Schweitzer Fachinformationen
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Alex Treven lief in seinem Büro in der Kanzlei Sullivan, Greenwald, Priest & Savage unruhig auf und ab. Draußen vor dem Fenster erstreckten sich unter einem stahlblauen Himmel die sanft geschwungenen Hügel von Palo Alto, doch Alex nahm die Aussicht nicht wahr. Mit fünf Schritten war er an der Wand, wo er stehen blieb, herumfuhr und den Vorgang in die andere Richtung wiederholte. Er zählte Schritte, stellte sich vor, er würde eine Spur in den grünen Teppichboden laufen, versuchte, sich mit banalen Gedanken abzulenken.
Alex war stinksauer. Hilzoy, der normalerweise sogar noch pünktlicher als Alex war, hatte sich ausgerechnet den heutigen Tag ausgesucht, um zu spät zu kommen. Sie waren mit Tim Nicholson verabredet - Tim Nicholson, verdammt noch mal! -, und der Partner von Kleiner Perkins wäre bestimmt alles andere als begeistert, wenn Hilzoy beim ersten Treffen nicht rechtzeitig erschien. Und auch Alex stünde nicht gerade gut da.
Er sah auf die Uhr. Noch dreißig Minuten Zeit. Hilzoy hätte eine Stunde früher kommen sollen, um ihre Strategie ein letztes Mal durchzuspielen, aber notfalls ging es auch ohne. Trotzdem, wo zum Teufel blieb er?
Seine Sekretärin Alisa öffnete die Tür. Alex blieb stehen und starrte sie an. Sie zuckte zusammen. »Ich hab mindestens zwanzigmal bei ihm angerufen«, sagte sie. »Ich krieg immer nur die Mailbox.«
Alex widerstand dem Drang, sie anzubrüllen. Sie konnte schließlich nichts dafür.
»Fahren Sie zu seiner Wohnung«, sagte er. »Vielleicht ist er ja da. South Tenth Street in San Jose. Die Hausnummer hab ich vergessen, aber die Adresse steht in seiner Akte. Versuchen Sie weiter, ihn von unterwegs zu erreichen, und rufen Sie mich an, wenn Sie da sind. Wir haben noch ein bisschen Zeit, bis ich den Termin absagen muss und wir wie die Idioten dastehen.«
»Was denken Sie -«
»Ich hab keine Ahnung. Rufen Sie mich an, wenn Sie da sind. Los.«
Alisa nickte und schloss die Tür. Alex begann wieder, auf und ab zu laufen.
Gott, mach, dass er die Sache nicht vermasselt, dachte er. Es hängt für mich so viel davon ab.
Alex war seit sechs Jahren bei Sullivan, Greenwald. Allmählich näherte er sich dem heiklen Punkt, wo es hieß, entweder die Leiter hoch oder raus. Seine fachliche Mischung aus Informatik und Patentrecht war zu selten und für die Kanzlei zu wertvoll, weshalb er sich wohl keine Sorgen zu machen brauchte, je arbeitslos zu werden. Nein, das Problem war tückischer: Die Partner der Kanzlei hatten ihn gern da, wo er war, und sie wollten ihn auch genau da behalten. Und in einem Jahr, höchstens zwei, würden sie anfangen, ihm die Vorzüge einer Position als Anwalt in beratender Funktion schmackhaft zu machen - das Geld, das Renommee, die flexiblen Arbeitszeiten und die Arbeitsplatzsicherheit.
Für ihn war das alles Schwachsinn. Er wollte keine Sicherheit, er wollte Macht. Und Macht bei Sullivan, Greenwald erreichte man nur mit einem eigenen Mandantenstamm, einem eigenen Ressort. Wer nicht essen konnte, was er erlegte, bekam immer nur das ab, was von den Tischen der anderen fiel. Das mochte so manchem Kollegen ja genügen. Aber ihm nicht, niemals.
Genau deshalb war Hilzoy für ihn so verdammt wertvoll. Alex wusste, dass er das Potential, das in Obsidian steckte, besser verstand als die meisten - nicht aus Hilzoys Präsentation, sondern indem er ans Eingemachte gegangen war und selbst das Design der Software genau unter die Lupe genommen hatte. Er hatte taktieren und großes politisches Geschick einsetzen müssen, das er sich selbst nicht zugetraut hatte, um die Partner davon zu überzeugen, die Honorarforderungen der Kanzlei vorläufig auf Eis zu legen und ihm das Mandat eigenverantwortlich zu überlassen. Obwohl sich alle in der Kanzlei locker gaben und mit Vornamen ansprachen, waren die Chefs allesamt Haie. Wenn sie Blut rochen, wollten sie die Beute für sich haben.
Alex' Mentor war David Osborne, einer der Partner und ein erfahrener Anwalt, der aber selbst nichts von Hightech verstand. Im Laufe der Jahre hatte er bei der strategischen Patentberatung zunehmend auf Alex' Know-how zurückgreifen müssen. Er sorgte zwar dafür, dass Alex' halbjährliche Boni die höchsten waren, die die Kanzlei zahlen konnte, doch gegenüber den Mandanten heimste er stets die Anerkennung ein, die eigentlich Alex gebührt hätte. Er gab sich locker und selbstbewusst mit seinen unvermeidlichen Cowboystiefeln und den knallroten T-Shirts, aber Alex wusste, dass Osborne im Kern Leute fürchtete, die er für kompetenter hielt als sich selbst. Trotz seiner regelmäßigen Andeutungen, er werde sich für Alex als zukünftigen Partner starkmachen, »wenn der richtige Zeitpunkt kommt«, war Alex inzwischen überzeugt, dass der richtige Zeitpunkt niemals kommen würde. Die Position als Partner wurde einem nicht geschenkt, man musste sie sich nehmen.
