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Suche Frau für Affäre ohne Nebenwirkungen
Franca Peters -
Samstag, 15. Mai Findest du meine Brüste zu klein?«
»Welche Brüste? Ich sehe hier nirgendwo welche. Außer meinen eigenen natürlich.« Mia kichert, ich schmolle. Unverschämtheit!
Meine beste Freundin nimmt wie immer kein Blatt vor den Mund. »Ehrlich währt am längsten«, lautet ihre Devise, auch wenn's wehtut.
»Ich weiß selbst, dass ich nicht Körbchengröße Doppel-D habe, aber bin ich deshalb weniger wert? Wo sind die Zeiten geblieben, in denen innere Werte zählten? Wärme, Verstand, Charme, emotionale Intelligenz .«
Mia zieht ihre Nase kraus.
»Ehrliche Antwort?«
Ich nicke, wenngleich ich die Wahrheit vermutlich nicht hören will.
»Solche Zeiten hat es nie gegeben. Was zählt, ist der erste Eindruck. Und der läuft bei Männern nun mal in der Regel über die Optik und folgt einem über die Jahrhunderte fest etablierten Beuteschema: große Kulleraugen, roter Schmollmund, lange Beine, gebärfreudiges Becken - und Brüste, möglichst große. Wenn diese Kriterien alle erfüllt sind, freuen sich die Herren der Schöpfung natürlich, wenn du außerdem bis drei zählen kannst, im Handumdrehen ein Vier-Gänge-Menü zauberst und interessiert ihren Geschichten lauschst.«
Ich schlucke. Das klingt alles ziemlich aussichtslos.
Bevor ich also beginne, über eine Brustvergrößerung nachzudenken oder einen Kochkurs zu belegen, sollte ich vielleicht am besten alles so lassen, wie es ist!
An sich ist doch alles gut.
Mia blättert in der aktuelle Ausgabe der Szene und gibt stichprobenartig zum Besten, welchen Typ Frau die Inserenten suchen. Das Hamburger Stadtmagazin ist ein idealer Auskunftgeber, wenn man ausgehen will, Restauranttipps benötigt oder - zumindest nach Meinung meiner besten Freundin - den Mann fürs Leben sucht. Natürlich sind Kontaktanzeigen mittlerweile antiquiert, aber mit neununddreißig fühle ich mich zu alt für Internetflirts und gehe hoffnungsvoll davon aus, dass es den Männern meiner Generation ebenso geht.
»Mama, was macht ihr da? Können wir jetzt endlich los?«
Meinem achtjährigen Sohn Samuel, den ich immer Sammy nenne, ist offenbar langweilig. Eigentlich wollten Mia und ich schon längst mit ihm im Zoo sein, aber irgendwie sind uns während des Frühstücks diese Anzeigen in die Quere gekommen. Mia kann es eben einfach nicht lassen: Sie will mich auf Teufel komm raus »an den Mann bringen«.
»Schätzchen, wir sind gleich so weit. Nur noch 'ne Minute. Schau doch solange in das Tierlexikon, das Papa dir geschenkt hat.«
Ich finde meinen Vorschlag irre konstruktiv.
»Hab ich schon durch! Ich will in den Zoo. Jetzt gleich!«
»Sammy, deine Mom und ich müssen noch kurz etwas Wichtiges besprechen. In zehn Minuten, okay? Weißt du, wie lange zehn Minuten sind?« Mia deutet auf ihre Cartier, und Sammy guckt beleidigt.
»Na klar weiß ich das, ich bin ja schon acht.«
Spricht's und verzieht sich ins Kinderzimmer. Endlich!
»Du kannst echt gut mit Kindern«, grinse ich und blättere weiter. Die Überschriften der Kontaktanzeigen sind eine einzige Katastrophe: »Suche Frau für Affäre ohne Nebenwirkungen« oder »Keine Frau fürs Leben, sondern nur für mal eben«. Nicht zu verachten ist auch »Einen sexy Hasen fürs Bett, das fänd ich nett«.
Brrrr! Vielleicht sollten diese Herren sich lieber auf der Reeperbahn umsehen, anstatt miese Reime zu verfassen. Wenn sie nur auf Sex aus sind, ist ihr Geld dort besser aufgehoben. Hasen gibt es da jede Menge. Allerdings tragen sie Moonboots.
»Mia, sei mir nicht böse, aber das ist nichts für mich. Lass uns lieber in den Tierpark gehen, bevor ich schlechte Laune bekomme.«
Meine Freundin rollt mit den Augen, seufzt und nickt. Sie kennt mich gut genug, um zu wissen, wann sie den Bogen überspannt hat.
Eine halbe Stunde später sind wir im Zoo, und Sammy ist in seinem Element. Erster Programmpunkt auf der Tagesordnung: der Affenfelsen.
Wir stehen vor den Orang-Utans und beobachten, wie ein Männchen mit drei Weibchen gleichzeitig flirtet.
»Ich dachte immer, die seien monogam«, wispere ich Mia zu. Auf der Informationstafel lese ich zu meinem Entsetzen, dass die Affen aus Borneo und Sumatra lediglich dauerhafte Bindungen zwischen Weibchen und Jungtieren kennen.
Mein Blick wandert zu Sammy.
Mia, die als Kommunikationstrainerin eigentlich nur Erfahrung mit dem Paarungsverhalten von Wirtschaftsbossen hat, kontert amüsiert:
»Ich glaube, du verwechselst Affen mit Pinguinen. Außerdem gilt in der Tier- und Menschenwelt das Prinzip von Angebot und Nachfrage, auch Ökonomie genannt. Wenn es mehrere interessante Offerten gibt, wie in diesem Falle, behält sich jeder vor, sich für das Optimum zu entscheiden. Und was das Beste ist, findet man nur heraus, indem man vergleicht.«
»Aha! So siehst du das also. Das Leben und die Liebe als Supermarkt, in dem man nach Herzenslust shoppen kann. Findest du das nicht furchtbar? Liebe hat doch nichts mit Konsum zu tun!«
Mia lacht.
