Kapitel 1:
Alles auf Anfang
Frühling ist ja oft die beste Zeit für einen Neubeginn.
Wir schreiben den 1. April 2015 und ich werde meinen Dienst bei der Polizei beginnen.
Soweit eigentlich nichts Aufregendes, bis auf den Fakt, dass ich bis dato als Unternehmer selbständig unterwegs war und mich nun in die Welt des Beamtentums begab.
Eine kurze Rückblende aus dem ersten Buch:
In den letzten Jahren hatte ich als Inhaber fünfeinhalb Filialen von "immergrün", der "Quarkerei" und "Helden am Grill" übernommen oder eröffnet, um sie dann wieder zu veräußern. Parallel hatte ich das firmeninterne Netz der Gebietsbetreuung von "immergrün" ausgebaut und optimiert.
Diese Gebietsbetreuung war im Franchisenetzwerk mein Baby und ich steckte viel Herzblut in die Sache. Bei dieser Gebietsbetreuung bestand die Haupttätigkeit darin, Store-Checks für sämtliche Immergrün-Filialen durchzuführen, Filialinhabern bei der Optimierung ihrer Läden mit dem Inhouse-Consulting zu helfen und Interessenten zu beraten.
Dementsprechend oft war ich deutschlandweit mit der Bahn unterwegs und dabei fiel mir eines Tages eine Werbung in der Berliner U-Bahn für eine Ausbildung oder ein Studium bei der Berliner Polizei ins Auge, die mich an meinen einstigen Berufstraum erinnerte. Zugfahrten können manchmal lang werden, daher habe ich auf meiner anschließenden Fahrt durch Deutschland online den dafür nötigen Vortest mehr oder weniger zum Spaß absolviert. Ich ging gar nicht davon aus, dass dieser Test zwingend zu einem Erfolg führen würde, denn ich habe ihn eher oberflächlich gemacht und mich auch überhaupt nicht darauf vorbereitet. Mir war zu diesem Zeitpunkt absolut klar, dass es viele Bewerber geben würde und ich ging davon aus, dass ich den Test nicht bestehen würde. Aber schon beim Ausfüllen verspürte ich das Bedürfnis, diesen Test bis zum Ende konzentriert durchzuführen, weil ich es spannend fand, vielleicht doch schneller als erwartet bei der Polizei zu landen.
Der Switch vom Unternehmer zum Beamten mag vielleicht absurd klingen, aber die Tätigkeit als Polizist war in gewisser Weise schon immer mein Jugendtraum gewesen. Aber wie schon vorab ausreichend ausgeführt, hatte ich mich nach der Schule noch nicht für die Polizei beworben, weil ich erst einmal Geld verdienen wollte. Also richtiges Geld, viel Geld. Dafür wollte ich zunächst einmal Unternehmer werden.
Ein weiterer Grund, meinen Jugendtraum kurz nach dem Abitur nicht zu verfolgen, war, dass ich kurz nach der Schule meiner Meinung nach viel zu schlecht schwimmen konnte und dies als patente Ausrede für meinen Geist nutzte, mich nicht bei der Polizei zu bewerben und diese Herausforderung nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt angenommen zu haben.
Dennoch hatte sich dieser Jugendtraum hartnäckig in mein Unterbewusstsein eingeprägt und sich seitdem immer wieder gemeldet. Besonders während des Studiums hatte ich eine Phase, in der dieser tickernde Gedanke für viele schlaflose Nächte sorgte: "Warum habe ich mich nur nicht bei der Polizei beworben? Warum habe ich das nicht gemacht? Das wäre doch so spannend geworden!"
Meine kleine, nun, nennen wir es Inkonsequenz, hatte ich während des Studiums immer etwas bereut, besonders wenn ein Polizeiwagen an mir vorbeifuhr und es sehnsüchtig in meinem Herzen ziepte.
Doch mit dem Abtauchen in die Immergrün-Welt saugte mich die Selbstständigkeit dermaßen ein, dass ich meinen Jugendtraum für einige Zeit vergaß. Bis eben zu diesem denkwürdigen Tag in der Berliner U-Bahn mit der Werbung für die Berliner Polizei.
Zu meinem Erstaunen wurde ich direkt nach dem Online-Test zum "richtigen" Einstellungstest eingeladen und habe diesen ebenso überraschend im ersten Anlauf erfolgreich absolviert. Natürlich wollte ich diese Herausforderung nun endlich annehmen, hatte ich diesen Schritt doch so viele Jahre vor mir hergeschoben und verdrängt. Mit dem mittlerweile erlangten finanziellen Hintergrund begann ich diesen Wink des Schicksals als ein weiteres Lebensexperiment zu sehen.
Nicht nur, dass ich wirklich Lust auf diese Tätigkeit hatte, fand ich andererseits auch, dass mir das Leben auf diese Weise ermöglichte, eben dieses aus den verschiedensten Perspektiven zu sehen. Und falls wir nur dieses eine Leben haben sollten, sollte es auch in all seinen Möglichkeiten gelebt werden.
Und wie der Zufall oder das Schicksal, wer weiß das schon genau, es wollte, war ich zum Zeitpunkt der angedachten Einstellung nur noch in die Gebietsbetreuung involviert. Für diese hatte ich ein separates Unternehmen gegründet, in dem Julia, wir kennen sie noch aus dem Vorgängerbuch, die Rolle der Geschäftsführerin übernahm und mich "ablöste".
