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Erzählt von Bigoli, von Glitzer-Anzügen und Hanteln. Es geht um die Vorgeschichte, meine Ideenlosigkeit und die Flucht nach vorn. Rosina hat mich am Haken, überrascht mich und beginnt zu erzählen. Ich trinke Limoncello, schäme mich für meinen Vornamen und denke an Balkendiagramme. Dass ich alles aufschreibe, soll sie nie erfahren.
Bräuten stiehlt man nicht die Show. Von allen Benimmregeln für Hochzeitsgäste ist dies die Allerwichtigste.
Am schönsten Tag ihres Lebens darf die Hauptperson einer Hochzeit - zweifellos die Braut - von nichts und niemandem überstrahlt werden. Von keiner Schwiegermutter, die sich ins Epizentrum des Gruppenfotos drängt, von keinem Alleinunterhalter im Glitzer-Anzug und schon gar nicht von einem Mord.
Ich frage mich, ob die Hochzeit und der Ronchetti-Fall anders verlaufen wären, wenn es Rosina nicht gäbe. Beziehungsweise, ob man jene Vorkommnisse überhaupt als »Fall« bezeichnet hätte, wenn sie nicht eingegriffen und sie zu einem solchen gemacht hätte. Aber der Reihe nach.
Das Ermittler-Debut meiner besten Freundin Rosina lag erst wenige Wochen zurück (wir erinnern uns: Sie hatte den Raub des Susanna-Gemäldes und den Mord an Salvatore aufgeklärt). Und jetzt: Fall Nummer zwei. Mehrere Tote am Gardasee innerhalb eines Sommers, was sage ich: innerhalb eines Monats. Sollte mir das zu denken geben?
Die Häufung von Todesfällen in Rosinas Umgebung ist nicht zu übersehen. Für die Statistik wären ihre Fälle ein gefundenes Fressen; wo immer sie auftaucht, ist das Verbrechen nicht weit. Wir kennen uns zwar seit unserer Schulzeit in Salzburg, trotzdem ist mir ihre magnetische Wirkung auf Kriminalfälle bisher nie aufgefallen. Seit wir allerdings beide am Gardasee leben, lässt sich das nicht mehr ignorieren. Mord und Totschlag, Diebstahl, Raub: Die Kriminalistik umschwirrt meine beste Freundin wie eine Schmeißfliege, stets darauf bedacht, nicht erwischt zu werden.
Rosina hat - neben feinen Antennen und unschlagbarer Logik - noch zwei weitere Eigenschaften im Gepäck, um es mit dem Verbrechen aufzunehmen: den Blick für Details und Ausdauer.
»Das wirklich Wichtige sieht man immer erst auf den zweiten Blick«, sagte sie neulich an einem lauen Abend Anfang September, als wir vor ihrem Wohnmobil saßen. Sie hatte mich mit der Aussicht auf Bigoli con le sarde del Garda und einen Bericht über die Ronchetti-Hochzeit aus meiner Taschenwerkstatt gelockt, hatte mich also am Haken. Meistens hole ich mir aus Signora Baldinis Laden neben der Werkstatt gefüllte Focaccia oder Tramezzini. Mindestens zweimal pro Woche rühre ich eine fertige Risotto-Mischung an, und für den absoluten Notfall greife ich tief in die Tiefkühltruhe zur Fertigpizza. Obwohl ich seit fünf Jahren am Gardasee lebe, hat mich die italienische Küche noch nicht erreicht. Zumindest konsumiere ich sie bis jetzt nur passiv, wenn ich eingeladen werde. Fürs Kochen fehlt mir die Motivation, außerdem bin ich komplett ungeeignet für jegliche Form der Nahrungszubereitung. Rosinas Einladungen sind demnach die kulinarischen Highlights meiner Woche, zumal in Kombination mit einem Bericht über die Promi-Hochzeit, zu der sie am Tag zuvor geladen war. Und da ich ideenmäßig momentan sowieso auf der Stelle trat, saß ich brav und hungrig eine Stunde später bei ihr am Campingtisch und ließ mir die Bigoli schmecken. Ein typisches Pastagericht aus der Gardasee-Küche. Eingesalzen und in Öl konserviert kauft man die Gardasee-Sardinen am Bauernmarkt in Calmasino, und nur dort. Nach der Pasta hatte Rosina Perlhuhn mit Ricotta als Hauptgang und anschließend frische Feigen mit Marsala-Creme serviert, dazu gab es caffè.
Satt und zufrieden saß ich vor Rosinas neuer Residenz und war froh, mich zumindest heute Abend nicht mit meinen vertrackten Entwürfen herumschlagen zu müssen. Abendliche Kühle umfing mich gnädig; Balsam gegen die Temperaturen in meiner Werkstatt, die mich den ganzen Tag weich gekocht hatten. Statt an der idealen Umhängetasche zu tüfteln, mit der ich demnächst den Markt erobern wollte, sah ich dem Treiben am Seeufer zu. Surfer zerrten ihre Boards aus dem See, aus den Lokalen ringsum hörte man Gläser klirren, Sessel im Kies rücken und Besteck scheppern. Vor mir am Campingtisch brannte eine Zitronella-Kerze und vertrieb Tigermücken und Feuerwanzen. Ein typischer Spätsommerabend an Italiens größtem See.
Was für ein wunderbares Stückchen Erde, dachte ich und betrachtete Rosinas neues Zuhause. Dezente Lichterketten betonten die Kanten des schwarzen Wohnmobils und spendeten schummriges Licht. Das maßgeschneiderte Gefährt lag neben mir im Dunkeln wie ein ankerndes Schiff, bereit, noch bei Morgennebel in See zu stechen und Kontinente zu erobern. Stellte ich mir zumindest vor.
