Schweitzer Fachinformationen
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Wenn ich mich mit den Schwimmflossen über den Sandboden bewege, sieht die Wasseroberfläche anderthalb Meter über mir aus wie lebendiges blaues Silber. Ich drehe mich auf den Rücken und betrachte durch meine Taucherbrille die glänzende Unterseite der kleinen Wellen. Sobald ich näher komme, fliehen die winzigen Fische leise in die Korallen auf dem Meeresboden. Es ist vorbei. Die Sommerferien sind zu Ende. Wir müssen meine große Schwester Alison zum Kilimandscharo Flughafen bringen - sie fliegt nach England. In wenigen Tagen muss ich wieder ins Internat, ohne Alison. Ich schwimme zur Oberfläche und atme tief ein. Die Welt ist laut. Ich ziehe die Taucherbrille ab und blinzele ins Wasser. Salzwasser - man sieht nicht, dass ich geweint habe.
Ich gehe die Böschung hinauf. Im Baobab Hotel ist kein Laut zu hören - weder im Hauptgebäude mit der Rezeption und dem Restaurant, noch in den Bungalows, die zwischen den Baobab-Bäumen stehen. Viele Gäste haben wir nicht. Alison packt. Sie soll bei der Schwester meines Vaters wohnen, ein halbes Jahr auf eine Hotelfachschule in Birmingham gehen und dann ein Praktikum in einem Hotel antreten. Ich lehne mich an den Türrahmen ihres Zimmers.
»Willst du mich wirklich mit den Alten allein lassen?«
»Ja«, antwortet sie.
»Sie bringen mich um«, sage ich.
»Ich muss etwas lernen«, entgegnet Alison. Vater läuft über den Flur. Ich blicke ihm nach.
»Seit drei Jahren habe ich England nicht mehr gesehen. Und wir wohnen hier jetzt schon zwölf Jahre - ich werde als Tanzanierin enden«, rufe ich ihm hinterher. Er reagiert nicht.
»Du kommst schon noch nach England«, sagt er schließlich, ohne sich umzudrehen.
»Scheiße, ich will aber jetzt«, sage ich. Vater bleibt stehen, sieht mich an.
»Jetzt beruhigst du dich erst einmal«, sagt er. »Außerdem habe ich gesagt, du sollst zu Hause nicht fluchen. Du kannst Alison nächstes Jahr besuchen.«
Mutter serviert zum Abendessen Hummer, hinterher macht Alison Crêpe Suzette, die sie mit Cointreau am Tisch flambiert.
»Jetzt verlässt die Erste das Nest, Missis Richards«, sagt Vater.
»Ja, das ist traurig«, antwortet Mutter und lächelt - ein leichter Schauder scheint ihr über den Rücken zu laufen.
Alison legt mir den Arm um die Schulter.
»Ich hoffe, sie benehmen sich, wenn ich fort bin«, sagt sie.
»Wer?«, will Vater wissen.
»Ihr«, antwortet Alison.
»Glücklicherweise bin ich ja die meiste Zeit in der Schule«, sage ich.
»So schlimm sind wir nun auch wieder nicht«, meint Vater. Ich zupfe ihm die Zigarette aus der Hand und nehme einen Zug.
»Samantha!«, sagt Mutter scharf.
»Ach, lass sie doch«, entgegnet Vater.
»Sie ist erst fünfzehn.«
»Und es hat keinen Sinn, dass sie so wird wie du«, sagt Alison zu Vater.
»Samantha ist ein harter Brocken, wie ihr Vater«, erwidert er und schaut Mutter an. »Die Kinder sind bald flügge. Die Aufgabe ist erfüllt. Von nun an kann jeder von uns seine eigenen Wege gehen.«
»Vater«, mahnt ihn Alison.
»Wieso musst du immer so gemein sein?«, sagt Mutter.
»Tsk«, zische ich.
Mutter beginnt zu schluchzen.
Ich wache früh auf, mit Blut auf dem Laken, Kopfschmerzen und einem Ziehen in den Gliedern. In der Küche höre ich das Mädchen. Wir wollen im Laufe des Vormittags fahren. Ich ziehe das Bettzeug ab und werfe es in den Wäschekorb. Gehe ins Wohnzimmer. Alison steht in einem weiten T-Shirt schlaftrunken im Zimmer.
»Wo ist Vater?«, fragt sie.
»Weiß ich nicht«, antworte ich und schaue vor die Tür - sein Land Rover ist fort. Die einzige Spur: Zahnbürste, Zahnpasta und die Waffe fehlen. Ohne etwas zu sagen oder einen Zettel zu hinterlassen. Einfach weg. Wie lange? Wer weiß? Mutter sitzt auf der Veranda und trinkt Kaffee.
»Er kommt nicht damit zurecht, Alison auf Wiedersehen sagen zu müssen.«
Ich springe die Böschung hinunter zum Badehaus und rudere hinaus, um zu fischen, nur mit Maske, Schnorchel und Harpune. Ich tauche drei Meter tief, es beginnt zu regnen, obwohl es bis zur kurzen Regenzeit eigentlich noch drei Monate dauert - es erschrickt mich. Die Wasseroberfläche wird aufgepeitscht. Ich beeile mich, wieder an Land zu kommen. Grau in grau.
Mutter sitzt noch immer auf der Veranda. Es hat aufgehört zu regnen.
»Musst du nicht irgendetwas tun?«, frage ich.
»Wieso?«, fragt sie zurück.
