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Aus der westfälischen Provinz zum Rockstar
Seit fünf Jahrzehnten spielt Schlagzeuger Bertram Engel als festes Bandmitglied bei zwei absoluten Stars der Rockmusik: Udo Lindenberg und Peter Maffay. Mit beiden verbinden ihn große Erfolge, vor allem aber zahlreiche legendäre Erlebnisse.
Seine Autobiografie Mit alten Männern spiel' ich nicht ist dadurch nicht weniger als ein Stück westdeutscher Musikgeschichte aus erster Hand – und steckt voller einzigartiger Anekdoten über die deutschen und internationalen Größen, mit denen Engel in seiner Karriere zusammenarbeitete: vom Panikorchester über Pretty Things bis zu Bruce Springsteen.
Ein Buch wie purer Rock 'n' Roll – ehrlich, launig, energiegeladen.
IN DER WILDNIS VON WESTFALEN
Mein Bruder Thomas hatte schon seine ersten Bands am Start. Und er kaufte sich immer die neuesten Schallplatten. Die Kinks, Stones, Zombies und The Pretty Things wummerten hinter seiner Zimmertür, an der ich lauschte, als wären es heimliche Signale, die ich als kleiner Junge empfangen sollte.
Unten im Wohnzimmer thronte der stolze Besitz unserer Eltern: ein Riesenapparat der Marke Nordmende in Nussbaumfurnier mit aufgeblähter Mattscheibe. Ich saß wie angewurzelt davor, als aus diesem Fernseher der berühmte Auftritt der Beatles im Shea Stadium flimmerte. Das war 1965. Was mich auf Anhieb fesselte, war dieses wahnsinnig hohe Podest mit dem Schlagzeug obendrauf. Vorne auf dem Bassdrumfell stand der Name Ludwig. Ich konnte gerade lesen und dachte, der Trommler heißt so - unwissend, dass es sich lediglich um den Namen des Schlagzeugherstellers Ludwig Drum Company handelte. Ich war völlig hypnotisiert von Ringo, der mit aller Macht versuchte, gegen die Lautstärke des kreischenden Publikums anzukämpfen. Das Ganze war für mich wie ein Mythos und Ringo der erste Mensch auf der Welt. Ich wollte in dieser Welt sein, wollte da oben hin, in das Auge des Orkans, und überlegte, was zu tun wäre, um dieses Ziel zu erreichen.
Angeblich hat mein Vater während des Zweiten Weltkriegs in einer Militärband gespielt, weshalb bei uns zu Hause eine alte Marschtrommel herumstand. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob die Geschichte stimmt oder ob ich sie in meiner Fantasie nur erfunden habe. Auf jeden Fall hat die Trommelei bei mir irgendwie ihren Ursprung gefunden.
Zu besonderen Anlässen bekam man Geschenke. Von Nachbarn, Verwandten und irgendwelchen Tanten, die man vorher noch nie gesehen hatte. Einmal war ein riesiges Paket dabei. Als der Pappkarton endlich sein Inneres freigab, traf es mich wie der Blitz: ein Schlagzeug der Firma Neckermann. Sofort räumte ich alle anderen Geschenke beiseite und stellte das Wunderwerk auf den Küchentisch. Jetzt hatte ich mein eigenes Drumpodest mit dem Schlagzeug obendrauf.
Obwohl die Niederlande gar nicht weit von Steinfurt entfernt liegen, kam mir die Busfahrt wie eine Weltreise vor. Ich durfte die Sommerferien 1965 in einem Zeltlager in Dalfsen verbringen. Zwar drückte anfangs das Heimweh etwas, aber immerhin hatte ich mich des Ansinnens meiner Tante Liesel entledigt, den Sommer bei meinen Cousinen in Gütersloh zu verbringen.
Es war ein glühend heißer Augusttag. Mit ein paar Jungs hatte ich den Nachmittag am Badesee verbracht und lag faul auf der Wiese. Plötzlich steht ein Mann vor mir. Unten sehe ich aschgraue Schuhe und oben trägt er eine dicke Hornbrille. Dazwischen gibt sich die flatternde Stoffhose alle Mühe, unter einem Bauchwulst Halt zu finden. Es ist Onkel Günter! Seine wenigen Haarsträhnen sind sorgfältig von Ost nach West über die glänzende Kopfhaut gelegt. Jetzt steht er mitten im Zeltlager und zieht peinliche Blicke auf sich. Er hat den Auftrag, mich vorzeitig abzuholen, und soll mir die Nachricht überbringen, dass mein Vater gestorben ist. Nicht nur das - man hatte ihn bereits beerdigt. Die Familie wollte nicht, dass ich das Begräbnis miterlebe. Auf der Rückfahrt nach Hause erzählte Onkel Günter, was passiert war.
Ich konnte es nicht glauben. Erst in der Nacht hab ich geweint, weil ich merkte, wie die Stimmung zu Hause war. Alle waren schwarz gekleidet, meine Tante Liesel, meine Mutter. Da wusste ich, dass mein Vater nicht mehr wiederkommen würde. Am 1. August 1965 ist er mit einem Segelflugzeug abgestürzt, und der Pastor stand mittags bei meiner Mutter vor der Tür, als sie gerade den Sonntagsbraten auf den Tisch brachte. Grausam. Meine Mutter war gerade 40 geworden. Sie hat nie wieder geheiratet. Mein neun Jahre älterer Bruder Thomas übernahm zeitweise die Rolle des Vaters und versuchte auf meine Erziehung einzuwirken, was pädagogisch nicht immer sinnvoll war. Musikalisch verstehen wir uns super, aber menschlich ist unser Bruderverhältnis schwierig.
