Schweitzer Fachinformationen
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»Sind Sie eigentlich gerne Anwältin, Frau Bergmann?«
Die Frage ihres Chefs irritierte Lizzi mehr als die Tatsache, dass er sie nach der Besprechung in sein Büro zitiert hatte. Denn ihr war durchaus bewusst, dass er aufgebracht war, weil sie gegenüber ihrer Mandantin mal wieder eine zu große Klappe riskiert hatte, obwohl Möcklenberg stets predigte, dass der Kunde König sei - oder, wie in diesem Fall, Königin. Lizzi hatte sich den Wunsch ihres Chefs wirklich zu Herzen genommen, sie hatte den Satz sogar mit einem Filzschreiber auf eine Karteikarte geschrieben und in ihrer Handtasche neben dem Kosmetikspiegel verstaut, um ihn nicht zu vergessen. Doch während der Besprechung im Konferenzraum der altehrwürdigen Kanzlei hatte sich ihre Zunge wieder einmal selbstständig gemacht.
Lizzi lächelte breit. »Ist das eine Fangfrage, Herr Möcklenberg?«
»Bitte«, seufzte Möcklenberg, »tun Sie mir den Gefallen und antworten Sie mir ausnahmsweise ohne Gegenfrage. Bekommen Sie das hin?«
»Natürlich«, erwiderte Lizzi und legte die Stirn in Falten als Zeichen, dass sie ihren Chef ernst nahm, was zugegebenermaßen nicht immer der Fall war. »In Anbetracht der Tatsache, dass man sich seine Mandanten nicht immer aussuchen kann, werde ich meine Antwort differenzieren«, begann sie vorsichtig. Als sie den gequälten Blick ihres Chefs sah, kürzte Lizzi schwungvoll ihre Rede ab. »Ach was. Ich weiß, was Sie hören wollen: Ich liebe meinen Beruf. Das stimmt sogar, meistens jedenfalls, aber wenn so eine Schnepfe wie Frau von Luckstein vor sich hin schnattert, dann würde ich sie am liebsten entweder erwürgen oder erstechen, und da beides weder gesellschaftskonform ist noch von Ihnen begrüßt würde, bin ich geplatzt. Es kam einfach über mich wie ein Gewittersturm, zack, und der Blitz hat eingeschlagen. Es tut mir leid, nicht für die Schnepfe, denn sie hat es verdient, sondern für Sie.«
Lizzi hatte in einem Atemzug geredet, jetzt holte sie tief Luft.
Herr Möcklenberg hatte ihre Rede mit offenem Mund verfolgt. Obwohl er Lizzi schon seit fünf Jahren kannte, wurde er offenbar noch immer von ihren Ausbrüchen und Wortfluten überrascht.
Missbilligend schüttelte er den Kopf. »Wenn wir immer nur die Mandanten vertreten würden, die Ihnen genehm sind, könnte ich die Kanzlei in zwei Monaten schließen. Man sägt nicht die Beine des Stuhls ab, auf dem man sitzt.«
»Selbst wenn das Holz morsch ist?«
»Hauptsache ist doch, man kann darauf sitzen!«, entfuhr es Herrn Möcklenberg lauter als beabsichtigt.
