Schweitzer Fachinformationen
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Mercy glaubte zuerst, es wäre ein Reh.
Aber es war ein Mädchen, das aus dem Gebüsch am Rand der dunklen Straße ins Scheinwerferlicht ihres SUV stürzte. Sie trat auf die Bremse und riss das Lenkrad nach rechts. Der Wagen geriet ins Schleudern und wackelte, als die Reifen über die schneebedeckten Spurrillen des Standstreifens holperten. Er kam zum Stehen, und sie umklammerte das Lenkrad und rang nach Luft.
Ich habe sie nicht getroffen.
Hände schlugen gegen das Fahrerfenster. »Sie müssen mir helfen! Bitte!«
Rote Striemen zogen sich über das Glas, und in den großen Augen des Mädchens spiegelte sich Entsetzen wider.
Jemand hat sie angefahren und ist abgehauen.
Mercy riss die Tür auf, und das zitternde Mädchen stürzte in ihre Arme. »Bitte helfen Sie ihr! Sie stirbt!« Ihre Hände waren mit Blut verschmiert, das auch ihre Wangen bedeckte. Sie konnte nicht älter als zehn sein, und ihr kurzärmliges T-Shirt war für die eisige Nachtluft nicht im Geringsten angemessen. Sie packte Mercy am Mantel und zerrte sie in Richtung Straße. »Sie ist da vorn!«
»Warte! Bist du verletzt?« Mercy hielt das Kind am Handgelenk fest und untersuchte erst die blutige Hand, dann drehte sie seinen Kopf so, dass sie ihm ins Gesicht sehen und nach Verletzungen Ausschau halten konnte. Die Kleine versuchte nach Leibeskräften, sich aus ihrem Griff zu befreien.
»Das ist nicht mein Blut! Ich bin nicht verletzt, aber meine Großmutter! Sie stirbt!« Das Mädchen rutschte aus, als es versuchte, Mercy vom Wagen wegzuziehen. »Sie müssen uns helfen!«
»Wo ist sie?«
»Hier lang!« Sie forderte Mercy mit dem Blick auf, ihr zu folgen.
Mit rasendem Herzen zog Mercy das Mädchen zum Heck ihres Tahoe und nahm eine Reisetasche vom Rücksitz. »Wäre es nicht schneller, zu deiner Großmutter zu fahren?«
»Die Abkürzung durch den Wald ist am schnellsten.« Das Kind erstarrte und beäugte hoffnungsvoll die Tasche. »Sind Sie Ärztin?«
»Nein.« Mercy holte ihr Handy heraus. Kein Empfang. Verdammt! »Hast du den Notruf gewählt?«
»Wir haben kein Telefon.«
Wer hat denn heutzutage kein Telefon? Sie schaute sich die Kleine genauer an. Sie musste dringend mal zum Friseur, und ihre Jeans waren bestimmt fünf Zentimeter zu kurz. Ihr Gesicht war schmal und zart, sodass sie beinahe an eine Elfe erinnerte. »Meine Mutter hat eins, aber sie ist nicht zu Hause. Können Sie sich bitte beeilen?«
Ihr panischer Blick brach Mercy beinahe das Herz. »Ich muss nur noch eine Sache einstecken.« Sie ließ den Blick über die hoch aufragenden Kiefern auf beiden Straßenseiten schweifen. Zehn Minuten zuvor hatte sie ihre Hütte verlassen, aber sie befand sich noch immer in einem der dichtesten Wälder auf der Ostseite der Cascade Mountains. Die Straße war kaum befahren, und da es fast 3 Uhr morgens war, würde hier so schnell auch niemand vorbeikommen. Rasch kehrte sie auf die Fahrerseite zurück und griff nach ihrer Handtasche mit der Pistole in der darin verborgenen Innentasche, wobei sie bereute, ihr Schulterholster nicht zu tragen.
