Schweitzer Fachinformationen
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Die Lichter der Stadt. Wenn es dunkel wird, kriechen sie hervor, erscheinen, um im Bierdunst zu feiern. Aus allen Ecken und Enden kommen sie. Sie tragen keinen Namen. Sie sind nicht als solche registriert. Anonymität ist ihr Dogma. Wie Schläfer leben sie, schlafen jedoch nicht. Sie leben eingebettet in dieser schönen neuen Welt. Sie geben das Geld aus, das sie irgendwie verdienen. Sie fallen nicht auf. Sie kennen einander nicht. Doch manchmal begegnen sie sich. Dann grinsen sie sich zu, und sie prosten sich zu.
Man könnte meinen, ich stehe im Abseits. Ich lehne an der Mauer dieser mit Menschen überfüllten Lokalität und trinke mein siebtes Bier. Vielleicht ist es aber auch bereits mein achtes. Das Lokal hat ein Verkehrsproblem. Die Menschen stauen sich. Ich bin oft hier. Ich bin hier, weil es dieses Verkehrsproblem gibt. Es ermöglicht mir, dass ich den Menschen nahe bin. Und weil es auch sonst ein Ort ist, wo die Menschen offener sind als sonst, erhoffe ich mir die Begegnung mit den anderen. Daher bin ich heute hier. Daher trinke ich an die Mauer gelehnt und beobachte den Strom vorüberfließender Menschen. Leider erkennt man sie dann doch nicht. Oder nur sehr schwer.
Die Frauen sind so schön. Sie lächeln. Sie berühren mich beim Vorübergehen. Die Musik ist auch schön. Die berührt meine Seele. Gleich werde ich aufbrechen, um im Leib des Tanzkörpers mich mittanzen zu lassen. Zuvor jedoch muss das Bier fertig getrunken werden. Das Bier nämlich würde den Tanzkörper nicht überleben, nur sinnlos herumgeschüttet würde es werden, und das ist nicht der Sinn des Bieres. Der Sinn des Bieres ist der Suff! Daher saufe ich aus mit großen Schlucken und spüre schon wieder meine Blase, die zu entleeren ich losmarschiere, hinein in den Strom aus Menschen, wo sicher, das weiß ich genau, weil es sie gibt, einige von ihnen darunter sind, nur steht es nicht auf deren Stirn geschrieben, und auch ich bin nicht erkennbar als solcher. Man kann immer nur vermuten, und einige Male vermute ich auch, aber es ist so schwierig, während ich eng an eng an Körper gepresst einfach mitschwimme, was Möglichkeiten bietet, etwas herauszufinden, wenn man einander so nahe ist, weil es ansonsten immer unmöglich ist, man kann nämlich überhaupt nicht fragen, ob jemand ein solcher ist, weil es überhaupt keinen Namen gibt dafür.
Ich erreiche die Toilette, wo sich sogar vor der Männerabteilung eine Schlange gebildet hat. Die Toilette ist die furchtbarste von ganz Wien. Es rinnt nämlich immer viel weniger weg als hinein. Daher gibt es den Gesetzen der Wasserwirtschaft folgend immer eine Überschwemmung. Meine Schuhe sind aber wasserfest.
Das Lokal ist in einer Reihe von vier ineinander übergehenden Räumen angeordnet. Auf der einen Seite befinden sich der Eingang und die Toilette, auf der anderen der Tanzkörper. Daher gibt es das Verkehrsproblem. Daher gibt es den Menschenstrom, in dem ich mich langsam und stockbesoffen nach den sieben oder acht Bieren dem Tanzkörper entgegenschiebe. Überall dienen Menschen als Hindernis, um dem Strom die nötige Elastizität zu verleihen, um den geradlinigen Verlauf abzubremsen, umzuleiten, um Mäander zu bilden, so als wäre es ein Strom ohne Betonuferverbauung, und eigentlich ist es auch so. Hier gibt es keine starre Lenkung, nur eine aus Körpern, die sich definiert als Leben, und man muss oft einen Bogen machen um ein solches Wunder von Mensch. Man kann nicht geradlinig auf das Ziel zusteuern, wie von vielen Büchern fälschlicherweise behauptet wird; dass das der einzig richtige Weg sei. Hier ist das unmöglich, und so begegne ich in abgewandelter Form meinem Mäandertal im Umrunden von herumstehenden Menschen. Vielleicht sind welche darunter, wer weiß, nur kurz ist unsere Begegnung, ehe ich weiterfließe, dem Tanzkörper entgegen, der nichts anderes darstellt, als einen brodelnden Wasserfall, und als ich hineinstürze in die Fluten des Tanzkörpers, ist es unglaublich. Körper. Musik. Eine einzige Bewegung durchzuckt die Massen. Das Licht der Dunkelheit. Hier sind sie alle schön. Menschen.
Langsam beginne auch ich. Schritte. Da, wo sie eigentlich unmöglich sind: weil kein Platz, weil zu eng. Aber nicht hier. Hier ist Platz. Hier ist immer Platz. Wie sehr und immer hier kein Platz für weitere Überfüllung möglich scheint, um so mehr ergibt sich ein Fehler im physikalischen System, ist immer wieder noch Platz, um hineinzufliegen. Der Tanzkörper. Langsam steigere ich mich. Bewegungen einzelner Menschen, die zu der einzig und allein möglichen Gesamtbewegung verschmelzen im Sog der Rhythmen unzähliger Töne, hineingedröhnt in die Spannung, die sich nicht aufbaut, sondern die fließt, die sich immer gleich entladet, die bewegt. Und immer mehr wird alles mehr, weil ich mitten drinnen bin, obwohl ich nicht dazugehöre, hier ist es egal, weil sieben oder acht Bier, ein Tanzkörper, dazu Musik, die übrigens nicht von so hervorragender Qualität ist, wie man jetzt meinen könnte, da alles so schwingt, im Gegenteil, eigentlich recht schlechte Musik präsentiert dieser Musikmacher hoch oben über uns auf seinem Thron. Aber einerseits ist es uns Menschen vereint im Tanzkörper völlig einerlei, wie selten die Muse einen Menschen küsst, wie schlecht die Musik auch sein mag. Andererseits, wäre die Musik auch noch eine gute, wer weiß, einige von uns könnten im Leben gefährdet werden, es nicht überstehen, weil es so zuckt und rast und alles in Bewegung weit abseits von körperlichen Verfassungen dahinfliegt, dass es wohl gut und recht ist, dass die Musik nicht die beste ist.