»Verstanden«, sagte Lizzi und schürzte missbilligend die Lippen. »Sie sind der Chef.«
»Schön, das aus Ihrem Mund zu hören, Frau Bergmann«, antwortete Möcklenberg sarkastisch. Seine Finger trommelten auf der Schreibtischplatte. »Sie sind doch sonst so einfallsreich. Also, wie wäre es, wenn Sie es einmal mit einem psychologischen Trick versuchen: Lassen Sie Ihren Ärger heraus. Und zwar bevor Sie platzen. Reagieren Sie sich ab. Danach, werden Sie sehen, läuft alles wie von selbst.«
»Aha. Und wie soll das gehen: den Ärger loswerden? Soll ich Mandanten wie Frau von Luckstein vor dem Gespräch umbringen?«
Möcklenberg zog die Augen zu Schlitzen. »Sie wollen mich provozieren, aber darauf falle ich nicht herein. Sie wissen genau, was ich meine: Suchen Sie sich etwas Stellvertretendes für die Person, die Sie aufregt. Ein Gedanke, ein Foto, ein Gegenstand - was auch immer. Nur lassen Sie bitte unsere Mandanten in Ruhe!«
»Ist das eine Anweisung?«
»Wenn Sie so wollen.«
Lizzi nickte nachdenklich, während ihr Blick durch Herrn Möcklenbergs Büro wanderte. Plötzlich hellte sich ihre Miene auf. »Darf ich?«, fragte sie, auf seinen Bogart-Hut deutend, der am Garderobenständer hing. »Dauert auch keine Minute.« Ohne die Antwort ihres Chefs abzuwarten, nahm Lizzi den Hut mit beiden Händen und rammte mit einem Schrei ihr Knie dagegen, sodass er sich auf links stülpte.
»Wow! Funktioniert tatsächlich«, strahlte sie Möcklenberg an. »Sie sind genial, Chef! Danke für den Tipp.«
Möcklenberg, der die Aktion sprachlos verfolgt hatte, beäugte seine malträtierte Kopfbedeckung fassungslos.
Vorsichtig stülpte Lizzi den Hut wieder in seine Ausgangsposition zurück und hängte ihn an den Garderobenständer. »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, Herr Möcklenberg?«
Resigniert schüttelte ihr Chef den Kopf und wedelte mit der Hand zum Zeichen, dass Lizzi gehen konnte. Lizzi tat es erhobenen Hauptes, im Wissen, dass sie als Siegerin nach Punkten aus dem Gespräch herausging. Zumindest auf ihrer Bewertungsskala. Ihrem Chef hatte sie höchstwahrscheinlich mal wieder den letzten Nerv geraubt. Sie beruhigte ihr schlechtes Gewissen mit dem Gedanken, dass ihr Erfindungsreichtum und ihre Beharrlichkeit für die Kanzlei ein Segen waren. Hoffentlich hatte sie es mit ihrer Provokation nicht übertrieben, sie wollte nicht riskieren, dass Möcklenberg überprüfte, ob die Waage, mit der Nutzen gegen Nervenraub ausgewogen wurde, noch austariert war. Der Zeiger könnte auf die falsche Seite ausschlagen.
Eine knappe Stunde nach dem Gespräch mit ihrem Chef verließ Lizzi die Kanzlei. Anders als ihre Kolleginnen und Kollegen verspürte sie keine Hochstimmung, wenn sie an das vor ihr liegende Wochenende dachte. Entweder würde sie die Tage mit irgendeiner zeitraubenden Streaming-Serie vor dem Fernseher abhängen oder sich alternativ für den Abend aufbrezeln und in die Housebar stöckeln, nur um dann festzustellen, dass sie sich komplett umsonst mit dem spitzenbesetzten BH die Luft zum Atmen abgepresst hatte, weil die Männer, auf die sie traf, noch langweiliger waren als die Kollegen in der Kanzlei.
Lizzi entschied sich für die dritte Möglichkeit: ein Abstecher zu Gabi pur, eine im schönsten Sinne altmodische Kneipe mitten in ihrem Frankfurter Viertel, in der statt cooler Glasoptik viel Plüsch den Raum schmückte und in der man als Frau auch nachts noch unbehelligt an der Theke sitzen konnte. Gabi sorgte dafür, dass man vor Anmachsprüchen sicher war und trotzdem seinen Spaß hatte. Ihr mit rauchiger Stimme vorgetragener, trockener Humor wirkte selbst zu später Nachtstunde belebend.