Sie verstaute ihre Handtasche in der Reisetasche und schwang sich den strapazierfähigen Gurt über die Schulter, wobei sie sich an das schwere Gewicht anpassen musste. »Dann mal los.« Das Mädchen drehte sich um und sauste durch den Schnee in Richtung des Gebüschs, aus dem es aufgetaucht war. Mercy schloss ihren Wagen mit der Fernbedienung ab und fischte eine Taschenlampe aus der Reisetasche.
Ich werde tun, was ich kann, und dann Hilfe holen.
Der Verbandskasten in der Reisetasche sah nicht aus wie einer aus dem Supermarkt. Vielmehr hatte sie darin Skalpelle, chirurgisches Nähzeug, Spritzen, Epinephrin und Lidocain zusätzlich zu dem üblichen Sortiment an Verbänden und Kleber. Während sie dem Mädchen folgte, das zwischen den Bäumen verschwand, machte sie in Gedanken eine Bestandsaufnahme. Notfalldecke, Anzünder, Stirnlampe, Beil, Plane, Proteinriegel, Wasserreinigungstabletten. Mercy wusste ganz genau, dass man sich keinesfalls ohne Vorräte blindlings in den Wald stürzen durfte.
Sie richtete den Strahl ihrer Taschenlampe auf das Mädchen. Die Kleine war verschwunden. Mercy suchte das Gebüsch ab, in dem sie das Kind vermutete. »Hey! Warte! Wo steckst du?« Ich weiß nicht mal, wie sie heißt.
Das Elfengesicht erschien plötzlich im Lichtstrahl. »Beeilen Sie sich!«
Mercy lief hinter ihr her, wobei ihre Stiefel in den zehn Zentimeter tiefen Schnee einsanken. »Wie ist dein Name?«
»Morrigan.« Sie lief direkt vor dem Lichtstrahl der Taschenlampe her und wich geschickt herabgefallenen Ästen und großen Steinen aus.
Mercy versuchte, ihnen beiden den Weg zu leuchten, aber Morrigan schien nachts so gut wie eine Katze sehen zu können. Nach einer Weile gab Mercy den Versuch auf und konzentrierte sich darauf, sich nicht den Knöchel zu verstauchen. Keiner weiß, wo ich bin. Bei diesem Gedanken wurde ihr ganz mulmig zumute, doch sie verdrängte ihn. Ihr Freund Truman und ihre Nichte Kaylie wussten, dass sie in ihre Hütte gefahren war, und ihr Wagen stand am Straßenrand. Wenn jemand nach ihr suchte, würde er sie finden.
Hoffentlich in einem Stück.
»Was ist mit deiner Großmutter passiert, Morrigan?« Sie gab sich die größte Mühe, mit dem Kind Schritt zu halten.
»Ich weiß es nicht! Da war überall Blut.«
»Wie weit ist es noch?«
»Wir sind fast am Haus.«
»Wir hätten fahren sollen«, murmelte sie.
»Nein, die Straße zum Haus macht einen großen Bogen nach Norden. Dieser Weg ist schneller. Da ist es!«
Mercy hob ihre Taschenlampe höher. Weit voraus konnte sie die Umrisse eines kleinen Hauses im Ranchstil erkennen. Ein schwaches Licht schimmerte hinter einem Fenster. Keine Außenbeleuchtung. Sie hatte gar nicht gewusst, dass in dieser Gegend ein Haus stand. Jahrelang war sie die alte Landstraße entlanggefahren und hatte nie einen Hinweis darauf entdeckt, dass in diesem Teil des Waldes jemand lebte. Und ich dachte, ich hätte hier Privatsphäre.
Morrigan rannte ein paar schiefe Betonstufen hinauf und stieß die Tür auf. »Grandma!«, rief sie.
Mercy hielt am Fuß der Treppe inne und prüfte ihr Handy auf Empfang. Nichts. Wie soll ich ihre Großmutter zum Tahoe bringen? Ich hätte darauf bestehen sollen, dass wir mit dem Wagen herkommen.
