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Seine Frau hatte einen überaus tiefen Schlaf. Egal, was am Tag gewesen war, kein Streit, kein Stress, ja nicht einmal ein Kaffee am späten Abend brachten Charlotte um ihren Schlaf. Ganz im Gegensatz zu ihm. Er schlief schon seit vielen Monaten nicht mehr gut. Keine Nacht, in der er nicht von Albträumen geplagt hochschreckte. Kaum eine Nacht, in der er nicht resigniert aufstand, den Fernseher einschaltete, die Zeitung zur Hand nahm oder sich eine warme Milch machte. Selbst mit Tabletten hatte er es versucht, aber der Überhang am nächsten Tag war zu heftig gewesen, als das er das wiederholen wollte. Nichts war im Moment wichtiger, als in der Praxis einen klaren Kopf zu bewahren.
Deswegen schrak Rolf Schimmer gewaltig zusammen, als Charlotte mitten in der Nacht plötzlich vor ihm erschien. Er konnte sich nicht erklären, warum er ihr Kommen nicht gehört hatte, aber nun stand sie wie ein Eindringling vor ihm, und es war, als bewege sie den Mund, ohne dass Laute zu ihm drangen.
Erst allmählich verstand er, was sie sagte: »Rolf, was ist los? Warum gibst du mir keine Antwort.«
Es fiel ihm nichts ein. Er schaute sie nur an. Sah das hauchdünne Nachthemd, das sie sich vor kurzem zugelegt hatte. Schon damals hatte er ihr nicht folgen können, als sie von diesem Laden erzählte, in dem sie es gekauft hatte. Er erinnerte sich, wie enttäuscht sie war.
»Rolf, du machst mir Angst.«
Wenn das Angst ist, fuhr es durch Rolfs Kopf, dann weißt du nicht, was Angst ist. Noch nicht einmal Angst kannst du zeigen, noch nicht mal das. Er blieb stumm. Es würde zu viel Kraft kosten zu reden.
»Rolf, bitte sprich mit mir. Wir waren uns doch einig. Oder ist es immer noch die eine Sache?«
Müde hob er einen Arm und winkte ab. Mit unendlicher Müdigkeit in der Stimme log er: »Alles in Ordnung. Ich hatte einen Traum. Lass mich einfach, ich komme gleich wieder schlafen.«
Ihre Stimme wurde scharf: »Rolf, bitte, beleidige nicht meinen Verstand. Mir ist schon klar, dass das nicht die erste Nacht ist, in der du hier sitzt. Glaubst du wirklich, ich merke das nicht?«
Er sah sie müde an.
»Mal ein Glas, mal eine Tasse, die Zeitung oder eine Decke zerknittert auf der Couch. Du bist ja nicht einmal in der Lage, die Spuren deiner nächtlichen Herumgeisterei vor mir zu verbergen. Ich räume immerhin auf, bevor ich zu Bett gehe, wie du weißt.«
Er grub den Kopf in die Hände. Wann war ihm bloß zum ersten Mal aufgefallen, wie schrill und anstrengend ihre Stimme war? Auf jeden Fall zu spät. Viel zu spät, dachte er. Heute wollte er nur, dass sie endlich schwieg.
»Wenn das hier so eine Nummer wird, dass du eine andere hast, dann sag mir das lieber hier und jetzt. Ich könnte es sogar verstehen.«
Rolf hob den Kopf. Meinte sie das ernst? Sie kam ihm jetzt tatsächlich mit einer unbegründeten Eifersuchtsgeschichte.
»Dann wundert es mich auch nicht, dass du selbst zu dieser sündhaft teuren Nachtwäsche nichts mehr zu sagen hast.«
Schimmer hielt es von einer Sekunde auf die andere nicht mehr aus. Aus seiner Müdigkeit war urplötzlich Wut geworden. Er wollte nur noch, dass sie den Mund hielt. Allen musste er es recht machen - allen. Nur nicht sich selber. Dabei hatte er gedacht, auf dem richtigen Weg zu sein. Hatte endlich für sich selbst gesorgt, hatte angefangen an sich zu glauben. Doch nun, von jetzt auf gleich, entglitt ihm alles. Drohte alles zu platzen. Auf einmal stand alles auf dem Spiel. Alles konnte er verlieren. Zusätzlich zu dem, was alles schon zerbrochen war.
Mit einem Satz sprang er auf. Ohne zu wissen, was er tat, hatte er den Barhocker, auf dem er vor der Küchentheke gesessen hatte, hochgerissen und hielt ihn drohend gegen Charlotte gerichtet.
»Das lasse ich nicht zu. Ich lasse das nicht zu. Ich lasse mir nicht alles kaputt machen. Von dir nicht, von Steiner nicht, und von Jakob nicht.« Er sah Charlottes schreckgeweitete Augen, aber er konnte nicht innehalten. »Hast du mich verstanden? Ich lasse das nicht zu. Also hör einfach auf.«
Er stieß den Hocker zu Boden, wo er mit dem Knacken eines Stuhlbeins hart auf dem Fliesenboden aufschlug. Schimmer stürmte an seiner Frau vorbei. An der Garderobe griff er nach seiner Jacke, dem Portemonnaie und dem Schlüsselbund.
»Hast du gehört?«, schrie er noch einmal. »Lasst mich einfach alle in Ruhe.«
Dann zog er die Haustür hinter sich mit einem lauten Knall zu.
*
Georg liebte diese Sommermorgen, an denen er der Erste am menschenleeren Strand war. Der Wecker konnte in dieser Jahreszeit gar nicht früh genug klingeln. Zu seinem eigenen Erstaunen war er sofort hellwach, während Hella, seine Frau, nur unwillig murrte, und sich die Decke über den Kopf zog. Georg lächelte beim Gedanken an Hella. Sie hatten sich gesucht und gefunden, fanden alle ihre Freunde, und sie beide sahen das auch nach vielen gemeinsamen Jahren noch genauso.