Gabi winkte ihr zu, als Lizzi die Kneipe betrat, und stellte ein frisch gezapftes Bier auf die Theke. Lizzi nahm es dankbar und trank einen Schluck. Das war ein guter Start ins Wochenende, fand sie und lobte sich für ihre Entscheidung, ein kleines Päuschen auf dem Heimweg einzulegen. Sie konnte später immer noch entscheiden, wie sie die kommenden beiden Tage verbringen würde.
Lizzi verschob ihre Entscheidung mehrfach. Erst wollte sie nur eine halbe Stunde bleiben, dann eine ganze. Als Gabi sie fragte, warum sie unbedingt pünktlich ins Bett wollte, stellte Lizzi fest, dass es keinen Grund gab, vernünftig zu sein. War es nicht völlig egal, wie lange sie blieb? Es war Freitagabend, und außer einem Ficus benjamina und einer vertrockneten Dattelpalme wartete niemand auf sie. Sie war unabhängig und frei, sagte sich Lizzi, sie konnte das Leben genießen. Außerdem lag ihre Wohnung keine zweihundert Meter entfernt auf der anderen Seite der Straße. Also blieb sie.
Drei Stunden später flutete die Vernunft in sie zurück. Morgen war auch noch ein Tag, und der würde angenehmer sein, wenn sie jetzt bald ins Bett ging. Außerdem war da noch ihr Kuriose-Paragrafen-Blog, um den sie sich mal wieder kümmern sollte. Lizzi verteilte Wangenküsschen, schlüpfte in ihren eleganten, schmal geschnittenen Kurzmantel und griff sich ihre Aktentasche, die sie immer noch mit sich herumtrug und die nur deshalb so leicht war, weil sie ihren Laptop im Büro stehen gelassen hatte. Gut gelaunt stieß sie die Kneipentür auf und trat vor das Haus.
Die nächtliche Straße glänzte wie frisch geputzt, ein kurzer Regenschauer hatte das Frankfurter Gutleutviertel, in das sie im vergangenen Jahr gezogen war, wunderbar aufpoliert. Lizzi sog zufrieden die Luft durch die Nase und genoss die Frühlingsluft, bis ein vorbeiknatternder Motorroller seine Abgase zwischen den Häusern verteilte.
Ihre Tasche wie ein Schulkind hin und her schlenkernd ging Lizzi die Straße hinunter. Sie mochte ihr Quartier nahe dem alten Westhafen, diese eigenartige Mischung aus abgasgrauen Mietshäusern und cool designten Neubauten. Hier traf der gezwirnte Banker auf die praktisch gekleidete Verkäuferin, wenn sich beide vor der Arbeit beim Bäcker einen Kaffee und ein belegtes Brötchen schnappten und anschließend zur Arbeit hetzten. Auch Lizzi gehörte zur Kaffeebecherfraktion, denn die Stunden morgens nach dem Aufstehen waren eindeutig kürzer als die während der Arbeit. Zeit zum Frühstücken blieb da nicht.
Schon an der nächsten Kreuzung bog Lizzi in die Stichstraße ein, die hinab zum Main führte. Mr Döner vom Imbiss an der Ecke sah zu ihr und hob die Hand zum Gruß, in der Hand seinen Falafellöffel und auf dem Gesicht ein fröhliches Grinsen. Lizzi wusste nicht, ob sie sich geschmeichelt oder gestört fühlen sollte, und bevor sie eine Entscheidung getroffen hatte, war sie schon vorbei. Nach einigen Schritten konnte sie ihr Haus sehen. Belustigt bemerkte sie, dass sie anscheinend schon wieder vergessen hatte, das Licht im Wohnzimmer auszuschalten, sie sah es aus der Entfernung rötlich durch die Vorhänge hindurchschimmern. Ihre Schusseligkeit, fand Lizzi, hatte einen wunderbaren Nebeneffekt: Sie würde immer den sicheren Weg in ihren Hafen zurückfinden, auch wenn sie kein Schiff war und ihr Deckenfluter kein Leuchtturm.
Auf einmal war da dieses Hupen. Augenblicklich blieb Lizzi mitten auf der Straße stehen,...
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