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Im Winter 1634 lief in der böhmischen Stadt Pilsen Albrecht von Wallenstein, damals Generalissimus des Heiligen Römischen Reiches und Oberbefehlshaber der Truppen der Habsburger Monarchie, in seinem Zimmer auf und ab, während er über seine militärischen Optionen grübelte. Es war ein entscheidender Moment des Dreißigjährigen Krieges. Der schwedische Feind rückte näher; Wallenstein verlor mehr und mehr das Vertrauen seines Arbeitgebers, des Habsburger Kaisers Ferdinand II.; und selbst in den Reihen seines eigenen Heeres begannen Stimmen laut zu werden, die seine Führerschaft hinterfragten. All diese Bedrohungen spitzten sich zu, und Wallenstein war es deutlich bewusst, dass er handeln musste. In seinem Zimmer ersann er eine militärische Strategie nach der anderen, bis er mit einem ganzen Aufgebot potenzieller strategischer Szenarien jonglierte. Er musste nur eine auswählen. Doch welche?
Um Entscheidungshilfe zu erhalten, wandte sich Wallenstein an die Sterne. Seit alten Zeiten, angefangen in Mesopotamien, hatte die Wissenschaft der Astrologie einen integralen Bestandteil der militärischen Planung gebildet, und Wallenstein ist der letzte Befehlshaber, von dem bekannt ist, dass er die Astrologie in Kriegsangelegenheiten konsultierte. Sein Zimmer war vollgestopft mit Sternkarten, Quadranten, Globen und anderem astrologischen Gerät. Irgendwann blieb Wallenstein vor einem sogenannten speculum astrologicum stehen, einer schwarzen Tafel, die die Positionen der Planeten oder »Wandelsterne«, wie sie seit der Antike genannt wurden, anzeigte. Im Einklang mit der Wissenschaft der Astrologie glaubte Wallenstein, dass die Himmelskonstellationen - die besondere Position der Planeten zu einer bestimmten Zeit - Ereignisse der unmittelbaren Zukunft auf der Erde offenbarten. Während er das speculum astrologicum inspizierte, bemerkte er plötzlich, dass sich die Sterne in einer verheißungsvollen Konstellation aufgereiht hatten, und er rief aus: »Glückseliger Aspekt!« Die Zeit des Handelns war gekommen.
Diese Szene ist vollkommen ausgedacht. Sie erscheint in Friedrich Schillers dreiteiligem, 1799 abgeschlossenem Drama Wallenstein.[21] Schiller konzentriert sich auf die letzten Tage in Wallensteins Leben, bevor er Ende Februar 1634 ermordet wurde. Doch wie Schiller sehr wohl wusste, hat die Szene einen berühmten geschichtlichen Hintergrund. Nicht nur war der historische Wallenstein tatsächlich der Wissenschaft der Astrologie sehr verbunden; er hatte auch eine berühmte Korrespondenz über Wesen und Macht der Astrologie mit einem der damals führenden Wissenschaftler begonnen - mit Johannes Kepler. 1608 hatte Kepler ein Horoskop für Wallenstein angefertigt.
Wallensteins Horoskop ist in zwölf aneinanderliegende Dreiecke unterteilt, die die Häuser des Tierkreises darstellen. Die räumliche Anordnung des Horoskops zeigt die genaue Position von Sonne, Mond und Planeten zur Zeit von Wallensteins Geburt. Aus der Beobachtung der verschiedenen Positionen und Konstellationen der Planeten kam Kepler zur Vorhersage einer Reihe von Ereignissen in Wallensteins Leben. Er kam zu dem Schluss, dass das Horoskop »nicht eine schlechte Nativität sei, sondern hochwichtige Zeichen habe«.[22] Wallenstein war aber nicht zufrieden. Mit den Jahren fühlte er, dass das Horoskop mit den Ereignissen in seinem Leben immer weniger synchron lief. Einige der vorhergesagten Lebensereignisse geschahen zu früh, andere zu spät. Darum bat er Kepler, das ursprüngliche Horoskop auf den aktuellen Stand zu bringen. Und nun verlangte Wallenstein neue und sehr konkrete astrologische Vorhersagen, basierend auf einer sorgsamen Neuberechnung und Korrektur des Originalhoroskops.[23]
Kepler weigerte sich. Oder er weigerte sich, das von Wallenstein verlangte Maß an Details anzubieten. In einer gewundenen Antwort belehrte Kepler Wallenstein über die Grenzen des astrologischen Wissens. Astrologie, schreibt er, könne nur allgemeine Tendenzen vorhersagen, keine bestimmten Ereignisse. In seinen Worten heißt das: »Darum ist es ein irriger Wahn, dass man meinen will, es sollen solcherlei Accidentia, welche meistenteils aus der Menschen willkürlichen Werken herfolgen, auf gewisse aufgerechnete himmlische Vertagungen ganz richtig und genau eintreffen, und also vorgesagt werden«.[24] Trotz seiner Vorbehalte ließ sich Kepler allerdings tatsächlich darauf ein, Wallensteins Horoskop zu aktualisieren. Er fuhr fort, etliche Ereignisse vorherzusagen, bemerkenswerterweise bis zum Winter 1634 mit den, wie er schrieb, dann drohenden »schrecklichen Landverwirrungen«.[25]
Diese Diskussion über die Kraft und Reichweite astrologischer Kriegsmedien ist es, die Schiller im Jahr 1799 heraufbeschwört, wenn er Wallenstein vor der schwarzen Tafel mit den Planetenaspekten platziert. In Schillers Stück beherzigt Wallenstein jedoch Keplers Warnungen über die Beschränkungen der astrologischen Wissenschaft nicht. Als er die günstige Konstellation der Sterne an der Tafel vor ihm bemerkt, ist er von dem wissenschaftlichen und metaphysischen Rückhalt für seinen Handlungsplan überzeugt. Endlich ist die Zeit gekommen, seine zahlreichen potenziellen Szenarien in eine aktuell verwirklichte Entscheidung umzuwandeln.
