Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Erzählt von drei Weisen und fluoreszierender Eitermasse, von Fußball, der Wilden Jagd und einem Steinmassiv zwischen Österreich und Bayern. Es geht um Pipebands und Handwerk, außerdem um Infotainment. Stufe Rot auf der Macho-Skala. Ich bin geduldig und werde erwartet.
Hämorrhoide und Furunkel winken schon von Weitem und steuern auf mich zu. Nagelpilz ist auch dabei. Sie umringen mich wie die drei Weisen aus dem Morgenland. Statt Weihrauch, Gold und Myrrhe haben sie medizinische Scheußlichkeiten im Angebot.
Zum ersten Mal seit Langem könne sie wieder schmerzfrei sitzen, strahlt Hämorrhoide und singt eine Lobeshymne auf die neue Heilsalbe. Schön, dass wir helfen konnten, nicke ich und will weiter. Aber nix da.
»Moment!« Hämorrhoide zerrt tatsächlich eine Tube Heilsalbe aus ihrer Handtasche. »Hab ich immer dabei.« Es folgt ein Vortrag über ihre arteriovenösen Gefäßpolster an der Enddarmschleimhaut. Über harten Stuhlgang, falsche Diagnosen und Prävention durch ballaststoffreiche Ernährung. Währenddessen hält sie mahnend die Tube in die Höhe. Nach dem Monolog entsteht kurze peinliche Stille, die Hämorrhoide zum Luftholen nutzt. Sie schraubt den Tubenverschluss auf und drückt einen Klecks Paste auf die Kuppe des Zeigefingers.
Ihren knielangen Trenchcoat, der den Weg zum Hinterteil versperrt, lupft sie mit einer Hand und präsentiert mir ihre Kehrseite. Ich bekomme eine detailreiche Einweisung, wie die Salbe an den wunden Stellen aufzutragen ist. Dabei wandert Hämorrhoides Hand mit dem Salbenklecks auf dem Finger immer wieder Richtung Auspuff.
Furunkel, wortkarg wie immer, beschränkt sich auf endloses Kopfnicken. Wie ein Wackeldackel segnet er Hämorrhoides Worte und Taten kommentarlos ab. Auf seiner linken Wange spannt die Haut über einem Hügel gelber Eitermasse, der bis an den unteren Rand der Sonnenbrille reicht. Die Nachmittagssonne lässt sein blasses Gesicht wächsern glänzen und bringt den Eiter unter der dünnen, zum Zerreißen gespannten Hautschicht zum Leuchten wie phosphoreszierendes Gel.
Nagelpilz, der Dritte im Bunde, schielt immer wieder zu Hämorrhoide und knetet peinlich berührt seine beigefarbene Jacke. Unverkennbar ein Modell aus der Vorjahreskollektion vom Kaffeeröster. Modisch wird sich der nie weiterentwickeln. Eine durch und durch blasse Erscheinung. Farbliches Highlight sind die gelbbraunen Zehennägel, die aus den pflanzengegerbten Sandalen ragen. Ein optischer Leckerbissen, der Mann.
Aber optische und andere Herausforderungen gehören zu meinem Berufsalltag wie der Krautsalat zum Schweinsbraten und die Kugel zu Mozart, denn ich bin die rechte Hand der Grödiger Hausärztin.
Grödig ist eine 7.000-Seelen-Gemeinde, eingequetscht zwischen der Stadt Salzburg und Anif, dem Untersberg und unseren deutschen Nachbarn. Der kleine Ort, längst nicht so mondän wie Salzburg, mit nicht halb so vielen Promis wie Anif, liegt dem Untersberg zu Füßen wie hingerotzt. Dafür bietet es ein Fußballstadion, drei Kirchen und eine Schokoladenfabrik.
Manchmal könnte man meinen, Grödig ist ein Ort der Sehnsucht und des Verzichts.