Daher hatte Alex sich mehrmals heimlich mit Hilzoy getroffen, um ganz sicherzugehen, dass ihm die Obsidian-Software auch wirklich gehörte oder zumindest niemand das Gegenteil beweisen konnte. Danach hatte er einmal tief durchgeatmet und war über den kurzen, mit teurem Teppichboden ausgelegten Flur von seinem mittelgroßen Senioranwaltsbüro zu Osbornes riesigem Partnerbüro gegangen. Beide Büros lagen in dem klotzigen runden Gebäude, das die Partner gern als Rotunde bezeichneten, während bei den Anwälten der Kanzlei der Name Todesstern gebräuchlicher war. Ein Büro im Todesstern zu haben und nicht in den beiden Satellitengebäuden bedeutete einen gewissen Status - was für Osborne und, wie Alex zugeben musste, auch für ihn ungemein wichtig war - sowie eine strategisch günstige Position im Zentrum des Geschehens.
Vor Osbornes Tür war er kurz stehen geblieben, um sich zu sammeln, während sein Blick über die rechts und links an der Wand ausgestellten Trophäen aus Acrylglas glitt, die an die Arbeit für Cisco, eBay, Google und zig andere Mandanten erinnern sollten. Auf gerahmten Fotos war Osborne Seite an Seite mit diversen Silicon-Valley-Promis abgelichtet, mit dem bekannten Vorstandsvorsitzenden eines führenden Telekomkonzerns, den Osborne erst kürzlich durch einen spektakulären Coup als Mandanten gewonnen hatte, und sogar mit dem Premierminister von Thailand, wohin Osborne drei- oder viermal im Jahr reiste, um in dem Projektfinanzierungsbüro, das er dort aufgebaut hatte, nach dem Rechten zu sehen. Alex hatte versucht, nicht daran zu denken, wie mächtig und einflussreich jemand sein musste, der solche Geschäfte abwickelte und solche Größen kannte. Man musste sich selbst das Gegenteil einreden - dass die Person, mit der man gleich in Verhandlungen trat, einen mehr brauchte als man sie -, und Alex wusste, dass die Trophäen und Fotos nicht nur der Selbstdarstellung dienten, sondern auch dazu gedacht waren, andere zu verunsichern und so ihre Verhandlungsposition zu schwächen.
Er hatte all seinen Mut zusammengenommen, war reingegangen und hatte sein Anliegen vorgetragen. Es war eine Gratwanderung - die Sache musste interessant genug klingen, dass Osborne grünes Licht gab, aber nicht so interessant, dass er versucht wäre, das Mandat selbst betreuen zu wollen. Schließlich wäre das Patent erst der Anfang, wenn alles gut lief. Es gäbe noch einen Riesenberg rechtlicher Fragen zu klären, und damit kannte Osborne sich besser aus als Alex.
Als Alex fertig war, lehnte Osborne sich im Sessel zurück und legte seine Cowboystiefel auf den Schreibtisch. Er kratzte sich nachdenklich im Schritt. Das entspannte Verhalten machte Alex nervös. Er witterte ein Ablenkungsmanöver. Er wusste, dass Osborne insgeheim bereits Kalkulationen anstellte.
»Was wird mein Mandant dazu sagen?«, fragte Osborne nach einem Augenblick.
Alex zuckte die Achseln. »Was können die schon sagen? Die Erfindung hat weder was mit dem Kerngeschäft von Oracle zu tun noch mit Hilzoys sonstigen Aufgaben in der Firma. Ich hab den Arbeitsvertrag bereits durchgesehen. Oracle hat keinerlei Ansprüche.«
»Was ist mit -«
»Er hat die Erfindung zu Hause gemacht, in seiner Freizeit, an seinen eigenen Computern. Auch da gibt's keine Probleme.«
Osborne lächelte dünn. »Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht.«
»Ich hab von den Besten gelernt«, sagte Alex und wünschte sofort, er hätte sich die Bemerkung verkniffen. Osborne würde sie vermutlich im Kopf so lange bearbeiten, bis daraus wurde: Sie haben mir so viel beigebracht, David. Ich schulde Ihnen alles.
»Erzählen Sie mir, wie Sie den Burschen kennengelernt haben«, sagte Osborne nach einem Moment.
»Er hat angerufen, gesagt, dass er zu Hause an etwas arbeitet, und gefragt, ob ich ihn in der Sache beraten könnte«, sagte Alex. Er hatte die Lüge so oft einstudiert, dass es ihm inzwischen so vorkam, als wäre alles wirklich so abgelaufen. »Ich hab mich mit ihm bei Starbucks getroffen, und er hat mir gezeigt, was er da in der Mache hatte. Ich fand es vielversprechend und hab alles Weitere angeleiert.«
Das war natürlich nicht die Antwort, die Osborne sich erhofft hatte. Wenn Alex die Wahrheit gesagt hätte - dass er und Hilzoy das erste Gespräch über Obsidian hatten, als Alex im Auftrag der Kanzlei bei Oracle war -, dann hätte Osborne erst recht sagen können: Ohne mich hätten Sie den Fisch nie an Land gezogen. Alex ging davon aus, dass Osborne diskret bei Hilzoy nachfragen würde, falls sich ihm die Gelegenheit bot. Doch Alex hatte Hilzoy auf diese Möglichkeit vorbereitet. In ihrer beider Interesse galt: Je mehr alle glaubten, dass die Sache sich außerhalb von Oracle und der Kanzlei abgespielt hatte, desto...
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