»Weil .«
»Ihr seid so gut wie aus dem Haus, und Douglas ist die ganze Zeit unterwegs. Jahrelang habe ich die Angestellten täglich gescheucht und ihnen immer und immer wieder dasselbe erzählt. Aber sie gehorchen einfach nicht - nur wenn ich daneben stehe und ihnen zusehe. Ich bin es leid. Ich bin die Feuchtigkeit leid, die Mücken, das Hotel .«
»Und Douglas und uns«, sage ich. Mutter schaut mich erschrocken an.
»Euch nicht«, sagt sie. Alison steht in der Tür zum Wohnzimmer: »Du kannst dich selbst nicht mehr leiden.«
»Ja«, sagt Mutter. »Und Afrika. Afrika bringt mich um.« Sie schaut mich an: »Wenn ich jetzt nach England führe, würdest du mitkommen, Samantha?«
»Willst du in den Urlaub fahren?«
»Nein, um zu bleiben.«
»In England?«
»Ja.«
»Nein«, antworte ich. England. Was soll ich dort?
»Wir fahren bald«, sagt Alison.
Die Straße nach Westen bis zur Road Junction ist erbärmlich, und wir benötigen sechs Stunden, um die dreihundertfünfzig Kilometer bis Moshi zu fahren. Am Fuß des Kilimandscharo liegt das Internat. Aber glücklicherweise sind die Ferien erst in einigen Tagen vorbei, also fahren wir noch eine weitere Stunde westwärts, beinahe bis Arusha. Es ist schön, nach der feuchten Wärme in Tanga ins Landesinnere zu kommen.
Ein paar Kilometer vor Arusha verlassen wir die asphaltierte Straße und biegen auf einen Feldweg, der zur Mountain Lodge am Mount Merus führt. Wir wollen Mick besuchen, der zwei Klassen über mir ist. Vor vier Monaten, kurz vor der Mittleren Reife, wurde er krank und musste ins Krankenhaus. Ich bin auf das Wiedersehen gespannt.
Mountain Lodge ist eine alte deutsche Kaffeefarm aus dem Jahr 1911, die in ein Luxushotel umgebaut wurde. Micks Mutter betreibt zusammen mit Micks großem Bruder und seiner Frau die Lodge und eine Organisation, die Safaris veranstaltet. Seinem Stiefvater gehört ein Reisebüro in Arusha.
Mahmoud kommt heraus und teilt uns mit, nur Mick sei zu Hause. Die anderen sind mit Japanern auf einer Safari in der Serengeti. Ich hatte mich gefreut, Micks Schwägerin wiederzusehen, Sofie ist lustig. »Aber kommt doch herein und trinkt einen Tee«, bittet Mahmoud und geht in seinem arabischen Aufzug mit Turban und Krummsäbel im Gürtel voran - alles für die Touristen. Mahmoud ist ein würdevoller Mann, der die einheimischen Angestellten der Lodge mit harter Hand führt. Wir folgen ihm auf die Veranda, die sich um das weißgekalkte Hauptgebäude zieht. Ein abgemagerter, hagerer Mann starrt uns aus dem Liegestuhl an.
»Mick?«, fragt Alison. Er lächelt, dass die Haut auf dem Schädel Falten schlägt, während er sich langsam erhebt.
»Bist du es wirklich?«, sagt Mutter.
»Ich bin es, Miss Richards«, erwidert Mick. Er gleicht einer Leiche. Vorsichtig umarmen wir ihn nacheinander. »Keine Sorge«, sagt er und drückt mich an sich. »Ich bin nicht aus Zucker.«
»Wie viel Kilo hast du abgenommen?«, will Alison wissen.
»Sechzehn«, antwortet Mick. »Erst lag es am Denguefieber: zwei Wochen lang vierzig Grad Fieber, roter Ausschlag am ganzen Körper, heftige Muskelschmerzen und innere Blutungen. Im Krankenhaus von Arusha mussten sie das Fieber mit Eis senken und einen Flüssigkeitstropf setzen, weil ich vollkommen dehydriert war.«
Mick zündet sich eine Zigarette an und raucht langsam, sogar seine Finger sind dünn. Gut, dass er ziemlich füllig gewesen ist, sonst läge er jetzt sechs Fuß unter der Erde.
»Aber durch den Tropf habe ich mir Typhus eingefangen. Ich schwitzte, kotzte und habe mich beinahe zu Tode geschissen. Das Krankenhaus hätte mich fast umgebracht. Meine Mutter hat mich dann nach Hause geholt und eine Krankenschwester angeheuert, um mich zu pflegen.«
»Hier krank zu werden, ist gefährlich«, sagt meine Mutter und schüttelt den Kopf. Wohl wahr. Die europäischen Berater werden nach Hause geflogen, wenn sie krank sind. Von unseren Eltern kann sich keiner eine Krankenversicherung leisten, allerdings wissen wir, wie man die Ärzte besticht.
»Und wie geht's jetzt weiter?«, erkundigt sich Alison.
»Ich muss zu einer Nachprüfung in die Schule, dann kehre ich nach Europa zurück«, sagt Mick. »Ich weiß nur nicht so genau, wohin.« Durch seine Mutter, die eigentlich Österreicherin ist, aber mit einem Deutschen verheiratet war, besitzt Mick einen deutschen Pass. Mick spricht kein Deutsch, und sein Stiefvater ist Franzose. Sein richtiger Vater kam aus England, ist aber bereits vor vielen Jahren an schwarzer Malaria gestorben.
»Komm mich besuchen, wenn du in Europa bist«, sagt Alison.
»Gern.« Mahmoud bringt Tee und Kekse. »Leider haben wir keinen Platz für euch«, fügt Mick hinzu. »Heute Abend kommt eine ganze Gruppe Japaner.«
»Nein, nein, das ist auch nicht nötig«, sagt Mutter. »Wir haben verabredet, im Arusha Game Sanctuary zu...
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