist.« Im Gegensatz zu sonst weihte er Nina nicht in seine Pläne ein.
Hatte sie ihm vielleicht zu oft abgesagt?
Ihn zu oft ermuntert, allein loszuziehen, um die Wunderwelt der Kulinarik zu erobern und sich ungestört inspirieren zu lassen, weil sie ebenfalls froh war, eine Atempause von nervigen Diskussionen zu haben, die immer häufiger aufbrandeten?
Wie gut, dass heute Abend Leonie und Stella kamen, dann konnte sie mit ihnen ausgiebig über alles quatschen, was sie bewegte und ihr Sorgen machte, obwohl sie den Abend eigentlich nicht mit dem Besprechen von Ängsten vermasseln wollte, die wahrscheinlich nur in ihrem Kopf existierten.
Am Eppendorfer Baum löste Nina eine Fahrkarte.
Wenige Minuten später stieg sie in Eimsbüttel an der Station Christuskirche aus. Wie so häufig spielte dort ein alter Herr südländischer Herkunft, den sie seit Jahren kannte, am Treppenaufgang Akkordeon. Seine Lieder waren voller Wehmut, voller Sehnsucht, als wolle er sich durch den Klang der Melodien in ein anderes Leben träumen.
Führe ich eigentlich das Leben, das ich mir wünsche?, fragte sich Nina, als sie auf die Villa zusteuerte, seit einigen Jahren ihre Heimat, ihr Hafen, ihr Ankerplatz.
An manchen Tagen konnte sie es kaum fassen, dass sie in diesem charmanten Stadtteil und diesem wunderschönen alten Haus mit dem großen Garten wohnen durfte. Und das alles nur, weil sie zur richtigen Zeit über eine Annonce gestolpert war, in der ein gewisser Robert Behrendsen Mieter für sein Haus am Pappelstieg gesucht hatte, die - laut Anzeige - einen grünen Daumen, Liebe zu Katzen und Talent zum Renovieren haben sollten.
Bei...
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