Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
»Pope calls on G7 leaders to ban use of autonomous weapons« (The Guardian 2024) ist die Schlagzeile aus den Aussagen von Papst Franziskus während des G7-Gipfels am 14. Juni 2024.1 Diese Schlagzeile unterstreicht die gesellschaftspolitische Bedeutung des Forschungsthemas, wie es in dieser Arbeit behandelt wird. Bei der ethischen Debatte zum Einsatz von Autonomen Waffensystemen (AWS) geht es um militärische Anwendungen der »Künstlichen Intelligenz« (KI). AWS dürften wohl zu den strittigsten KI-Anwendungen gehören, da sie nicht nur, wie beispielsweise beim autonomen Fahren, das technik-ethische Kapitel der »Autonomie« von Maschinen aufschlagen, sondern auch in das ethisch äußerst umstrittene Anwendungsgebiet der Kriegsführung hineinragen. So ist es nicht verwunderlich, wenn die »Arms Control-Association« zu dem Schluss kommt: »Ethical issues are at the heart of the debate about the acceptability of autonomous weapon systems (AWS)« (Armscontrol 2018). Auf ihrer Internetseite stellt die Arms Control Association die ethisch konträren Positionen vom Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (IKRK bzw. engl. ICRC) und den USA zum Verbot von AWS gegenüber. Als ein jeweils maßgebendes Argument in der Debatte hält die eine Seite den Einsatz von über Leben und Tod entscheidenden AWS für unethisch, weil sie gegen die Menschlichkeit verstoßen. Unabhängig davon, wie »sophisticated« AWS auch ausfallen mögen, bliebe am Ende immer die Verletzung der menschlichen Handlungsfreiheit, der moralischen Verantwortung und der Menschenwürde bestehen (ICRC 2021:8).
Die andere Seite hält den Einsatz potentiell für ethisch verpflichtend, weil das Internationale Völkerrecht durch AWS voraussichtlich besser erfüllt werden kann. Grünwald und Kehl (2020:20) spitzen dieses ethische Dilemma auf folgende moralische Schlüsselfrage zu, um die sich die ganze ethische Debatte dreht, nämlich »ob und inwiefern es erlaubt sein soll, Maschinen über Tod oder Leben von Menschen entscheiden zu lassen.«
Die im Rahmen dieser Forschungsarbeit erhobenen Internet- und Literaturrecherche bezüglich der ethischen AWS-Debatte brachte zum Vorschein, dass insgesamt eine tiefergehende Auseinandersetzung aus theologisch-ethischer Sicht nicht zu entdecken ist. Bestätigt wurde ich in dieser Beobachtung durch Grünwald und Kehl (2020:165), die in ihrem abschließenden Arbeitsbericht für den Deutschen Bundestag im Hinblick auf den Aspekt der Menschenwürde feststellen, dass »die christliche Perspektive in der Debatte keine nennenswerte Rolle spielt« und dafür um so mehr philosophische Gedanken in den Vordergrund treten. Sie stützen sich dabei auf ein eigens für AWS vom deutschen Bundestag in Auftrag gegebenes ethisches Gutachten (Koch & Rinke 2021), welches vom Institut für Theologie und Frieden in Hamburg erstellt wurde.
Passend zu meinem beruflichen wie theologischen Hintergrund soll ein Beitrag zur Ausfüllung der genannten Forschungslücke anhand der vorliegenden Doktorarbeit geleistet werden. Dazu soll die säkulare ethische Debatte um den Einsatz von AWS aus theologischer Perspektive kritisch-würdigend analysiert werden.
Als Autor dieser Arbeit bringe ich Erfahrungen aus der Verteidigungsindustrie mit, in der ich als technik-affiner Christ nach dem Ingenieursstudium über Jahrzehnte in der Systementwicklung von Flugkörper- und Luftverteidigungssystemen beschäftigt war. Theologische Studien konnte ich im Rahmen der GBFE2 absolvieren. Vor diesem Wissens- und Erfahrungshintergrund soll konkret für die Menschen ein theologisch fundierter Beitrag geleistet werden, die als Christen mit AWS beruflich konfrontiert sind. Ich schließe mich dabei der Meinung von John Lennox, Mathematik-Professor (emeritus) an der Universität Oxford an. Seine Auffassung ist die, dass die Technologie viel schneller voranschreitet als das ethische Denken und dass es hier christliche Wissenschaftler braucht, welche über eine religiöse Weltsicht verfügen (Lennox 2021).
Eine zentrale Rolle in der internationalen Debatte nimmt die Definition von AWS ein, die das US-Verteidigungsministerium im Rahmen einer formellen Richtlinie zu Autonomie in Waffensystemen 2012 vorgestellt hat. Dies war die erste Definition mit offiziellem Charakter, auf welche seitdem immer wieder Bezug genommen wird. Demnach ist ein autonomes Waffensystem ein Waffensystem, »das nach seiner Aktivierung Ziele auswählen und bekämpfen kann ohne weitere Einwirkung durch einen menschlichen Bediener. Dies schließt von Menschen überwachte AWS ein, die es menschlichen Bedienern erlauben, das System im Betrieb zu überstimmen«3 (Grünwald & Kehl 2020:39). Im Gegensatz dazu wird ein semiautonomes Waffensystem definiert als ein Waffensystem, »das nach seiner Aktivierung dafür vorgesehen ist, lediglich einzelne Ziele oder spezifische Gruppen von Zielen, die von einem menschlichen Bediener ausgewählt wurden, zu bekämpfen«4 (Grünwald & Kehl 2020:39). Näheres zu verschiedenen Ansätzen zur Definition von AWS folgt in Kapitel 2 zur technischen Grundlegung.
