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Weingut Freudberg, 3. März 1975
Greta trug kein weißes Brautkleid. Sie hatte sich für ein schlichtes mittelblaues Kostüm entschieden, das sie in einem kleinen Kaufhaus in Bad Dürkheim gekauft hatte. Kritisch betrachtete sie sich im Spiegel. Der Rock war ein bisschen zu lang, die dunkelblauen, flachen Schuhe ein bisschen zu langweilig, ihr Gesicht ein bisschen zu blass.
Sie tuschte ihre Wimpern, um ihre blauen Augen zu betonen. Gegen die Blässe tupfte sie ein wenig Rouge auf ihre Wangen. Dann begann sie, ihr langes blondes Haar zu bürsten. Sie wollte es offen tragen, ohne Blumenkranz. Es war schließlich keine festliche Hochzeit mit einer strahlenden Braut.
Greta würde nicht mit einem Schleier aus der Dorfkirche treten, es würde keine kleinen Mädchen geben, die Blumen streuten. Und es würde nicht der Mann an ihrer Seite sein, von dem sie geglaubt hatte, ihn eines Tages zu heiraten.
Mit Bruno würde sie sicher keinen Baumstamm zersägen als Symbol, dass sie als Eheleute jedes Hindernis aus dem Weg räumen könnten. Dass sie ihn heiratete, hatte nichts mit der Erfüllung eines romantischen Traums zu tun. Und doch hatte sie sich für ihn entschieden.
Noch vor kurzer Zeit wäre das undenkbar gewesen. Waren während ihrer Schulzeit alle Mädchen in ihrer Klasse bei jedem Foto von John Lennons und Yoko Onos Hochzeit in Gibraltar und ihren Flitterwochen in Amsterdam in hysterisches Getuschel und Schwärmen ausgebrochen, hatten kollektiv geseufzt, als Mick Jagger seine Bianca in St. Tropez geheiratet hatte, so hatte Greta nur davon geträumt, mit Robert zusammen sein zu können. Und dass sie ihre Liebe nicht mehr verheimlichen müssten.
Dieser Traum war vor genau fünf Monaten und vierundzwanzig Tagen geplatzt, als Robert nach Amerika verschwunden war. Auch ihre anderen Träume gingen nicht in Erfüllung. Greta hatte Abitur machen, studieren und Lehrerin werden wollen. Doch ihre Zieheltern, die Hellerts, hatten sie vom Gymnasium genommen und zur Winzerschule geschickt. Wenn Greta zurückblickte, war es eine Zeit voller Lügen gewesen, und dennoch auch eine Zeit voller Sehnsucht. Eine Zeit, die derart aufregend, leidenschaftlich und erfüllt gewesen war, dass Greta sich hatte hinreißen lassen, zu Robert zu sagen: »Du bist meine Zukunft.«
Aber ihr Leben hatte sich von einem Tag auf den anderen verändert. Und heute nun heiratete sie einen fast Fremden.
Es klopfte an der Tür.
Greta ließ die Bürste sinken und rief: »Herein.«
Adela Freudberg betrat das Zimmer. Ihre Großmutter trug heute nicht eines ihrer schlichten Alltagskleider, sondern ein dunkelgrünes elegantes Kostüm aus einem feinen Wollstoff. Die alte Frau musterte Greta aufmerksam und nickte anerkennend. In der Hand hielt sie eine kleine Schmuckschatulle, die sie auf die Frisierkommode stellte.
»Für mich?«, fragte Greta erstaunt.
Adela tätschelte ihre Hand. »Für wen denn sonst, mein Kind? Hübsch siehst du aus.«
»Ich komme mir in dem Kostüm wie eine Stewardess von Pan Am vor.«
»Weil es ein ähnliches Blau ist? Es ist nur ein ungewohnter Anblick für dich. Und ich glaube, es fehlt noch etwas .« Sie öffnete das Kästchen und nahm eine matt glänzende Perlenkette heraus. »Meine Eltern schenkten sie mir zum einundzwanzigsten Geburtstag. Nun sollst du sie bekommen.« Sie trat hinter Greta, um ihr die Kette anzulegen.
