Die neue hessische Linie der Battenbergs - die Familie meines Vaters
Der Großherzog Ludwig II. von Hessen und bei Rhein regierte von 1830 bis zu seinem Tode im Jahre 1848 das Großherzogtum, welches bis dato keine besondere politische Bedeutung hatte. Die ersten studentischen Unruhen und Aufstände, der fließende Übergang zwischen Vormärz und versuchter Revolution setzten erst im Jahre seines Todes ein und die Gründung eines geeinten Kaiserreichs, das Ende der deutschen Kleinstaaterei, lag noch in grauer Ferne.
Ludwig war verheiratet mit Prinzessin Wilhelmine von Baden. Diese gebar ihrem Gatten sieben Kinder, wobei ein Mädchen bereits kurz nach der Geburt verstarb, doch trotzdem war die Ehe des Paares alles andere als glücklich. Wilhelmine nutzte die finanziellen Mittel ihres Mannes, um sich ein Refugium auf dem Heiligenberg erbauen zu lassen, damit sie dem Hof entfliehen konnte.
Die beiden Söhne, der Erbgroßherzog Ludwig, an den sein Vater die Regierungsgeschäfte noch vor seinem Tod übertrug, als im Land die ersten Unruhen einsetzten, weil er sich ihnen nicht gewachsen fühlte, und Prinz Karl waren mit großer Sicherheit Nachkommen des Großherzogs. Auch die verstorbene Tochter war sein leibliches Kind.
Doch die nachgeborenen Kinder, die 1821 geborene Tochter Prinzessin Elisabeth, der 1823 geborene Prinz Alexander und die Prinzessin Marie, die im Jahre 1824 das Licht der Welt erblickte, entstammten eigentlich der Liaison seiner Gattin mit dem großherzoglichen Oberhofstallmeister August Ludwig von Senarclens-Grancy. Es war zuerst nur ein Gerücht, welches sich aber auch dadurch bestätigen lässt, dass der Großherzog in den jeweiligen Jahren keinerlei intimen Kontakt zu seiner Gattin pflegte und sie ihren Geliebten nahe ihres Refugiums einquartierte, um ihn stets um sich zu haben. Der Großherzog erkannte die Kinder als seine leiblichen an, aber im Großherzogtum brodelte die Gerüchteküche, was den Kindern Zeit ihres Lebens nachhing.
Wilhelmine musste im Jahre 1826 den Tod ihrer Tochter Elisabeth durch eine Scharlacherkrankung verkraften und ließ ihr ein Mausoleum an der Rosenhöhe erbauen, anstatt sie der Tradition entsprechend in der Stadtkirche in Darmstadt in der großherzoglichen Gruft beisetzen zu lassen. Damit errichtete sie, zweifelsohne ungewollt, die zukünftige Grabstätte der Familie von Hessen und bei Rhein, wenngleich die Rosenhöhe vorher ein beliebter Sommersitz der Familie gewesen war und nun sehr zum Unmut des Großherzogs zu einem Friedhof umfunktioniert wurde. Die Großherzogin folgte ihrer kleinen Tochter schließlich 1836 infolge einer Typhuserkrankung.
Im Jahre 1839 begab sich der russische Zarewitsch Alexander Nikolajewitsch und spätere Zar Alexander II. von Russland auf Brautschau in Europa. Zuerst versuchte er, Königin Victoria von England den Hof zu machen, deren Onkel König Leopold von Belgien aber bereits eine Verbindung zwischen ihr und dem Prinzen Albert von Sachsen-Coburg und Gotha anstrebte. Seine Beharrlichkeit in dieser Angelegenheit sollte dann auch in der Heirat von Albert und Victoria enden.
Als der Zarewitsch nun nach Hessen weiterreiste, um der Verwandtschaft einen Besuch abzustatten, denn Luise, eine Schwester der Großherzogin Wilhelmine, war als Zarin Elisabeth die Gattin des Zaren Alexanders I. von Russland gewesen, traf er auf die gerade einmal vierzehnjährige Prinzessin Marie. Er verliebte sich auf den ersten Blick in sie. Ihre Liebe konnte auch nicht durch die Tatsache getrübt werden, dass Maries uneheliche Herkunft ein offenes Geheimnis war.
Da sie zu jenem Zeitpunkt eine sehr fragile Gesundheit besaß, konnte sich das Paar erst im Jahre 1840 verloben, die Hochzeit folgte dann im Jahre 1841.
Prinz Alexander von Hessen begleitete seine Schwester, als diese nach Sankt Petersburg zog. Seine Anwesenheit sollte der jungen Braut nicht guttun, denn sie erkrankte sofort aufgrund des kalten Klimas, erholte sich nur schwerlich und fühlte sich an dem großen Zarenhof nicht wirklich willkommen, da ihre Schwiegermutter, eine geborene Prinzessin von Preußen, offen ihre Verachtung für das kleine, aus ihrer Sicht unbedeutende Großherzogtum Hessen zur Schau stellte. Zudem hatten die Gerüchte über die fragliche Abkunft der hessischen Prinzessin und ihres Bruders die europäischen Adelshöfe erreicht und die Situation drohte in St. Petersburg zu eskalieren. Alexander schritt ein, merkte an, dass er und seine Schwester den Namen des Vaters, des Großherzogs, mit Stolz trugen und niemand etwas anderes nachweisen könne. Der russische Hof war zu jener Zeit ein angesehener unter den europäischen Höfen - prunkvoll, mit strengen Etiketten, französischer Hofsprache und, wie sollte es auch anders sein, inmitten dieses Glanzes von großen, festlichen Bällen und Pomp, auch ein Nährboden für Gerüchte und Intrigen.