Vorsichtig betrat sie das dunkle Haus und ging in die Richtung, aus der Morrigans leises Schluchzen kam. Sie betätigte einen Lichtschalter, aber nichts geschah. Daher leuchtete sie mit der Taschenlampe jede Ecke des Raumes aus, um nicht überrascht zu werden. Es roch nach altem Staub, als ob das Haus seit Jahren verlassen wäre, aber es war voll möbliert, und es gab deutliche Hinweise auf Bewohner. Ein Buch auf dem Beistelltisch. Eine Tasse neben einem Zeitschriftenstapel. Zu ihrer Rechten befand sich eine winzige Küche, deren begrenzte Arbeitsfläche von einem Abtropfgestell und einem Schongarer eingenommen wurde.
»Sie ist hier drin!«, rief Morrigan. »Beeilen Sie sich! Bitte!« Die Angst in ihrer Stimme bewirkte, dass Mercy ihren gesunden Menschenverstand vergaß und einen dunklen Flur entlangstürzte. Sie folgte den Geräuschen und stieß in einem Schlafzimmer, das nur spärlich von einer Sturmlaterne beleuchtet wurde, auf Morrigan. Die Großmutter des Mädchens saß in einem alten Fernsehsessel, dessen Rückenlehne um fünfundvierzig Grad gekippt war. Sie war eine sehr dünne Frau und füllte gerade mal einen Bruchteil des großen Sessels aus. Eine Steppdecke bedeckte sie vom Hals abwärts. Selbst im schwachen Licht konnte Mercy sehen, dass die Decke mit Blut getränkt war.
Die Frau hatte den Kopf leicht gedreht, als Mercy hereingekommen war, und sie gab einen flehentlichen Laut von sich. Mercys Finger fanden einen weiteren nutzlosen Lichtschalter, sie ließ ihre Tasche neben dem Sessel fallen und ging auf ein Knie. Du musst die Blutung stoppen. »Wo sind Sie verletzt?«, fragte sie, während sie sanft das Handgelenk der Frau nahm, um ihren Puls zu prüfen. Er fühlte sich an wie das schwache Flattern eines kleinen Vogels. Die Frau gab weitere leise Laute von sich und versuchte, sich aufzusetzen. »Halten Sie still«, sagte Mercy. »Bring die Lampe her«, bat sie Morrigan. »Und halte meine Taschenlampe, damit ich besser sehen kann.« Das Mädchen gehorchte, und Mercy stockte der Atem, als sie den verzweifelten Blick der Frau bemerkte. Sie krallte sich in Mercys Arm und versuchte, sich am Stoff festzuhalten, während sich ihre Blicke trafen. Ihre Augen waren feucht, ihre Lider von Altersfalten umgeben, und ihre Laute wurden immer drängender.
Kann sie sprechen?
Mercy keuchte auf, als sie die nasse Decke langsam zurückzog, und Morrigans Großmutter stieß einen leisen Schrei aus.
Die Frau hatte Schnittwunden an der Brust, am Bauch und an den Oberarmen. An diesen Stellen war ihr dünnes Nachthemd von der Waffe durchtrennt worden. Die dunklen Flecken bildeten grässliche Flecken auf dem Stoff, und die Verletzungen bluteten noch immer.
»Wer hat Ihnen das angetan?« Mercy konnte sich nicht bewegen. Ihr Gehirn wollte die brutale Bestrafung, die der Frau zugefügt worden war, nicht akzeptieren. Die Frau fing mit leiser Singsangstimme an zu singen, doch Mercy konnte die Worte nicht verstehen.
»Was ist mit ihr passiert, Morrigan?«, fragte sie, während sie in ihrer Tasche nach Verbandszeug kramte.
»Das weiß ich nicht. Ich bin aufgestanden, um auf die Toilette zu gehen, und fand sie dann so. Danach bin ich auf die Straße gerannt, um Hilfe zu holen.«
Mercy drückte dicke Verbände auf die Wunden, die...
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