ABBILDUNG 1.1 - Das Horoskop, das Kepler 1608 für Wallenstein anfertigte. Quelle: Johannes Kepler, Die Astrologie des Johannes Kepler: Eine Auswahl seiner Schriften, hg. von Heinz Artur Strauß & Sigrid Strauß-Kloebe, München u. a. (Oldenburg) 1926, S. 185.
Doch Wallenstein tut nichts. Er grübelt, er überlegt, er versucht, die Bandbreite seiner imaginären Zukünfte abzuschätzen. Doch er weigert sich, zu handeln. Seine Zeit wird langsam knapp, seine militärischen Ratgeber drängen ihn, eine Entscheidung zu treffen, doch vergebens. Wallenstein denkt weiter nach. Später flehen ihn mit wachsender Verzweiflung sein Hausastrologe und seine engsten Verwandten und Vertrauten an, zu handeln, doch Wallenstein denkt einfach weiter nach. Bereits früh im Stück reicht es seiner Schwägerin, Gräfin Terzky, und sie ruft aus:
Der Augenblick ist da, wo du die Summe
Der großen Lebensrechnung ziehen sollst,
Die Zeichen stehen sieghaft über dir,
Glück winken die Planeten dir herunter
Und rufen: es ist an der Zeit! Hast du
Dein Lebenlang umsonst der Sterne Lauf
Gemessen? - den Quadranten und den Zirkel
Geführt? - den Zodiak, die Himmelskugel
Auf diesen Wänden nachgeahmt, um dich herum
Gestellt in stummen, ahnungsvollen Zeichen
Die sieben Herrscher des Geschicks,
Nur um ein eitles Spiel damit zu treiben?[26]
Diese kuriose Szene, in der der Meisterdenker der militärischen Strategie von seinen Angehörigen inständig gebeten wird, imaginierte Zukünfte in konkretes Handeln umzuwandeln, wirft einige grundlegende Fragen über die Kriegsmedien auf. Schillers Stück, das in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts spielt, markiert das Ende eines Glaubenssystems, das etwa zwei Jahrtausende lang die Kriegsführung geprägt hatte. Die Anfänge der Ära, die Wallensteins Untergang zu einem Schlusspunkt bringt, können bis zum assyrischen Herrscher Sargon II. im 8. Jahrhundert v. u. Z. zurückverfolgt werden. Laut den historischen Aufzeichnungen ist Sargon II. (König von 721-705 v. u. Z.) der erste assyrische Monarch, von dem überliefert ist, dass er in Kriegsangelegenheiten den Himmel konsultiert habe. Vor einem seiner Feldzüge wandte er sich an seinen Astrologen, der ihn darüber informierte, dass Nabû (Merkur), Marduk (Jupiter) und Magur (der Mond) in eine günstige Konstellation getreten seien und von der Zerstörung des Feindes zu künden schienen. Sargon schritt rasch zur Tat. Er schrieb: »Auf den wertvollen Zuspruch des Kriegers Shamash [der Sonne] hin, der auf die Eingeweide der Opfertiere ermutigende Omen schrieb, dass er an meiner Seite marschieren würde, [.] versammelte ich mein Heer.«[27] Mit der Erfindung des Horoskops im 5. Jahrhundert v. u. Z. schuf die Einbeziehung von Medien, Wissenschaft und Krieg ein mächtiges astrologisches Kriegsimaginarium, das die militärische Entscheidungsfindung tiefgreifend beeinflussen würde.[28]
Zentral für diese imaginierte Welt war eine besondere Modalität der Ereignisse. Als er bei den Himmelskörpern die Zukunft seines Königs und seines Reiches erspähte, hatte es Sargons Astrologe mit Ereignissen zu tun, die weder unmöglich noch notwendig waren. Aristoteles würde später in Peri hermeneias ein solches Ereignis endechomenon nennen - das heißt, ein Ereignis, das »eintreten oder nicht eintreten könnte«.[29] In Boethius' Übersetzung De interpretatione aus dem frühen sechsten Jahrhundert wird der lateinische Begriff für ein Ereignis, das weder unmöglich noch notwendig ist, das stattfinden oder nicht stattfinden könnte, zu contingens, und heute sind solche Ereignisse in der Pluralform als futura contingentia (in der Zukunft liegende kontingente Sachverhalte) bekannt. Für zwei Jahrtausende wurde die Astrologie als die Wissenschaft...
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