Meine Schwestern und ich im Jahre 1896- in der Mitte sitzt Emma, neben ihr links ist Ida, hinter ihr steht Emma, rechts steht Hermine und ich bin ganz links zu sehen
Papa engagierte die besten Lehrer und Lehrerinnen, legte besonders viel Wert auf den Unterricht in Geschichte, Kunst- und Literaturgeschichte, eine musikalische Erziehung, Malerei und die modernen Sprachen, wie Englisch und Französisch. Es war ihm ein stetes Anliegen, unser alltägliches Leben genauestens durchzuplanen, wobei er Respekt erwartete, aber keine Furcht vor einem übermächtigen, allzu strengen Vater. Doch nur selten konnte er sich ein anerkennendes Lächeln abringen. Er legte keinen Wert auf Sport oder körperliche Ertüchtigung. So waren meine beiden jüngeren Schwestern nicht sehr gekonnt im Reiten, Fahrrad fahren oder Tennis spielen. Mama hatte darauf einen gewissen Wert gelegt, aber nun mussten sie es von uns älteren lernen sowie von den Verwandten.
Im Sommer und Herbst reisten wir Mädchen auch weiterhin nach Schloß Burgk.
Nördlich von Greiz besaß mein Vater in Waldhaus noch ein Jagdschlösschen, welches "Ida-Waldhaus", nach meiner Mutter, genannt wurde. Papa hatte es in den siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts bauen lassen, später folgte noch ein Mausoleum, in dem 1891 Mama ihre letzte Ruhestätte fand. Waldhaus war ein Kammergut unserer Familie und Papa liebte die Einsamkeit des Werdauer Waldes, auch wenn er nach dem Tod unserer Mutter nur selten dort war, um zu jagen.
Das Jagdschlösschen
Auch Bade- und Seereisen an Nord- und Ostsee wurden beibehalten, meist aber begleiteten uns Kammerfrauen und Gouvernanten. Wir Mädchen liebten alle die Natur und Wanderungen. Wir älteren drei Mächen ritten gerne aus.
Schon früh achtete mein Vater darauf, dass wir repräsentative Pflichten wahrnahmen. So durften wir alle, auch die jüngeren Kinder, mit an der Tafel sitzen, wenn Gäste am Hof zugegen waren, was auch nach dem Tod Mamas Bestand hatte. Normalerweise mussten jüngere Kinder alleine mit den Gouvernanten essen, da man davon ausging, dass sie an der Tafel stören würden, beispielsweise durch Geplapper oder nicht stillsitzen können. Wir hingegen waren alle "vorzeigbar", brav und gaben artige, höfliche Antworten, wenn man das Wort an uns richtete. Heinrich antwortete meist nur mit einem Nicken, Kopfschütteln oder Lächeln, da auch jeder wusste, wir schwer ihm das Sprechen fiel.
Bald mussten meine älteren Schwestern und ich Papa bei öffentlichen Auftritten begleiten, damit wir, so sein Ansinnen, auch Kontakt mit der Bevölkerung hatten und nicht im "goldenen Käfig" aufwuchsen. So begleiteten wir ihn regelmässig zur Kirche, was ihm ein großes Anliegen war, oder waren mit anwesend, wenn Grundsteine für neue Bauwerke in Greiz und Umgebung gelegt wurden.
Da meine Mutter eine geborene Prinzessin zu Schaumburg-Lippe war, reisten wir auch ab und an zu den Verwandten nach Bückeburg, wobei wir das Osterfest immer bei ihnen verbrachten. Besonders der Großvater, Fürst Adolf Georg I. zu Schaumburg-Lippe, machte auf mich großen Eindruck. Er verstarb im Jahre 1893, als ich neun Jahre alt war, dennoch hatte mich mich seine Persönlichkeit stets beeindruckt. Schon früh übernahm ich sein Lebensmotto, Schwächen stets zu verbergen, und, dass man sich niemals beugt, auf seiner eigenen Meinung besteht, seine Ansichten offen eingesteht. Die meisten Menschen hielten ihn für einen eigenbrötlerischen, sturen Mann. Er erzählte gerne davon, dass er aus seiner liberalen Opposition heraus gegen die Vereinnahmung seines kleinen Fürstentums durch PReußen offen protestiert hatte. Durch die Reichsverfassung fühlte er sich zu einem Vasallen des Kaiserhauses erniedrigt und hing wie alle Souveräne des alten Deutschen Bundes eben an letzterem fest. Was ich imponierend fand, war die Tatsache, dass mein Großvater der einzige im Deutschen Reich war, der den Mut besaß, seinen Unmut über die aus seiner Sicht erzwungene Unterwerfung lautstark kundzutun. Stolz und Würde waren seine Doktrine und ich, die ich ebenso gerne meinen eigenen Willen durchsetzen wollte, verinnerlichte seine Haltung. In späteren Jahren ließ mich dies oft anecken. Manche Menschen dachten, ich sei kühl, distanziert und eitel, wandten sich von mir ab, wobei ich unbewusst einfach nur ich selbst sein, mich nicht verstellen wollte.