Nach Bleisch et al. (2021:22-23) unterscheiden viele Ethiker und Ethikerinnen zwischen den Begriffen Moral und Ethik. Moral wird, bezogen auf Gesellschaftsgruppen, gewöhnlich mit dem faktischen Orientieren an Normen, Werten, Einstellungen und Tugenden in Verbindung gebracht, während unter Ethik die kritisch-philosophische Betrachtung dieser Moralsysteme verstanden wird. Wie oft auch im alltäglichen Sprachgebrauch, werden die Begrifflichkeiten der Moral und der Ethik innerhalb dieser Arbeit jedoch synonym verwendet.
Die Arbeit ist innerhalb der theologischen Ethik verortet. Die angewandten bzw. bereichsspezifischen Ethiken (Düwell et al. 2011:243) wie Technik-, Robo-, KI- und Militärethik existieren unabhängig von der Theologischen Ethik und werden in dieser Arbeit vor dem Hintergrund der christlichen Human- bzw. Naturethik (Burkhardt 2003:92-112; Burkhardt 2017:37-107) betrachtet.
Die University of Pretoria bietet diesbezüglich eine Besonderheit, auf die die vorliegende Arbeit letztlich zurückgeht. Sie fördert durch den Abschluss »Theological Studies« innerhalb der theologischen Fakultät interdisziplinäre Forschungsarbeiten, wie die vorliegende theologisch-technikethische Thesis. Sie spricht »Students from diverse fields, such as engineering, architecture, music, political science, law, fine arts and many more to broaden their vision« (University of Pretoria 2023) an. Entsprechend Veldsman et al. (2017) wird dabei für Studierende die Möglichkeit eröffnet, aus ihren individuellen kirchlichen Traditionen heraus Theologie zu betreiben. Prof. Daniël P. Veldsman leitet die Abteilung für Systematische und Historische Theologie an der Fakultät der Theologie und Religion an der Universität Pretoria, wo er auch Systematische Theologie unterrichtet.
»Der Wissenschafter ist nach Weber gleichzeitig >denkender Forscher< und >wollender Mensch<. Deshalb können auch Fragen des wissenschaftlichen Wissens nicht von ethischen Überlegungen abgelöst werden« (Sedmak 2010:31). Dieses Zitat führt zur Frage nach meinem theologisch-ethischen Verständnis. Mein theologisches Verständnis zeigt sich zum einen in der Auswahl der theologischen Literatur, die sich insgesamt wohl am ehesten dem evangelisch-konservativen Lager zuordnen lässt. Als Mitarbeiter in einer theologisch konservativen »Christlichen Gemeinde« entspricht diese Zuordnung auch in etwa meiner gemeindlichen Verortung. Zum anderen sollen zwei Voraussetzungen an dieser Stelle genannt werden, die für mein ethisches Verständnis im Zusammenhang mit dieser Arbeit von Bedeutung sein werden: erstens wird, wie in McGrath (2020:108) im Zusammenhang mit der pietistischen Tradition innerhalb des Protestantismus geschildert, von der Autorität der Bibel ausgegangen. Das bedeutet, dass in Bezug auf die Ethik die biblische Ethik im Sinne des guten bzw. vorzuziehenden Handelns vor dem noch so gut gemeinten menschlichen Handeln und vor der Tradition kommt. Und zweitens wird, wie in Mühling (2012:18-33) beschrieben, mit den Relaten zum Handlungsbegriff gearbeitet und wie in Mühling (2012:156-167) vorgestellt, nach dem »höchstem Gut« als Maxime ethischen Handelns gefragt.
In Summe sollte demzufolge mein Standpunkt als »open-minded evangelical« bezeichnet werden, beheimatet im konservativen Pietismus, aber auch offen für verschiedene theologische Standpunkte. Mehr zu meinem Standpunkt, speziell aus der theologisch-ethischen Perspektive, wird innerhalb der theologischen Grundlegung in Kapitel 5.1 dargestellt.
In dieser Studie geht es neben der in Kapitel 1.1 geschilderten konkreten Zielsetzung auch generell darum, ein durch den technologischen Fortschritt neu entstandenes Ethik-Anwendungsgebiet nicht nur der säkularen Ethik zu überlassen. Es soll im Rahmen dieser Studie deshalb ein Beitrag dazu geleistet werden, die theologische Ethik in diesem neuen Anwendungsbereich zu platzieren. Anspruch dabei ist, das zuvor geschilderte ethische Dilemma aufzugreifen, die technisch relevanten Hintergründe dazu zu veranschaulichen, und wie im Folgenden beschrieben, aus einer theologisch-ethischen Perspektive wissenschaftlich zu untersuchen.
Die Haupt-Forschungsfrage rekrutiert sich zum einen aus der geschilderten Forschungslücke sowie zum anderen aus der darin implizierten Notwendigkeit, die theologische Ethik, wie sie bei Ernst (2009:16) ganz simpel...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.