Schweitzer Fachinformationen
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Mit den kleinen Dingen fängt es an: eine zweite Zahnbürste im Becher an der Waschbeckenwand, ein paar Kleidungsstücke in der Schublade, Handy-Netzteile auf beiden Seiten des Betts. Die kleinen Dinge vermehren sich rasant, im Spiegelschrank kämpfen plötzlich Rasierapparate, Mundspülung und Antibabypillen um den spärlichen Platz, und aus der Frage: »Kommst du rüber?«, wird: »Was kochen wir heute Abend?«
Sosehr ich mich davor gefürchtet habe, war dieser nächste Schritt doch unvermeidlich. Auch wenn ich die Leute an diesem Tisch, die Ryan seit seiner Kindheit kennt, zum ersten Mal sehe, ist keinem von ihnen entgangen, dass ich schon fest in sein Leben eingebettet bin. Die kleinen Akzente, die eine Frau in der Wohnung eines Mannes setzt - farblich abgestimmte Kissen auf der Couch oder ein Hauch von Jasmin aus dem Duftspender im Bücherregal -, bemerkt jede andere Frau, sobald sie über die Schwelle tritt.
Eine Stimme schwebt im Kerzenlicht um den Tafelaufsatz herum (»dezent, aber ein Statement«, so das Verkaufsargument) in meine Richtung. »Evie, das ist ein ungewöhnlicher Name.«
Zweifelnd, ob ich auf die Frage, die eigentlich keine ist, antworten soll, wende ich mich zu Beth. »Die Kurzform von Evelyn«, kläre ich die Sache auf. »Ich bin nach meiner Großmutter benannt.«
Die Frauen wechseln Blicke. Jedes Wort, das ich sage, wird zwecks späterer Analyse katalogisiert.
»Wie reizend!«, quiekt Allison. »Ich bin auch nach Grandma benannt. Woher, sagtest du, stammst du noch mal?«
Sagte ich nicht, doch wie die Geier werden sie für den Rest des Abends die Schnäbel wetzen, bis sie ihre Neugier befriedigt haben.
»Aus einer Kleinstadt in Alabama«, erwidere ich.
Bevor sie nachhaken können, aus welcher, sorgt Ryan für einen Themenwechsel. »Allison, ich hab deine Granny neulich im Supermarkt getroffen. Wie kommt sie zurecht?«
Er hat mir eine kleine Verschnaufpause verschafft, während Allison berichtet, wie sich die alte Dame nach dem Tod ihres Mannes so schlägt. Doch allzu lange werden sie sich nicht von der Fährte abbringen lassen.
Umgekehrt brauche ich diese Leute nicht persönlich zu treffen, um bereits alles über sie zu wissen. Der harte Kern kennt sich schon seit dem Kindergarten und ist bis zum Highschool-Abschluss zusammengeblieben. Zu zweit und dritt sind sie aus dem Nest geflüchtet, um sich auf eine Handvoll Colleges zu verteilen, alle keine Tagesfahrt von zu Hause entfernt. In ihren Wohnheimen haben sie sich mit anderen Zweier- und Dreiergruppen aus ähnlichen Biotopen zusammengetan, bis es sie am Ende in dieses Kaff in Louisiana zog und sich der Kreis schloss. Die griechischen Buchstaben ihrer Studentenverbindungen haben sie gegen die Mitgliedschaft in der örtlichen Junior League nebst Dinnerpartys und Golfrunden am Samstagnachmittag getauscht, sofern diese nicht mit den Football-Übertragungen der Southeastern Conference kollidieren.
Ich rümpfe über ihren Lebensstil nicht etwa die Nase, im Gegenteil, ich beneide sie darum. Ich beneide sie um ihre Lockerheit in einer solchen Situation, darum, immer genau zu wissen, was sie erwartet und was von ihnen erwartet wird. Ich beneide sie um die Unbekümmertheit, die man wohl erlangt, wenn einen jeder in der Stadt in seinen unvorteilhaftesten Momenten gesehen und einem nicht gleich den Kopf abgerissen hat.
»Wie habt ihr beide euch eigentlich kennengelernt?«, fragt Sara und lenkt damit die allgemeine Aufmerksamkeit wieder auf mich.
Die im Grunde harmlose Frage nervt.
Ryans Lächeln verrät mir, dass er weiß, wie mir zumute ist, und er schickt sich an, sie an meiner Stelle zu beantworten, doch ich komme ihm zuvor.
Mit einer der weißen Stoffservietten, die ich eigens für diesen Abend angeschafft habe, tupfe ich mir den Mund und sage: »Ich hatte einen Platten, und er ist mir zu Hilfe geeilt.«
Ryan hätte mehr Einzelheiten preisgegeben, als ihnen zustehen, das wollte ich verhindern.
. Dass es an der Raststätte draußen am Stadtrand war, wo ich in dem kleinen Restaurant für volle Gläser sorgte, geht hier niemanden etwas an. Auch lasse ich unerwähnt, dass ich in einer Runde, die mit MBAs und anderen akademischen Kürzeln um sich schmeißt, nur mit einem GED aufwarten kann, einem Highschool-Abschluss auf dem zweiten Bildungsweg.
Wenn auch vielleicht nicht mit Absicht, so würden diese Leute, seine Freunde, solche Dinge gegen mich verwenden. Vielleicht sogar, ohne es zu merken.
Meine Sorge, wie sie wohl von mir denken würden, wenn sie erst wüssten, wo ich herkomme, habe ich Ryan gegenüber erwähnt. Er hat mir versichert, es sei ihm egal, aber das stimmt nicht. Allein die Tatsache, dass er ihnen nachgegeben, sie alle hierher eingeladen und mir die ganze Woche über dabei geholfen hat, ein perfektes Menü vorzubereiten, sagt mir mehr als sein Bettgeflüster, wie sehr es ihm gefällt, dass ich anders bin, so ganz anders als die Mädchen, mit denen er aufgewachsen ist.