Die Großmama, Fürstin Hermine, war eine warmherzige Frau und sie hatte viel Geduld, die Launen des Großvaters zu ertragen. Sie nahm es mit einem Seufzen oder einem zustimmenden Nicken hin, damit der Großpapa sich nicht noch weiter in seinen Schimpftiraden auf Preußen erging. Da das Fürstentum Schaumburg-Lippe ein kleines Adelshaus wie Reuß ist, fühlten wir uns am Bückeburger Hof sehr wohl.
Großpapa und Großmama, um 1890
Manchmal besuchte uns die Großmutter in Greiz nach Mamas Tod, wobei sie von ihrer einzigen noch lebenden Tochter, Hermine, Herzogin von Württemberg, begleitet wurde. Die Tante war eine derart begnadete Reiterin, die jedes Pferd sofort ausgezeichnet führen konnte und sich auch nicht scheute, gewagte Sprünge im für Frauen üblichen Damensitz zu machen. Mein Vater beliebte zu scherzen, dass sie wohl mongolisches Blut in sich haben müsse, um so zu reiten. Dies war natürlich unmöglich, aber man merkte, wie sehr sie Pferde liebte. Auf jedes noch so scheue oder aber störrische Tier konnte man sie setzen. Vielleicht hat sie mir diese Liebe zu Pferden erst richtig nahegebracht, denn sie lehrte mich auch, wie man auf ein Tier eingeht. Es beeindruckte mich schon als Kind, so wie wir alle mit offenem Mund dastanden und ihre Reitkünste bewunderten.
Wir Mädchen mit unserem Bruder Heinrich- von links nach rechts- Hermine, sitzend Ida, hinter ihr stehend Marie, am Tisch neben dem Bruder Emma und ich sitzend, um 1899
Ich, im Jahre 1900, mit sechzehn Jahren
Mit den Schwestern Emma, links, und Marie, mittig, in Reitkleidung, 1900
Ein Einzelporträt von mir, 1900
Wir Mädchen waren uns oftmals Gesellschaft genug, denn wir führten gemeinsam gerne Theaterstücke auf. Ich schrieb auch gerne Gedichte, die ich vor allen vortrug und die großen Anklang fanden. Mit unermüdlichem Fleiß versuchte ich, mein Klavierspiel zu verbessern, sang auch sehr gern und begeisterte mich für die deutsche, französische und englische Literatur. Regelrecht vergraben konnte ich mich in Büchern, die Welt um mich herum vergessen. Meine Belesenheit beeindruckte viele aufs Äußerste, da sie sie einem noch so jungen Menschen nicht zutrauten. Mit dem wenigen Taschengeld, welches ich erhielt, kaufte ich meist Kunstzeitschriften und ähnliche Veröffentlichungen, um mich eingehend mit der bildenden Kunst zu befassen.
Meine Schwestern und ich im Frühjahr 1902 in Trauerkleidung nach dem Tod Papas
Hermine und Ida, rechts, und ich ganz links, im Jahre 1902
Mein Leben verlief ebenso wie das meiner Schwestern eigentlich in recht ruhigen Bahnen. Da Emma und Marie im Jahre 1900 bereits im heiratsfähigen Alter waren, hatte mein Vater auch Hochzeitspläne für beide geschmiedet und sich nach geeigneten Kandidaten umgesehen. Für Emma hatte er den Grafen Erich von Künigl-Ehrenburg ausgewählt. Beide waren sich bereits bei Besuchen des Grafen bei uns in Greiz vorgestellt worden und sie verstanden sich sehr gut miteinander. Kurz darauf wurde die Verlobung gefeiert.
Doch Papas Gesundheitszustand verschlechterte sich zusehends. Und wissend, dass es ihm nicht gutging, er immer gebrechlicher wurde, traf uns sein Tod am 19. April 1902 dennoch überraschend. Es war sehr schmerzhaft für uns alle, aber besonders Heinrich bekam physische Krämpfe, die über Stunden anhielten. Er ließ sich in seine Trauer kaum beruhigen.
Papa wurde neben Mama im Mausoleum in Waldhaus beigesetzt.
Zum Tode Papas im Jahre 1902 veröffentlichte Karte- oben links Papa, rechts Mama, mittig unser Bruder Heinrich, links Emma, rechts von ihm Marie, darunter links Hermine, in der Mitte ich und rechts Ida
Da wir nun Vollwaisen waren, meine Schwestern Hermine und Ida erst fünfzehn und elf Jahre alt, nahmen sich unsere Onkel unserer an- der Prinz Heinrich zu Reuß väterlicherseits und Fürst Georg zu Schaumburg-Lippe mütterlicherseits. Man entschied, dass unser Bruder Heinrich ein lebenslanges Wohnrecht im Schloss innehaben solle. Für Emma wurde die Hochzeit nach dem Trauerjahr auf den 14. Mai 1903 in Greiz angesetzt, da sie bereits verlobt war. Den Wünschen Papas entsprechend erklärte sich der Onkel Heinrich bereit, diese Hochzeit zu organisieren.
Fürst Georg übernahm rechtlich formal die Vormundschaft für uns andere Mädchen. Von Anfang an machte er deutlich, dass er uns eher schnell verheiraten wolle, was für Marie und mich galt, als sich zu lange mit der Auswahl eines eventuell den Ansprüchen und Vorlieben genügenden Ehepartners...