Schweitzer Fachinformationen
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»Ein Jahr ist es her«, sagt Raymond. »Auf den Tag.«
Ich habe gehofft, niemand würde darauf zu sprechen kommen, aber ich ahnte, als der Abend fortschritt, dass irgendwer etwas sagen würde. Ich hatte nur nicht gedacht, dass es Raymond tun würde. Wir vier sind bei Mario's, einem kleinen italienischen Restaurant im Westwood Village, und es ist ein Donnerstag Ende August. Obwohl die Schule nicht vor Anfang Oktober anfängt, spürt jeder, dass der Sommer zu Ende geht, zu Ende ist. Es gibt wirklich nicht viel zu unternehmen. Eine Party in Bel Air, an der niemand größeres Interesse bekundet. Keine Konzerte. Keiner von uns hat ein Date. Ich glaube sogar, außer Raymond geht keiner von uns mit irgendwem. Also beschließen wir vier - Raymond, Graham, Dirk und ich -, zum Dinner auszugehen. Mir ist nicht einmal bewusst, dass es jetzt »auf den Tag« ein Jahr her ist, ehe ich auf dem Parkplatz neben dem Restaurant bin und fast einen Steppenläufer überfahre, den der Wind plötzlich vor meine Stoßstange kullert. Ich parke ein und sitze im Wagen, während mir aufgeht, welchen Tag wir haben, und ich gehe langsam, sehr bedächtig, zur Tür des Restaurants und lasse mir vor dem Reingehen einen Moment Zeit, um eine Speisekarte hinter Glas anzustarren. Ich komme als Letzter an. Die Runde ist nicht sehr gesprächig. Ich versuche, die spärliche Konversation auf andere Themen zu lenken: das neue Fixx-Video, Vanessa Williams, wie viel Ghostbusters einspielt, welche Kurse wir vielleicht belegen sollten, ob man nicht morgen mal surfen gehen könnte. Dirk verlegt sich aufs Erzählen schlechter Witze, die wir alle schon kennen und nicht komisch finden. Wir bestellen. Der Kellner geht. Raymond spricht.
»Ein Jahr ist es jetzt her. Auf den Tag«, sagt Raymond.
»Seit was?«, fragt Dirk interessiert.
Graham sieht zu mir, dann nach unten.
Lange sagt niemand was, nicht mal Raymond.
»Ihr wisst schon«, sagt er endlich.
»Nein«, sagt Dirk. »Ich nicht.«
»Doch, du weißt es«, sagen Graham und Raymond gleichzeitig.
»Nein, ehrlich nicht«, sagt Dirk.
»Na hör mal, Raymond«, sage ich.
»Nein, hör du mal«, sagt Raymond und sieht Dirk an, der keinen von uns ansieht. Er sitzt einfach da und stiert auf ein Glas Wasser, in dem sehr viel Eis ist.
»Mach dich nicht lächerlich«, sagt er leise.
Raymond lehnt sich mit einem Ausdruck bitterer Genugtuung zurück. Graham sieht wieder zu mir rüber. Ich schaue weg.
»Kommt einem gar nicht so lange vor«, murmelt Raymond. »Oder, Tim?«
»Na hör mal, Raymond«, sage ich noch mal.
»Seit was?«, sagt Dirk und sieht Raymond endlich an.
»Du weißt es«, sagt Raymond. »Du weißt es, Dirk.«
»Nein, weiß ich nicht«, sagt Dirk. »Warum sagst du's uns nicht einfach? Sag's einfach.«
»Das muss ich nicht«, murmelt Raymond.
»Ihr seid vielleicht Wichser«, sagt Graham und spielt mit einer Brotstange. Er bietet sie Dirk an, der abwinkt.
»Na los, Raymond«, sagt Dirk. »Du hast damit angefangen. Jetzt sag's auch, Feigling.«
»Kannst du denen mal sagen, sie sollen die Klappe halten?«, sagt Graham zu mir.