Der Tod meines Vaters saß tief. Ich war ein ziemliches Papakind, obwohl er seine autoritäre Hand über mir hatte und nicht wollte, dass ich die Beatles und Stones hörte. Bei »Twist and Shout« hat er die Nadel vom Plattenspieler genommen. Für ihn war Vico Torriani das Maß - und natürlich Klassik. Aber dass mich andere Musik interessiert, das hat er nicht akzeptiert. Meine Mutter war da anders. Sie erkannte die musikalischen Impulse in mir. Für sie war jedoch gewiss, dass erst mal der Unterricht an einem anständigen Instrument angebracht sei. Also wurde ich zum Klavierunterricht geschickt.
Jede Woche ging ich die sechs Minuten von der Mühlenstraße in die Kirchstraße. Noch jetzt höre ich die quietschende Eichentreppe, die zu der morbiden Mansardenwohnung führte. Der ganze Flur roch nach Bohnerwachs. Trude Sturm war um die 60, und ihre resolute Art gipfelte in einem Haardutt, der ihrer Disziplin Ausdruck verlieh. Als Siebenjähriger hat man Respekt davor. Trude Sturm war sehr erpicht auf Spieltechnik. Ich musste die Hände gerade halten und nur die Fingerspitzen durften die Tasten berühren. Sie hat mir ein Stück Schokolade auf die Handrücken gelegt, während ich irgendwelche Fingerübungen durch sämtliche Tonarten spielte. Die Schokolade durfte dabei nicht runterfallen. Das war schon fast wie eine Benimmschule. Jahrelang ging ich brav zu Trude Sturm und wir arbeiteten mit dem Lehrbuch Hanon. Aber zu Hause übte ich heimlich den ganzen Rock-'n'-Roll-Wahnsinn.
Die kreative Ader hab ich wohl von meinem Vater mitbekommen, der einer der angesagten Architekten in der Region Münster war. Mit meiner Affinität zur Kunst konnte ich allerdings keinen großen Freundeskreis gewinnen. Ich war eher der Einzelgänger, hatte mit Mädchen wenig am Hut und auch kein großes Interesse an Fußball. Unter der Obhut meiner Mutter war meine Jugend recht familiär geprägt, während mein Bruder Thomas sich schon deutlich vom Elternhaus befreit hatte.
Karl Allaut - alias Karl Brutal - war der erste Gitarrist des Panikorchesters und zugleich ein Schulfreund meines Bruders. Die beiden sind als 16-Jährige mal nach London ausgerissen und wurden von Interpol gesucht. Ich wäre damals gern so alt gewesen wie mein Bruder, der die ganze Entwicklung in den Sixties und Seventies mitgekriegt hat - die Musik, die alles Spätere aus dieser Zeit geprägt hat. Thomas hatte schon sein eigenes Leben. Und wenn er sich irgendwo Bands anschaute, war ich oft in seinem Schlepptau und durfte mit.
Mein heimlicher Mentor aber war Karl Allaut. Ihm schien viel daran gelegen, mir die Welt der Musik zu erklären. Ständig setzte er mir Kopfhörer auf, ließ mich am Sound seines Universums teilhaben und spielte mir alles Mögliche an Musik vor - von den Stones über Jimi Hendrix bis Miles Davis und einer Band namens Mountain. Die war durch Woodstock zu einer Ikone der 70er aufgestiegen, und ihren Song »Mississippi Queen«, der mich vom Schlagzeug, aber auch vom ganzen Habitus tief beeindruckte, habe ich heute noch im Ohr. Im Grunde hat mir mein innerer Puls gesagt, was mir gefällt und was nicht. Miles Davis hab ich beiseitegelegt. Das war mir zu kompliziert. Ich bin bei den Stones hängen geblieben, bei Mountain, The Pretty Things und Edgar Winter's White Trash - einer Platte mit der heißesten Bläsersektion ihrer Zeit. Karl hat mir auch meine ersten Trommelstöcke geschenkt. Durch seinen Einfluss wurde ich musikalisch regelrecht gepolt.
Er machte schon damals auf mich den Eindruck eines extremen Typen - ein bisschen crazy, aber total nett. Und er hatte wahnsinnig viel Ahnung von Musik. Sein ganzer Stolz war eine Stratocaster-E-Gitarre, auf die er übermäßig dicke Stahlsaiten gespannt hatte. Man musste mit den Fingern unglaublich drücken, um einen Ton rauszukriegen. Karl hatte dann immer diesen verstohlenen Blick drauf und seine stechenden Augen verrieten die messerscharfe Ansage: Das trennt den Jungen vom Mann.
Mein Bruder und er trieben sich regelmäßig in der Londoner Mod-Szene rum. Sie wurden Augen- und Ohrenzeugen eines der ersten Cream-Konzerte, der Anfang des Progressive Rock! Fernab dieser brennenden Revolte saß ich in Burgsteinfurt im Keller vor meinem legendären Mister-Hit-Plattenspieler und trommelte auf einem heruntergekommenen Schlagzeug zu alten Vinylscheiben. Jenes Set der Firma Tromsa hatte mir meine Mutter 1970 für 300 Mark gebraucht gekauft. Ich liebte dieses Schlagzeug genauso wie den kargen Waschkeller, an dessen Decke eine einzelne Glühbirne an zwei Drähten hing. Es war meine Flucht in eine Welt, in der ich mich wohlfühlte. Bei Knäckebrot, Käse und Sinalco. Von der Fliesenwand schauten mich die ganzen Poster meiner Helden an. Ich hab das alles nachgespielt und versuchte rauszuhören, wie die Trommler das gemacht haben. Es war ein intuitives Learning by Doing. Manchmal zeigte mein Bruder mir ein paar...
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