Obwohl Alexander von seinem Schwager bedeutende Posten im russischen Militär erhielt, beeinflussten vor allem seine Leidenschaft für übermäßigen Alkoholgenuss, ausschweifende Feste, das Spielen und schöne Frauen sein Leben. Er verliebte sich in die Schwester seines Schwagers, die Großfürstin Olga, genannt Olly, und wusste doch, dass sie dem Sohn des Königs von Württemberg versprochen war. Olly ihrerseits erwiderte seine Avancen daher auch nicht.
Als es im Jahre 1845 zu Aufständen im Kaukasus kam, angeführt von dem muslimischen Fanatiker Shamyl, meldete sich Alexander freiwillig, um die Aufstände mit den entsandten Truppen niederzuschlagen. Dabei bewies er großen Mut und erntete viel Anerkennung, denn jeder Soldat wusste, dass Gefangene auf beiden Seiten nur gemacht wurden, um sie zu auf eine grausame Art zu quälen und danach ihre leblosen, geschändeten Körper an den Feind zurückzugeben. Doch Alexander bewährte sich erfolgreich. Beim Rückzug der geschlagenen Aufständischen erbeutete er eine Kopie des Korans, welche sich als die von Shamyl erwies. Es war seine "Beute", die er dem Zaren präsentieren konnte. Dieser revanchierte sich mit den höchsten militärischen Auszeichnungen. Durch seine militärische Erziehung in Hessen genoss Alexander die Kämpfe, war geübt mit dem Schwert, der Pistole und zu Pferd.
Auch im Krimkrieg zwischen 1853 bis 1856 sollte er sich später noch bewähren.
Alexander sagte seinem Schwager, dass es für einen Soldaten viel wert sei, oft in das Gesicht des Todes zu blicken, denn nur so habe man das Recht, eine Uniform zu tragen.
Doch auch, wenn er sich militärisch bewährte, litt er an einem gebrochenen Herzen und frönte weiterhin einem allzu ausschweifenden Leben. Man schickte ihn nach Darmstadt zurück, um ihm etwas Abstand von diesem Lebensstil zu geben.
Prinzessin Louise von Mecklenburg-Schwerin wurde ihm als Braut angetragen. Vivi, wie man sie nannte, schien zwar eine gute Partie zu sein, aber Alexander lehnte eine Verbindung ab, reiste wieder nach Russland, wo ihm sein Schwager die Leviten las, sodass er 1848 seinen Lebensstil änderte. Er schränkte seine Frauengeschichten ein, trank nur noch selten und gab das Spielen auf.
Er verliebte sich schließlich in die Gräfin Sophie Shuvaloff und machte ihr Avancen, die sie auch erwiderte, doch ihre Mutter stand einer Verbindung sehr skeptisch gegenüber, kannte sie doch wie jeder bei Hofe Alexanders vorheriges umtriebiges Leben. Der Gedanke, er könne ihrer Tochter das Herz brechen, bewegte sie zu einem Schritt, mit dem sie unfreiwillig die neue Linie des Hauses Hessen, die der Battenbergs, begründen sollte.
Bei einem Ball im Januar des Jahres 1848 ließ die Mutter der Gräfin Sophie dem Prinzen eine Nachricht überbringen, dass, wenn er die nächste Mazurka mit ihrer Tochter tanze, sie sie umgehend mit nach Hause nehmen werde. Als Überbringerin der Nachricht wählte sie eine Hofdame der Schwester des Prinzen namens Julie von Hauke aus. Als Julie nun vor dem Prinzen stand, um ihm die harten Worte der Gräfin zu überbringen, ergriff er ohne Umschweife die junge Frau und tanzte mit ihr unter dem völlig überraschten Blick der Gräfin und ihrer Tochter den nächsten Tanz. Dieser Tanz markierte den Beginn ihrer Liebe, wenngleich sich Julie zuerst Hals über Kopf in den Prinzen verguckte, der danach nur zögerlich ihre Nähe suchte. Er hatte sein Herz noch an die Tochter der Gräfin verloren, beide nutzen bald Julie als Überbringer ihrer Liebesbriefe, sie organisierte auch geheime Treffen zwischen den beiden. Sophies Eltern wurden bald dennoch dessen gewahr, beschlossen ihre Tochter für eine Weile zu Verwandten zu schicken und so bat Marie ihren Bruder, der jungen Frau doch verständlich klarzumachen, dass alles vorbei sei, damit sie in der Ferne nicht allzu sehr um ihn trauere und mit der Affäre abschließen könne. Alexander erahnte den wahren Absender dieser Bitte, den Zaren, und so fügte er sich, was für ihn ein sehr schwerer Schritt war. Danach bat ihn der Zar, sich endlich zu verheiraten, um zur Ruhe zu kommen. Er empfahl ihm die Großherzogin Catherine Michaelowna, seine Nichte.
Wie bei den meisten Prinzen der hessischen Linie war die Zeit, in der sie sich die sogenannten Hörner abstießen, zwar sehr lang, aber danach sehnten sie sich selbst nach einem Ruhepol in ihrem Leben.
Alexander nahm endlich Notiz von Julie, obwohl sie so anders war als die Frauen bei Hofe. Sie war nicht von besonderer Schönheit, keine dieser französisch wirkenden,...