Allison dreht sich zu Ryan um und sagt: »Schon praktisch, jemanden wie dich zur Hand zu haben.«
Ich beobachte Ryan. Ich habe das Kunststück fertiggebracht, unsere erste Begegnung in einem Satz zusammenzufassen, und er hat es mir durchgehen lassen.
Er sieht mich an und signalisiert mir mit einem kurzen Lächeln, dass er mir an diesem Abend nicht die Show stehlen will und mitspielen wird.
Cole, Allisons Mann, wirft ein: »Würde mich nicht wundern, wenn er dir den Reifen zerstochen hätte, damit er dir beim Wechsel helfen kann.«
Allgemeines Gelächter und wahrscheinlich ein Rippenpuffer von seiner Frau, so wie sich Cole die Seite hält. Ohne den Blick von mir zu lassen, schüttelt Ryan amüsiert den Kopf.
Ich lächle und ich lache, nicht zu laut und nicht zu lang, um ihnen zu zeigen, dass auch ich die Vorstellung lustig finde, Ryan könnte zu solchen Mitteln greifen, um mich anzubaggern.
Zum Schreien komisch die Idee, jemand, egal, wer, könnte jemand anderen lange genug ins Visier nehmen, um in Erfahrung zu bringen, dass er jeden Donnerstagabend, nach einem langen Tag in seinem Büro im östlichen Texas, an diesem Truckstop tankt. Unser Jemand könnte sich seine bevorzugte Zapfsäule an der Westseite des Gebäudes merken und mit Argusaugen registrieren, wie sein Blick dabei immer ein wenig zu lang bei jedem weiblichen Wesen verweilt, das ihm unter die Augen kommt, vorzugsweise im kurzen Rock. Wirklich absurd, besagter Person entginge nicht das kleinste Detail wie zum Beispiel die LSU-Baseballkappe auf dem Rücksitz oder das T-Shirt seiner Uni-Verbindung, das ihm unter dem weißen Hemd durchschimmert, oder der Country-Club-Sticker in der linken unteren Ecke seiner Windschutzscheibe - alles Anhaltspunkte für ein belangloses Geplänkel, wenn es zur ersten Begegnung kommt. Unvorstellbar, besagte Person könnte sich dazu hinreißen lassen, einen Nagel so weit in ein Ventil zu stecken, dass mit einem fröhlichen Pfeifton die Luft aus dem Schlauch entweicht.
Ich meine, was für eine abwegige Idee, jemand könnte sich all diesen Mühen unterziehen, um jemandes Bekanntschaft zu machen.
»Ich hab's perfekt hingekriegt«, sage ich, während ich den letzten Teller ins Spülwasser tauche.
Ryan tritt hinter mich, streicht mir die Hüften hinauf und schlingt mir die Arme um die Taille. Er legt sein Kinn auf meine Schulter und drückt mir den Mund genau an die Stelle am Hals, die mich außer Gefecht setzt.
»Sie fanden dich umwerfend«, flüstert er.
Stimmt nicht. Bestenfalls habe ich ihre erste Neugier befriedigt. Und ich sehe es plastisch vor mir, wie die Frauen während der Heimfahrt auf dem Beifahrersitz zwischen dem Gruppenchat, in dem sie den Abend zerpflücken, und der Suchleiste sämtlicher sozialen Netzwerke hin und her wischen, um herauszubekommen, wer genau ich bin und aus welcher Kleinstadt in Alabama ich stamme.
»Ray hat mir gerade eine Nachricht geschickt. Sara möchte deine Nummer haben, um dich nächste Woche zum Lunch einzuladen.«
Das kommt schneller als erwartet. Ich schätze, ich muss mich gegen eine zweite Woge der Neugier wappnen, wenn sie feststellen, dass ihre Nachforschungen nur ein Minimum an Information erbracht haben, und sie hungern nach mehr.
»Ich hab sie ihr geschickt. Du hast doch nichts dagegen?«, sagt er.
Ich drehe mich zu ihm um und krabble ihm mit den Fingern die Brust hoch, bis ich sein Gesicht in die Hände schließe. »Nein, natürlich nicht. Sie sind deine Freunde. Und ich hoffe, sie werden auch meine.«
Es wird also einen Lunch geben, bei dem die Fragen unverblümter ausfallen werden, weil Ryan nicht dabei ist und dazwischengehen kann.
Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und ziehe ihn an mich, bis sich fast, aber nur fast, unsere Lippen berühren. Wir beide lieben diesen Teil, den magischen Moment, in dem wir den warmen Atem des anderen spüren und meine braunen Augen tief in seine blauen blicken. Wir sind uns nah, aber nicht ganz. Er greift mir unter den Blusensaum, ich spüre seine Finger in der weichen Haut an der Taille, während meine seinen Nacken hinaufwandern und sich in seine dunklen Haare wühlen. Ryan trägt sie jetzt länger als bei unserer ersten Begegnung, das heißt, seit dem Tag, an dem ich ihn aufs Korn genommen habe. Ich habe ihm gesagt, so gefalle es mir besser, ich hätte lieber etwas in der Hand. Und so wurde es schon länger nicht mehr geschnitten. Seine Freunde konnten ihr Staunen über seine Metamorphose nicht verbergen, denn wie ich von meinen eigenen Recherchen in den sozialen Medien weiß, hat sein Haaransatz noch nie bis zum Kragen gereicht. Folgerichtig wanderte ihr fragender Blick zu mir....
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