»Du weißt schon«, sagt Raymond kläglich.
»Klappe«, seufze ich.
»Sag's doch, Raymond«, stichelt Dirk.
»Seit Jamie .« Raymond versagt die Stimme. Er beißt auf die Zähne, dreht sich dann von uns weg.
»Seit Jamie was?«, fragt Dirk lauter und mit schrillerer Stimme. »Seit Jamie was, Raymond?«
»Ihr Typen seid die letzten Affen.« Graham lacht. »Wie wär's, wenn ihr mal das Maul haltet.«
Raymond flüstert etwas, das für keinen von uns zu verstehen ist.
»Was?«, fragt Dirk. »Was hast du gesagt?«
»Seit Jamie gestorben ist«, gesteht Raymond endlich kleinlaut ein.
Aus irgendeinem Grund stopft das Dirk den Mund, und während der Kellner das Essen auf den Tisch stellt, lehnt er sich lächelnd zurück. Ich mag keine Kichererbsen in meinem Salat und hatte den Kellner darauf hingewiesen, als wir bestellten, empfinde es aber als unpassend, irgendwas zu sagen. Der Kellner stellt einen Teller Mozzarella marinara vor Raymond. Raymond stiert darauf. Der Kellner geht, kommt dann mit unseren Drinks zurück. Raymond starrt weiter auf seinen Mozzarella marinara. Der Kellner fragt, ob alles zu unserer Zufriedenheit sei. Graham nickt als Einziger von uns.
»Das hat er immer bestellt«, sagt Raymond.
»Du lieber Himmel, reg dich ab«, sagt Dirk. »Dann bestell was anderes. Bestell Abalone.«
»Die Abalone ist sehr gut«, sagt der Kellner, ehe er geht. »Die Trauben auch.«
»Ich fasse es nicht, wie du damit umgehst«, sagt Raymond.
»Wie denn? Weil ich anders damit umgehe als du?« Dirk nimmt seine Gabel in die Hand, legt sie dann zum dritten Mal wieder hin.
Raymond sagt: »Dass du so tust, als ob dir das am Arsch vorbeigeht.«
»Tut es ja vielleicht. Jamie war ein Wichser. Ein netter Typ, aber auch ein Wichser, klar?«, sagt Dirk. »Jedenfalls ist es aus und vorbei. Reit nicht darauf rum, ja?«
»Er war einer deiner besten Freunde«, sagt Raymond anklagend.
»Er war ein Arsch und keineswegs einer meiner besten Freunde«, sagt Dirk und lacht.
»Du warst sein bester Freund, Dirk«, sagt Raymond. »Tu jetzt nicht so, als wär's anders gewesen.«
»Er hat mich auf seiner Jahrbuchseite erwähnt - na und?« Dirk zuckt die Achseln. »Mehr war da nicht.« Pause. »Er war ein Wichser.«
»Dir ist das scheißegal.«
»Dass er tot ist?«, fragt Dirk. »Er ist seit einem Jahr tot, Raymond.«
»Ich kann nicht glauben, dass dich das nicht betroffen macht.«
»Wenn Betroffenheit heißt, hier rumzusitzen und wie eine Schwuchtel zu flennen .«, Dirk seufzt, dann sagt er: »Hör mal, Raymond. Es ist lange her.«
»Gerade mal ein Jahr«, sagt Raymond.