Das Stadion, zum Beispiel, war vor gut zehn Jahren Geburtsstätte eines Fußballwunders. Adi Hütter, ein begnadeter Trainer, schmiedete die Grödiger Elf zum Aufsteiger des Jahres, was sage ich: des Jahrzehnts. Die Dorfmannschaft legte sich mit der Crème de la Crème der österreichischen Klubs an und kletterte die Bundesligatabelle hoch. Spätestens als die Busse von Rapid Wien und Sturm Graz sich den Weg durch die Maisfelder zum Grödiger Fußballplatz bahnten, konnte keiner mehr die vermeintlichen Underdogs ignorieren.
Adi Hütters Mannschaft kämpfte wie David gegen Goliath und erspielte sich den Respekt der Berichterstatter und gegnerischen Klubs. Der Mannschaft am Untersberg flogen die Herzen ebenso zu wie die Spielregeln, an die man sich in der höchsten österreichischen Liga zu halten hat, koste es, was es wolle. Um die Anforderungen der höchsten Spielklasse im Land zu erfüllen, musste das Stadion umgebaut werden. Ein finanzieller und logistischer Kraftakt, aber Grödig war im Fußballhimmel.
Bis zum Wettskandal. Bestochene Spieler, Gier und dubiose Verbindungen zur Wettmafia beutelten den Klub schwer und ließen den Nimbus zusammenbrechen. Die Elf strauchelte, Adi Hütter wurde abgeworben. Der Geist der Unbezwingbaren war dahin, und der Kitt, der die Mannschaft bis dahin geeint hatte, zerbröselte. Grödig fiel fußballmäßig wieder in den Dornröschenschlaf wie all die Jahre zuvor. Die treuesten Fans in Blau-Weiß schwenken zwar immer noch Fahnen und schmettern Parolen, aber der Lack der höchsten Spielklasse ist längst abgeblättert.
Abgesehen vom Fußballwunder besticht Grödig mit seinem einzigartigen Angebot an Vereinen. In Grödig ist das Hobby Programm, fadisieren muss sich hier niemand. Die Traditionsbewussten sind bei den Weihnachtsschützen oder im Krippenbauverein, die Detailverliebten bei der Bastelrunde, die Ischiasgeplagten beim Wohlfühlyoga und die Figurbewussten bei Zumba oder Bauch-Beine-Po. Für alle Unentschlossenen mit Hang zum Fernweh gibt es Pipeband und Offshore-Segelklub, obwohl Grödig weder in den schottischen Highlands noch an einem der Weltmeere liegt. Werbestrategen würden der Gemeinde ob dieses Angebots dringend raten, einen USP herauszuarbeiten. Also ein Alleinstellungsmerkmal. Sich auf das Wesentliche zu besinnen und den Fokus auf die Besonderheiten der Gegend zu legen, anstatt in allen Gewässern zu fischen und sich dabei zu verzetteln. Aber was nach Unentschlossenheit oder sogar Chaos klingt, ist vielleicht sogar Grödigs Stärke. Außerdem enden sowieso alle Fäden, die jemals an Grödig vorbeiführen oder es umgarnen, am großen gemeinsamen Nenner, dem Untersberg. Schon was den Verkehr betrifft, führt an ihm kein Weg vorbei. Vier der fünf Grödiger Ortsteile grenzen direkt an den Kalkriesen mit der markanten Form, und die Verbindung von Fürstenbrunn im Westen nach Sankt Leonhard im Osten führt am Berg entlang.
Überhaupt, der Untersberg. Er ist viel mehr als nur ein Steinmassiv zwischen Österreich und Bayern. Der Untersberg ist Wasserspender, Wanderziel und Forschungsobjekt. Sagenumwoben und geheimnisvoll. Ein Schutzschild im Süden von Salzburg und Grödig, an dem alle Unbill abprallt. Wetterfronten ebenso wie Urlauber mit Wohnwägen, die die Autobahn aus Kostengründen meiden, an der kurvenreichen Straße scheitern und den Verkehr zum Erliegen bringen. Oder Touristen, die an ihrem Wochenendtrip Salzburgs Hausberg mit Sandalen bezwingen wollen und sich dann doch von der Bergrettung aus den Felsen klauben lassen. Wanderfaule erreichen das Hochplateau mit der Seilbahn und lassen sich vom spektakulären Blick über das Salzburger Becken verzaubern.