Als ich nun mit dem Studium bei der Polizei begann, wurde ich Beamter und in diesem Status durfte ich maximal acht Stunden wöchentlich für diese, meine, Firma tätig sein.
Dies sollte jedoch kein Problem werden, denn meine neue Aufgabe bestand hauptsächlich darin, dass ich weiterhin die Einstiegsgespräche mit potentiellen neuen Franchisepartnern, die sich für das Immergrün-Franchise-System beworben hatten, durchführte. Durch meine Karriere innerhalb der Immergrün-Welt war ich für diese Aufgabe prädestiniert. Wer, wenn nicht ich, konnte nach vier Jahren im Turbo durch die Immergrün-Franchise-Welt bis hin zum Aufbau der Gebietsbetreuung mehr über "immergrün" erzählen als ich.
Selbst zu diesem Zeitpunkt brannte ich noch für die Franchisewelt und konnte meine Begeisterung sowie eine realistische Einschätzung der Tätigkeit als Franchisenehmer mit allen Vor- und Nachteilen sowie Risiken an zukünftige Unternehmer weitergeben, und somit auch ehrlich auf sämtliche Fragen und Sorgen antworten.
Diese Gespräche führte ich oft nachmittags nach der Polizeiausbildung und sie dauerten meist um die zwei Stunden. Wenn dann am Ende der Bewerber immer noch Interesse hatte, übernahmen Julia oder Sandra die weitere Betreuung.
Doch auf zu neuen Ufern, denn aus dieser Firmengeschichte schloss sich nun das neue Abenteuer bei der Polizei an, über welches ich hier nun schreiben werde.
Mir war schon bewusst, dass es eine große Umstellung für mich werden würde, schon aus reiner Unternehmersicht, die einen ja nach den Jahren in der Selbstständigkeit durchaus prägte. Als Selbstständiger sieht man die Dinge meistens nur noch aus der Sicht des Arbeitgebers und denkt leistungsorientiert, gleichzeitig fährt man ständig volles Risiko, ohne sozialpolitisches Netz, ohne Absicherung gegen Verluste. Durch das Leben als Unternehmer wird man hart und blendet allzu oft die Arbeitnehmersicht aus, genauso wie Arbeitnehmer (oft) kein Verständnis für Arbeitgeber haben.
Was würde mich nun als Polizist erwarten, mit welchem Rollendenken würde ich nun in Zukunft konfrontiert werden? Ich war neugierig.
Nach meiner Zusage von der Polizei war ich ab dem ersten Moment Feuer und Flamme, denn ein Jugendtraum wurde wahr. Es sollte noch ungefähr vier Monate bis zum eigentlichen Beginn des Studiums dauern, aber ich war schon jetzt am Organisieren und Vorbereiten, denn ich konnte den Unternehmer in mir einfach nicht ausschalten.
Ich begann damit, Treffen mit meinen zukünftigen Kollegen zu initiieren. Dafür schrieb ich in einem Polizeiforum Mitbewerber an, die ebenfalls den Test bestanden hatten und mit mir zeitgleich die Ausbildung oder das Studium starten würden, und fragte, ob wir uns nicht vorab treffen wollten.
Obwohl ich im gehobenen Dienst beginnen würde, habe ich explizit bei den Vorabtreffen auch den mittleren Dienst angesprochen. Ich habe bei den Anwärtern für den Polizeidienst keinen Unterschied gemacht, wozu auch? Der Unterschied bestand doch lediglich darin, dass der mittlere Dienst am Ende der Ausbildung hauptsächlich auf den Hundertschaften eingesetzt werden würde, während der gehobene Dienst mindestens das Abitur benötigte, um zu studieren und dann am Ende auch als Sachbearbeiter oder Führungskraft eingesetzt werden zu können, aber schlussendlich waren wir alle Polizisten.
Und auf diese Weise hat sich dann tatsächlich eine kleine Gruppe gebildet, die neben mir auch noch aus Bawan, Philipp, Sebastian, Alex, Michi, Steffi und Isabel bestand. Relativ schnell fand ein erstes gemeinsames Treffen in einer Bar in Berlin statt, das wir dann noch zwei oder dreimal so wiederholt haben.
Diese Treffen waren für uns alle etwas Besonderes, denn jeder von uns befand sich zu diesem Zeitpunkt an einer Stelle im Leben, an der sich unser zukünftiger Lebensweg nachhaltig ändern würde - und unserem Gefühl nach definitiv zu etwas Positivem und Aufregendem. Wir alle spürten diese Aufbruchstimmung, denn die meisten von uns hatten vorher etwas vollkommen Artfremdes gemacht. Vor jedem Treffen in der Bar haben wir uns alle sehr gefreut, die Euphorie dieser magischen Zeit war einzigartig.
Mit Philipp und Sebastian hatte ich mich parallel noch öfter ab und an auf dem Sportplatz verabredet, denn uns war klar, dass die Ausbildung auch eine gewisse Sportlichkeit voraussetzte. Hier hatte ich definitiv Nachholbedarf, denn mein einziger Sport in der Gastronomie war das Schleppen von Kisten. Mit den beiden traf ich mich zum Trainieren, was unsere gemeinsame Vorfreude noch weiter steigerte, denn auf diese Weise wuchsen wir bereits Monate vor der eigentlichen Ausbildung ein wenig zusammen.
Unser Gemeinschaftsgefühl untereinander hatte sich dadurch schon vor Ausbildungsbeginn ausgeprägt, denn so ein Neubeginn hat ja schon eine besondere Faszination inne, nur dass wir diese durch unsere Gruppe noch gesteigert haben....