Schweitzer Fachinformationen
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Es fing gerade an zu regnen, als ich durch das große Tor auf den Parkplatz trat. Ein Mann lehnte an einem blauen Ford, und als er mich sah, nickte er kurz. Er war schon etwas älter und hatte graue Haare. Vielleicht wartete er auf jemanden, den er abholen wollte, vielleicht war er aber auch nur zu Besuch hier und traute sich nicht rein.
Ich hatte niemandem von meiner Entlassung erzählt, und als ich jetzt zur S-Bahn lief, war ich froh darüber. Die Straße war schmal und führte an einem Feld entlang, an ein paar Gärten und einem kleinen See. Nach einer Weile tauchten ein paar Häuser auf und ein Industriegebiet. Und dann sah ich die Haltestelle. Ich lief die Stufen zu den Gleisen hinunter und kaufte mir am Fahrkartenautomat ein Ticket.
Die Bahn kam, und ich stieg ein und setzte mich auf einen Platz am Fenster. Ich wusste nicht so recht, wo ich zuerst hinsollte. Darüber hatte ich bis jetzt noch nicht nachgedacht. Also fuhr ich zum Hauptbahnhof und setzte mich in ein Café. Der Laden war klein, an den Wänden hingen ein paar vergilbte Kunstdrucke. Eins der Bilder zeigte die beiden Türme des World Trade Centers in New York. Ich trank einen Tee und blätterte in ein paar Zeitschriften. Dann trank ich noch einen Tee, und schließlich bezahlte ich und lief durch die Straßen.
Es war schon später Nachmittag, als ich bei Normans Werkstatt ankam. Auf dem Hof standen ein paar ausrangierte Autos und weiter hinten eine alte Segeljacht. Sie befand sich direkt neben dem Reifenlager, auf einem rostigen Trailer. Es war sicher einmal ein schönes Schiff gewesen, aber die Jahre hatten den Lack ausgebleicht, und der Rumpf war schon an mehreren Stellen geflickt.
Ich dachte daran, wie mein Bruder mich früher manchmal hier abgeholt hatte und wir in seinem Wagen zu seiner Wohnung gefahren waren. Da war ich siebzehn gewesen, vielleicht auch achtzehn. Das war jetzt fast zehn Jahre her, und seitdem war viel passiert. Doch hier hatte sich kaum etwas verändert, und als ich über den Parkplatz zu der Werkstatt lief, musste ich an Normans Vater denken, der den Laden damals noch leitete.
In der Werkstatt lief das Radio, es roch wie immer, und als ich die Tür hinter mir schloss, kam mir ein Hund entgegen. Er wedelte mit dem Schwanz und schnupperte an meiner Hose. Ich ging in die Hocke, und noch bevor ich ihn streicheln konnte, leckte er mir über das Gesicht. Er drückte sich gegen mich, und ich musste aufpassen, dass er mich nicht umwarf.
»Alex«, sagte Norman. Ich hatte ihn nicht kommen hören. Er stand neben mir, lächelte und blickte zu mir herunter. Ich stand auf, und wir umarmten uns.
»Siehst gut aus. Warum hast du nicht angerufen?«
»Dein Hund?«, fragte ich.
»Vom alten Janssen . ist vor drei Wochen gestorben. Ich kann eigentlich keinen Hund gebrauchen.«
Wir sahen beide zu dem Hund, der noch immer ganz dicht neben mir stand, und ich musste an den alten Janssen denken; an sein faltiges Gesicht und seine dürren Arme. Ich hatte gewusst, dass er krank gewesen war, und damit gerechnet, dass er sterben werde. Aber es nahm mich jetzt doch mehr mit, als ich gedacht hätte.
»Scheint dich zu mögen.« Er grinste.
»Vergiss es«, sagte ich und boxte ihm in die Seite.
Norman hielt mir eine Zigarettenschachtel hin.
»Hab's mir abgewöhnt.«
»Gut, dass du wieder da bist. Mir wächst die Arbeit langsam über den Kopf.«
Er zog an seiner Zigarette. Dann warf er sie auf den Fußboden und trat sie aus.
»Was meinst du, sollen wir was trinken gehen?«
Als wir in Normans Wagen stiegen, hatte es aufgehört zu regnen, und als wir durch die Straßen fuhren, war es, als wäre ich nie wirklich weg gewesen. Norman am Steuer, ich auf dem Beifahrersitz. Nur der Hund auf der Rückbank war neu. Norman fuhr einen Umweg und sagte, dass die Werkstatt so gut laufe wie nie. Dann erzählte er vom alten Janssen.
»Er war fast einen Monat im Krankenhaus, aber als er wieder zu Hause war, dachte ich, dass es ihm besser geht. Er hat mich sogar noch ein paarmal in der Werkstatt besucht.«
Er machte eine kurze Pause. Dann sagte er: »Bei meinem letzten Besuch konnte er kaum noch sprechen. Das ist nicht mal einen Monat her. Eine Frau vom Pflegedienst war da, sie war sehr nett. Aber überall in der Wohnung lagen Medikamente herum, es roch nach Desinfektionsmitteln, und Janssen lag in einem Krankenbett, das mitten in seinem Wohnzimmer stand.«
Wir saßen nebeneinander im Wagen, fuhren durch unser Viertel, und niemand von uns sagte etwas. Die Zeit im Knast kam mir wie ein schlechter Traum vor - wie etwas, das mir jemand anderes erzählt hatte. Und obwohl ich heute Morgen noch dort gefrühstückt hatte, kam mir das alles schon weit weg vor. Ich dachte an das Geschirr, von dem ich fast zwei Jahre gegessen hatte, an die Gänge und den Blick aus meinem Fenster.
