Schweitzer Fachinformationen
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Erzählt von Diebstahl, barocken Meistern, Crostini und dem richtigen Zeitpunkt. Rosina glänzt in der Theorie, versagt in der Praxis und fährt ihr Herz an die Wand. Ich werde am freundschaftlichen Abstellgleis geparkt, habe Vorahnungen und eine Informantin. Es geht um Zwiebeln, Basilikum und Lavendelblüten. Meine beste Freundin mixt Alkoholisches, sieht der Wahrheit ins Gesicht und passt sich den Gegebenheiten an.
Susanna und die Ältesten verschwanden zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Es war der 15. August, Ferragosto in Italien. Der Tag, an dem die Temperaturen hoch und die Straßen voll sind. Wo sich italienische Familien auf Picknickdecken und Urlauber in Freizeitparks quetschen, Hotelbetten überteuert und Strände überfüllt sind. Kindergeschrei, Kirchenglocken und Familienessen, Animateure, Karaoke-Musik und Feuerwerke schmelzen zu einem Dezibelkonglomerat jenseits der Erträglichkeit.
Ferragosto ist der wichtigste und demnach auch lauteste Feiertag in Italien. Am 15. August zählen nur Ferien, die Familie und gemeinsame Nahrungsaufnahme. Niemanden kümmert es, was hinter einer hohen Zypressenhecke geschieht. Der ideale Zeitpunkt also, um ein Kunstwerk unauffällig den Besitzer wechseln zu lassen.
Diebstahl an sich ist ein altes Gewerbe und weiter nicht schwierig, wenn man die Sichtweise auf Mein und Dein lockert und sich nicht erwischen lässt. Wie in allen Disziplinen gilt auch hier: Erst mal gehen lernen, bevor man losläuft. Übung macht den Meister. Ein Panino beim Lieferanteneingang des Supermarktes zu stibitzen ist wesentlich einfacher, als eine Skulptur aus den Uffizien verschwinden zu lassen. Die beiden anderen Erfolgskomponenten sind Vorbereitung und Timing.
Susanna und die Ältesten, das Meisterwerk der barocken Malerin Artemisia Gentileschi, hing jedenfalls zur Mittagsstunde an Ferragosto nicht mehr an seinem Platz. Signor Martinelli, Eigentümer einer luxuriösen Villa in Riva am Gardasee und stolzer Besitzer dieses herausragenden Gemäldes, bemerkte den Diebstahl um 14 Uhr, kurz vor der Trauung seiner Nichte Paola in Bologna. Festgäste und Familie hatten sich unter dem Arkadengang von San Luca versammelt, mittlerweile war die Hochzeitsgesellschaft vollzählig. Der Sektempfang war zu Ende, und das Brautpaar fieberte der Trauung in der Wallfahrtskirche Chiesa San Luca entgegen.
Die Aufzeichnungen der Überwachungskameras wurden per App auf Signor Martinellis Smartphone übertragen, und er nutzte die spontane, aber langweilige Rede eines Hochzeitsgastes für einen virtuellen Kontrollgang durch seine Villa.
Gerade als eine Kellnerin ihm das Tablett mit den letzten Crostini misti di Polenta unter die Nase hielt, erstarrte Signor Martinelli und wurde bleich. Nicht wegen der Crostini, denen die Mittagshitze stark zugesetzt hatte. Sondern weil die Kamera in Martinellis Villa eine leere Wohnzimmerwand zeigte. Ein verwaister Nagel unterbrach das grelle Weiß der Mauer. Erst nach Sekunden begriff Martinelli, was er sah. Umso heftiger reagierte sein Körper auf das Bild: trockener Hals, rasender Puls und eine beklemmende Enge im Brustkorb. Jemand war ins Haus eingedrungen, hatte die Alarmsicherung deaktiviert und geholt, was zu holen war: das Gemälde.
Lorenzo Martinelli spürte einen stechenden Schmerz in der Brust, geriet ins Wanken und klammerte sich an den Arm der Kellnerin. Die wiederum verlor die Balance, die winzigen Crostini rutschten vom Tablett und platschten ins Sektglas einer älteren Dame. Vom Aufschrei der Kellnerin alarmiert, drängten sich die übrigen Hochzeitsgäste um Signor Martinelli, der bereits am Boden lag und nach Luft rang, denn der Verlust von »Susanna« hatte ihn härter getroffen als ein Blitzschlag. Sein ganzer Stolz, sein liebstes Schmuckstück, sein wertvollster Schatz war verschwunden. Aber schlimmer als der Diebstahl war, dass Lorenzo Martinelli die Polizei nicht alarmieren konnte. Denn offiziell existierte Susanna und die Ältesten nicht.
Ohne Übertreibung war dies der spektakulärste Kunstraub seit Langem, zumindest in Oberitalien. In Rom waren wenige Monate zuvor ebenfalls Gentileschi-Bilder aus privaten Sammlungen gestohlen worden.
Spektakulär war der Raub der Susanna allein deshalb, weil Lorenzo Martinelli kein einschlägig bekannter Kunstsammler war. Keiner der Sorte, die einem Gemälde um die halbe Welt hinterherjagen, um es bei einer Auktion zu ergattern.
Genau genommen hatte Lorenzo Martinelli mit Kunst gar nichts am Hut; auf den Kommoden und Regalen seiner Villa prangten nur mäßig interessante Mitbringsel von Geschäftsreisen sowie ein paar Schalen aus Murano-Glas. 90 Prozent undefinierbare Nippes, zehn Prozent ideenloser Mix aus den Souvenirläden dieser Welt. Das Highlight war ein meterhoher schwarzer Buddha-Kopf, illegal aus Thailand importiert.