Von seinen Eltern hatte er die Konzession für die Strandbude übernommen. Mit allen Verantwortlichkeiten, wie sie vielsagend betont hatten. Im ersten Jahr war es ihm ganz schön schwergefallen. Der Sommer war ein hartes Geschäft, aber nur er lieferte die Einnahmen, von denen sie das ganze Jahr leben mussten. Doch es hatte Hella und ihm immer mehr Freude bereitet. Schließlich hatten sie begonnen, eigene Ideen zu entwickeln, hatten einen unverwechselbaren Style für das Ostsee-Strandleben entworfen. Hatten ihre Erfahrungen von ihrer Lieblingsinsel Ibiza, auf der sie sich kennengelernt hatten, an die Ostsee gebracht. Hippie meets Nautic, so hatten sie das genannt, was sie hier mit zunehmendem Erfolg kreierten.
Georg zog den Reißverschluss seiner Daunenjacke hoch. Auch im Hochsommer war es frühmorgens kalt. Sein erster Weg führte ihn zu seiner kleinen Wetterstation. Hier dokumentierte er täglich Außen- und Wassertemperatur, Niederschläge und Gewitter. Die Daten postete er mit einem aktuellen Foto auf Facebook und Instagram.
Er wusste, wer alles auf seine täglichen Nachrichten wartete, um sich in Gedanken an diesen magischen Ort zurück zu träumen. Die Patienten der Seeadlerklinik und des Rosensanatoriums blieben ihm treu, denn mit seiner Strandbude verbanden sie oft die besten Zeiten, die sie seit der Krankheit erlebt hatten.
Georg entriegelte das große Schloss, mit dem er die Strandbude schützte. Als Erstes holte er das kleine Notizbuch, in das er die Werte schrieb, die er an seiner Wetterstation ermittelte. Schnell trabte er hinunter zum Wasser, um auch dort die Temperatur zu messen. Mit seinem Handy schoss er ein Foto, das die spiegelglatte Ostsee zeigte, die im Glanz der aufgehenden Sonne wie pures Gold vor ihm lag.
»Moin, da draußen. Hier an unserer Strandbude erwarten euch heute satte 12 Sonnenstunden mit Temperaturen bis 24°C. Das Wasser wartet mit angenehmen 19°C auf euch und die See ist so still, dass es auch Ungeübte wagen können, sich auf ein SUP-Brett zu stellen. Sehen wir uns?«
Georg hatte die wenigen Zeilen mit beiden Daumen in sein Smartphone getippt. Seitdem sich seine Jungs über ihn lustig gemacht hatten, wenn er mit dem Zeigefinger Buchstaben für Buchstaben gesucht hatte, war er von Ehrgeiz befallen, es cooler hinzukriegen. Schließlich hatte er die angesagteste Strandbude zwischen Travemünde und Wismar, da wollte er es an Kleinigkeiten nicht fehlen lassen. Und seine Gäste dankten es ihm.
In der Stille des Morgens dachte Georg unwillkürlich an die Frau, die gestern ermordet aufgefunden worden war. Die meiste Zeit hatte er versucht, den Gedanken daran zu verdrängen. Das hatte nichts mit ihm zu tun und er musste schließlich den Laden hier am Laufen halten. Und doch fragte er sich jetzt, zu welcher der Patientengruppen sie gehört haben mochte. Dass sie Patientin im Rosensanatorium gewesen war, ließ ihn vermuten, dass ihre Prognose keine allzu günstige gewesen war. Aber das musste nicht so sein. Manche wollten einfach auf Nummer Sicher gehen und nahmen alles an Behandlungen mit, was der Markt so hergab. Wenn sie es sich denn leisten konnten. Das war der entscheidende Unterschied. Im Rosensanatorium gab es nichts für umsonst. Selbst den Tod nicht, hieß es in der benachbarten Seeadlerklinik.
Er rief sich das Foto der Toten in Erinnerung. Ja, er hatte sie gekannt. Flüchtig nur. Sie war keineswegs so ein häufiger Gast gewesen wie beispielsweise diese Elena. Bei manchen der Klinikgäste ergab sich das wie von selbst, dass man sich beim Namen kannte und einen vertrauten Umgang hatte. Andere kamen täglich, blieben aber zurückhaltend. Für ihn war das alles in Ordnung. Es ging schließlich nicht um ihn.
Georg schauderte es bei dem Gedanken, was sich dort hinten gestern zugetragen haben musste. Hätte er etwas verhindern können, wenn er aufmerksamer gewesen wäre? Er versuchte sich zu erinnern. Nein, er wüsste nicht, dass er gestern auch nur eine Menschenseele gesehen hatte, während er seinen Strand aufbaute.
Georg schritt mit langen ausholenden Schritten, die so gar nicht zu seinem Körper passten, wie Hella immer sagte, zum Schuppen, um die Boards hinunter zur Dünenlinie zu tragen.
Er mochte es, sich in der klaren, unverbrauchten Luft des Tages zu verausgaben. An manchen Tagen wettete er gegen sich selbst, wie viele der Bretter er gleichzeitig tragen konnte. Dann wunderte er sich selbst, mit wie viel Energie er in jeden einzelnen Sommertag startete.
Jetzt einen Kaffee, freute er sich, als die Maschine die schwarze Flüssigkeit in die blaue Tasse presste, die das Logo seiner Strandbude trug. Was für eine tolle Idee seiner Frau, damit ihre selbst hergestellten Artikel zu zieren, die sie in Hellas...
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