»Komm endlich von deiner rosaroten Wolke runter und finde dich damit ab, dass heutzutage jeder auf der Jagd nach dem Schönsten und Besten ist. Keiner ist je zufrieden, selbst wenn er bekommt, was er will.«
Wie mein Ex-Mann Ralf. Der dachte auch, dass die um zehn Jahre jüngere Britta besser sei als ich.
Jetzt habe ich wirklich schlechte Laune. Ich will sofort zu den Pinguinen! Die glauben wenigstens an Monogamie.
Im tiefsten Inneren meines Herzens glaube ich nämlich immer noch daran, dass es so etwas wie die wahre Liebe gibt, die ein Leben lang hält. Mit knapp vierzig habe ich schätzungsweise die Hälfte meines Lebens hinter mir. Oder vor mir, wenn man das Ganze von einem positiven Standpunkt aus betrachtet. Da wird es doch verdammt noch mal irgendwo jemanden geben, der es läppische vierzig Jahre mit mir aushält?! Aber wo sind die guten Männer? Wo versteckt ER sich? Und warum?
Ich warte doch schon so lange.
»Schoko- oder Pistazieneis?«, fragt Mia und reißt mich aus meinen selbstmitleidigen Betrachtungen.
»Sowohl als auch«, antworte ich wild entschlossen - heute will ich mir was gönnen. Wenn ich so weitermache, bin ich bald wirklich das Vollweib, nach dem die Inserenten der Szene suchen. Nur in der flachbrüstigen Ausführung.
In den nächsten fünf Minuten ist die Welt für mich in Ordnung. Ein cremiger Traum, eingebettet in eine knusprige Waffel.
Eine Waffel, die plötzlich am Boden liegt.
Zertrampelt von einem Vollidioten.
»Blödmann!«, rufe ich dem Typen hinterher, der mich umgerannt und damit mein restliches Eis zu Boden befördert hat. »Ist das denn zu fassen? Jetzt haben die es sogar schon im Zoo eilig. Seit wann sind hier denn Handys erlaubt?«
Für den heutigen Tag habe ich genug von der Spezies Mann.
Außer von meinem Sohn natürlich, der weder quengelt noch muckt und sich alles in allem mustergültig benimmt.
Mittlerweile sind wir beim Streichelzoo angelangt.
»Könnten Sie bitte Ihren Jungen davon abhalten, die Ziege mit Zuckerwatte zu füttern?«, blafft mich jemand von der Seite an, und meine stolzgeschwellte Mutterbrust senkt sich binnen Sekunden.
Der Zoomitarbeiter, der auf den Namen Konstantin hört, versteht offenbar keinen Spaß, wenn es um die Nahrungsaufnahme der Bewohner seines Streichelgeheges geht. »Hier steht ausdrücklich, dass die Tiere ausschließlich mit dem dafür bereitgestellten Körnermix gefüttert werden dürfen.« Ist Konstantin eigentlich der Vor- oder Nachname dieses miese Laune verbreitenden Menschen, der offenbar kein Verständnis dafür hat, dass Sammy noch nicht perfekt im Lesen von Schildern ist?
»Tut mir leid«, antworte ich kleinlaut, für eine Auseinandersetzung fehlt mir die Kraft. Ich bin eine alleinerziehende Mutter, habe heute Nacht viel zu wenig geschlafen, bin urlaubsreif und überhaupt.
»Sammy, Schätzchen, lässt du das bitte und kommst zu Mami.« Leider denkt mein Sohn nicht im Traum daran. Oder er mag seine Zuckerwatte einfach nicht und hält das Tier für eine Art lebenden Mülleimer.
»Aber sie hat doch Hunger«, behauptet er. »Und sie mag Zuckerwatte. Das hat sie mir gesagt.«
Himmel, mein Sohn denkt, er sei ein Ziegenflüsterer.
»Ich glaube dir, mein Süßer, aber jetzt lass uns gehen, ja? Das Tier hat genug gefressen.«
Bloß weg von diesen stinkenden Viechern und dem schlecht gelaunten Herrn Konstantin, der aufmerksam unseren Wortwechsel verfolgt.
Wo ist eigentlich Mia Jacobs, wenn man sie braucht?
Ah, da kommt sie ja. Strahlend, außer Atem und mit einer Visitenkarte wedelnd.
»Das nenne ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen«, schnauft sie und streckt mir eine Eiswaffel entgegen. »Mit den besten Grüßen von Doktor Julius Humbert.«
Julius Humbert?
»Julius hatte es eilig, weil einer seiner Mandanten in einer Notlage ist. Pech für seine Nichte, aber so ein wichtiger Job geht nun mal vor. Er ist Anwalt.« Mia betont das Wort Anwalt, als erwarte sie, dass ich vor Ehrfurcht ohnmächtig zu Boden sinke.
»Und Eile ist natürlich ein legitimer Grund, unschuldige Menschen über den Haufen zu rennen, ihrer Süßigkeiten zu berauben und sich noch nicht einmal zu entschuldigen.«
»Aber er entschuldigt sich doch. Oder wofür hältst du das Eis sonst?«
Das überzeugt mich nicht recht.
»Und weshalb hast du seine Visitenkarte?« Das fehlte gerade noch, dass Mia aus meiner Misere Vorteil zieht und sich mit diesem Anwalt verabredet.
»Julius Humbert möchte sich gern mit...