Aber der Koloss, in dem versteinerte Schnecken und anderes Meeresgetier ebenso schlummern wie Riesen, Zwerge, Bergfrauen und andere Sagengestalten, kann auch anders. Er ist voller Magie. Seine Gegner hält er mit Dolinen, Abgründen und Höhlen in Schach, aus denen man sich selbst nicht mehr befreien kann. Wer die unsichtbaren Grenzen des Untersbergs nicht respektiert, wird verschluckt und kehrt nie wieder zurück.
Einmal im Jahr, in einer Rauhnacht vor Weihnachten, werden die Gestalten der Wilden Jagd zum Leben erweckt und ziehen zu Füßen des Untersbergs von Haus zu Haus, um das Böse zu vertreiben. Bei ebendieser Wilden Jagd konnten meine Freundin Vroni und ich voriges Jahr einen Mord verhindern, man erinnert sich. Wobei verhindern nicht ganz stimmt: Viel eher hat sich der dritte geplante Mord ungünstig verschoben. Wer anderen eine Grube gräbt, kann ich da nur sagen. Aber jetzt habe ich den Faden verloren.
Ich bin Arzthelferin. Und Arzthelferin in einer 7.000-Seelen-Gemeinde zu sein, erfordert Flexibilität. Multitasking. Keine Scheu vor Arbeit und im Idealfall eine hohe Ekel-Toleranz.
Zu meinen Aufgaben gehört nicht nur organisatorischer Kram wie das Ausdrucken von Rezepten und Jonglieren mit Terminen. Das wäre Understatement und würde meinem Beruf nicht ansatzweise gerecht. Als Arzthelferin ist man quasi Mädchen für alles. Man tauscht Druckerpatronen, rückt die Sessel im Wartezimmer zurecht, schlichtet die Zeitschriftenstapel in der Leseecke und sortiert das Kinderspielzeug nach Alter und Farbe. In der Früh bin ich die Erste in der Ordination, lüfte, stelle genügend Lulubecher ins Patienten-WC, gieße den Gummibaum und kümmere mich um dezente Hintergrundmusik. Darüber hinaus bin ich das linke und rechte Ohrwaschel unserer Kunden. Beim Warten auf Rezepte, beim Ausmachen von Folgeterminen oder bei der Blutabnahme werden die Leute gesprächig und erzählen, wo der Schuh drückt. Die einen mehr, die anderen weniger. Bei einigen fließt der Informationsstrom, kaum dass sie die Praxis betreten haben, und reißt alle anderen Wartenden mit. Andere verlieren nur hin und wieder Worte wie ein gelegentlich tropfender Wasserhahn. Die Selbstbewussten, die in vermeintlichen Good News baden, surfen auf ihrer Gute-Laune-Welle daher. Und wieder andere, wie der Rettenbacher, unser Haus- und Hofhypochonder, sind wie ein Fass, in dem sich Todessehnsucht und Angst sammeln. Denen bleibt man am besten fern, denn wie bei einer Regentonne reißt die Oberflächenspannung bei der kleinsten Berührung, und ehe man zur Seite hüpfen und sich in Sicherheit bringen kann, schwappt der Redefluss über, und man bekommt nasse Füße.
Aber mein Beruf hat auch Vorteile: Ich erfahre Interessantes und Erstaunliches, manchmal völlig überraschend, meistens unter dem Siegel der Verschwiegenheit. So ein Wartezimmer ist ein Informations-Hotspot, es ist Infotainment und Seelsorge in...
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