Im Inneren öffnete Rosina eine Tür und dann den Kühlschrank. Gläser klirrten. Als sie über die Stufen zurück nach draußen kam, schwenkte sie eine Flasche Limoncello in der einen, zwei winzige Gläschen in der anderen Hand. Sie nahm mir gegenüber Platz, betrachtete die Flasche zufrieden und öffnete sie schließlich mit großer Geste. Zitronenduft waberte mir entgegen.
Das wirklich Wichtige sieht man immer erst auf den zweiten Blick. Ich kam auf ihren Satz von vorhin zurück.
»Ich dachte, für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance?«, zitierte ich einen ihrer Grundsätze und drehte mein leeres Glas auf der Tischplatte. Meine beste Freundin, muss man wissen, ist die Großmeisterin des ersten Eindrucks. Sowohl was die eigene Erscheinung betrifft als auch bei der Beurteilung anderer. Eine ihrer Schwachstellen, würde ich sagen. Ihrem Scannerblick entgeht zwar kein Detail, aber für den zweiten Blick fehlt ihr meist die Geduld.
In Sachen Auftreten und Outfit dagegen überlässt sie nichts dem Zufall. Niemals. Rosina ist die Schaumgeborene des Stylings. Sie greift zielsicher zu den idealen Farben und Schnitten, kombiniert mühelos Muster und weiß, was ihr steht. Ich dagegen trage seit Jahren Jeans und schwarze T-Shirts mit mehr oder weniger originellen Aufdrucken. Alles andere ist mir zu kompliziert.
»Ach, das hast du dir gemerkt?« Rosina strich eine imaginäre Fluse von ihrem perfekt sitzenden Sommerkleid und betrachtete mich kritisch. Dann grinste sie und deutete auf mein Oberteil. »Schwarz geht immer« war in fetten Lettern drauf gedruckt. Über die Jahre waren die weißen Buchstaben allerdings ergraut und brüchig geworden. Vom Saum hing ein langer schwarzer Faden, den Stoff an der Schulter hatten hungrige Motten bearbeitet. Nicht gerade das Highlight meiner Garderobe, aber ein Klassiker, fand ich.
»Für die Werkstatt reicht's«, murmelte ich und zuckte verlegen die Schultern. Ich kam mir vor wie Aschenputtel.
»Es würde auch dir nicht schaden, ein bisschen am ersten Eindruck zu arbeiten!« Sie beugte sich über den Campingtisch und füllte Limoncello in beide Gläser. Etwas skeptisch starrte ich auf das gelbe Getränk. Der Limoncello und ich sind nicht unbedingt beste Freunde; seit meinem ersten Kontakt mit dieser seifig schmeckenden Flüssigkeit mache ich einen großen Bogen darum, wann immer es geht.
»Hab ich mit den Zitronen aus Canale di Tenno angesetzt«, erklärte sie. »Na los, probier'!«
Also kein Entrinnen. Dies war nicht irgendein Limoncello, sondern ein Meilenstein. Die Flüssigkeit markierte ein abgeschlossenes Kapitel aus Rosinas Leben, war quasi ein Destillat ihrer Vergangenheit, und ich ahnte, dass sie ihn für einen besonderen Moment aufgehoben hatte. Dass dieser Moment ausgerechnet jetzt gekommen war, stimmte mich misstrauisch. Hatte sie mir etwas zu beichten? Womöglich das desaströse Ende einer gerade entflammten Liebe? Denn dass auf der Hochzeit gestern Abend etwas Besonderes vorgefallen war, konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen. Ein weiteres Fiasko aus Rosinas Liebesleben war wesentlich wahrscheinlicher.
Vor nicht einmal einem Monat hatte sie ein entzückendes Häuschen samt Garten am Nordufer des Gardasees an einen Hochstapler verloren, war quasi in die Obdachlosigkeit geschlittert. Der Umzug in ihr Wohnmobil war die einzig logische Konsequenz gewesen. Diesen speziellen Limoncello zu trinken war also eine Art Vergangenheitsbewältigung: eine Sache abschließen und Platz machen für Neues. Sie hob das kleine Glas und prüfte die Farbe des Likörs.
»Merke: Man kann selbst einen guten Eindruck hinterlassen und trotzdem seine Umgebung kritisch betrachten. Hinter Fassaden blicken und sich nicht blenden lassen, verstehst du? Das eine schließt das andere nicht aus!«
Sich nicht blenden lassen - das war neu. Ich betrachtete sie kritisch. Rosina prostete mir zu, leerte ihr Glas auf ex und wartete gespannt.
»Na?« Sie nickte aufmunternd.
Ich starrte den Limoncello an wie einen Feind, den es zu vernichten galt, atmete tief durch, trank beherzt und - war überrascht. Statt synthetischem Zitronenaroma und klebriger Süße breitete sich fruchtige Milde auf meiner Zunge aus. Angenehm samtig und kein bisschen seifig. Dieser Limoncello war eine Offenbarung.
Rosina lächelte zufrieden. »Manchmal schlummern Überraschungen in Dingen, die du schon abgehakt hast. In der Liebe wie beim Limoncello.« Sie zwinkerte mir zu. »Du musst dich nur darauf einlassen.«
Ich ahnte, worauf sie abzielte: Lukas. Ich hatte mich vor Kurzem in den feschen Schweizer Gardisten verschaut und die Sache ernster genommen als er. Daher hatte ich auch erst spät bemerkt, dass ihm seine...
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