»Hast du eigentlich schon was, wo du schlafen kannst?«, fragte Norman, während er den Wagen in eine Parklücke steuerte.
Ich schüttelte den Kopf.
»Du kannst gerne erst mal bei mir wohnen.«
»Danke«, sagte ich. »Was ist mit dem alten Segelboot auf dem Hof?«
Norman sah zu mir herüber.
»Ganz in Ordnung gekriegt haben die dich dort also doch nicht«, er lachte und schaltete den Motor ab. »Ist etwas chaotisch da drin, aber ich will dich nicht von deinem Glück abhalten.«
Wir gingen in einen Laden, der erst vor Kurzem geöffnet hatte und in dem außer uns und dem Barkeeper nur ein alter Mann am Spielautomaten stand. Nach dem dritten Bier war ich schon ziemlich angeschlagen. Also bestellte ich mir eine Cola und hörte Norman zu, der unablässig erzählte. Es fühlte sich gut an, neben ihm am Tresen zu sitzen und seinen Geschichten zu lauschen, während der Alte den Automaten fütterte. Es lief keine Musik, und obwohl wir fast die einzigen Gäste waren, mochte ich den Laden.
»Wann willst du wieder anfangen?«, fragte Norman nach einer Weile.
»Na ja, um ehrlich zu sein . viel vor hab ich nicht. Was hältst du von nächster Woche?«
Er lächelte, dann legte er seine Hand auf meine Schulter.
»Hört sich gut an - sehr gut sogar.«
Auf dem Heimweg hielten wir an einem McDonald's an und bestellten uns Burger und Pommes. Wir aßen im Wagen auf dem Parkplatz und sahen zu der Tankstelle auf der anderen Straßenseite hinüber. Ein Mann betankte seinen Transporter, und eine Frau putzte die Scheibe ihres Cabrios.
Norman hatte das Radio eingeschaltet, und der Hund lag jetzt zu meinen Füßen.
»Wie heißt er eigentlich?«
»Flint«, sagte Norman. »Janssen war schon krank, als er ihn bekam, aber da wusste er es noch nicht.«
Ich sah zu dem Hund, der mich aus dunklen Augen anblickte. Und plötzlich musste ich an einen Tag in meiner Jugend denken, an dem ich mit Janssen in einem Boot zum Angeln auf die Ostsee gefahren war.
»Der ist immer hungrig.« Norman lachte. »Pass bloß auf deinen Burger auf.«
Als wir auf dem Hof bei der Werkstatt hielten, gab er mir einen alten Schlafsack.
»Wirst du brauchen«, sagte er und blickte Richtung Segeljacht. »Wir sehen uns morgen.«
»Danke«, sagte ich und stieg aus.
Aber als ich ein paar Schritte gegangen war, hörte ich, wie er das Fenster herunterkurbelte.
»Alex.«
»Ja.«
»Denkst du oft an ihn?«
»Jeden Tag«, sagte ich. Und dann ging ich zu der Segeljacht.
Am nächsten Morgen wurde ich von der Sonne geweckt, die durch das kleine Bullauge auf mein Bett schien. Ich war durstig, hatte aber nichts zu trinken, also kletterte ich aus meinem Schlafsack, zog mich an und ging an Deck. Normans Wagen stand neben der Werkstatt, und Flint lag vor dem Eingang in der Sonne. Es war der erste warme Tag des Jahres. Die Sträucher, die ich vom Boot aus sehen konnte, waren bereits grün, aber die meisten Bäume waren noch kahl. Ich stieg die kleine Leiter hinunter und pinkelte an eine Mauer, dann ging ich zur Werkstatt hinüber. Als der Hund mich bemerkte, wedelte er mit dem Schwanz, aber anstatt mich zu begrüßen, blieb er in der Sonne liegen.
»Guten Morgen«, sagte Norman. Er saß auf einem Stuhl neben der großen Werkbank und hielt einen Kaffeebecher in der Hand.
Ich nahm die Tasse, die er für mich auf den Tisch gestellt hatte, ging zum Waschbecken, füllte sie mit Wasser und trank sie aus.
»Gut geschlafen?«
Ich nickte.
»Wo hast du das Boot her?«
»Gegen meinen alten Honda getauscht. Steht schon fast zwei Jahre auf dem Hof.«
Ich nahm mir einen Kaffee und setzte mich neben ihn.
»Kann man auf jeden Fall was draus machen.«
»Ja, wenn ich irgendwann dazu komme. Mein Vater hat sich immer so ein Boot gewünscht, ich glaube, ich habe es deshalb genommen.«
Er stand auf, ging zum Tor und blickte zu der alten Jacht. Sie war bestimmt schon vierzig Jahre alt, und ich fragte mich, wie Norman es geschafft hatte, das große Schiff durch die schmale Einfahrt zu bekommen. Das Segel und der Mast fehlten. Der Rumpf war sicher über zehn Meter lang und mit alten Spanngurten am Trailer verzurrt.
Norman zündete sich eine Zigarette an, dann kam er wieder zu mir.
»Was hast du heute vor?«
»Muss ein paar Sachen besorgen.«
»Brauchst du Geld?«
»Nein, aber danke«, sagte ich und schüttelte den Kopf.
Ich fuhr mit dem Bus zu einem Woolworth und kaufte mir eine Jogginghose, zwei Jeans, einen Arbeitsoverall und ein paar...
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