Was ich von Jamie in Erinnerung habe: mit ihm kiffen auf einem Oingo-Boingo-Konzert in der elften Klasse. Besoffen am Strand von Malibu bei einer Party im Haus eines iranischen Klassenkameraden. Ein übler Streich, den er ein paar Verbindungstypen von der USC auf einer Party in Palm Springs gespielt hat und bei dem Ted Williams ziemlich böse verletzt wurde. An den Streich selbst erinnere ich mich nicht, aber daran, wie Raymond, Jamie und ich durch einen Flur im Hilton Riviera stolpern, alle drei stoned, an den Weihnachtsschmuck, wie jemand ein Auge verliert, einen zu spät eintreffenden Feuerwehrwagen, ein Schild über einer Tür mit der Aufschrift »Kein Eintritt«. Wie ich mit ihm am Abend des Abschlussballs auf einer Yacht gutes Koks nahm und er mir sagte, ich sei mit Abstand sein bester Freund. Während ich die nächste Line von einem schwarzen Lacktisch sniffte, hatte ich nach Dirk, nach Graham, Raymond, ein paar Filmstars gefragt. Jamie sagte, er fände Dirk und Graham nett und Raymond nicht so besonders. »Der Typ ist ein Schleimer«, waren seine exakten Worte. Nach noch einer Line sagte er, er würde mich verstehen oder irgendwas in der Art, und ich nahm noch eine Line und glaubte ihm, weil es so einfacher war.
Eines Abends Ende August versuchte Jamie auf der Fahrt nach Palm Springs einen Joint anzuzünden und verlor entweder die Kontrolle über den Wagen, weil er raste, oder ihm platzte ein Reifen, und der BMW flog vom Freeway, und er war auf der Stelle tot. Dirk war hinter ihm gewesen. Sie wollten das Wochenende auf den Labor Day im Haus von Jeffreys Eltern in Rancho Mirage verbringen und kamen von einer Party in Studio City, auf der wir alle gewesen waren, und Dirk hatte Jamies zerschmetterten, blutigen Körper aus dem Wagen gezogen und dann einen Typ angehalten, der nach Las Vegas unterwegs war, um dort einen Tennisplatz zu bauen, und der Typ fuhr zum nächsten Krankenhaus, und siebzig Minuten später kam ein Krankenwagen, und Dirk hatte in der Wüste gesessen und die Leiche angestarrt. Dirk hat nie viel darüber erzählt, nur nebensächliche Einzelheiten, die er uns in der Woche, nachdem es passiert war, verraten hat: wie der BMW sich überschlug, über Sand schlitterte, einen Kaktus platt walzte, wie Jamies Oberkörper die Windschutzscheibe durchschlug, wie Dirk ihn rauszog, hinlegte, in Jamies Taschen nach einem übrig gebliebenen Joint suchte. Ich war oft versucht, rauszufahren und mir die Stelle anzusehen, wo es passiert ist, aber ich fahre nicht mehr nach Palm Springs, weil ich jedes Mal, wenn ich dann da bin, völlig am Arsch bin und mich totlangweile.
»Ich fasse einfach nicht, wie egal euch das ist«, sagt Raymond gerade.
»Raymond«, sagen Dirk und ich unisono.
»Es ist halt so, dass wir es nicht ändern können«, führe ich den Satz zu Ende.
»Ja.« Dirk zuckt die Achseln. »Was können wir dran machen?«
»Sie haben recht, Raymond«, sagt Graham. »Es ist alles so verwischt.«
»Ich fühle mich schon selbst ganz zermatscht«, sagt Dirk.
Ich sehe rüber zu Raymond und dann wieder zu Dirk.
»Er ist tot und so weiter, aber das heißt nicht, dass er kein Wichser war«, sagt Dirk und schiebt seinen Teller weg.
»Er war kein Wichser, Dirk«, sage ich zu ihm und muss plötzlich lachen. »Er war ein Flitzer, kein Wichser.«
»Wie meinst du das, Tim?«, fragt Dirk und sieht mir gerade ins Gesicht. »Nach dem Scheiß, den er mit Carol Banks abgezogen hat?«
»O Jesus«, sagt Graham.
»Welchen Scheiß hat er mit Carol Banks abgezogen?«, frage ich nach kurzem Schweigen. Carol und ich waren während unserer letzten beiden Schuljahre ab und zu...
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