Kühl schmiegten sich die weißen Perlen an die zarte Haut um Gretas Hals. Sie berührte sie vorsichtig und beugte sich vor, um sich besser im Spiegel sehen zu können. »Sie sind sehr schön. Bist du sicher, dass ich sie bekommen soll?«
»Alles hat seine Zeit im Leben«, erwiderte Adela. »Und jetzt ist für dich die Zeit der Perlen gekommen.«
»Danke, Adela. Das ist wirklich sehr lieb von dir.«
»Du bist meine einzige Enkeltochter. Sie sind bei dir gut aufgehoben«, meinte Adela schlicht. Sie bemerkte Gretas skeptischen Blick. »Gefällt sie dir nicht?«, hakte sie nach. Als Greta zögerte, fügte sie hinzu: »Du kannst ruhig ehrlich sein.« Aufmunternd nickte sie ihr zu.
Greta strich mit einem Finger die aufgezogenen Perlen entlang. »Findest du nicht, dass ich damit so erwachsen aussehe?«
Adela nickte. »Du bist volljährig, wirst in wenigen Stunden heiraten und das größte Weingut in der Pfalz führen. Du bist erwachsen, Greta.«
Erst nach dem Unfalltod von Fritz Freudberg und seiner Frau Ilse im Januar hatte Greta erfahren, dass dieser ihr leiblicher Vater war und Adela Freudberg ihre Großmutter. Greta erbte das Weingut unter drei Bedingungen: Adela konnte auf dem Weingut wohnen bleiben, Greta durfte kein Land verkaufen, und sie musste innerhalb von drei Monaten Freudbergs Kellermeister Bruno Bachstern heiraten. Greta hatte das Erbe angenommen. Für sie kam es dadurch zum Bruch mit ihren Zieheltern, Elfriede und Harald Hellert. Die beiden hatten sie nach dem Tod ihrer Mutter Maria, die als Dienstmädchen bei den Hellerts gelebt und gearbeitet hatte, aufgenommen. Maria war bei Gretas Geburt gestorben. Niemand hatte gewusst, dass Fritz Freudberg der Vater war. Doch nicht das war der Grund für die Feindschaft der Hellerts mit Fritz Freudberg. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg war es Freudberg gelungen, das riesige Weingut, auf das auch die Hellerts spekuliert hatten, von den französischen Besatzern zu bekommen. Dafür hatte ihn Harald Hellert zeitlebens gehasst.
Adela sah auf die Uhr. »Lass uns gehen. Bruno wartet schon. Ich glaube, er ist ein bisschen nervös.« Sie lachte leise auf. »Er weiß noch nicht so recht, wie ihm geschieht.«
Greta nestelte an der Perlenkette. »Ich weiß es auch noch nicht.«
Adela wischte die Bedenken ihrer Enkeltochter fort. »Du tust genau das Richtige. Ich bin froh, dass du dich so entschieden hast. Oder hast du es dir anders überlegt?«, hakte Adela nach, als Greta schwieg.