Ich habe das alles schon oft erleben dürfen. Nicht jedes Mal, aber oft genug, ich könnte zufrieden sein. Ist aber nicht so. Es gibt nämlich diese Einsamkeiten. Und oft erreichen sie mich gerade durch den Tanzkörper. Weil jede Nacht zu Ende geht. Dann wird es plötzlich heller. Und in meiner Seele dunkler. Man weiß, jetzt kriegt man kein Bier mehr. Ein bisschen Musik wird noch nachgespielt. Der Tanzkörper aber hat sich aufgelöst und geht nach Hause. Verzweifelt tanzt man noch nach. Vielleicht gelingt sogar ein letztes Mal ein Ausbruch von Schritten. In Wirklichkeit regiert aber doch wieder nur Einsamkeit. Anstatt froh zu sein, dass der Tanzkörper passiert ist, was wirklich nicht jedes Mal geschieht, fluche ich hinein in mich. Weil ich einer von ihnen bin. Wo aber sind die anderen? Sie gehen nach Hause. Ich habe sie nicht erkannt. Auch sie haben mich nicht erkannt. Wer jetzt noch wartet, ist der Türsteher, der freundlich, aber bestimmt den Weg zeigt. Es ist der Weg in die Einsamkeit. Hinaus. Hinein in das Grauen des Morgens. Schweißgebadet in die Kälte des Katers. Die vielen Biere im Hirn führen zu vereinzeltem Stolpern ohne Hinfallen. Das Ziel ist eine Wohnung, wo man sich vielleicht mit fettem Katerfrühstück trösten kann, manchmal. Dann wieder reicht das nicht aus, ist es nur ein Fluch, ist es nur ein Schimpfen und Jammern, ein Wutausbruch, der dazu führt, dass die Hand auf ein unschuldiges Auslagenfenster donnert. Das aber zerbricht nicht, nur eine Alarmanlage geht los, die kleinlaut macht und den Schritt beschleunigt, und man schreit hinein in sich zur Flucht vor den Auswüchsen dieser Nacht, wozu?
Trotz allem bin ich froh, dass ich einer von ihnen bin. Durch alle Wut und Unmöglichkeiten durchscheinend fühle ich doch einen gewissen Stolz. Natürlich wäre alles einfacher, normal zu sein, verstanden zu werden, das alltägliche Leben ohne jede Infragestellung allzeit und immer gut und lebenswert zu finden. Aber es ist nicht so. Und im Grunde kann ich mir euer Leben genauso wenig vorstellen wie ihr euch das meine. Manchmal gelingt mir das Gefühl, irgendwie sei es schon in Ordnung. Existiert nicht auch eine Unzahl von Chancen darin? Meistens aber ist es einfach nur mühsam. Immer wieder stellt sich die Frage nach der Annahme meines Seins oder zumindest eine bestmögliche Anpassung an die Gesellschaft. Natürlich ist es eine rein rhetorische Frage. So bleibt mir nur ein einziger Ausweg. Die Suche. Wonach aber suche ich? Ich weiß es nicht. Ich habe nicht die geringste Ahnung vom Ziel meiner Suche. Und dennoch ist es der einzig mögliche Weg. Und trotz völliger Unmöglichkeit einer Beschreibung, benenne ich das Ziel meiner Suche:
Mäandertal.
Wie kommt das Wasser auf diese eigenartige Idee? Als Ziel kommt nur das Meer infrage. Der Weg dorthin ist weit genug. Der Bogen wird immer größer. Das Wasser untergräbt seinen eigenen Lauf. Um sich selber im Weg zu sein, nimmt es an entfernter Stelle Material auf, das sich am Schnittpunkt zum nächsten Meter Richtung Meer als Hindernis aufbaut. So als wolle es das Meer unter keinen Umständen erreichen. Dabei gibt es kein anderes Ziel. Der weite Weg wird immer weiter. Dennoch wird das Meer schließlich dann doch erreicht. Aber unter welchem Aufwand und unter welchen so unnötig immer wieder sich selber in den Weg geworfenen Mühen? Das Wasser muss verrückt sein!
Ein Mäandertal ist vor allem eines, unglaublich schön.
Schließlich erreicht mich der Höhepunkt im Tanzkörper. Die Rate meiner Schritte wetteifert mit der Musik. Dabei geht es allerdings nicht darum, wer als Sieger eines Wettstreits hervorgeht, auch wenn das mögliche Zuschauer vermuten könnten, sondern es geht um überhaupt nichts. Solange es nämlich um etwas gehen könnte, zum Beispiel gut zu tanzen oder schön zu tanzen oder Spaß zu haben am Tanzen oder durch vorzügliches Tanzen die Gunst einer Frau zu erwerben, ist jeder Höhepunkt zum Scheitern verurteilt. Der Höhepunkt im Tanzkörper hängt ab von der absoluten Unabhängigkeit. Man könnte es auch...
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