Martinellis Religion war nicht die Kunst, sondern die Selbstdarstellung. Fotos von A-, B- und C-Promis, allesamt Lorenzos Firmenkunden, pflasterten die Wände seiner Villa. Vom US-Präsidenten bis zum ausrangierten Skirennläufer, von der Haubenköchin bis zum Busenwunder: Alle posierten mit mehr oder minder geschmackvollen Sehhilfen auf dem Nasenrücken und dem grinsenden Martinelli an der Seite. Die Firma Martinelli mit Sitz in Verona, vom umtriebigen Lorenzo gegründet, gehörte zu Italiens größten Optikern.
Gentileschis atemberaubendes Gemälde war in diesem Haufen abstruser Dekorationen schlicht fehl am Platz. Oder, wenn man so will, das einzig Stilvolle, das Martinelli besaß.
Über Herkunft und Vorbesitzer des Meisterwerks hatte Lorenzo Martinelli bis dato geschwiegen. Ebenso, wie viel er dafür bezahlt hatte und wem.
Nur er selbst wusste über die häufig wechselnden Besitzverhältnisse Bescheid, und da er nicht belegen konnte, das Gemälde legal erworben zu haben, hatte er keine Versicherung dafür abgeschlossen. Der Schaden war also nicht gedeckt, Hilfe von offizieller Seite nicht zu erwarten. Streng genommen durfte Martinelli nicht einmal über den Diebstahl reden, ohne sich selbst verdächtig zu machen, denn Gentileschis Bilder wurden zu hohen Summen am Kunstmarkt gehandelt. Ein Bild zweifelhafter Herkunft ohne Expertise konnte also, im schlechtesten Fall, den Besitzer in Schwierigkeiten bringen.
Unter normalen Umständen wäre Susanna und die Ältesten hochversichert und die Alarmanlage mit der nächsten Polizeidienststelle gekoppelt. In Martinellis Fall: negativ. Die Chance, den Dieben ohne polizeiliche Hilfe auf die Schliche zu kommen, war verschwindend gering. Lorenzo Martinelli brauchte also jemanden, der sich mit Malerei auskannte und in der Kunstszene sattelfest war. Bestens vernetzt und gleichzeitig integer. So wie meine beste Freundin Rosina.
Rosina Gamper. Kaum eine Frau kommt den Männern beruflich näher als sie, Urologinnen ausgenommen. Stramme Männlichkeit ist ihr Geschäft, gemeißelte Brustmuskeln, trainierte Waden und kantige Gesichtszüge sind ihr täglich Brot. Alter und gesellschaftlicher Stand sind dabei bedeutungslos. Ob knackig, kurz vor dem Verfall, Ziegenhirt oder Heiliger: Rosina macht sich über alle her. Mit sanften Fingern und viel Erfahrung spürt sie ihre empfindlichsten Stellen auf und schenkt ihren Schützlingen die Zeit, die sie brauchen. Rosina bringt Männerkörper zum Strahlen, denn sie ist Malerin und Restauratorin. Natürlich finden sich auch unschuldige Madonnen, sinnliche Damen und kugelrunde Putten in ihrer Patientenkartei, aber meistens schanzt ihr das Universum renovierungsbedürftige Kerle zu.
Abseits von Pinseln und Farbe greift Rosina allerdings zielsicher daneben, seit sie 17 ist. Ihr Liebesleben ist Chaosforschung.
Mitte August war es wieder einmal so weit: Rosinas Herz war frisch gebrochen, zum gefühlt 100. Mal. Zersprungen in zigtausend Scherben wie eine Tischplatte aus Sicherheitsglas. Unzählige Teilchen, die beim Crash in die entlegensten Winkel ihrer Seele gesplittert waren und nun mühevoll hervorgeholt und entsorgt werden mussten. Griechische Tragödien sind ein Freudenfest dagegen.
Im Wiederaufbau von Rosinas zerstörtem Seelenheil hatte ich Übung. Die Mischung aus divenhafter Schönheit, hoffnungsloser Romantik und naiver Gutmütigkeit machte sie zur leichten Beute selbstverliebter Gockel. Seit ich sie kenne, also seit unserer Schulzeit, hängt Rosina in der Endlosschleife ihrer Wünsche fest: ein rauchiges >Schau-mir-in-die-Augen-Kleines<, ein Verlobungsring von Cartier oder Champagnerzweisamkeit am Strand. Ihr heldenhafter Ritter sollte sich ausschließlich per Pferd beziehungsweise Cabrio fortbewegen, die Klaviatur der Komplimente beherrschen und darüber hinaus ein leidenschaftlicher Tänzer sein. Kleinigkeiten wie akkurater Haarschnitt, ein üppiges Bankkonto und hingebungsvolle Liebe verstehen sich von selbst. Rosina ist ein Kind der späten 60er und mit ihren Wünschen im Märchenbuch stecken geblieben.
Handwerklich dagegen ist sie unschlagbar. Als Tochter eines Südtiroler Schnitzers und einer Salzburger Schneiderin ist Rosina Gamper mit Schönheitssinn, künstlerischem Geschick und Geduld ausgestattet. Nach ihrem Studium der Kunstgeschichte und Malerei perfektionierte sie ihr Handwerk in Rom, Siena, Salzburg und Wien. Sie ist eine Meisterin ihres Fachs. Rosinas Auftragsbuch ist stets prall gefüllt, zu ihren Kunden zählen Schlossherren ebenso wie Sammler und die Kirche.
Vor gut zehn Jahren, nach ihrer vierten Scheidung, machte sie Schluss mit dem Salzburger Schnürlregen und zog an den Gardasee. »Wenn schon unglücklich, dann wenigstens in der Sonne!«, hatte sie mir damals erklärt. Ihr Erspartes tauschte sie gegen ein Häuschen in Canale di Tenno, einem kleinen Ort circa...
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