»Nein, natürlich nicht.« Greta umarmte sie. »Es ist nur, dass ich Bruno kaum kenne. Er ist mir so fremd.«
Adela schien erleichtert. »Du wirst ihn schon noch besser kennenlernen. Er ist ein feiner Kerl. Ich sage dir: Eine Ehe besteht aus viel mehr als aus Verliebtheit. Es braucht Vertrauen, Bestand, Verlässlichkeit - und auf Bruno kannst du dich verlassen.« Sie warf einen prüfenden Blick auf Gretas schlichtes Kostüm. »Und wer weiß, vielleicht holt ihr ja die Hochzeit in Weiß eines Tages nach. Jetzt gilt es erst mal, dass ihr den Trauschein habt. Das ist wichtig und auch richtig für das Weingut. Du verstehst zwar viel von Wein, das habe ich in den letzten Wochen sehr wohl bemerkt. Aber Bruno hat die jahrelange Erfahrung, hervorragende Weine zu machen. Ihr habt eine gute Basis, denke ich. Und ich verspreche dir, dass ich alles dafür tun werde, dass du glücklich wirst.«
Die letzte Woche hatten sie das kleine Haus neben der Scheune für Adela renoviert. Die Holzdielen waren frisch abgezogen und lackiert worden. Zusammen waren sie ins Möbelhaus nach Mannheim gefahren, und Adela hatte sich ein fliederfarbenes Sofa ausgesucht. Dazu hatte sie sich einen buntgeblümten Ohrensessel bestellt.
Bruno, der seit 1970 Freudbergs Kellermeister war, wohnte in dem kleinen Fachwerkhaus weiter hinten auf dem Hof. Vor dieser Anstellung hatte er im Elsass auf einem Weingut gearbeitet, so viel wusste Greta inzwischen. Aber sie verstand nicht, wieso ihre Großmutter in dem kleinen Haus wohnen wollte. Selbst wenn Bruno und sie nun das renovierte und neu eingerichtete große Schlafzimmer hatten, stünde Adela ihr bisheriges Zimmer noch immer zur Verfügung. Allein im ersten Stock gab es fünf Räume.
Doch davon hatte Adela nichts wissen wollen. »Ein junges Paar braucht Zweisamkeit. Es schickt sich nicht, dass ich mit euch unter einem Dach lebe. Du bist jetzt die neue Herrin auf Gut Freudberg! Hier ist dein Zuhause. Dein Glück und das Gut, nur das zählt«, hatte Adela resolut gesagt, und damit war die Entscheidung gefallen.
Als Greta wenig später mit Adela aus dem Haus trat, verriet ihr der Geruch von Pfeifentabak, dass Bruno in der Nähe sein musste. Sie sah sich um, und tatsächlich: Er wartete neben dem grünen Mercedes, einer 280er SE Limousine, Baujahr 1974. Fritz Freudberg hatte sich alle zwei Jahre das neueste Modell geleistet.
Normalerweise trug Bruno ausgebeulte schwarze Hosen und dazu ein Küferhemd, die kräftigen Arme und der breite Oberkörper steckten in einer blauen Drillichjacke, das dunkle Haar war zurückgekämmt und unter einer Wollkappe verborgen. Er war schweigsam und etwas streng, sich seiner Rolle als Kellermeister jede Sekunde bewusst. Heute sah er verändert aus. Sein Anblick rührte Greta. Leicht verlegen wirkte er in seinem dunkelblauen Anzug, in dem sie ihm das erste Mal vor zwei Jahren auf dem Weinfest in Grünstadt begegnet war.
Greta lächelte. Das weiße Hemd war am Kragen zerknittert. Er trug keine Krawatte, der oberste Hemdknopf war geöffnet. Zudem hatte er einen Fedora-Hut auf, einen weichen grauen Filzhut mit breiter Krempe.
Den einzigen Mann, den Greta kannte, der einen Hut trug, war ihr Ziehvater Harald Hellert, wenn er sonntags in die Kirche ging. Die jungen Männer in ihrem Alter trugen keinen Hut. Weder hätte das zu ihrem Stil noch zu ihren Frisuren gepasst, die langgestuft wie die von Mick Jagger, zerzaust wie die von John Lennon oder vorne kurz und hinten lang wie die von Rod Stewart waren.
Greta wusste, dass der Schauspieler Sean Connery in den James Bond-Filmen auch manchmal solch einen Hut trug, und lächelte still in sich hinein. Diese kleine Extravaganz stand Bruno gut.
Ihr zukünftiger Ehemann...
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